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Veröffentlicht am 26.10.2022

Konnte leider nicht ganz meine Erwartungen erfüllen!

Kein Sommer ohne dich
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Handlung: "People We Meet on Vacation" wurde diesen Sommer (besonders auf Booktok) stark gehyped und auch die deutsche Übersetzung "Kein Sommer ohne dich" kam bei den meisten LeserInnen sehr gut an, sodass ...

Handlung: "People We Meet on Vacation" wurde diesen Sommer (besonders auf Booktok) stark gehyped und auch die deutsche Übersetzung "Kein Sommer ohne dich" kam bei den meisten LeserInnen sehr gut an, sodass ich gespannt auf die Geschichte war. Die Grundidee, die abwechselnde Erzählweise mit mehreren Zeitebenen und der Slow-Burn-Friends-to-Lovers-Trope klangen sehr vielversprechend für mich und haben schlussendlich auch dafür gesorgt, dass ich die Geschichte gerne gelesen habe. Ein richtiges Highlight wurde "People We Meet on Vacation" aber aus mehreren Gründen leider nicht. Zunächst einige Worte zur Erzählweise. Wir begleiten hier die beiden entfremdeten Freunde Poppy und Alex auf einen Sommertrip nach Palm Springs und während wir beobachten, wie die beiden sich wieder langsam annähern, kommen wir durch Einschübe aus den vorherigen zwölf Urlauben, der Wahrheit näher, was sie vor zwei Jahren auseinandergebracht hat. Dadurch wir auf diese Weise einen Schnelldurchlauf durch die letzten 12 Lebensjahre erhalten, wird der Beziehung der beiden noch mehr Tiefe und Geschichte verliehen. Ein negativer Nebeneffekt ist allerdings, dass man gleichzeitig das zähe Gefühl hat, nicht voranzukommen, da der Haupthandlungsstrang ständig unterbrochen wird, und gerne und oft zwischen den Urlaubsreisen durcheinanderkommt. Dementsprechend ist es zu Beginn etwas schwer, in die Geschichte hineinzukommen und auch das Ende zieht sich dank eines schwermütigen, unnötigen Dramas in die Länge, der Mittelteil ist jedoch grandios.

Schreibstil
: Emily Henrys lebendige Art, die Sommertrips zu beschreiben, macht richtig Lust darauf, selbst eine Reise zu unternehmen, fremde Orte zu besuchen und neue Menschen kennenzulernen. Leider las sich das Buch lange nicht so humorvoll wie ich aufgrund der Bezeichnung als RomCom und des quietsch-orangenen Covers angenommen hatte. Stattdessen lesen sich Poppys Witze teilweise sehr zynisch und ihre melancholische Lebenskrise nimmt der Erzählung ihre Leichtigkeit. Dies ist grundsätzlich nichts Schlechtes - einfach nur etwas anderes als ich erwartet hatte.

Figuren:
Mehr enttäuscht wurde ich da schon von der Friends-to-Lovers-Dynamik der beiden. Denn anders als bei anderen Geschichten mit diesen Tropes, konnte ich die Chemie der beiden aber erst ganz am Ende spüren und habe sie lange Zeit als Freunde wahrgenommen. Dennoch haben mir die beiden als Figuren gut gefallen. Der ruhige, organisierte Alex und die sprunghafte, dynamische Poppy könnten nicht gegensätzlicher sein, entwickeln über die Jahre aber ein sehr stimmiges Miteinander voller Freundschaft, gemeinsamer Insider und Erinnerungen. Was zwischen den beiden in Kroatien passiert ist und zu diesem Jetztzustand geführt hat, ist zwar schon recht früh vorhersehbar, es ist dennoch schön, die beiden auf ihrem Weg zu begleiten.


Die Zitate:


“I wish I could bottle this moment and wear it as a perfume. It would always be with me. Everywhere I went, he’d be there too, and so I’d always feel like myself.”

“That crush of happiness, that feeling that this is what life’s about: being somewhere beautiful, with someone you love.”

“I´ve never really felt alone since I met you. I don´t think I´ll ever feel truly alone in this world again as long as you´re in it.”

“You asked me who I was, and - it was like the answer came out of nowhere. Sometimes it feels like I didn´t even exist before that. Like you invented me.”

