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Veröffentlicht am 27.01.2025

Um die Welt mit der "Völkerfreundschaft"

Fernwehland
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Einem großen Kreuzfahrtschiff nämlich, das in Stockholm gefertigt wurde und nach einem Unfall von der DDR aufgekauft wird. Für Henri, der schon als Kind vom Seefahrerleben träumte, werden damit seine ...

Einem großen Kreuzfahrtschiff nämlich, das in Stockholm gefertigt wurde und nach einem Unfall von der DDR aufgekauft wird. Für Henri, der schon als Kind vom Seefahrerleben träumte, werden damit seine kühnsten Träume wahr. Im Gegensatz zu seinem Vater Erwin, der nur vom Meer geträumt hat, ist es ihm nämlich gelungen, eine Ausbildung zum Matrosen zu machen und nun kennt er keine Grenzen mehr. Sein Arbeitgeber allerdings schon, weil er die vom Staat gesetzten Grenzen einhalten muss, aber das ist für Henri kein Thema - zunächst jedenfalls. Denn obwohl er selbst sich nicht allzusehr um die Politik schert, kommt ihm diese irgendwann in der Quere.

Wir begleiten Leser*innen begleiten aber nicht nur Henri, sondern auch seinen Vater Erwin von Kindheit auf und dazu zeitweise auch einige andere Menschen wie die Schwedin Ida, deren Lebensgeschichte wie die von Henri und seiner früheren Kollegin Simone ganz fest mit der "Völkerfreundschaft", die inzwischen "Astoria" heißt, verbunden ist.

Kati Naumann ist eine der Autorinnen, deren Romane ich voller Sehnsucht erwarte, sobald ich von ihnen gehört habe. In ihnen wird die Vergangenheit auf eine Art zum Leben erweckt, die informiert berührt und mich mit allen Sinnen packt. Ich kann ihre Bücher nicht aus der Hand legen, bis ich am Ende angelangt bin. Sie sind nicht nur eindringlich und anregend geschrieben, nein, die Autorin hat auch mehr als sorgfältig recherchiert und könnte - da bin ich überzeugt - aus dem ihr vorliegenden Material noch zwei oder drei weitere Werke erschaffen. Ich habe mit den Protagonisten gelacht und gelitten. Ein wundervoller Roman, den ich mit Sicherheit das ein oder andere Mal wieder lesen werde - wenn ich mir etwas besonders Gutes tun will!


Veröffentlicht am 15.01.2025

Alt und jung treffen in einem ungewöhnlichen Roman auf einander

Flusslinien
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Margrit ist schon 102 Jahre alt und hat, bis sie weit über 80 war, in einem erfüllenden Beruf gearbeitet. In die Seniorenresidenz zog sie erst mit über 90 und hat nun Angst, dass sie vor ihrem Tod noch ...

Margrit ist schon 102 Jahre alt und hat, bis sie weit über 80 war, in einem erfüllenden Beruf gearbeitet. In die Seniorenresidenz zog sie erst mit über 90 und hat nun Angst, dass sie vor ihrem Tod noch einmal umziehen muss - in eine Pflegestation. Margrit schaut nach vorn, vor allem aber nach hinten und versucht, sich über bestimmte Stationen ihres Lebens klar zu werden, sich selbst und ihr Umfeld verstehen zu lernen.

Begleitet wird sie im Alltag durch ihre ehemalige Schwiegertochter Brisko - der Sohn weilt in Australien und hat dort eine neue Familie gegeründet - und ihre Enkelin Luzie, die eigentliche zweite Hauptfigur des Romans. Luzie versucht, nach einem sexuellen Übergriff in Australien ihr Leben und vor allem sich selbst neu und deutlich resilienter aufzustellen - unter anderem durch die Umwandlung eines Hobbies - nämlich dem Tätowieren - in einen Beruf.

Was mir sehr gefällt: Luzie tätowiert vor allem ihre Großmutter und nähert sich dadurch deren Leben und der Vergangenheit ihrer eigenen Familie. Wichtige Themen des Romans sind Hamburg vor und während des Zweiten Weltkriegs, die Rolle der Frau einst und heute verbunden mit der Fragestellung, wie sie selbst (also die Frau) ihre Rolle beeinflussen kann.

Ein außerordentlich scharfsinniges, aber auch warmherziges und humorvolles Werk, das ich jedem empfehle, der beim Lesen gern historische Vergangenheiten kennen lernt!

Veröffentlicht am 07.01.2025

Eine Begegnung mit Klaus Mann

Berlin war meine Stadt
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Vor langer, langer Zeit, nämlich vor rund vierzig Jahren habe ich das Gesamtwerk des unkonventionellen Autors Klaus Mann geradezu verschlungen. Noch heute stehen die Taschenbücher bei mir im Regal, in ...

Vor langer, langer Zeit, nämlich vor rund vierzig Jahren habe ich das Gesamtwerk des unkonventionellen Autors Klaus Mann geradezu verschlungen. Noch heute stehen die Taschenbücher bei mir im Regal, in Würde gealtert, wenn auch völlig vergilbt. Dieser schmale Band beinhaltet Auszüge aus den verschiedenen Werken und hat nicht nur mit Berlin zu tun, auch wenn die damalige und auch jetzige Hauptstadt, zeitweilige Wahlheimat von Klaus Mann, wieder und wieder eine wichtige Rolle spielt.

