Eine saucoole Protagonistin, eine Nicht-Katze, gelungen integrierte Schockmomente und gekonnt dargestellte Grausamkeiten
Nevernight - Die PrüfungSeit dem ich das Buch gelesen hatte versuche ich, im Kopf die richtigen Worte für dieses geniale Werk zu finden und gedanklich in einen Text zu packen. Doch hatte ich stets das Gefühl, dass meine Worte ...
Seit dem ich das Buch gelesen hatte versuche ich, im Kopf die richtigen Worte für dieses geniale Werk zu finden und gedanklich in einen Text zu packen. Doch hatte ich stets das Gefühl, dass meine Worte der Geschichte nicht gerecht werden würden.
In Nevernight ging es um die wahnsinnig starke, mutige und coole Protagonistin Mia, die sich auf den Weg zur Roten Kirche, einem Assassinenorden machte, nachdem ihre Familie zerstört wurde. Im Antiquariat von Mercurio wurde sie langsam auf ein Leben als Assassine vorbereitet. In meiner Buchvorstellung habe ich euch bereits einen kleinen Einblick geboten. Mercurio war unermüdlich und hart, aber gleichzeitig fürsorglich. Er bot Mia ein kleines Stück „Zuhause“.
In dem Orden traf Mia auf zahlreiche interessante Charaktere. Das Zusammenspiel mit Tric empfand ich als witzig und harmonisch, bereits bevor sie den mysteriösen Ort der Roten Kirche erreichten, denn schon unterwegs mussten sie das eine oder andere Abenteuer bestreiten. In dem Orden verbrachte sie mit mehreren Gleichgesinnten ihre Zeit, mit denen sie lernte, kämpfte, stritt, aber auch lachte. Insbesondere den Umgang mit Ash fand ich erfrischend. Ich liebte die Dialoge und den Umgang miteinander. Sie sorgten sich umeinander, obwohl das in dem Setting weder nötig noch besonders hilfreich war. Mein Liebling war natürlich Herr Freundlich, ihr Schatten in Nicht-Katzenform. Klingt kurios? War es auch.
Der besondere Schreibstil zog mich von Anfang an in seinen Bann. Neben einer derben und sarkastischen Ausdrucksweise gab es witzige und oft ziemlich informative Fußnoten, die notwendige Informationen über geschichtliche und politische Hintergründe lieferten. Somit empfand ich die Fußnoten praktisch wie unabdingbar für das allgemeine Verständnis der Geschichte und deren Verlauf. Ich fühlte mich sehr wohl mit dem Stil, auch wenn ich mich zunächst daran gewöhnen musste, da sich Jay Kristoff vor allem in den ersten Kapiteln eines interessanten Stilmittels bediente. Zu viel möchte ich nicht verraten, aber es war eine interessante Erfahrung, grundverschiedene Dinge mit ähnlichen Worten und Ausdrücken nacheinander beschrieben zu bekommen.
Insgesamt bediente sich Mia einer sehr derben und ironischen Ausdrucksweise, auch fluchte sie wie ein Kesselflicker, was ich wiederum sehr sympathisch und authentisch fand. Eine Protagonistin mit Ecken und Kanten. Nicht selten brachten mich ihre Kommentare zum Lachen, so manches Mal fühlte ich mich beim Lesen an mich selbst erinnert. In wenigen Momenten wirkte der Aufenthalt im Orden nahezu wie ein „normales“ Internat. Dies wechselte sich mit sehr düsteren Momenten ab, insbesondere durch explizit dargestellte Grausamkeiten, die den Charakteren widerfahren sind. Ein Charakter, der mir vermutlich immer im Gedächtnis bleiben wird, ist die Weberin. Kristoff schaffte es, ihre skurrile und gruselige Art hervorragend darzustellen.
„Beim Abgrund, das kommt nicht in Frage! Das Scheißpferd habe ich mir gerade erst geklaut!“
[Mia, Nevernight, Jay Kristoff, S.88]
Selten habe ich eine Geschichte gelesen, die mich langfristig so beeindruckt hat. Es gab zahlreiche überraschende Wendungen, die mich geschockt, begeistert und sprachlos gestimmt haben. Ich ekelte mich, fürchtete mich, ich hoffte mit meinen Lieblingen und ich trauerte um Nebencharaktere. Ich bin total froh, dass es eine Fortsetzung geben wird, weil für mich noch einige Fragen offen blieben. Auch hoffe ich darauf, gewisse Personen wieder zu sehen, um mehr über sie zu erfahren.
Auch möchte ich die optische Gestaltung dieses Werkes loben. Der Umschlag fühlt sich rau und hochwertig an, insbesondere weil sich die Schrift haptisch absetzt. Der rote Buchschnitt rundet das Ganze natürlich ab. Gelungen fand ich außerdem die meiner Meinung nach sehr passenden Ortsnamen (Die Schweinerei, Rippen, Rückgrat,…) sowie die schöne Karte im Buch.
Nevernight überzeugte mich durch eine saucoole Protagonistin, interessante Nebenfiguren, eine Nicht-Katze, gelungen integrierte Schockmomente und gekonnt dargestellte Grausamkeiten, die mir eine Gänsehaut verschafften. Ich kann es jedem empfehlen, dem ein besonderer, derber und sarkastischer Stil nichts ausmacht. Für mich ist es ein Jahreshighlight und damit ein Liebling.