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Tsubame

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Veröffentlicht am 28.02.2024

ein Debutroman mit Schwächen

Krummes Holz
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Nach 5 Jahren Abwesenheit kehrt der 19jährige Jirka zu Besuch auf den Hof seiner Eltern zurück. Leander, der Sohn des letzten Verwalters, hat ihn unterwegs auf der Straße aufgelesen. Während der Wagen ...

Nach 5 Jahren Abwesenheit kehrt der 19jährige Jirka zu Besuch auf den Hof seiner Eltern zurück. Leander, der Sohn des letzten Verwalters, hat ihn unterwegs auf der Straße aufgelesen. Während der Wagen in Richtung Hof ruckelt, erhält man durch die Gedanken Jirkas erste Eindrücke zu seinem Vater Georg, seiner Schwester Malene und der Großmutter Agnes. Jirka hat offensichtlich Angst vor dem Wiedersehen. Seine Hände zittern und er fühlt sich wieder als das Kind, das er war, bevor man ihn aufs Internat geschickt hat.

Sein Vater und seine Schwester sind nicht zu Hause. Die erste Familienangehörige, auf die er trifft, ist die inzwischen stark demente Großmutter, die in Hausschuhen durch das Haus geistert. Von seiner Schwester schlägt ihm Ablehnung entgegen, der Vater bleibt verschwunden. Leander und Malene scheinen sich gut zu verstehen, Jirka fühlt sich ausgeschlossen. Beide geben ihm deutlich zu verstehen, dass sie nicht vorhaben, ihn durchzufüttern und so macht sich Jirka nützlich, indem er im Garten Unkraut jätet.

Als Leser(in) begleiten wir ihn durch das Haus und seine damit verbundenen Erinnerungen, erfahren, dass der Vater brutal zu seinen Kindern war, die Mutter schon früh in die Heilanstalt eingeliefert wurde und inzwischen verstorben ist. Zwischen Leander und Jirka besteht eine eigentümliche Spannung. Viel geredet wird in dem Roman nicht. Man muss sich die Zusammenhänge mühsam aus dem Kontext erarbeiten.

Das Buch ist sehr atmosphärisch geschrieben, allerdings passiert zunächst nicht viel und die Gespräche sind anfangs auch eher ausweichend als klärend. Allmählich kann man sich zusammenreimen, dass Jirko wohl schon immer auf Leander stand, am meisten unter seinem Vater gelitten hat und zusätzlich von seiner älteren Schwester drangsaliert wurde. Auch die Mutter war keine Hilfe. Jeder musste irgendwie alleine klar kommen.

Wirklich spannend ist das auf Dauer nicht und den ewigen Eiertanz zwischen Jirko und Leander, aber auch den zwischen Jirko und Malene fand ich nach einer Weile ziemlich ermüdend. Das Ende ist einigermaßen spektakulär, aber leider komplett unrealistisch, es sei denn man lebt in einer Blase und ist sich nicht bewusst, welche Konsequenzen das eigene Handeln hat. Ich fand das doch ein bisschen enttäuschend. Man hätte den Schluss konsequenter zu Ende denken können, finde ich.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Große Leseempfehlung

Trophäe
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Eigentlich war es ja längst überfällig, dass sich die Literatur auch einmal mit dem Menschentyp auseinandersetzt, der nach Afrika reist, um dort für eine teuer erworbene Lizenz zu jagen und sich seine ...

Eigentlich war es ja längst überfällig, dass sich die Literatur auch einmal mit dem Menschentyp auseinandersetzt, der nach Afrika reist, um dort für eine teuer erworbene Lizenz zu jagen und sich seine Trophäe anschließend nach Hause schicken zu lassen, wo sie dann Wände, Wohnzimmerboden oder andere Räumlichkeiten ziert.

Was sind das für Menschen? Was treibt sie an und worin liegt der ultimative Kick?