Wie schon bei meiner ersten Lektüre wunderte ich mich wieder über die frühe Reife Klaus Manns: in sehr jungen Jahren unternahm er schon Dinge, die andere erst ab der Mitte des Lebens wagen - wenn überhaupt. Wobei ihm seine prvilegierte Position als Sohn eines der größten Autoren der damaligen Zeit (und, wie inzwischen feststeht:: aller Zeiten) Privileg und Bürde zugleich war.

Die ausgewählten Textpassagen sind eindringliche Zeitzeugnisse - zunächst aus der Zeit der Weimarer Republik, dann unter der Diktatur des Nationalsozialismus. Wobei der Autor Zeit seines kurzen Lebens, dem er selbst ein Ende setzte, ständig auf Achse war.

Es sind Zeugnisse aus dem Leben eines unruhigen Menschen, die ich sehr gerne las!

Veröffentlicht am 05.12.2024

Ein großes Lesevergnügen!

Drei Tage im Juni
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Treffen sich zwei - und es sind nicht irgendwelche Zufallsbekanntschaften, sondern ein ehemaliges Ehepaar, nämlich Gail und Max, das sich anlässlich der Hochzeit ihrer einzigen Tochter, Gail, gezwungen ...

Treffen sich zwei - und es sind nicht irgendwelche Zufallsbekanntschaften, sondern ein ehemaliges Ehepaar, nämlich Gail und Max, das sich anlässlich der Hochzeit ihrer einzigen Tochter, Gail, gezwungen sieht, ganze drei Tage miteinander zu verbringen. Anstrengend, aber irgendwie auch schön!

Anne Tyler hat ihre Figuren wie immer klar, aber auch vielschichtig gezeichnet. Ihre Romane zu lesen ist fast, wie einen Film zu sehen: man hat die Charaktere gleich bildhaft vor Augen. Es ist der zigste Roman der über achtzigjährigen Autorin und so frisch und einzigartig wie jeder einzelne zuvor! Ich habe ihn wie alle ihre Bücher mit großer Begeisterung gelesen und als ich fertig war, hat mein Mann mir das Buch förmlich aus der Hand gerissen - und ich höre ihn beim Lesen immer wieder laut auflachen - und das trotz des durchaus ernsten Themas. Anne Tyler hat es drauf, Themen von tiefster Ernsthaftigkeit in ebenso unterhaltsame wie anspruchsvolle Texte - ihre Werke sind keineswegs Unterhaltungsromane im eigentlichen Sinne - zu verwandeln. Sie zeigt mit jedem ihrer Romane, dass hohe Kunst nicht unbedingt schwer zu lesen sein muss!

Veröffentlicht am 10.11.2024

Atmosphärisch und unterhaltsam

Gefährliche Betrachtungen
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Wahnsinn, ein Krimi mit Thomas Mann! Natürlich nicht als Verbrecher oder Spitzbub, sondern Opfer und gleichzeitig Ermittler bzw. zumindest dessen Assistest - oder sogar Auftraggeber? Aber der ...

Wahnsinn, ein Krimi mit Thomas Mann! Natürlich nicht als Verbrecher oder Spitzbub, sondern Opfer und gleichzeitig Ermittler bzw. zumindest dessen Assistest - oder sogar Auftraggeber? Aber der Fall ist nur ein Aspekt dieses vielschichtigen, im Jahr 1930 auf der Kurischen Nehrung, also in Litauen an der direkten Grenze des Deutschen Reiches spielenden historischen Romans.

Dicht und eindringlich schildert Autor Tilo Eckardt die Situation aus der Sicht des jungen litauischen Übersetzers Žydrūnas Miuleris, der hofft, vom großen Meister mit der Übersetzung der "Buddenbrooks" beauftragt zu werden. Gleichzeitig macht er seiner Auserkorenen, einer Kommilitonin, die den Sommer über in Nidden jobbt, diskret und dennoch hartnäckig den Hof. Durch sie bzw. durch ihren Job in der örtlichen Wirtschaft gerät er mitten in einen politischen Streit, während dem einige kostbare Blätter einer sehr persönlichen Stellungnahme Thomas Manns, die der berühmte Autor ihm kurzfristig anvertraut hatte, verloren gehen.

Zusammen mit dem Nobelpreisträger begibt sich Miuleris auf die Suche danach, doch bald stellt sich heraus, dass sie einer deutlich größeren Sache auf der Spur sind.

Wer Spaß hat an einer unterhaltsamen Handlung mit spannendem historischen Hintergrund, der ist hier richtig. Der Autor versteht es, eine Atmosphäre zu erzeugen, die im Jahr 1930 tatsächlich hätte herrschen können . Ich jedenfalls habe mich in dem von ihm erschaffenen Nidden wie zu Hause gefühlt und empfand das Miteinander der Völker - der Litauer, Deutschen, Russen und anderweitiger Nationen - als sehr treffend wiedergegeben. So hätte es damals sein können in Nidden - ein heiterer Sommer mit durchaus realen drohenden Vorzeichen aus der rechten politischen Ecke!