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Sadie

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Veröffentlicht am 14.05.2019

Perfekte Symbiose aus Text und Lesung

Kaffee und Zigaretten
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Bislang habe ich mit Ferdinand von Schirach nur gute Erfahrungen gemacht - mir gefällt seine unaufregte, fast lakonisch-kühle Art des Erzählens sehr. Der Trend setzt sich auch bei "Kaffee und Zigaretten" ...

Bislang habe ich mit Ferdinand von Schirach nur gute Erfahrungen gemacht - mir gefällt seine unaufregte, fast lakonisch-kühle Art des Erzählens sehr. Der Trend setzt sich auch bei "Kaffee und Zigaretten" fort, seinem bisher wohl persönlichsten Werk. Die über 40 teils sehr kurzen, teils etwas längeren Kapitel bestehen aus Anekdoten, Alltagsbeobachtungem und -überlegungen, Gedankenspielen, Vergleichen und persönliche Erinnerungen. Es gibt Hintergründiges zur Familie derer von Schirach (mit denen man schon selbst sicher ein gutes Buch füllen könnte), Erzählungen aus vergangenen Gerichtsfällen und anderen Ereignissen undundund. Es ist eine Art philosophierende Biographie - oder ein Zustandsbericht mit biografischen Hintergrund. Es lässt sich schwer in eine Form pressen, aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig: es ist einfach sehr gut, unterhaltsam und gedankenanregend so, wie es ist.

Es hat keine sechs Prozent des Hörbuchs gebraucht, da war ich schon so geflasht, dass ich gar nicht wusste, wohin mit mir. Nach einem kurzen biografischen Ausflug in die Kindheit gab es ein unaufgeregtes Cameo von Mick Jagger im Kino (bei Indiana Jones, no less) einen Vergleich der Filmadaptionen von "Swimming Pool" (Schneider/Delon) und "A Bigger Splash" (Swinton/Fiennes) und ein zeitgeschichtliches Gedankenstück über die raf-Anwälte Schily, Ströbele und Mahler. Allein diese drei popkulturellen bzw. jüngergeschichtlichen Themen haben mich total fasziniert, und auch wenn dieses fulminante Auftaktfeuerwerk im Folgenden etwas abnahm (kann der Autor ja nicht ahnen, dass er damit drei Treffer bei mir in Folge erzielt) blieben auch die weiteren Kapitel durchgängig interessant, teils faszinierend und immer hörenswert.

(Da ich kurz zuvor Aus dem Dachsbau gehört habe, drängte sich der Vergleich für mich geradezu auf, und alles das, was ich bei von Lotzow kritisiert, habe, setzt von Schirach weit, weit gekonnter um. Zwei Werke mit einer ähnlichen Intention, doch nur eines trifft das Ziel.)

Was auch für den Vortrag des Hörbuchs gilt: Lars Eidinger liest den Schirach so wunderbar, so passend melancholisch-bittersweet, ich feiere seine Genialität und diese perfekte Symbiose aus Text und Lesung.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Das war ein sehr flottes, sehr unterhaltsames Leseabenteuer.

Die Mauer
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Die Grundstory ist schnell erzählt und könnte sich, so oder so ähnlich, in ein paar Jahren tatsächlich abspielen: Die Meeresspiegel sind gestiegen und haben u.a. für Land- und Ressourcenknappheit sowie ...

Die Grundstory ist schnell erzählt und könnte sich, so oder so ähnlich, in ein paar Jahren tatsächlich abspielen: Die Meeresspiegel sind gestiegen und haben u.a. für Land- und Ressourcenknappheit sowie klimabedingte große Wanderbewegungen gesorgt. Großbritannien schottet sich gegen ungebetene Neuankömmlinge durch eine das Land komplett umschließende, wuchtige Mauer ab (Strände gibt es ja nicht mehr). Als quasi Wehrpflicht dieser neuen Gesellschaftsordnung muss jeder junge Mensch zwei Jahre Verteidigungsdienst auf der Mauer ableisten. Der Dienst ist hart und nicht ohne Konsequenzen: Wer nicht verhindern kann, dass Flüchtlinge über die Mauer ins Land eindringen, wird selbst auf dem Meer ausgesetzt. Die Lesenden begleiten Kavanagh, einen jungen Rekruten, bei seinem Dienstantritt und neuem Leben auf der Mauer.