Die flämische Autorin Gaea Schoeters geht dieser Frage in ihrem Roman "Trophäe" nach und versetzt ihre Leser(innen) ins tiefste Afrika, wo ihr Protagonist, der den bezeichnenden Namen Hunter White trägt, auf Nashornjagd ist. Dieses fehlt ihm nämlich noch, um die so genannten "Big Five" voll zu machen. Er hat für den Abschuss eine Lizenz erworben und rechtfertigt die Jagd moralisch vor sich mit der Begründung, dass er mit dem Abschuss eines alten Nashorns, nicht nur zur Auffrischung des Genpools beiträgt, sondern mit seinem Geld auch noch verhindert, dass die Tiere illegal gejagt werden. Denn Politiker und Ranger haben ein Interesse daran , die Tiere für die westlichen Besucher zu schützen.

Doch ein paar Wilderer machen Hunter einen Strich durch die Rechnung. Während er mit seiner Enttäuschung und seinem Frust kämpft, fragt ihn der Organisator der Jagd, ob er schon einmal von den "Big Six" gehört habe ...

Ab hier möchte ich eigentlich nichts weiter zum Inhalt verraten, denn ab hier spitzt sich die Geschichte immer weiter zu, um schließlich in einem überzeugenden Finale zu enden.

Was mir an dem Buch besonders gut gefallen hat, sind Sprache, Erzählton und Schilderungen - sei es die Beschreibung der Natur, oder seien es die Gedanken und Empfindungen Hunters. Hier ist kein Wort und kein Satz zuviel. Man pirscht sich mit Jäger und Fährtenleser durch die Savanne, spürt jeden einzelnen Schmerz und die allgegenwärtige Angst, hört die beunruhigenden Laute von hungrigen Löwen und Hyänen, ist einfach mitten drin im Geschehen. Das war wirklich ganz großes Kino!

Nicht weniger fesselnd ist der moralische Konflikt, in dem man sich mit einem Male wiederfindet. Hier geht es nicht nur um ein totes Nashorn, hier geht es um die Überschreitung von Grenzen, um Jäger und Beute, um afrikanischen Götterglauben und Gefahren, die an ganz anderer Stelle lauern als vermutet... Auch die Motivation Hunters, der schon als Kind mit seinem Großvater jagen war, wird beleuchtet, der Kick, den er aus der Jagd zieht ...

Für mich war das Buch ein unglaubliches Leseerlebnis und ich werde die Gespräche und Besprechnungen verfolgen, die es anlässlich der diesjährigen Leipziger Buchmesse mit dem Länderschwerpunkt 'Niederlande und Flandern' sicherlich geben wird.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Alles außer geordnet

Geordnete Verhältnisse
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Ich wollte immer schon mal etwas von Lana Lux lesen, da kam der Roman mit dem schönen Pflanzen-Cover gerade recht.

Philipp, einer der Protagonisten des Romans, liebt Pflanzen. Er mag sie mehr als Menschen, ...

Ich wollte immer schon mal etwas von Lana Lux lesen, da kam der Roman mit dem schönen Pflanzen-Cover gerade recht.

Philipp, einer der Protagonisten des Romans, liebt Pflanzen. Er mag sie mehr als Menschen, denn von denen wurde er immer wieder enttäuscht. Seine Mutter ist Alkoholikerin, seine Tante, bei der er leben muss, wenn seine Mutter mal wieder einen Absturz erlitten hat, lieblos. Durch seine feuerroten Haare fällt er auf und entwickelt sich zum Außenseiter in der Schule. Philipp nässt ein, Philipp hat Wutanfälle.

