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Veröffentlicht am 06.05.2020

Realität und Fiktion

Die Herren der Zeit
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Vitoria, 2019. Wieder erschüttert eine grausame Mordserie die baskische Stadt. Die Opfer und Todesarten ähneln dabei denjenigen des Romans "Die Herren der Zeit", einer auf waren Begebenheiten beruhenden ...

Vitoria, 2019. Wieder erschüttert eine grausame Mordserie die baskische Stadt. Die Opfer und Todesarten ähneln dabei denjenigen des Romans "Die Herren der Zeit", einer auf waren Begebenheiten beruhenden Geschichte aus dem 12. Jahrhundert. Inspector Ayala macht sich zugleich auf die Suche nach dem anonymen Autor und dem Mörder - oder sind beide etwa ein- und dieselbe Person? Dabei ahnt er noch nicht, dass dieser Fall ihn erneut persönlich betreffen soll und sein Leben für immer verändern wird.

Mit "Die Herren der Zeit" legt die Autorin den dritten und somit letzten Band der Trilogie um den "Kraken" vor. Das Schema bleibt dabei gleich: Es wird in der Gegenwart des Jahres 2019 erzählt, aber immer wieder auch Rückblenden, vor allem in die 1192 beginnende Romanhandlung, eingeflochten. Auf drastische Weise werden so die Parallelen zwischen Fiktion und den sehr realen Morden im Jetzt deutlich. Protagonist Unai zeigt sich dabei von den Ereignissen der letzten beiden Bände deutlich mitgenommen und beginnt, seine Berufswahl und seine Fähigkeiten immer mehr in Frage zu stellen.

In den Mittelpunkt der Ermittlungen gerät zusehends Ramiro Alvar, ein schüchterner, aber gleichzeitig furchteinflößender junger Mann, der sich in seinem Museumsturm vor der Außenwelt verschanzt. In ihm vermutet Unai den Schriftsteller von "Die Herren der Zeit" und als sich zwischen diesem und seiner Kollegin Estíbaliz eine Beziehung anbahnt, nehmen die Ereignissen einen fatalen Lauf. Dabei gelingt es der Autorin, den Leser erneut an der Nase herumzuführen. Über lange Zeit war ich von der Handlung enttäuscht, schien mir alles doch zu offensichtlich. Das Ende des Romans und auch dieser gesamten Trilogie lies mich jedoch absolut überrascht zurück. Chapeau!

Fazit: Ein gelungener, höchst spannender Abschluss der Trilogie um Unai López de Ayala

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Veröffentlicht am 27.04.2020

Spannendes Jugendbuch mit wichtiger Botschaft

A. S. Tory
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Es ist der Beginn der Herbstferien und der 15-jährige Siegmund, genannt Sid, langweilt sich. Da kommt eine E-Mail mit dem geheimnisvollen Absender "A.S. Tory" gerade recht. Dieser schickt ihn noch mitten ...

Es ist der Beginn der Herbstferien und der 15-jährige Siegmund, genannt Sid, langweilt sich. Da kommt eine E-Mail mit dem geheimnisvollen Absender "A.S. Tory" gerade recht. Dieser schickt ihn noch mitten in der Nacht auf eine Reise, die ihn auf der Suche nach einer Schallplatte von London in die Toskana, nach Frankreich und schließlich nach Marrakesch führen wird. Begleitet wird er die meiste Zeit von der 19-jährigen Chiara, die er auf der zweiten Station seiner Reise kennenlernt. Werden die beiden die gesuchte Schallplatte tatsächlich finden und das Rätsel um Torys Identität lösen?

Zunächst muss ich zugeben, dass ich den zweiten Band der Reihe vor dem ersten gelesen habe. Das hat tatsächlich ganz gut funktioniert und mich unglaublich neugierig auf die Vorgeschichte der Protagonisten Sid und Chiara gemacht. Jedem, der neu mit der Reihe beginnt, empfehle ich aber dringend, mit Band 1 zu starten - so hat mein einfach viel mehr Spannung vor sich. Bei der vorliegenden Ausgabe handelt es sich übrigens um eine überarbeitete Version, sowohl was das Cover als auch den textlichen Inhalt betrifft.

Sid und Chiara sind ganz unterschiedliche Charaktere. Er für sein Alter untypisch ruhig und (meistens) sehr ernsthaft, sie übersprudelnd vor Energie und südländischem Temperament. Von Beginn an ergänzen sich beide gut, es macht Freude, ihnen auf ihrer gemeinsamen Reise zu folgen. Das Thema Musik spielt dabei eine besondere Rolle, denn Sid soll für A.S. Tory eine sehr seltene Single finden, die eine zerstrittene marokkanische Familie vor dem Tod des Vaters wieder versöhnen soll. Auch Sid hört auf der Reise immer wieder verschiedene Songs und unterhält sich mit Chiara darüber - am Ende des Buches ist auch seine Playlist zu finden. Schön, dass die Autorin der Handlung so einen Rahmen gegeben hat.

