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Veröffentlicht am 06.11.2025

Lügen, die das Leben bestimmen

Die drei Leben der Cate Kay
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Cate Kay ist eine berühmte Autorin, ihre Trilogie wurde zum Bestseller und die Filmadaption zum Kassenschlager. Doch niemand weiß, wer sie ist. Ihre Identität hält sie verborgen und niemand ahnt, dass ...

Cate Kay ist eine berühmte Autorin, ihre Trilogie wurde zum Bestseller und die Filmadaption zum Kassenschlager. Doch niemand weiß, wer sie ist. Ihre Identität hält sie verborgen und niemand ahnt, dass sich hinter ihr, noch Cass Ford und Annie verbergen. Nun schreibt sie ihre Memoiren, in denen nicht nur sie selbst zu Wort kommt.
„Die drei Leben der Cate Kay“ von Kate Fagan ist nicht umsonst in Reese’s Book Club aufgenommen worden. Fein entspinnt sich ein Netz aus Geheimnissen und Täuschungen, die nicht nur Cass Fords Leben prägen. Schon früh erfahren die Lesenden von der schwerwiegendsten Lüge und ich lauerte geradezu darauf, wann Cass die Wahrheit erfährt.
Nicht nur das Setting, amerikanische Kleinstädte und Hollywood, haben mich angesprochen, es sind vor allem die Themen, mit denen Kate Fagan mich gepackt hat: Die außergewöhnliche und tiefgehende Freundschaft zwischen Annie und Amanda, die beider Leben bestimmt; der Wunsch, dem Dasein Bedeutung zu verleihen, und auch die romantische Liebe kommt nicht zu kurz.
Durch die verschiedenen Perspektiven scheint ein ganzheitliches Bild zu entstehen und es macht den Anschein, dass die Lesenden immer einen Schritt voraus sind, allerdings müssen auch wir uns gedulden und ich litt oft mit den Figuren, die doch zueinander gehören. Den Charakteren, allen voran Cass, aber auch den anderen, kommt man sehr nah, da sie durch vielen kleine, eingestreute Details, schnell so lebendigen Personen werden.
Sprachlich ist es solide und vor allem hat Kate Fagan ein Händchen für das richtige Tempo, alles wirkt harmonisch und homogen. So auch beim Ende, wo ein kleines Geheimnis ungelüftet bleibt, was mich erst die Luft einziehen und dann schmunzeln ließ, weil es perfekt passt.
Einzig, dass Sidney so ungeschoren davonkommt, nervt mich ein bisschen.
Also absolut zu recht in einen der bekanntesten Buchclubs der Welt aufgenommen und ich warte bereits auf die Verfilmung.

Veröffentlicht am 09.10.2025

Jahreshighlight

Hustle
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Leonie zieht nach München und merkt schnell, dass sie mit ihrem neuen Job im Museum für diese Stadt nicht genug verdient, obwohl sie sich eine winzige, überteuerte Wohnung mit Silberfischen teilt. Als ...

Leonie zieht nach München und merkt schnell, dass sie mit ihrem neuen Job im Museum für diese Stadt nicht genug verdient, obwohl sie sich eine winzige, überteuerte Wohnung mit Silberfischen teilt. Als sich Geneviève trifft, verändert sich ihr Leben. Plötzlich hat sie Freundinnen, und alle haben ganz spezielle Nebenjobs, die nicht immer ganz legal sind. Also gründet Leonie Rache Inc.
„Hustle“ von Julia Bähr gehört zu den besten Büchern, die ich je gelesen habe. Es ist so witzig, dass ich unzählige Male laut gelacht und sogar einen regelrechten Lachflash bekommen habe. Ihr Humor ist wunderbar trocken und ich hätte Leonie und ihre Frauengruppe ewig weiterbegleiten können. Dabei verklärt sie mitnichten die teuerste Stadt Deutschlands, ganz im Gegenteil, sie nimmt die bayrische Hauptstadt, genauso aufs Korn wie den Ruhrpott.
Ich kann tatsächlich nicht benennen, was mir am besten gefallen hat, ob es der Witz war, die Sprache mit ihren gezielt gestreuten Metapher, der Zusammenhalt der Frauen, Leonie als Protagonistin, oder dass die romantische Liebe eher eine untergeordnete Rolle spielte. Julia Bähr vereint das und noch vieles mehr.
Sie hat mit „Hustle“ einen feinen, intelligenten Roman geschrieben, der genau den Zahn der Zeit trifft und einfach nur begeistern kann. Er ist leicht zu lesen und entwickelt schnell einen Sogcharakter, obwohl gar nicht so spektakuläre Dinge in Leonies Leben passieren und das ist eine hohe Kunst - das Alltägliche genau im richtigen Maße zu überspitzen, sodass es die entscheidende Prise Humor bekommt.
Am liebsten würde ich ihn gleich ein zweites Mal lesen, nur um zu schauen, ob man Kims Nebenjob, der mir Tränen in die Augen trieb, vorher erahnen kann und mir die vielen kleinen Bonbons noch mal auf der Zunge zergehen zu lassen.
Ein wunderbarer Roman, in dem man sich schnell verliert und aus dem man nur ungern wieder auftaucht.