"Der häufigste Satz, an den ich mich aus meiner frühen Kindheit erinnern kann, ist: "Geh und entschuldige dich bei den Mädchen" (S.10)

Sein größter Wunsch ist ein richtiger Freund, der eines Tages in Gestalt von Faina, einem Mädchen aus der Ukraine, neu in die Klasse kommt. Genau wie Philipp ist sie ein Rotschopf. Faina wird zu Philipps "Projekt". Er bringt ihr korrektes Deutsch bei, macht ihr Geschenke, ist immer für sie da. Denn auch Faina hat es nicht leicht mit ihren Eltern. Die Mutter mäkelt ständig an ihr herum, der Vater hat als Familienoberhaupt stets das letzte Wort. So lernt Faina schon früh, zu lügen, um Streit und Eskalationen aus dem Weg zu gehen.

Nach einer verletzenden Bemerkung Philipps trennen sich die Wege Fainas und Philipps nach Ende der Schulzeit zunächst, bis Faina plötzlich schwanger und verschuldet wieder vor Philipps Tür steht. Der lebt jetzt in einem Loft und hat eine Freundin. Doch da Sex sowieso nicht Philipps Sache ist, gibt er dieser während eines gemeinsamen Urlaubs den Laufpass und Faina darf statt dessen bei ihm einziehen.

Zwei ziemlich beste Freunde in einer 2er WG: die perfekte Konstellation, könnte man meinen ...

Der Roman hat es in sich. Auf leisen Sohlen naht das Verhängnis. Klar streitet man sich schon mal und natürlich ist ein Zusammenleben von zwei so verschiedenen Charakteren herausfordernd, aber geht uns das nicht allen so? Was aber, wenn einer die Regeln macht und der andere lügen muss, um Konflikten aus dem Weg zu gehen? Was, wenn Grenzen überschritten werden und die Beziehung/Freundschaft zur Obsession ausartet?

Lara Lux zeigt es uns. Das kann sie ganz wunderbar, ohne auschweifende Erklärungen, und man merkt dem Buch an, dass sie sich in diversen "Verhältnissen" auskennt. Sowohl Philipps familiärer Hintergrund als auch Fainas Familie sind höchst authentisch dargestellt. Die ganze Berliner Szene ... herrlich! Selbst über Philipps Beobachtungen und Bemerkungen musste ich teilweise echt lachen.

Bis dann ....

Aber das sollte jede(r) selber lesen. Ich fand das Buch zwar teilweise extrem, aber auch glaubwürdig. Eigentlich hätte man es wissen müssen, wird man später bei so einem Paar vielleicht sagen. Nur kann man den Leuten eben nicht in die Köpfe schauen. In diesem Roman aber kann man es und das ist wirklich ganz große Kunst, finde ich.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Ein mir bisher unbekannter Teil russischer Geschichte

Das Philosophenschiff
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Ein mir bisher unbekannter Teil russischer Geschichte

Ich habe den Roman als Hörbuch gehört und war sehr angetan von der lebendigen Erzählweise des Autors, den ich bisher nur vom Namen her kannte.
Die ...

Ein mir bisher unbekannter Teil russischer Geschichte

Ich habe den Roman als Hörbuch gehört und war sehr angetan von der lebendigen Erzählweise des Autors, den ich bisher nur vom Namen her kannte.
Die Stimme passt gut zu der 100jährigen Architektin Anouk Jacob-Perleman, deren Geschichte hier erzählt wird und natürlich Michael Köhlmeier himself, der hier als Ich-Erzähler auftritt.
Man erfährt viel über die russische Geschichte unter Lenin und die zahlreichen Intellektuellen, die auf den so genannten Philosophenschiffen deportiert wurden. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Rhetorik die russischen Diktatoren ihre Taten einst und heute zu rechtfertigen wussten.

Was an der Geschichte wahr und was frei erfunden ist, lässt sich natürlich im Internet leicht überprüfen. Wichtiger ist jedoch, dass der Roman die Angst und die Gefühle der Deportierten transportiert. Eindrucksvoll fand ich z.B. die Darstellung von Anouks Eltern, die in ihrer Kajüte mit einer Decke über dem Kopf, tagtäglich auf ihr Ende warten.