Natürlich mutet es zunächst recht seltsam an, dass ein Junge sich aufgrund einer E-Mail eines Fremden so ins Abenteuer stürzt: in der heutigen Zeit unverantwortlich, möchte man meinen. Aber ganz ehrlich? Beginnen nicht viele gute Geschichten damit, dass jemand etwas Überraschendes und Unverantwortliches tut? Viele spannende Dinge würden gar nicht erst geschehen, wenn man nicht wie Sid manchmal ein wenig verrückt ist. Und ich verspreche, dass sich letztlich alles schlüssig auflösen wird.

Neben all dem Abenteuer und den Reisen gelingt es der Autorin auch, der Handlung einen ernsten Kern zu geben. Durch die unterschiedlichen Begegnungen, die Sid im Laufe der Geschichte macht, lernt er vieles über die Weltreligionen, über Streit und Hass und überwindet räumliche und sprachliche Grenzen, in dem er sich zum Beispiel mit dem Sohn einer Restaurantbesitzerin in Londons Chinatown anfreundet oder in Frankreich in einem Kloster übernachtet.

Fazit: Ein Jugendbuch, das mehr ist, als es auf den ersten Blick erscheint

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Veröffentlicht am 21.04.2020

Tintenherz für Erwachsene

Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep
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Schon sein ganzes Leben versucht der 26-jährige Literaturprofessur Charley Sutherland seine besondere Gabe vor der Welt zu verbergen: Er kann Charaktere aus Büchern herauslesen und - wenn alles gutgeht ...

Schon sein ganzes Leben versucht der 26-jährige Literaturprofessur Charley Sutherland seine besondere Gabe vor der Welt zu verbergen: Er kann Charaktere aus Büchern herauslesen und - wenn alles gutgeht - sie auch wieder zurückschicken. Dies will ihm ausgerechnet bei Uriah Heep nicht gelingen, dem ultimativen Bösewicht aus Charles Dickens' "David Copperfield". Also ruft er mitten in der Nacht seinen älteren Bruder Rob zur Hilfe - ein Entschluss, der eine ganze Reihe an Ereignissen in Gang setzt. Denn was Uriah Heep den beiden unheilvoll angekündigt, bedeutet nichts anderes als das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

Die Handlung wird hauptsächlich aus der Sicht von Rob erzählt, wenn auch einige Szenen Charleys und Millies Perspektive schildern. Die beiden Brüder könnten unterschiedlicher nicht sein: Charley hochbegabt, ein Wunderkind, das bereits mit zwei Jahren Charles Dickens las. Rob, der "normale" Sohn der Familie, der sich nicht einmal traute, einen Klassiker zur Hand zu nehmen - aus Angst, er könnte dem jüngeren Bruder unterlegen sein. Dieser Konflikt zwischen den beiden ist eines der großen Themen der Geschichte.

Eine besondere Rolle spielt natürlich auch die Welt der Literatur. Es sind hauptsächlich Klassiker der englischen Literatur, die hier zum Leben erwachen, aber auch Legenden der Maori: Handlungsort des Romans sowie auch Wohnort der Autorin ist Wellington, Neuseeland. Und so hat der Leser die Chance, sie alle zu treffen: Uriah Heep und den Artful Dodger, Lady Macbeth und Sherlock Holmes, Mr. Darcy und Heathcliffe. Allein das macht schon so unglaublich viel Freude, dass die Handlung fast zur Nebensache wird. Die ist jedoch von der ersten Seite an spannend und keinen Moment langweilig. Begleitet werden die beiden Brüder von der ehemaligen Kinderdetektivin Millie Radcliffe-Dix. Mit ihr lotet die Autorin die Frage aus, welche Entwicklung literarische Figuren wohl nehmen würden, wenn es für sie ein Leben nach bzw. außerhalb ihrer Geschichte gäbe.

Einziger Kritikpunkt, sofern es denn einen geben muss, ist vielleicht die Auflösung am Ende. Hier hat H.G. Parry gleich mehrmals in die Trickkiste gegriffen - dennoch ein Roman, der von der ersten Seite an Spaß macht!

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Veröffentlicht am 17.04.2020

Auftauchen aus der Depression

Marianengraben
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Nach dem Tod ihres kleinen Bruders Tim stürzt Protagonistin Paula in die Depression. Wie im 11.000 Meter tiefen Marianengraben, so fühlt sie sich, wo jeder Kubikzentimeter unter enormem Druck steht. Und ...

Nach dem Tod ihres kleinen Bruders Tim stürzt Protagonistin Paula in die Depression. Wie im 11.000 Meter tiefen Marianengraben, so fühlt sie sich, wo jeder Kubikzentimeter unter enormem Druck steht. Und so besucht sie, auf Anraten ihres Therapeuten, zum ersten Mal Tims Grab - nachts, um sich vor all den Blicken zu schützen. In dieser seltsamen Situation trifft sie auf Rentner Helmut, der auf ganz eigener Mission im Schutze der Dunkelheit auf dem Friedhof unterwegs ist. Und so starten die beiden ungleichen Charaktere auf einen skurrilen Roadtrip, begleitet von einem Hund, einem Huhn und mit jeder Menge seelischem Balast im Gepäck.