Veröffentlicht am 02.10.2025

Wie im Rausch

Alles ganz schlimm
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Susanne dreht sich in ihrem Leben nur um sich selbst und alles ist immer ganz schlimm. Ihre Kindheit ist schwierig, ihr Vater, ihr Bruder, ihre Freundinnen, ihre Beziehungen - alles verlangt zu viel von ...

Susanne dreht sich in ihrem Leben nur um sich selbst und alles ist immer ganz schlimm. Ihre Kindheit ist schwierig, ihr Vater, ihr Bruder, ihre Freundinnen, ihre Beziehungen - alles verlangt zu viel von ihr. Und dann stiehlt die immer lügende Stella auch noch einen Text über eine prägende Zeit Susannes und gibt ihn als ihren aus. Alle glauben Stella, niemand Susanne und plötzlich steht sie allein da. Das bringt das Fass zum überlaufen.
„Alles ganz schlimm“ von Julia Pustet ist ein herausfordernder Roman und eine Lektüre, die viel verlangt. Als Erstes volle Konzentration und Aufmerksamkeit. Susannes Leben wird sehr verdichtet geschildert, sodass man regelrecht in einen Rausch gerät. Dabei verliert man sich aber mitnichten in der Sprache, dafür sind die Themen viel zu wichtig und schwerwiegen: Feminismus allem voran, aber auch Freundschaft und Familie; wie Traumata diese Beziehungen beeinflussen und wie sehr sie einen prägen.
Susanne als Protagonistin war mir nicht sympathisch, zu sehr kreiste sie um sich selbst. Oft habe ich ihr Verhalten nicht nachvollziehen, doch durchaus ihre Verzweiflung und den Schmerz nachfühlen können, den der Verlust ihrer eigenen Glaubwürdigkeit mit sich brachte. Manches war so schmerzhaft, dass ich in Etappen lesen musste.
Aber am meisten beeindruckt hat mich tatsächlich das sprachliche Talent von Julia Pustet. Ihre Direktheit, die Dichte, die präzisen Beobachtungen, die sie in passende Worte kleidet. Da kann man die ein oder andere Länge leicht verzeihen.
Nach dem Debüt bin ich gespannt, was noch folgen wird.

Veröffentlicht am 01.09.2025

Nicht aus der Haut

Gym
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Das Gym wirkt wie der perfekte Arbeitsplatz für die Protagonistin. Kein Leistungsdruck, feministischer Chef, nette Kolleginnen, wäre da nicht die kleine Notlüge, dass sie gerade entbunden und deswegen ...