Das sind mir die liebsten Dystopien: Die, die so dicht an der Realität kratzen, dass der Grusel sich sehr echt anfühlt. Keine Zombies, keine fremden Galaxien, keine außerirdischen Mächte, sondern menschliche, quasi "hausgemachte" Probleme einer Welt, die schon heute nicht fern scheint und in Zeiten klimatischer Veränderungen, Abschottung und Fluchtbewegungen alles andere als fernab jedweder Vorstellungskraft liegt (und den Brexit habe ich noch nicht mal erwähnt!)

Sprachlich ist das Buch keine große Herausforderung, ganz im Gegenteil, einige Passagen lesen sich wie Aufsätze à la "Mein schönstes Ferienerlebnis": Abläufe werden relativ nüchtern und einfach beschrieben. Aber das hat Methode, denn so wir bleiben die ganze Zeit ganz dicht beim Hauptcharakter, der die Geschichte als Ich-Erzähler zum Besten gibt (andere Einblicke werden ansatzweise durch sein Zusammentreffen mit anderen Menschen wiedergegeben). Lanchester hätte hier z.B. durch einen auktorialen Erzähler einen einfacheren, wenn nicht gefälligeren Weg wählen und so auch tiefere Einblicke vom Rest der Gesellschaft bieten können. Auch das wäre interessant, aber vielleicht weniger eindringlich gewesen - stattdessen bleiben wir bei Kavanagh. Das ist nicht immer schön oder angenehm, aber Lanchester zieht das gnadenlos und wirklich konsequent durch - eine durchaus eigenwillige, wenn nicht mutige Entscheidung.

Der Roman hat, neben den bereits erwähnten tagesaktuellen Querverweisen, vor allem zwei große Spaltungen zum Thema. Zum einen das "Wir" (die Menschen hinter der Mauer) gegen die "Anderen". Die Menschen hinter der Mauer haben Eigenschaften: Sie sind z.B. Verteidiger, Eliten oder Fortpflanzler (komischer Begriff, ja, aber wie könnte man "breeder" geschlechtsübergreifend passender übersetzen?). Die "Anderen" sind immer nur die "Anderen", egal, woher sie kommen, was sie machen, wer sie sind, sie sind die namenlose, bedrohliche Masse, gegen die hier nicht nur gehetzt werden kann, sondern die zum Abschuss freigegeben ist.

Die zweite Spaltung findet hinter der Mauer statt, und zwar zwischen den Generationen: Die "junge" Generation, hier wieder v.a. verbildlicht durch Kavanagh, hat keinerlei Respekt vor oder tiefe Gefühle für die Elterngeneration, schließlich hat diese durch ihr Verhalten die Situation überhaupt erst herbei geführt (hier hat sich Lanchester in gewisser Weise fast schon prophetisch der #FridaysforFuture-Demos genähert, zumindest was den Konflikt zwischen den Generationen - besorgte Jugendliche hier, zu wenig engagierte Erwachsene [Politiker] dort - angeht). Wenn man das unterwürfige, nach Vergebung strebende Verhalten von Kavanaghs Eltern als Maßstab nimmt, scheint diese Spaltung zumindest teilweise hausgemacht zu sein. Dennoch ist es natürlich von heuchlerischer Doppelmoral tief durchtränkt, wenn Kavanagh in geradezu unerträglicher Arroganz und Selbstbeweihräucherung durch Freisprechung ("WIR können da ja nichts für...") seine Eltern für die Folgen des Klimawandels verachtet, selbst aber, zumindest am Anfang, keinerlei moralische Bedenken oder Skrupel gegenüber "seinem" System zeigt, in dem Ausbeutung, Mord und Versklavung anderer als vertretbar gelten und nicht hinterfragt werden ("Muss halt so sein"). Zum Glück kommt der Roman nach einer gründlichen Darstellung des Lebens auf der Mauer richtig gut in Gang und wird durch verschiedene Ereignisse und wachsende Charaktere sehr spannend und bewegend - und auch (noch) grausam(er).

Ich glaube, es ist zu erkennen, dass mich dieser Roman sehr zum Nachdenken und drüber-sprechen-wollen angeregt und mir allein schon deshalb sehr gut gefallen hat.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Nicht so gut wie erhofft

Zufälle im Museum
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Ach schade, da hatte ich mir weit mehr von versprochen! Die bildlich dargestellten Zufälle sind teilweise doch sehr, nun ja, großzügig interpretiert und an einigen Stellen wirklich nur mit viel Fantasie ...