“I know," I tell him, and, "I love you too." It´s true, but not the full truth. There aren´t words vast oder specific enough to capture the ecstasy and the ache and love and fear I feel just looking at him now."

“You watch someone date all these people, and you see how different they are with each of them, and then you watch them choose. Some people choose the person they have the best chemistry with, or that they have the most fun with, and some choose the one they think will make an amazing father, or who they´ve felt the safest opening up to. It´s fascinating. How so much of love is about who you are with someone.”

“God, Poppy, of course all of it was because of you. Everything is because of you. Everything.”


Das Urteil:


"People We Meet on Vacation" konnte leider nicht ganz meine Erwartungen erfüllen! Die nette Grundidee, die abwechselnde Erzählweise mit mehreren Zeitebenen, das Reisefieber, die sympathischen Figuren und der Slow-Burn-Friends-to-Lovers-Trope haben aber dennoch dafür gesorgt, dass ich das Buch gerne gelesen habe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.10.2022

Ein einfallsreiches und hochspannendes Science-Fiction-Abenteuer!

Das Babel Projekt – Lostlife
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Mit "LOSTL1F3" ist gestern der Mittelteil von Jay Kristoffs "Babel Projekt"-Trilogie erschienen. Nachdem mich Band 1, "LIFEL1K3", im Oktober des letzten Jahres schon in eine verseuchte Wüstenlandschaft ...

Mit "LOSTL1F3" ist gestern der Mittelteil von Jay Kristoffs "Babel Projekt"-Trilogie erschienen. Nachdem mich Band 1, "LIFEL1K3", im Oktober des letzten Jahres schon in eine verseuchte Wüstenlandschaft voll Schrott, Dreck, Tod und Wunder entführt hat und damit sehr überzeugen konnte, war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung des hochspannenden Actionabenteuers rund um Eve, Ezekiel und Lemon. Auch "LOSTL1F3" konnte mich wieder sehr mitreißen, war mir im Vergleich zum Auftakt aber eine Kleinigkeit zu temporeich und chaotisch erzählt...

Das Cover ist sehr nah an der Gestaltung von Band 1 gehalten und weicht nur mit einem anderen Titel und neuer Farbgebung ab. Neben dem prominenten Titel in Weiß ist im Hintergrund ein grauer, an ein Auge erinnernder Kreis voller Mechanik zu sehen, welcher sich durch eine strahlend himmelblaue Aura vom ansonsten dunklen Grund abhebt. Das Cover ist somit stimmig gestaltet und im wahrsten Sinne des Wortes ein Eye-Catcher... An dieser Stelle kritisch erwähnen möchte ich allerdings die Übersetzung, welche an einigen Stellen etwas holpert. Vor allem darüber, dass Bienen ständig als "Hummeln" übersetzt sind, bin ich immer wieder genervt gestolpert. Positiv an der Gestaltung hervorzuheben ist hingegen die Karte, welche in den beiden Innenseiten der Buchdeckel vorne und hinten abgebildet ist. Jene gibt einen Überblick über die einzelnen Standorte der Handlung und ist zusammen mit den vorangestellten drei Robotergesetzen und der Definitionen von Automata, Maschina und Logika sehr hilfreich beim Verstehen des Buches. Ebenfalls erleichtert wird uns der Wiedereinstieg in diese komplexe Welt durch ein vorangestelltes "Wer, was und warum", in welchem die wichtigsten Akteure, Figuren und Geschehnisse aus Band 1 zusammengefasst dargestellt sind.

Erster Satz: "Fast alle nannten sie Eve."

Und das ist auch dringend notwendig, denn Jay Kristoff hält sich nicht lange mit Erklärungen rund um sein Worldbuilding auf, sondern wirft uns abermals kopfüber in die Geschichte. Nach einem kurzen Prolog beginnt ohne große Umschweife direkt der erste von insgesamt drei gleichlangen Teilen, in denen der Autor seine zusammengewürfelte Gruppe ohne Verschnaufpause durch eine erbarmungslose, postapokalyptische Welt jagt. In Band 1 haben Eve, Lemon, Ezekiel und Cricket in Babel erschreckendes erfahren müssen und wurden daraufhin getrennt. Während Eve zusammen mit ihren Lifelike-Geschwistern nun nach der versteckten Ana Monrova sucht, mit deren Hilfe sie an die letzten Geheimnisse von Gnosis Labs kommen können, wird Lemon von einer BioMaas-Agentin verschleppt, Cricket bekommt es mit der Bruderschaft zu tun und Ezekiel muss sich an den Prediger halten, um seine Freunde im erbarmungslosen Yousay wiederzufinden. Anders als in Band 1 wechselt hier die Erzählperspektive aufgrund der aufgeteilten Handlungsstränge zwischen Lemon, Cricket und Ezekiel, während Eve nur zum Ende jedes der drei Teile aus ihrer Perspektive erzählt.

