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Veröffentlicht am 11.09.2019

Wie man keinen Krimi schreibt

Die einzige Zeugin
4

Eva stalkt ihren Exmann Svante, der in eine exklusive Wohngegend gezogen ist. Früher war an gleicher Stelle eine psychiatrische Anstalt. Als Svante ermordet wird, fällt der Verdacht auf Eva und die einzige ...

Eva stalkt ihren Exmann Svante, der in eine exklusive Wohngegend gezogen ist. Früher war an gleicher Stelle eine psychiatrische Anstalt. Als Svante ermordet wird, fällt der Verdacht auf Eva und die einzige Zeugin, eine Bettlerin, ist spurlos verschwunden.

Die Zusammenfassung hört sich nicht mal schlecht an; der Klappentext hatte mich neugierig gemacht und ich, als Laie, glaube, dass man daraus einen spannenden Krimi hätte schreiben können. Leider versagt die Autorin, und es hat nicht viel gefehlt, dass ich nach dem Zuschlagen die gesamten 512 Seiten an die Wand geworfen hätte. Aber der Reihe nach.

Der Anfang hat mir gut gefallen. Obwohl, oder gerade weil mir Eva nicht sympathisch war. Das erste Drittel liest sich wie ein gewöhnlicher Krimi, und ich war gespannt, wie es weitergeht. Da hätte ich schon merken müssen, worauf es zweiten Drittel hinausläuft. Tove Alsterdal erzählt, gut recherchiert, die Geschichte der Roma und weil das noch nicht reicht, werden auch alle Flüchtlinge dieser Welt in dem Buch bedacht. Dass das keine lustige Geschichte ist, war mir vorher schon klar, aber wenn ich mich darüber informieren möchte, dann lese ich direkt ein Sachbuch; denn in einen Krimi gehört das in dieser Ausführlichkeit nicht! Im weiteren Verlauf fährt Eva dann nach Berlin, holt ihren verzogenen Sohn ab und die beiden fahren weiter nach Rumänien, um die verschwundene Bettlerin zu finden. Mittlerweile bin ich auch noch in einem Roadtrip gelandet...aber in einem sehr schlechten. Die Dialoge sind an Langeweile und teilweise auch an Dümmlichkeit nicht zu übertreffen. Den erhobenen Zeigefinger der Autorin konnte ich zum Ende des zweiten Drittels auch nicht mehr ertragen.

Das Problem bis dahin ist außerdem das Fehlen jeglichen Sympathieträgers. Im zweiten Erzählstrang tut sich da auch nichts (irgendwas über verweste Leichen, die Kinder beim Nachspielen von Game of Thrones entdecken). Alle gingen mir auf die Nerven. Ach, fast vergessen...Ermittlungen der Polizei finden nur im Off statt, so dass sich auch kein Ermittler hervortun kann.

Als das letzte Drittel begann, war ich im Grunde schon kurz vor dem Aufgeben. Doch da ändert sich zunächst alles. Ein Sympathieträger, die Krankenschwester Ulla, taucht auf und die Ermittlungen der Polizei rücken plötzlich in den Vordergrund. Hat da die Autorin gemerkt, dass sie bisher irgendwas (um nicht zu sagen: Alles) falsch gemacht? Bis 50 Seiten vor Schluss nimmt der Roman endlich Fahrt auf, bisher war die Spannung entlang der Nulllinie verlaufen. Aber was die Autorin dann als Auflösung präsentiert ist konstruiert, nein, falsch formuliert: Das ist absoluter Nonsens! Ich glaube, ich habe den Kopf geschüttelt und gedacht: Für diese Auflösung habe ich den ganzen Mist durchgestanden?

Für mich definitiv das erste und das letzte Buch der Autorin. Wahrscheinlich wollte sie eine Kombination aus Sachbuch, Krimi, Roadtrip und Roman schreiben und ist an ihren Mitteln gescheitert. Aber, um auch etwas Positives zu sagen: Vielleicht ist das der neue Kriminalroman, der ganz anders daherkommt; nicht nur unterhalten, sondern auch belehren will. Für mich ist das jedenfalls nichts!

Ich habe den "Kriminalroman" in einer Leserunde gelesen und bedanke mich beim Verlag für das Freiexemplar.

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Veröffentlicht am 01.07.2019

Ein Buch zum Träumen

Das Licht der Toskana
2

Kit Raines, Schriftstellerin, beobachtet das Nachbarhaus. Drei nicht mehr ganz frische Frauen ziehen mit einem Hund ein. Drei Amerikanerinnen, die der Heimat und ihrem Privatleben den Rücken gekehrt haben, ...