Ach schade, da hatte ich mir weit mehr von versprochen! Die bildlich dargestellten Zufälle sind teilweise doch sehr, nun ja, großzügig interpretiert und an einigen Stellen wirklich nur mit viel Fantasie erkennbar. So richtige Kracher sind eher in der Minderheit, das wirklich gelungene Coverbild gehörte für mich schon zu den Top 3. Am besten sind die Bilder, die Ähnlichkeiten in Mustern von Bild und Betrachtendem gegenüberstellen (auch hierfür ist das Cover ja ein Beispiel), aber davon gibt es eben eher weniger. Alles in allem reicht es also leider nur für eine "okay"-Bewertung.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Leider nicht für mich

Murphy
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Das war nicht das passende Buch für mich - ich habe weger zum Plot, noch zu den Charaktere, dem Stil, der Sprache oder dem Humor einen Zugang gefunden. Stil und Sprache sind hier schon etwas Besonderes ...

Das war nicht das passende Buch für mich - ich habe weger zum Plot, noch zu den Charaktere, dem Stil, der Sprache oder dem Humor einen Zugang gefunden. Stil und Sprache sind hier schon etwas Besonderes und ich erkenne auch, mit welchen Kniffen Beckett das harausgearbeitet hat (gilt auch für den Übersetzer, das war bestimmt keine leichte Arbeit), aber ich konnte das alles leider nicht würdigen.

Ich habe etwas in der Sekundärlitaretur zu diesem Werk gestöbert und schnell erkannt, dass man richtig damit "arbeiten" muss, um die ganzen Sprachwitze und Botschaften, die sich oft erst auf der Metaebene erschließen, zu verstehen. Ich habe das Buch einfach nur durchgelesen und so sicher viel verpasst, aber mit fehlt der Ansporn zu mehr.

Veröffentlicht am 14.05.2019

Sammlung von Schicksalsberichten

Unsere Mütter
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Silia Wiebe legt hier eine Sammlung von Schicksalsberichten vor, die die Gemeinsamkeit haben, dass Töchter (und ein Sohn, was im Kontext absolut Sinn ergibt) vom Verhältnis zu ihren Müttern erzählen. Die ...

Silia Wiebe legt hier eine Sammlung von Schicksalsberichten vor, die die Gemeinsamkeit haben, dass Töchter (und ein Sohn, was im Kontext absolut Sinn ergibt) vom Verhältnis zu ihren Müttern erzählen. Die Bandbreite der Geschichten schöpft so ziemlich alles aus: Von Vernachlässigung, Sehnsucht und Ausnutzung bis hin zu unerschöpflicher Liebe, Aufopferung und dem Wunsch nach Anerkennung. Da ist z.B. die Tochter, die ihre stest unzufriedene Mutter Ewigkeiten pflegt und sich darüber fast selbst vergisst, die adoptierte Tochter, die ihre leibliche Mutter sucht, und die junge Influencerin, die endlich von ihrer Mutter respektiert werden möchte. Es gibt die scheinbar verantwortungslose Hippie-Mutter und eine Mutter, die sich mit ihrer Tochter auf die Flucht begeben muss.

Die Töchter erzählen jeweils aus ihrer Perspektive, ohne einordnenden Kommentar, aber der ist auch nicht nötig, denn die Erzählungen sind gut niedergeschrieben. Abgerundet wird das Paket durch ein abschließendes Interview mit einer Psychologin sowie ein Nachwort, das noch einmal aktuelle Entwicklungen seit den Interviews zusammenfasst. Vor allem hier merkt man, wie respekt- und liebevoll Silia Wiebe dieses Projekt umgesetzt hat.

Als Tochter konnte ich die Vergleiche natürlich nicht lassen. Auch die Beziehung zu meiner Mutter ist nicht immer einfach - aber welche ist das schon? Bei einigen Geschichten dachte ich mir also schon, dass es schön wäre, wenn meine Mutter auch etwas mehr wie die eben geschilderte wäre. Andererseits waren auch viele Geschichten dabei, bei denen ich glücklich war, dass meine Mutter so ganz anders ist - und dieses Gefühl überwog dann letztlich auch :)