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Veröffentlicht am 28.12.2021

Unbedingt (noch einmal) lesen!

1984
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Den „Großen Bruder“ kennt sicherlich ein jeder seit Anfang der 2000er-Jahre, als Orwells dystopisches Horrorszenario aus seinem Roman 1984, in dem die Menschen der Totalüberwachung einer autoritären Partei ...

Den „Großen Bruder“ kennt sicherlich ein jeder seit Anfang der 2000er-Jahre, als Orwells dystopisches Horrorszenario aus seinem Roman 1984, in dem die Menschen der Totalüberwachung einer autoritären Partei unterworfen werden, für ein Realityshow-Format im Privatfernsehen teilweise umgesetzt wurde. Diese zweifelhafte Fernsehunterhaltung würde heute hoffentlich niemanden mehr vor den Bildschirm locken. Es gibt ja wahrlich Interessanteres als Lieschen Müller stundenlang bei allzu alltäglichen Handlungen zu beobachten.
Und hier sieht man einmal wieder aufs Neue, dass ein Buch, dass Literatur jede Fernsehunterhaltung um Längen schlägt. Denn den Roman von Orwell kann und sollte man unbedingt noch einmal lesen, auch wenn man diesen wie ich schon vor Jahren gelesen hat. Gut, der Vergleich hinkt ein wenig, war doch besagter Roman schon immer qualitativ wesentlich hochwertiger und hatte höhere Ziele als oben erwähntes Fernsehformat.
1984 ist sozusagen die Mutter aller Dystopien, auch wenn der Begriff im deutschsprachigen Raum damals noch nicht verwendet wurde. Der Roman galt und gilt, genau wie Orwells weiteres großes Werk „Farm der Tiere“ als Standardwerke für jeden, der sich mit den Wurzeln von Autoritarismus auseinandersetzen will.
Die Zukunft, die George Orwell uns malt, ist düster. In einer technologisch hoch fortgeschrittenen Welt werden die Menschen durch Dauerüberwachung kontrolliert und manipuliert. Mittels einer neuen Sprache soll letztendlich sogar das Denken, die Erinnerung an Vergangenes gesteuert werden. Schafft es Protagonist Winston Smith, sich dieser Kontrolle zu entziehen?
Es ist erschreckend, dass die Anspielungen an autoritäre Systeme, in denen Menschen unter Entbehrung, Unterdrückung und Terror leiden, heute noch so aktuell sind wie 1948, als Orwell diesen Roman verfasste. Auch die Zukunft, die der Autor sich damals ausgedacht hatte, klingt sogar nicht die verstaubt und altmodisch und das, obwohl 1984 inzwischen weit in der Vergangenheit liegt und wir gar manche technologische Neuerung haben, die sich Orwell nicht hätte erträumen können. Ein Buch, das man unbedingt (noch einmal) lesen sollte.

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Veröffentlicht am 14.12.2021

Sehr vorhersehbar

Die Verschwundene
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Düster und temporeich sollte dieser Roman angeblich sein. Frau lernt Mann kennen, dessen vorherige Gattin auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Auf der Suche nach einer spannenden Lektüre hatte ich mir ...

Düster und temporeich sollte dieser Roman angeblich sein. Frau lernt Mann kennen, dessen vorherige Gattin auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Auf der Suche nach einer spannenden Lektüre hatte ich mir eine Art Jane Eyre 2021 erhofft. Auf den ersten Seiten ahnte ich jedoch bereits, dass ich vermutlich nicht einen künftigen großen Klassiker in den Händen hielt.
Tapfer las ich dennoch weiter, wie eine junge Hundesitterin aus eher armen Verhältnissen durch diesen Job in Kontakt mit den Reicheren dieser Gesellschaft kommen will und wird. Kurz Mal fast dem bestaussehenden Witwer (oder ist er überhaupt einer) vor den teuren Sportwagen gelaufen und schon hat man den Mann fürs Leben gefunden. Aber die ach so düstere Vergangenheit. Ich möchte hier nicht spoilern, nur darauf hinweisen, dass der Roman im Original "The Wife upstairs" heißt. Zumindest lässt der deutsche Romantitel noch ein wenig Raum für eine gewisse Spannung. Aber auch in der deutschen Übersetzung erfährt man das wesentliche zur Verschwundenen schon im ersten Viertel des Buchs.
Sprachlich konnte der Roman mit Sätzen wie "Seine Finger schließen sich um die spitzen Knochen, und ich starre auf seine Hand, die mich berührt, seine Hand auf meiner Haut." leider auch nicht die etwas laue Geschichte rausreißen. Schade, ich hatte mich auf eine spannende Lektüre gefreut.

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Veröffentlicht am 13.12.2021

Wunderbare Feelgood-Lektüre mit ausgesprochen liebenswerten Charakteren

Geld oder Lebkuchen
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Sylt in der Vorweihnachtszeit. Ernst Mannsen langweilt sich, denn ohne Tourismus ist nicht viel los auf der Insel. Könnte man meinen.
Doch dann brennt der Filialleiter der hiesigen Bank scheinbar mit den ...

Sylt in der Vorweihnachtszeit. Ernst Mannsen langweilt sich, denn ohne Tourismus ist nicht viel los auf der Insel. Könnte man meinen.
Doch dann brennt der Filialleiter der hiesigen Bank scheinbar mit den Spenden für bedürftige Kinder durch, der Gemeinderat beschließt die kostenfreie Mittagstafel für eben diese zu streichen und die Spendenbereitschaft der Gemeinde ist bei einem erneuten Spendenaufruf eher mau.
Wenn das mal nicht ein Zeichen ist. Ernst, seine Frau Gudrun und deren Freundinnen Hella und Minna müssen da doch etwas tun. Zum Beispiel eine Bank überfallen, meint Ernst. Da trifft es sich doch gut, dass im Fernsehen ein Krimi zu den Gentleman-Räubern die eine oder andere Anregung für das geplante Vorhaben bietet. Zusammen will das charmante Rentnerquartett als moderne Robin Hoods für Gerechtigkeit sorgen.
Gut, dass Hella aus ihren glamourösen Tagen - sie war nämlich einst Schauspielerin - Ernst mit dem notwendigen Outfit als Gentleman-Weihnachtsmann ausstatten kann und ihm gleich noch den notwendigen Schauspielunterricht für seinen großen Auftritt in der kleinen Bankfiliale geben kann.
Und wer hätte gedacht, dass die vier in der wortkargen Bankangestellten Martina eine Partnerin in Crime finden.
Ein unbedingt empfehlenswerter, warmherziger Nicht-Krimi für die Vorweihnachtszeit. Besonders die süffisante Art, mit der die großartige Sprecherin Katja Danowski den Figuren Leben einhaucht, hat mir eine lange Autofahrt auf amüsante Weise verkürzt.

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Veröffentlicht am 19.11.2021

Unterschiedliche Perspektiven

Wo auch immer ihr seid
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In „Wo auch immer ihr seid“ erzählt Khuê Pham“ die Geschichte einer vietnamesischen Familie. Die Eltern der Protagonistin Kim kamen wie die der Autorin Khuê Pham 1968 zum Studium nach Deutschland. Ihre ...

In „Wo auch immer ihr seid“ erzählt Khuê Pham“ die Geschichte einer vietnamesischen Familie. Die Eltern der Protagonistin Kim kamen wie die der Autorin Khuê Pham 1968 zum Studium nach Deutschland. Ihre Wurzeln kennt Kim kaum und sie interessiert sich auch nicht sonderlich dafür. Als sie und ihre Eltern vom amerikanischen Zweig der Familie wegen eines Trauerfalls kontaktiert werden, beginnt für Kim eine Reise in die Vergangenheit. Wir erfahren, weshalb die Eltern in den 60er-Jahren nach Deutschland gekommen sind und wieso es den Rest der Familie in die USA verschlagen hat, aber auch, wie es zu dem Zerwürfnis der Familie kam. In Rückblenden erleben wir das Saigon ihres Vaters in den 60ern und das ihres Onkels in den 70ern. Besonders interessant fand ich, dass man gerade an den unterschiedlichen Lebensläufen der Brüder sehen kann, dass die eigene Positionierung zum Vietnamkrieg oft nur von unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen abhängt, oder im Fall der Brüder auch vom Zeitpunkt, an dem man das Land verlassen hat. Abgesehen von dieser historischen Ebene ist es auch spannend zu sehen, in welch unterschiedlichen Welten vietnamesische Emigrant*innen in Deutschland und in den USA leben. Während es sich bei jenen in Deutschland vornehmlich um eine gut integrierte kleine Gruppe handelt, sind es in den USA so viele, dass es leicht ist, innerhalb dieser Gruppe Traditionen und Gewohnheiten beizubehalten, was dann vermutlich wieder auf Kosten der Integration geht.
Ein absolut empfehlenswertes Romandebüt der Autorin Khuê Pham, das Einblicke in die vietnamesische Vergangenheit gibt, aber auch zeigt, wie es ist in einem anderen Land aufzuwachsen oder besser gesagt, wie es sein kann. Gerade der deutsch-amerikanische „clash of cultures“ sorgt für humorvolle Momente in dem lesenswerten Buch.

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Veröffentlicht am 17.11.2021

Die wahnsinnige Aufregung um den "Genderwahn"

Vermintes Gelände – Wie der Krieg um Wörter unsere Gesellschaft verändert
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Ich gebe zu, bis vor kurzem hielt ich Gendern auch für Quatsch und dachte mir: „Wir haben doch wirklich größere Probleme.“ Wenn in Interviews meist Menschen, die etwas jünger sind als ich, das Gendersternchen ...

Ich gebe zu, bis vor kurzem hielt ich Gendern auch für Quatsch und dachte mir: „Wir haben doch wirklich größere Probleme.“ Wenn in Interviews meist Menschen, die etwas jünger sind als ich, das Gendersternchen durch den „glottal stop“ in der Sprache angedeutet haben, habe ich innerlich die Augen gerollt und gedacht: „Lass gut sein.“ Erste Zweifel an meiner Haltung bekam ich beim Lesen von Facebook-Kommentaren. (My guilty peasure!) Die Tagesschau schrieb da z. B. einen wichtigen Artikel zu einem der Themen, die unsere Welt gerade beschäftigen. Ich will mir also anschauen, was Deutschland, zumindest der Teil, der auf Facebook Kommentare schreibt, zu diesem Thema so denkt, stattdessen aber allgemeines Aufgerege über den Genderwahn, die Verhunzung der Sprache und dass das doch gefälligst verboten werden müsse. Und je mehr ich so lese, umso mehr denke ich mir, diese Aufregung darum, dass sich einige Menschen entschieden haben zu gendern, finde ich jetzt eigentlich wahnsinniger als den angeblichen Genderwahn. Denn: „Wir haben doch wirklich größere Probleme.“ Schließlich wird doch niemand gezwungen zu gendern.
Und so kam Petra Gersters neues Buch „Vermintes Gelände“ genau zum richtigen Zeitpunkt für mich. Neben der Verwendung des Gendersternchens geht es auch um die achtlose Verwendung von Wörtern, die im heutigen Sprachgebrauch einfach nichts mehr zu suchen haben. Ein kluges, ausgleichendes Buch einer Autorin, die keine Angst hat, Stellung zu beziehen. Gendern, ja oder nein? Kann jeder machen, wie er möchte, die Autorin hat sich dazu entschieden, es zu tun, denn wenn man durch die Verwendung des Gendersternchens alle Menschen mit einbeziehen kann, warum denn nicht. Oder etwas banal ausgedrückt, wenn man damit vielen Menschen hilft, kann man es doch machen, schmerzt doch nicht. N- und Z-Wort? Beim N-Wort muss man da wahrscheinlich nur noch mit den Vorvorgestrigen diskutieren, beim Z-Wort besteht vermutlich noch mehr Diskussionsbedarf. Auch da stimme ich mit der Autorin völlig überein. Das sind Wörter, deren Verzicht uns nicht schmerzt. Wenn ich denn ein großer Fan des scharfen Schnitzels ungarischer Art bin, wird es mir doch bestimmt genauso gut schmecken, wenn ich es nicht mehr mit dem Z-Wort beschreibe und zusätzlich beleidige ich niemanden. Die Autorin sagt an keiner Stelle, dass ganz Deutschland jetzt in irgendeiner Weise zu sprechen und schreiben hat, das tun eher die vermeintlichen Hüter der deutschen Sprache, die vermutlich noch nie etwas von Sprachwandel gehört haben. Egal, sie müssen ja nicht gendern. Aber vielleicht würde diesen ja ein wenig Leichtigkeit und Lockerlassen im Leben auch mal gut tun. Die Zeit wird sowieso zeigen, was sich durchsetzt und was nicht, so auch die Meinung der Autorin. Sprache lässt sich nicht festschreiben. Und dass gewisse Wörter aus dem Wortschatz fallen, das hat es auch schon immer gegeben und es war dann auch nie schade drum.
Großartiges Buch einer intelligenten Frau, die wirklich Relevantes zum Thema schreibt, die die Argumente von allen Seiten beleuchtet und irrsinnige Auswüchse auf allen Seiten beim Namen nennt.

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