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Veröffentlicht am 19.03.2022

Interessanter Einblick in eine andere Welt

Ultraorthodox
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Orthodoxe Juden, Amish People, Mennoniten und andere Glaubensgemeinschaften, die ihre Leben stark nach den Regeln der heiligen Schrift ihres jeweiligen Glaubens üben auf uns Außenstehende eine gewisse ...

Orthodoxe Juden, Amish People, Mennoniten und andere Glaubensgemeinschaften, die ihre Leben stark nach den Regeln der heiligen Schrift ihres jeweiligen Glaubens üben auf uns Außenstehende eine gewisse Faszination aus oder wecken zumindest unsere Neugier, nicht zuletzt weil ihre Kleidung irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Für uns ist es schwer, diesen Lebensstil nachzuvollziehen. Wie kann es sein, dass Menschen 2022 bereit sind, auf vieles zu verzichten, was für uns selbstverständlich ist? Wie ist es möglich, dass sie an Dinge glauben, die durch die moderne Wissenschaft längst widerlegt sind?
Nach Deborah Feldmann erzählt uns nun Akiva Weingarten in seinem Buch „Ultraorthodox – Mein Weg“ wie er in den USA bei den strenggläubigen „Satmar“ aufwuchs, wie seine Zweifel an dem ihm in die Wiege gelegten Weg immer größer wurde und wie er schließlich seine Religionsgemeinschaft verließ. Sollte man das Buch überhaupt noch lesen, wenn man das Buch von Deborah Feldmann oder den darauf basierenden Film kennt? Unbedingt. Beide Lebensläufe sind trotz einiger Parallelen individuell, jedoch definitiv gleichermaßen interessant. Beide zeigen, dass es nicht immer leicht ist, alles, an das man bisher geglaubt hat, hinter sich zu lassen. Da Frauen und Männer jedoch innerhalb der Satmarer Chassiden ein relativ getrenntes Leben führen, fand ich es interessant durch Akiva Weingarten nun auch die männliche Perspektive kennenzulernen. Heute hat sich Akiva Weingarten vom chassidischen Glauben verabschiedet und ist in vielem auch ein Kritiker von dessen Lehren. Vom jüdischen Glauben hat er sich jedoch keineswegs abgewendet, vielmehr bemüht er sich als Rabbiner um einen aufgeschlossenen Glauben. Das Buch ist auch keine einseitige Abrechnung mit dem Chassidismus und gerade deshalb für uns Leser*innen eine bereichernde und aufschlussreiche Lektüre.

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Neues Leben, neues Glück?

Das gekaufte Leben
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Bei Clemens Freitag läuft es nicht rund. Freunde hat er nicht viele und bei den wenigen, die er hat, ist er auch noch verschuldet. So richtig kriegt er sein Leben seit dem Tod seiner Eltern nicht auf die ...

Bei Clemens Freitag läuft es nicht rund. Freunde hat er nicht viele und bei den wenigen, die er hat, ist er auch noch verschuldet. So richtig kriegt er sein Leben seit dem Tod seiner Eltern nicht auf die Reihe. Welch glücklicher Zufall, dass ein gewisser Götz Dammwald nicht nur sein Haus samt Boot und Bootshaus am See verkauft, sondern als Zugabe gleich noch seine Freunde und seinen Job mit dazu.
Mit dem bis dahin unangetasteten Erbe seiner Eltern kauft sich Clemens Freitag vermeintlich ein besseres Leben als sein bisheriges.
Und zunächst sieht alles auch hervorragend aus: Luxuriöses Haus am See, unkomplizierte Freunde, die ihn sogleich in ihre Clique aufnehmen und angenehmer Job mit ausgesprochen reizender Kollegin.
Clemens Freitags neue Leben ist wirklich wunderbar. Da kann man schon mal ignorieren, dass jemand im See statt eines Fisches einen Finger an der Angel hatte.
Doch langsam schleichen sich bei Clemens Freitag Zweifel ein. Dammwalds Gehalt ist zwar nicht schlecht, doch wie konnte er sich so ein Lebensunterhalt leisten? Warum glauben ehemalige Feriengäste, das Haus am See wäre abgebrannt? Und wieso würde jemand überhaupt ein so perfektes Leben verkaufen?
Ein absolut empfehlenswerter Roman, der nahezu unmerklich immer mehr an Spannung aufnimmt und sich mehr und mehr zu einem Krimi entwickelt.