"Es tut mir leid, dass dein Leben nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast, aber genau das macht das Leben aus. Richtiges Leben! Leute lügen. Leute bauen Mist. Leute lassen einen im Stich. Aber ich kenne dich! Das Mädchen, als das du geschaffen wurdest, und das Mädchen, zu dem du danach wurdest. Und das Mädchen, das ich jetzt vor mir sehe, hat mit beiden absolut nichts mehr zu tun."

Gleich geblieben sind jedoch das beinahe irrsinnige hohe Erzähltempo und die wahnsinnige Handlungsdichte der Erzählung. Wir rennen hier an der Seite unserer Hauptfiguren von einem Desaster in das nächste und müssen nebenher auch noch geheimnisvolle Kräfte, alte Geheimnisse, neue Liebe und eine ordentliche Identitätskrise verdauen. Tödliche Roboterkämpfe in der Kampfkuppel, Überlebenskampf im Maschinenschrott, blutrünstige Bruderschaften, kybernetische Kopfgeldjäger, verstrahlte Glasstürme und lebendige Biowaffen sind nur einige der Bedrohungen, die unsere Figuren während der 496 Seiten auf Trab halten. Die Geschichte gleicht also einem einzigen Rausch aus Adrenalin, Action, Emotionen und Überraschungen von Anfang bis Ende, was für eine enorme Spannung sorgt, mir an einigen Stellen aber fast schon zu viel war, da man so kaum die Möglichkeit hat, das Gelesene zu verarbeiten. Und das wäre eigentlich dringend notwendig gewesen, denn so hat man nicht nur kaum Zeit über die Hintergründe der Handlung nachzudenken oder sich in die Figuren einzuspüren, die Wendungen wirken auch ein wenig zu überhastet. Während ich in Band 1 am laufenden Band mit überraschenden Wendungen bombardiert wurde, konnte ich einige der Wendungen in dieser Fortsetzung vorhersehen und selbst unvorhersehbare konnten nicht ganz ihre Überraschungswirkung entfalten.

"Sieh dich genau um. Dann sag uns, was sie sieht."
"Keine Ahnung." Lemon zuckte die Achseln. "Die Welt?"
"Ja." Jäger nickte. "Und Lemonfresh ist die Flut, die sie ertränken wird. der Sturm, der alles davonfegt." Jäger grinste bis zu den Eckzähnen. "Lemonfresh wird alles verändern."

Zusätzlich zu Erzähltempo und Handlungsdichte trägt Jay Kristoffs brachiale, aber detailversessene Art zu schreiben zu diesem leicht überfordernden, intensiv Gesamtbild bei. Auch wenn ich sehr beeindruckend finde, wie greifbar und szenisch er seine Geschichte vermittelt, schießt er für meinen Geschmack ab und zu etwas über das Ziel hinaus (zum Beispiel bei der Beschreibung von Farbe, Konsistenz und Geruch verschiedener Sorten von Schleim), sodass man zwischen Blut, Schnodder, Explosionen und Tod kaum weiß, wo einem der Kopf steht und diese hochspannende Reise durch eine dystopische Variante Kaliforniens beinahe zu intensiv wirkt. Angesiedelt ist die Geschichte in einem staubigen, lebensfeindlichen Wüstensetting voll Technologie und Abfall, welches definitiv "Mad Max"- und "Bladerunner"-Vibes verströmt und von verschiedenen Gegensätzen geprägt wird. Wir sehen, wie sich Fortschritt in den Trümmern einer alten Zivilisation erhebt, wie sich Großkonzerne um die Macht bekriegen, während in den Gassen Menschen neben Maschinen ums Überleben kämpfen und eine Bruderschaft Mutanten jagt, die sich mit besonderen Fähigkeiten aus dem Dreck zu erheben wagen.