Es gibt strenge Regeln auf dem Schiff, um neugierige Fragen zu vermeiden. Nur Anouk widersetzt sich diesen und erforscht das Schiff auf eigene Faust. Dabei macht sie eine unglaubliche Entdeckung ...

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Veröffentlicht am 08.01.2024

Julia

Julia
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Kurzmeinung: In dieser Version von Orwells Dystopie steht Julia im Mittelpunkt. Heftige Geschichte mit viel Stoff zum Nachdenken. Cleveres Ende!


Ich habe "1984" von Georges Orwell nicht gelesen, weder ...

Kurzmeinung: In dieser Version von Orwells Dystopie steht Julia im Mittelpunkt. Heftige Geschichte mit viel Stoff zum Nachdenken. Cleveres Ende!


Ich habe "1984" von Georges Orwell nicht gelesen, weder in der Schule noch an der Uni. Macht aber nichts, denn für das Verständnis des Romans von Sandra Newman sind Vorkenntnisse nicht erforderlich. Man wird schnell auf den aktuellen Stand des totalitären Staates Ozeanien gebracht. Winston Smith, auch als "Old Misery" bekannt und Hauptdarsteller in Orwells Original, findet von der ersten Seite an Erwähnung.

In Newmans Version der Geschichte wird der Zettel mit den Worten "Ich liebe dich", den Julia Winston im Original zusteckt, allerdings von einer Mitbewohnerin im Wohnheim verfasst und in Julias Spind versteckt. Sie findet ihn und gibt ihn an Winston weiter, mit der Überlegung, dass man im Falle einer Entdeckung die Handschrift nicht zu ihr zurückverfolgen kann.

Julia ist ausgesprochen pragmatisch und hat gelernt, in dem System zu überleben. Sie ist stets vorsichtig, treibt aber einen aktiven Schwarzhandel mit den Proleten und weiß ihre sexuelle Lust mit diversen Partnern im Verborgenen auszuleben, obwohl "Sexkrim" strengstens verboten ist. Von Winston Smith fühlt sie sich auf seltsame Weise angezogen, denn er wirft ihr zunächst eher feindselige Blicke zu.

Was mich an Julia zunächst gestört hat, ist die Über-Sexualisierung ihrer Figur. Vielleicht ist dieser Umstand ja ihrer Vorgeschichte geschuldet, die in der Version Newmans durch wiederholten Missbrauch geprägt war. Vielleicht ist ihr sexueller Appetit aber auch Voraussetzung dafür, dass sie sich später so bereitwillig als Honigfalle anwerben lässt. Sie liefert nicht nur Winston ans Messer, sondern auch Ampleforth und Tom Parson (beides Figuren aus dem Original). Doch auch Julia kommt nicht ungestraft davon.

Jeder, der Orwells Original gelesen hat, wird die Rattenszene kennen, bei der Winston Smith in dem geheimnisumwitterten Raum 101 gefoltert wird. Sandra Newman hat diese allerdings abgeändert, so dass es schließlich Julia ist, der man den Rattenkäfig vor die Nase setzt. Und was dann passiert, bzw. wie Julia mit der Situation umgeht, fand ich einfach grandios. Hier zeigt sich noch einmal Julias starker Überlebenswille und ihre gesammelte Lebenserfahrung, die Winston Smith komplett fehlt.

Im Gegensatz zu Orwells Original endet der Roman nicht mit Winstons Erkenntnis, dass er den großen Bruder wahrlich liebt. Julia gelingt die Flucht aus Ozeanien. Das Ende fand ich von der Autorin ausgesprochen clever erdacht und - ich mag mich täuschen - die "freien Engländer" haben mich stark an die ehemaligen GIs erinnert, die einst Nazi-Deutschland befreiten. Statt Kaugummi und Nylonstrümpfen gibt es im Roman Rosen, vielleicht eine Hommage an Orwell, der in seinem Garten Rosen pflanzte. Ein Happy End also? Tja ... das muss man schon selbst herausfinden.

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