"Marianengraben" wird aus Paulas Sicht erzählt. Oft wendet sie sich dabei direkt an Tim oder denkt an gemeinsame Erlebnisse. Die Geschwister verband vor allem die Liebe zur Unterwasserwelt - umso bitterer ist es, dass Paulas kleiner Bruder ausgerechnet ertrinken musste. Sie fragt sich immer wieder, woran er wohl gedacht haben mag in seinen letzten Augenblicken und hofft, dass es nicht sie selbst war. Denn wie grausam wäre das bitte, wo sie doch nicht da war, um ihn zu retten?

Die Kapitel sind mit Zahlen überschrieben und starten bei 11000, der Tiefe des Marianengrabens - ein kleines, aber wirkungsvolles schriftstellerisches Detail. Von dort unten wird Paula im Laufe des Romans auftauchen, um wieder ins Leben zurückzufinden: ein anderes Leben, ohne Tim, aber immerhin eines, das sich zu leben lohnt. Wer nun aber glaubt, Jasmin Schreibers Roman sei einfach nur ein Buch übers Sterben, der irrt sich. Denn viel mehr ist es eine Ode an Beziehungen, vor allem eine an Bruder und Schwester. Tim, sehr aufgeweckt, neugierig und achtsam, Paula eher still, grüblerisch, tollpatschig - und dennoch beide ein Herz und eine Seele. Auf ihrer Reise mit Helmut wird Paula lernen, dass so viel Trauer in ihr auch gleichzeitig bedeutet, dass unglaublich viel Liebe vorhanden ist.

Für einen Roman, in dem oft über den Tod gesprochen wird, ist "Marianengraben" an vielen Stellen sehr witzig. Paulas tollpatschige Art, Helmuts trockener Humor, Erlebnisse mit Hund und Huhn - das alles lädt zum Schmunzeln und Lachen ein. Damit ist der Autorin der Spagat zwischen Unterhaltung und Ernsthaftigkeit wunderbar gelungen. Ein Buch, das schon jetzt zu meinen Jahreshighlights gehört und mich sicher lange nicht loslassen wird.

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Veröffentlicht am 29.02.2020

Mitreißende Adaption griechischer Mythologie

Das Lied des Achill
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Nach einem tragischen Unfall wird der junge Prinz Patroklos ins Exil nach Phthia geschickt, wo er mit dem gleichaltrigen Achill aufwächst. Auch wenn die beiden sehr unterschiedlich sind, werden sie doch ...

Nach einem tragischen Unfall wird der junge Prinz Patroklos ins Exil nach Phthia geschickt, wo er mit dem gleichaltrigen Achill aufwächst. Auch wenn die beiden sehr unterschiedlich sind, werden sie doch schnell zu besten Kameraden. Aus Freundschaft entsteht schließlich Liebe - eine Liebe, die immer wieder auf die Probe gestellt wird. Vor anderen müssen sie sich verstellen, Achills Mutter, der Nymphe Thetis, ist die Beziehung ein Dorn im Auge und ein altes Versprechen Patroklos' droht einem von ihnen den Tod zu bringen.

Schon "Ich bin Circe" von derselben Autorin konnte mich restlos begeistern und nicht anders ist es mit "Das Lied des Achill". Die Handlung wird aus Patroklos' Sicht erzählt und umfasst sein gesamtes Leben, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Im Fokus steht natürlich die Beziehung zu Achill. Während der schneller, stärker und ein besserer Kämpfer als alle anderen ist - was ihm den Namen "Aristos Achaion", der "Beste der Griechen" einbringt - ist Patroklos aus weicherem Holz geschnitzt. Er ist sehr empfindsam, hat ein starkes Bedürfnis nach Gerechtigkeit und findet erst durch die Erziehung durch den Zentauren Cheiron zu sich selbst.

Da er kein Kämpfer ist, bleibt Patroklos nur die Möglichkeit, seiner großen Liebe Achill stets bedingungslos zu folgen - auch in die Trojanischen Kriege, wo er in dessen Streitwagen sein Leben riskiert. Nach und nach zieht er sich dann jedoch aus dem Kampfgeschehen zurück und wendet sich der Heilkunst zu. Achill hingegen steigt sein Ruhm immer mehr zu Kopf, so dass er schnell Feinde um sich schart. Wie wird Patroklos sich entscheiden, wenn er zwischen dem, was gut und richtig ist und seinem Geliebten wählen muss?

Mit "Das Lied des Achill" ist Madeline Miller erneut eine mitreißende Adaption griechischer Mythologie gelungen. Natürlich sind gewisse Teile der Handlung mit Vorkenntnissen in diesem Gebiet vorhersehbar. Da jedoch mehr wert auf die Entwicklung der beiden Helden und ihre Beziehung zueinander gelegt wird, tut dies dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Bleibt nur zu hoffen, dass Madeline Miller sich in Zukunft noch weiteren antiken Helden literarisch widmen wird.

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