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Veröffentlicht am 04.06.2017

So macht Geschichte Spaß

Die Markgräfin
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Mit zehn wurde sie zum ersten Mal verheiratet. Mit zwölf ist sie bereits Witwe. Nur wenige Jahre später wird sie von ihren Eltern an den König von Böhmen verschachert, der sie aber nie heimführt. Als sie ...

Mit zehn wurde sie zum ersten Mal verheiratet. Mit zwölf ist sie bereits Witwe. Nur wenige Jahre später wird sie von ihren Eltern an den König von Böhmen verschachert, der sie aber nie heimführt. Als sie endlich ihr eigenes Leben führen will, sperren ihre Brüder sie ein: als Vorlage für ihren Roman „Die Markgräfin“ hat die Historikerin Sabine Weigand die Lebensgeschichte der Barbara von Ansbach verwendet, die im 15./16. Jahrhundert gelebt hat. Allerdings hat Weigand die Handlung um rund 50 Jahre nach vorne gerückt, um den zweiten Markgrafenkrieg und die Zerstörung der Stadt Kulmbach in die Geschichte mit einfließen zu lassen. Diese kleine historische Schwindelei ist allerdings verschmerzbar – macht sie die Handlung doch noch ein bisschen spannender und dramatischer. Ansonsten bleibt Weigand aber sehr eng an der überlieferten Biografie der Markgräfin, historische Quellen, wie Briefe, werden zum Teil wörtlich wiedergegeben. Allerdings verliert sich die Spur der echten Barbara von Ansbach irgendwann, was mit ihr passiert ist, lässt sich nur vermuten. Hier setzt nun die Fiktion ein. Wie Weigand die historischen Lücken füllt und die Geschichte dieser interessanten Frau weiterspinnt, ist aber mehr als gelungen. Entstanden ist ein spannender, mitreißender und bewegender Roman, der wieder einmal zeigt, wie wenig Frauen in der Vergangenheit gegolten haben, wie wenig Rechte sie hatten.

Spannend ist der Roman vor allem, weil Weigand ihn zusätzlich auf zwei Zeitebenen spielen lässt: Parallel zu den Geschehnissen im 16. Jahrhundert, gibt es noch einen Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt. Bei Renovierungsarbeiten auf der Plassenburg im fränkischen Kulmbach entdecken Handwerker die Knochen eines Säuglings, das Skelett ist etwa 400 bis 500 Jahre alt. Ein kleines Forscherteam macht sich nun daran, das Geheimnis hinter diesem Knochenfund aufzudecken und enthüllen dabei auch die Geschichte der Markgräfin Barbara von Ansbach.

Sprachlich ist der Roman eher gediegen und in dem Handlungsstrang, der im 16. Jahrhundert spielt, hat Weigand ihre Sprache der damaligen Zeit angepasst. Das macht den Roman allerdings sehr authentisch. In der Summe ein interessanter, gut recherchierter historischer Roman. Und Weigand hat es geschafft, dieser vom Schicksal gebeutelten Frau ein wahrhaftiges Denkmal zu setzen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Ein Leben für die Kunst

Die Schwester des Tänzers
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Ein Leben für die Kunst: In ihrem Roman „Die Schwester des Tänzers“ widmet sich Eva Stachniak dem Leben der Ballerina und Choreografin Bronislawa Nijinska. Nijinska war unter anderem einer der Stars bei ...

Ein Leben für die Kunst: In ihrem Roman „Die Schwester des Tänzers“ widmet sich Eva Stachniak dem Leben der Ballerina und Choreografin Bronislawa Nijinska. Nijinska war unter anderem einer der Stars bei den Ballets Russes, eines der bedeutendsten Balletensembles des 20. Jahrhunderts, und gilt als Wegbereiterin des Neoklassizismus im Ballett. Trotzdem stand sie immer ein bisschen im Schatten ihres Bruders, dem legendären Tänzer Waslaw Nijinsky. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht Bronislawas und so begleitet der Leser die Tänzerin von 1894 bis 1939 – von Russland über Paris und London bis nach New York. Für ihren Roman hat sich die Autorin hauptsächlich auf nachgelassenes biografisches Material – wie Tagebücher oder Interviews – sowie auf Nijinskas Buch „Early Memoirs“ gestützt.

Den Schreibstil hab ich gerade am Anfang als sehr angenehm und auch gefühlvoll empfunden. Bronislawa und Waslaw wurden bereits in eine Tänzerfamilie geboren und so bekommt man vor allem im ersten Teil des Romans ganz gut mit, wie schwer so ein Künstlerleben war – die ständigen Umzüge, die Angst, kein Engagement zu bekommen. Interessant fand ich generell die Einblicke in die klassische russische Ballettkunst und man erfährt auch, wie hart es war, einen Platz in der kaiserlichen Tanzakademie in Sankt Petersburg zu bekommen. Weil Bronislawa zu einer Zeit gelebt hat, in der die ganze Welt im Wandel war, spielen natürlich auch einige historische Ereignisse in den Roman mit hinein: Der Zar wird in Russland gestürzt und der 1. Weltkrieg bricht aus. Auch hier bekommt man ganz gut mit, was diese politischen Ereignisse für Bronislawa und ihre Familie bedeuteten.

Recht gelungen ist der Autorin die Charakterzeichnung der beiden Geschwister Nijinsky. Vor allem Waslaws unterschiedliche Facetten und generell das Verhältnis der beiden Geschwister zueinander hat sie sehr gut herausgearbeitet.

Und dennoch: Trotz der wirklich interessanten Geschichte, konnte mich der Roman nicht komplett bannen. Zu ruhig gleitet die Geschichte dahin, zu behäbig, ja fast langatmig wird sie erzählt. Obwohl im Leben der Tänzerin wirklich viel passiert und ihre Lebensumstände auch oft sehr schwierig und tragisch waren, gingen mir diese Lebenseinblicke nicht unter die Haut. Man hat oft das Gefühl, das viele wichtige Einschnitte im Leben der Geschwister nur so nebenbei abgehandelt werden, einfach runtererzählt werden. Die geschilderten Ereignisse waren mir oft einfach nicht intensiv genug. Im Gegenzug hält sich die Autorin dafür im so länger und ausführlicher bei den Themen Tanztechnik und Ballett auf. Das Verhältnis hat da für mich einfach nicht gestimmt.

Summa summarum ein gut recherchierter Roman über eine interessante, starke Frau und eine Liebeserklärung an das russische Ballett. Leider aber mit ein paar erzählerischen Schwächen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

70 Jahre deutsche Geschichte und eine innige Frauenfreundschaft

Glück und Glas
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Stunde Null in Deutschland: Der Zweite Weltkrieg ist offiziell vorbei – in der Münchner Frauenklinik werden fast zur gleichen Zeit zwei Mädchen geboren: Hannelore und Marion. Obwohl sie aus unterschiedlichen ...

Stunde Null in Deutschland: Der Zweite Weltkrieg ist offiziell vorbei – in der Münchner Frauenklinik werden fast zur gleichen Zeit zwei Mädchen geboren: Hannelore und Marion. Obwohl sie aus unterschiedlichen familiären Verhältnissen stammen, wachsen die beiden Mädchen wie Schwestern auf und werden zu besten Freundinnen. Die Freundschaft bleibt sogar bestehen, als sich die Wege der Mädchen immer stärker zu trennen beginnen: Hannelore wird aufs Gymnasium geschickt, studiert später Jura. Die widerspenstige Marion schafft die Schule nur mit Ach und Krach, wird aber als Fotomodel entdeckt und jettet um die Welt. Doch eines Tages geschieht etwas, an dem die Freundschaft der beiden zerbricht. Lili Beck hat mit „Glück und Glas“ einen unterhaltsamen Roman über eine innige Freundschaft vorgelegt, gleichzeitig ist der Roman aber auch ein geschichtlicher Streifzug durch 70 Jahrzehnte deutsche Geschichte. Wir begleiten die Freundinnen von 1945 bis zu ihrem 70. Geburtstag im Jahr 2015 und streifen dabei alle wichtigen Ereignisse des letzten Jahrhunderts: Angefangen vom entbehrungsreichen Leben direkt nach dem Krieg im zerstörten München, dem Wiederaufbau und dem Wirtschaftswunder bis hin zu den Studentenkrawallen in den 60er und der Finanzkrise in den 90er. Aber auch die Modetrends der Jahrzehnte, Wohn- und Arbeitssituationen und die Rolle der Frau werden aufgegriffen. Wobei der Schwerpunkt im Roman schon eher auf den 1960er Jahren liegt – später werden die Zeitsprünge immer etwas schneller und größer. Der Schreibstil ist zwar nichts Besonders und vielleicht ein bisschen 0815, aber ich hab ihn als sehr angenehm und kurzweilig empfunden. Weil Lili Beck auch ein paar autobiographische Aspekte in den Roman mit einfließen hat lassen – sie selbst hat in den 60er und 70er Jahren auch als Model gearbeitet – sind gerade die Szenen um Marion sehr bildlich und authentisch gelungen. In der Summe ein unterhaltsamer Roman für alle, die sich für die Kulturgeschichte des letzten Jahrhunderts interessieren und Geschichten über Frauenschicksale mögen.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Tolle Weihnachtsgeschichte vor historischer Kulisse

Eisweihnacht
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1844 in Frankfurt am Main, kurz vor Weihnachten: Der Winter ist in diesem Jahr so kalt, wie seit Generationen nicht mehr. Sogar der Main ist zugefroren. Unter der Kälte leidet auch das Geschäft des Großhändlers ...

1844 in Frankfurt am Main, kurz vor Weihnachten: Der Winter ist in diesem Jahr so kalt, wie seit Generationen nicht mehr. Sogar der Main ist zugefroren. Unter der Kälte leidet auch das Geschäft des Großhändlers Best – alle teuren Weinflaschen im Kellergewölbe sind bei den Minustemperaturen einfach zersprungen. Furchtbar, denn Best steht sowieso schon kurz vor dem Konkurs. Vor diesem Hintergrund steht das Leben seiner Tochter Elise Kopf – die 30jährige lebt noch im Haushalt des Vaters und ist unverheiratet – wahrscheinlich weil sie ein lahmes Bein hat, wie ihr immer wieder gesagt wird. Jetzt will der Vater sie aber so schnell wie möglich versorgt wissen, einziger Heiratskandidat ist aber ein verwitweter alter Pfarrer mit fünf Kindern. Während Elise versucht, aus der Situation herauszukommen, stehen plötzlich die junge Marie und der Waisenjunge Josua vor der Türe – halb erfroren und ohne Unterkunft für die Nacht. Mit „Eisweihnacht“ ist Ruth Berger eine kurzweilige, wunderschöne Weihnachtsgeschichte vor historischer Kulisse gelungen – ganz ohne Kitsch und Gefühlsduselei, aber trotzdem mit ganz viel Herz. Elise ist ein toller Charakter, die für ihr eigenes Glück kämpft, aber auch anderen hilft. Obwohl ihre Situation verfahren scheint, lässt sie sich nicht unterkriegen. Der Schreibstil ist großartig – so fängt Ruth Berger wunderbar die Atmosphäre der Weihnachtszeit im 19. Jahrhundert ein. Das historische Frankfurt wird so gut beschrieben, dass man sich selbst durch die verschneiten Straßen gehen sieht und die eisige Kälte spürt. Zwischendurch muss man aber auch immer mal wieder schmunzeln. Nett fand ich es auch, dass Ruth Berger einige historische Persönlichkeiten in die Geschichte mit eingearbeitet hat (z.B. Schopenhauers Pudel oder Dr. Hoffmann, den Verfasser des Struwwelpeter). Eine absolute Leseempfehlung für die Vorweihnachtszeit.

Veröffentlicht am 04.06.2017

Die kleinen Wunder der Welt

Der Schneekristallforscher
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Einzigartig, wunderschöne Kunstwerke und doch so vergänglich: Schneekristalle. Der Farmer Wilson Bentley aus Jericho im US-Bundesstaat Vermont ist sein Leben lang von Schneekristallen fasziniert. Am 15. ...

Einzigartig, wunderschöne Kunstwerke und doch so vergänglich: Schneekristalle. Der Farmer Wilson Bentley aus Jericho im US-Bundesstaat Vermont ist sein Leben lang von Schneekristallen fasziniert. Am 15. Januar 1885 gelingt es ihm als einem der ersten Menschen, Schneekristalle unter dem Mikroskop zu fotografieren. Das Verfahren dazu hat er selbst entwickelt. Insgesamt wird er von da an mehr als 5.000 Schneekristalle fotografieren. Obwohl Bentley mit den Jahren weltweit als Schneeforscher anerkannt wird, wird er in seinem Heimatort – auch von seiner Familie – ein Leben lang für einen Spinner gehalten. Nur die junge Lehrerin Mina aus New York kann seine Leidenschaft verstehen. Um diese historische Persönlichkeit hat Titus Müller mit „Der Schneekristallforscher“ eine wunderbare Erzählung gestrickt und Bentley so ein wahres Denkmal gesetzt. Zart wie eine Schneeflocke, poetisch und äußerst berührend erzählt Müller die Geschichte eines Mannes, der das Staunen über die kleinen Wunder der Schöpfung nicht verlernt hat, der lieber entdecken und forschen wollte, als Bauer zu werden. Die Leidenschaft Bentleys für die Schneekristalle sind in jeder Zeile spürbar. Daneben geht es auch um eine Liebe, die sich nicht beirren lässt. Eine wunderbare, herzerwärmende Erzählung über einen interessanten Mann, die uns zeigt, wie wichtig es ist, an sich zu glauben und wie viel Faszination die Natur doch zu bieten hat.

Erwähnen muss ich diesmal auch die Aufmachung des Buches: Es ist mit blauen Samt überzogen und mit silbernen Schneekristallen bedruckt. Also nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch ein kleiner Schatz fürs Bücherregal.