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Veröffentlicht am 16.03.2022

Von den Grenzen der Diplomatie

Die Diplomatin
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Zum ersten Mal aufgefallen war mir Lucy Fricke in der Anthologie „Klasse und Kampf“ von Baron/Barnakow, einer Textsammlung, in der Schriftsteller, die aus dem Arbeitermilieu stammen, über ihren sozialen ...



Zum ersten Mal aufgefallen war mir Lucy Fricke in der Anthologie „Klasse und Kampf“ von Baron/Barnakow, einer Textsammlung, in der Schriftsteller, die aus dem Arbeitermilieu stammen, über ihren sozialen Aufstieg bzw. das Leben zwischen zwei Welten schreiben.

Frickes Protagonistin Fred in „Die Diplomatin” hat den Spagat zwischen zwei Welten offensichtlich gut gemeistert, auch wenn immer wieder in deren Gedanken aufblitzt, dass ihre Mutter, die in Hamburg in einfachen Verhältnissen lebt, ihren jetzigen Lebensstil inklusive Haushälterin und privatem Fahrer nur schwer fassen könnte.

Fred ist in ihrem neuen Leben als Diplomatin längst angekommen. Mehr und mehr wird ihr jedoch klar, wie begrenzt ihre diplomatischen Mittel eigentlich sind.

Im ersten Teil des Buchs hat sie gerade eine Stelle in Montevideo angetreten und verzweifelt fast schon an der gepflegten Langeweile, da zu ihren Hauptaufgaben in diesem konfliktarmen Job hauptsächlich das perfekte Catering des Staatsbanketts zum Tag der Deutschen Einheit zählt. Jedenfalls bis eine deutsche Touristin entführt wird und sie dem Fall nicht die notwendige Dringlichkeit zukommen lässt.

Hier endet dieser Teil des Buchs relativ abrupt und wir erfahren im nächsten Teil des Buches, dass Fred nach einiger Zeit im Innendienst ihre nächste Stelle in Istanbul angetreten hat. Langweilig ist es ihr hier sicherlich nicht. Viele der Fälle erinnern uns bei der Lektüre allzu gut an vieles, was wir in deutschen Zeitungen in den letzten Jahren gelesen haben. Für Fred sind diese Fälle zunehmend frustrierend, denn mit ihren diplomatischen Bemühungen stößt sie mehr und mehr an ihre Grenzen, und sie hat das Gefühl, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, bei Gerichtsverhandlungen Präsenz zu zeigen und dennoch keinen Einfluss auf den Verlauf der Dinge zu haben.

Ich fand die Lektüre interessant, mag Lucy Frickes Schreibstil sehr, auch wenn mir in diesem Roman vieles etwas zu angedeutet blieb und ich das Gefühl hatte, dass der in Montevideo spielende Teil insgesamt zu wenig Relevanz für das ganze Werk hatte.

Einen Roman in der Welt der Diplomat*innen anzusiedeln empfand ich als spannend, hatte mich während der Lektüre aber auch ein wenig gefragt, wie die Autorin zu diesem Stoff gefunden hatte.
Ein wenig Aufschluss gab mir ein Interview mit Lucy Fricke, in dem sie von ihrem Stipendienaufenthalt in der Türkei und von vielen Gesprächen, die sie dort mit Diplomaten hatte, erzählt, um Stoff für die Geschichte einer Diplomatin, die den Glauben an die Diplomatie verloren hat, zu sammeln.

Insgesamt ein empfehlenswertes Buch, bei dem man das Gefühl hat, ein bisschen mehr Einblick in die Welt und die Grenzen der Diplomatie zu bekommen. Schön auch, dass wir das aus weiblicher Sicht bekommen. Auch wenn ich mich frage, ob es von Bedeutung ist, dass unsere Protagonistin Friederike von allen Fred genannt wird?

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Veröffentlicht am 14.03.2022

Poetische Reise auf dem Rio Atrato

Der Fluss ist eine Wunde voller Fische
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In ihrem Debütroman „Der Fluss ist eine Wunde voller Fische“ beschreibt Lorena Salazar Masso wunderbar poetisch die Reise einer Mutter mit ihrem Kind zu dessen leiblicher Mutter. Wir begleiten die beiden ...