Das Gym wirkt wie der perfekte Arbeitsplatz für die Protagonistin. Kein Leistungsdruck, feministischer Chef, nette Kolleginnen, wäre da nicht die kleine Notlüge, dass sie gerade entbunden und deswegen noch nicht ihren Body zurück hat. Schon bald rutscht sie in alte Muster und verliert sich zusehends in einer neuen Obsession, aber mit dem altbekannten Ehrgeiz.
„Gym“ von Verena Kessler ist eine psychologische Studie, verpackt in einen Roman, der unfassbar unterhaltend ist. Dass etwas mit der Protagonistin nicht stimmt, wird schnell klar, immer wieder fallen in Nebensätzen kleinen Anspielungen, die stutzig machen. Immer wieder windet sie sich gekonnt aus Situationen, die durch ihre Notlüge mit dem Baby, das sie ausgerechnet Ferhat wie ihren Chef genannt hat, entstanden sind. Sie scheint Spaß daran zu haben, die Menschen um sich an der Nase herumzuführen, als sei es ein Spiel. Bis es das plötzlich nicht mehr ist und ihr Körper und das Training in den Fokus rutschen. Etwas, was sie zwar meint zu kontrollieren, sich aber schon längst verselbstständigt hat.
Wie Verena Kessler es schafft, so viel in die kurzen Kapitel und knappen Dialoge zu packen, ist bemerkenswert. Mühelos lässt sie die namenlose Erzählerin vor dem inneren Auge entstehen und eine Verbindung zur Leserschaft knüpfen. Ich selbst hätte oft anders gehandelt, das machte aber ihr Verhalten nicht unplausibler. Und dass ihre Obsession irgendwann die Grenzen der Legalität sprengt, ist anfangs vielleicht nicht absehbar, doch nach dem ersten Teil wartete ich nur darauf, denn es war klar, dass das Ende knallen wird.
Verena Kessler ist eine großartige Erzählerin, die jeden noch so alltäglichen Ort in eine besondere Bühne verwandelt und darauf eine Protagonistin platziert, die sich nicht mehr ihrer Rolle verschreiben könnte.
Ein Buch, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Veröffentlicht am 27.08.2025

Vergangenheit und Gegenwart

Adlergestell
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Kurz nach der Wiedervereinigung wird die Erzählerin eingeschult und nicht neben hre Freundin Lenka, sondern neben Charline gesetzt, was das Duo automatisch zu einem Trio macht. Zwischen Aufbruch, Hausaufgaben ...

Kurz nach der Wiedervereinigung wird die Erzählerin eingeschult und nicht neben hre Freundin Lenka, sondern neben Charline gesetzt, was das Duo automatisch zu einem Trio macht. Zwischen Aufbruch, Hausaufgaben und Autobahndröhnen des nahen Adlergestells reizen sie die Grenzen der Freiheit aus.
„Adlergestell“ von Laura Laabs inhaltlich zusammenzufassen ist schwer. Es geht um die Vergangenheit, die nahe, aber auch ferne, und es geht um die Gegenwart; vor allem geht es um die vielen verschiedenen Leben, die sich in einer Reihenhaussiedlung bündeln. Es geht ums Kämpfen, ums Rebellieren, und um Freiheit.
Dabei folgen wir nicht nur dem Mädchentrio, sondern auch der erwachsenen Erzählerin. Außerdem kommen ausgewählte Bewohnerinnen der Siedlung zu Wort, unterbrochen von nostalgischer Fernsehwerbung. Das alles schafft eine ganz eigentümliche Stimmung, auf die man sich einlassen muss, was ich sehr gern getan habe. Und da ist eine Ahnung, dass da noch was kommen wird.
Laura Laabs verpasst nicht nur der Erzählerin ihre Eigenarten, auch Lenka und Charline stehen im Mittelpunkt, sowie die Dynamik der Freundinnen, die immer verehrende Ausmaße annimmt. Mit den anderen Figuren, die auch wenn sie nur kurz durchs Bild huschen, genug Fleisch bekommen, um im Gedächtnis zu bleiben, bindet sich ein bunter Strauß an besonderen Charakteren.
Verpackt ist es in eine grandiose Sprache, in Wortkombinationen, die mich aufhorchen ließen; Beobachtungen, die mich in meine Kindheit zurückversetzt haben. Man merkt, dass Laura Laabs vom Film kommt. Sie setzt optische Akzente und weiß, wie sie die Leserschaft bei Laune hält. Manchmal sah ich nur mit halbem Auge hin, wollte eigentlich nicht wissen, was für ein Abgrund sich da wieder im Bürgerlichen auftut. Sie beschönigt nichts, reißt aus der realen Welt, was sie zu packen bekommt und stopft es in den Roman, was es unglaublich authentisch macht und die Gegenwartsszenen an den Puls der Zeit setzt.
Ein Fundstück, dass unbedingt mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte.