Manipulation, Individuum und Politik.
LektionenNachdem ich im Urlaub den letzten “Schätzing” mit 727 Seiten gelesen hatte und häufig unbekannte technische Termini nachgoogeln mußte, erschien mir “ Lektionen” von Ian McEwan unkompliziert, obwohl dieses ...
Nachdem ich im Urlaub den letzten “Schätzing” mit 727 Seiten gelesen hatte und häufig unbekannte technische Termini nachgoogeln mußte, erschien mir “ Lektionen” von Ian McEwan unkompliziert, obwohl dieses Werk mit über 700 Seiten, eines mir bis dahin unbekannten Autors, durchaus eine Herausforderung darstellt.
Das Cover spielt wohl auf die Klavierstunden mit seiner Lehrerin, Miriam Cornell, an, die große Auswirkungen auf sein späteres Leben haben. Das Cover in schreienden Farben ist sehr passend zur Lektüre gewählt, also ein Hingucker.
Dieser Roman beschreibt die komplette Lebensgeschichte des Roland Baines, eines fiktiven Charakters, dessen privates Leben mit seinem häufigen Auf und Ab dem Leser dargelegt wird. Dabei nimmt der Autor auf das politische und gesellschaftliche Leben der letzten 80 Jahre Bezug. Das hat mir an diesem Roman besonders gut gefallen, denn ich mag Werke mit realhistorischen Bezügen, deren Rekapitulation einen wertvollen Bildungswert enthalten.
Roland Baines strebt als Erwachsener einen Idealzustand, ein unbeschreibliches Glücksgefühl, an, dass er durch Miriam kennengelernt hatte, und jetzt wieder erreichen will. Jedoch scheitert er immer wieder, bis er durch die Heirat mit Alissa am Ziel seiner Träume zu sein glaubt. Aber es folgt wieder eine Enttäuschung, da sie ihn verlässt und ihn mit dem gemeinsamen Baby zurücklässt, denn sie strebt nach beruflicher Selbstverwirklichung. McEwan verarbeitet hiermit auch das Motiv in der moralischen Verwerflichkeit eines Individuums aus persönlichen, egoistischen Lebenszielen.
Als Charakter wird Roland Bains sehr vielschichtig dargestellt. Der Leser erlebt seine Entwicklung in Rückblenden, die uns sein “Problem” und die daraus seine resultierende Zerrissenheit darlegen, welches im Verlauf der Geschichte immer mehr beschrieben wird. Sein innerer Bewußtwerdungsprozeß wird verdeutlicht und seine Selbstreflexionen über seinen psychischen Zustand.
Die Sprache ist sehr abwechslungsreich. Es wechseln sich Passagen mit philosophisch anmutenden Betrachtungen auf hohem intellektuellem Niveau mit einfacher Narration und Dialogen ab.
Dieses Werk hat mir gut gefallen. Es wendet sich an anspruchsvolle Leserinnen und Leser, die ein wenig literarische Vorbildung haben sollten, denn es wird häufig auf Schriftsteller, besonders aus dem englischen / irischen Sprachraum, Bezug genommen.