In ihrem Debütroman „Der Fluss ist eine Wunde voller Fische“ beschreibt Lorena Salazar Masso wunderbar poetisch die Reise einer Mutter mit ihrem Kind zu dessen leiblicher Mutter. Wir begleiten die beiden auf der Fahrt auf dem mächtigen Atratofluss von Quibdo immer tiefer in den Dschungel Kolumbiens und lauschen, wie die Erzählerin dem Fahrgast neben ihr von Kindheitserinnerungen erzählt, aber auch, wie der kleine Junge in ihr Leben trat. Je mehr sich das Boot seinem Ziel nähert, desto mehr wächst die Unruhe der Mutter. Reicht es, dass sie es war, die die letzten Jahre für das Kind gesorgt hat, oder wird die Bindung zur leiblichen Mutter stärker sein.

Eine schöne, oft melancholische Geschichte, die dennoch beim Lesen seltsam distanziert an mir vorbeizog. Die mich trotz der starken Sprache nicht so berührte, wie der Stoff vermuten lässt. Vielleicht lag das jedoch eher an mir, da mir zu der Gegend, in der die Geschichte spielt, jeglicher Hintergrund fehlt.

Ein Buch, das viele allein schon wegen seiner poetischen Sprache lieben werden. Und auch wenn es mich nicht ganz so begeisterte, wie ich das vermutet hatte, ein wunderbares Buch.

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Veröffentlicht am 14.03.2022

Interessant, spannend und brilliant geschrieben - Mein erstes Highlight 2022

Die Kinder sind Könige
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Mélanie Claux hat es Anfang der 2000er nicht geschafft, in einem Big Brother ähnlichen Format groß herauszukommen. Ihre zweite Chance auf Ruhm verwirklicht sie nun mittels Social Media und ihrer Kinder ...

Mélanie Claux hat es Anfang der 2000er nicht geschafft, in einem Big Brother ähnlichen Format groß herauszukommen. Ihre zweite Chance auf Ruhm verwirklicht sie nun mittels Social Media und ihrer Kinder Sammy und Kimmy, die Stars ihres Youtube- und Instagram-Kanals sind und der Familie dadurch zu einem mehr als komfortablen Leben verhelfen.

Doch auf einmal ist Kimmy wie vom Erdboden verschluckt. Gibt es Neider, vielleicht gar Betreiber weniger erfolgreicher Vlogs, die ihr den Erfolg nicht gönnen? Die Polizei steht vor einem Rätsel, da auch eine Lösegeldforderung auf sich warten lässt. Und schon wähnt man sich als Leser*in mitten in einem spannenden Krimi, bei dem die Schattenseiten und Absurdität der Omnipräsenz in den sozialen Medien beleuchtet werden, und aufgezeigt wird, welch enormem Druck gerade Kinder durch Eltern ausgesetzt sind, die diese lukrative Art der Vermarktung des eigenen Lebens als Einkommensquelle entdeckt haben.

Und während man noch rätselt, wer die kleine Kimmy entführt haben könnte, löst sich der Fall relativ unvermittelt und abrupt und der Roman entwickelt sich vom Krimi zu, ja wozu eigentlich. Wir werden auf einmal ins Jahr 2031 katapultiert, eine Art Dystopie also? Eher nicht. Die Zukunft, die ausgemalt wird, ist allzu plausibel. Der Zeitsprung ist dennoch notwendig, werden in diesem Teil doch die möglichen Auswirkungen aufgezeigt, die die ständige mediale Präsenz auf die jungen Youtube-Stars haben kann.

Ein großartiger, brillant geschriebener Roman, den man nicht aus der Hand legen kann. Als einzigen winzig kleinen Kritikpunkt möchte ich anmerken, dass ich den Übergang von der „Krimihandlung“ ins Jahr 2031 etwas unvermittelt fand und mich zunächst fragte, ob der Roman schon beendet sei und ich vielleicht die Leseprobe zu einem anderen Buch vor mir liegen habe. Andererseits ist es doch gerade hervorragend, wenn eine Autorin nicht die eigenen Leseerwartungen erfüllt und einen überrascht. Der Roman hat mich allerdings mehr als nur überrascht, sondern wirklich begeistert und wird für das Lesejahr 2022 ganz sicher ganz oben in der Liste meiner Lieblingsbücher sein.

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