Kit Raines, Schriftstellerin, beobachtet das Nachbarhaus. Drei nicht mehr ganz frische Frauen ziehen mit einem Hund ein. Drei Amerikanerinnen, die der Heimat und ihrem Privatleben den Rücken gekehrt haben, um in der Toskana noch einmal neu anzufangen. Als Leser darf man diesen Neuanfang auf gut 600 Seiten miterleben.

Um es sofort deutlich zu sagen: Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Immer, wenn ich weitergelesen habe, bin ich eingetaucht in die doch sehr rosarote Welt, die Frances Mayes hier vor uns ausbreitet. Aber von Zeit zu Zeit braucht man doch eine Welt, in der es keine Probleme, zumindest keine nennenswerten gibt; wo genug Geld ist, um Träume zu erfüllen; wo es keine Sorgen um die eigene Gesundheit gibt; wo die Gegend wie in einem Traum erscheint. Wenn man diesen Roman liest, darf man keine Kritik an irgendetwas erwarten und das habe ich auch nicht. Vielleicht habe ich den Roman deshalb so genossen.

Dazu kann die Autorin wirklich erzählen. Da wird die Toskana für mich sehr lebendig, in ihren Farben und Gerüchen. Man taucht ein in die Küche Italiens, sitzt in Straßencafes, spaziert beim Tagesausflug durch Venedig. Da werden die Menschen zu Bekannten, die man gerne wiedertrifft. Und am Ende, wenn alle Beteiligten ihr Glück gefunden haben, dann schlägt man das Buch zu und kehrt zurück in die eigene Welt, die halt nicht so perfekt ist. Ich habe eine schöne Reise in die Toskana hinter mir und genau das wollte ich erleben. Ob das Bild der Toskana im Roman der Realität entspricht, kann ich nicht beurteilen, wollte ich bei der Lektüre auch gar nicht wissen.

Man muss sich auf diesen Roman einlassen können, um die Sprache, die voll von Bildern ist, zu genießen. Vielleicht ist das nicht für jeden etwas. Für mich war es eine Wohltat. Ein Roman, der zum Sonnenuntergang passt; ein Roman, der mich abends runtergebracht hat und ein Roman, der Hoffnung macht; Hoffnung, dass es für einen Neuanfang nie zu spät ist.

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Veröffentlicht am 12.03.2020

Ein Krimi zum Wohlfühlen

Der Gin des Lebens
1

Cathy findet im Garten ihres Bed & Breakfast einen toten Obdachlosen. Bene bekommt eine Absage bei einem Heiratsantrag und reist auf den Spuren seines Vaters nach Plymouth. Zusammen machen sie sich auf ...

Cathy findet im Garten ihres Bed & Breakfast einen toten Obdachlosen. Bene bekommt eine Absage bei einem Heiratsantrag und reist auf den Spuren seines Vaters nach Plymouth. Zusammen machen sie sich auf die Suche nach dem perfekten Gin und kommen sich näher; aber irgendjemand scheint etwas gegen ihre Suche zu haben.

Der Gin des Lebens wird als Kriminalroman deklariert, aber die eigentliche Krimihandlung ist sehr dünn und Spannung kam für mich nicht auf. Da könnte man meinen, der Roman ist ein Flop: Das ist er jedoch auf gar keinen Fall. Das Gesamtpaket hat mir sehr gut gefallen. Das liegt zum ersten an der Atmosphäre, die der Autor schafft: In jedem Moment des Romans habe ich mich wohlgefühlt; da ist nichts zu merken von Regen und Nebel, die wohl die meisten mit England in Verbindung bringen. Der zweite, sehr gelungene Aspekt im Roman ist das Fachwissen über Gin, das, sehr wichtig!, nicht oberlehrerhaft an den Leser gebracht wird. Ganz nebenbei habe ich viel über Gin erfahren; sehr gut gemacht!

Der Roman lebt außerdem von der Liebenswürdigkeit der beiden Protagonisten Cathy und Bene, sowie von der Skurrilität der Nebenfiguren. Da verwandelt sich Cathys Bruder Matt nach zuviel Alkohol in Sir Francis Drake und kann nur durch das "Verrückte Fische-Spiel" wieder in die Realität geholt werden. Meine Lieblingsfigur ist allerdings Eudora, die mit über 80 nach Guernsey schwimmen will und nachdem der erste Versuch scheitert, für den zweiten Versuch einen Sponsor findet. Sehr sehr witzig!

Der Gin des Lebens ist kein spannender Pageturner, aber ein amüsanter Roman über Gin und seine Folgen. Eine kleine Romanze gibt es natürlich auch. Wer sich für diesen Mix begeistern kann, sollte unbedingt zugreifen. Ich kann den Roman auf jeden Fall empfehlen.

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Veröffentlicht am 20.11.2019

Regionalkrimi, wie er besser kaum sein kann

Totenweg
1

Frida kehrt in ihr Heimatdorf zurück, nachdem ihr Vater niedergeschlagen worden ist und seitdem im Koma liegt. Zurück in der Elbmarsch wird die junge Polizistin von ihrer Vergangenheit eingeholt. Vor fast ...

Frida kehrt in ihr Heimatdorf zurück, nachdem ihr Vater niedergeschlagen worden ist und seitdem im Koma liegt. Zurück in der Elbmarsch wird die junge Polizistin von ihrer Vergangenheit eingeholt. Vor fast zwanzig Jahren wurde ihre Freundin hier ermordet und Frida glaubt, ihren Mörder zu kennen, obwohl sie nie ein Wort gesagt hat. Zusammen mit Kriminalhauptkommissar Bjarne Haverkorn, der immer noch auf der Suche nach dem Mörder von damals ist, begibt sie sich auf die Suche nach Antworten.

Totenweg ragt für mich aus der Masse der Regionalkrimis, die den Büchermarkt überschwemmen, heraus. Sehr klug konstruiert, keine Schwarz-Weiß-Malerei, an keiner Stelle langweilig und auch schlüssig aufgelöst, obwohl der Täter ab der Hälfte zu erahnen ist, weil die Anzahl der Verdächtigen überschaubar ist. Aber bei diesem Spannungsbogen sei das der Autorin verziehen, auch weil sie nicht den Fehler begeht, am Ende irgendeinen Unbekannten als Schuldigen aus dem Hut zu zaubern. Wie sie über fast 400 Seiten die Spannung hält, ohne den Faden zu verlieren, finde ich beachtlich, denn bei den mehreren Erzählsträngen hätte die Gefahr bestanden.

Ein Krimi, der weder blutig noch brutal daherkommt und der dazu viel Wert auf die Charaktere und ihre Entwicklung legt. Ich bin gespannt, wie es mit den Ermittlern weitergeht. Frida und Bjarne sind ein Ermittlerduo, das ich im Auge behalten werde.

Veröffentlicht am 19.08.2019

Eine junge Autorin, die ich mir merken werde

Kintsugi
1

Max und Reik feiern ihre zwanzigjährige Beziehung. Dazu geladen haben sie nur ihren ältesten Freund Tonio und dessen Tochter Pega, die auch zwanzig Jahre alt ist. Im Wochenendhaus offenbaren sich Wünsche, ...

Max und Reik feiern ihre zwanzigjährige Beziehung. Dazu geladen haben sie nur ihren ältesten Freund Tonio und dessen Tochter Pega, die auch zwanzig Jahre alt ist. Im Wochenendhaus offenbaren sich Wünsche, Neuanfänge und Wahrheiten.

Miku Sophie Kühmel ist eine junge Autorin, die mit Kintsugi ihr Debut abgeliefert hat. Ein großartiges Kammerspiel. Zugegeben, ich musste Kintsugi erstmal googeln, um zu erfahren, was das überhaupt heißt. Kintsugi ist eine traditionelle japanische Reparaturmethode für Keramik. Anstatt den Fehler zu kaschieren, wird durch die Goldverbindung der Makel in der Keramik hervorgehoben. Genug mit der Klugscheißerei! Ich finde den Titel für den Roman grandios gewählt: Die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit. In vier Abschnitten erfährt der Leser die unterschiedliche Sicht der vier Protagonisten; über Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Dazwischen gibt es immer ein Gespräch der Vier, geschrieben wie ein Theaterstück. Mir hat das sehr gut gefallen; vor allem wie die Gefühle und Ansichten beschrieben werden, gerade wenn man bedenkt, dass die Autorin mit 28 Jahren über die Gefühle von Männern Mitte 40 schreibt. Eine Sprache, die mich abgeholt hat!

Im Klappentext heißt es: "Von der Gewissheit, dass im Unvollkommenen die Schönheit liegt. Und davon, dass es weitergeht. Wie immer geht es weiter."

Manchmal muss etwas kaputtgehen, damit man es reparieren kann, weil man da erst gemerkt hat, dass man es auf jeden Fall braucht und manchmal braucht man auch etwas Repariertes, um sich der Vergangenheit zu erinnern, um weiterzugehen. Ein grandioses Debut und eine Autorin, die ich mir auf jeden Fall merken werde.