"Ana war das Mädchen, das mir gezeigt hat, wie es ist, lebendig zu sein. Und wenn sie noch da draußen ist, dann bin ich es ihr schuldig, sie zu finden. Die vergangenen zwei Jahre, in denen ich dieses Ödland durchstreift habe... Manchmal haben mich nur die Gedanken an sie weitermachen lassen."
"Aber was ist, wenn das Mädchen, das du findest, nicht mehr das Mädchen ist, an das du dich erinnerst?"
"Sie wird immer das Mädchen sein, an das ich mich erinnere. Sie ist das Mädchen, das mich wahrhaftig gemacht hat."


Damit erfindet Jay Kristoff hier das Rad nicht komplett neu, dafür mischt er in seiner neuen Trilogie ein episches Reise-Abenteuer, eine Roboterrebellion, mutantische Magie, verbotene Liebe, Endzeitstimmung und die Mensch-vs.-Maschinen-Thematik so zusammen, dass ein Mix entsteht, dem man nicht widerstehen kann. Neben verschiedenen Arten von Robotern wie Machina, Automata und Logika, bevölkern Cyborgs, Mutanten und künstliche Lebewesen das vom Krieg und Umweltkatastrophen zerstörte Kalifornien. Die Linie zwischen Mensch und Maschine wird dabei wie in vielen Dystopien absichtlich aufgeweicht und verwischt. Das geschieht nicht nur durch die Existenz der Lifelikes - starke, schnelle und schöne Androiden, die trotz ihrer verbesserten Fähigkeiten so lebensähnlich sind und denken, lieben und hassen wie Menschen, dass sie auf den ersten Blick nicht von Menschen zu unterscheiden sind - sondern auch dadurch, dass Maschinen Gefühle zugestanden werden, zu liebenswerten Protagonisten werden und beginnen, für ihre eigene Freiheit zu kämpfen.

"Die ganze Welt ist still geworden. Und obwohl noch vor einem Augenblick alles ringsumher so laut und so hell gewesen ist, steht jetzt, da ich sie ansehe, alles und jeder absolut still. Ich weiß nicht, was ich fühle. Nur, dass ich es weiter fühlen möchte. Deshalb lächle ich und strecke ihr meine Hand entgegen. Meine Haut kitzelt an der Stelle, wo sie sie berührt. "Ich bin Ezekiel", sage ich.
"Ich heiße Ana", erwidert sie.
Der Name klingt wie ein Gedicht.
Ein Gebet.
Ein Versprechen.
Ana."


Nach den Enthüllungen von Band 1 ist klar, dass wir mit Evie, Ezekiel, Cricket und Lemon keine einzige rein menschliche Figure haben. Während Eve und Ezekiel Lifelikes sind und Cricket als Logika vom Hilfsbot zum Kampfbot aufgestiegen ist, hat sich Lemon als Mutantin, die Elektrik verschmoren kann, offenbart. Ein Beinahe-Junge mit mechanischem Herzen, ein Mädchen mit zu vielen Namen und einer ungewissen Zukunft und ein Mädchen ohne Namen mit unbekannter Vergangenheit? Damit ist jeder der Charaktere auf seine Art und Weise ein Ausgestoßener und bringt um einiges mehr mit, als man das auf den ersten Blick erwartet. Neben der großen Frage nach der Maschinen-Ethik und was Freundschaft, Loyalität und auch Liebe im Kontext der drei Maschinen-Gesetze bedeuten, müssen die Hauptfiguren jeweils noch ihre eigenen Dämonen bekämpfen. Auch die Dynamik der drei, welche von Humor, aber auch von tiefer Liebe in unterschiedlichen Formen geprägt ist, ist wirklich wundervoll. Am meisten ins Herz geschlossen habe ich immer noch Cricket und werde loyal gegen jeden in den Krieg ziehen, der ihn klein nennt! Ergänzt wird die bunte Truppe durch einen Haufen neuer Nebenfiguren wie Diesel, Fix, Grimm, Abraham, der Major, Jäger oder die Reiter der Bruderschaft.

"EVIE, WAS HAST DU GETAN?". Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb langsam. Asche im Wind, in ihrem Haar, auf ihrer Haut. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, ihre blutigen Finger schimmerten im Feuerschein. "Komm mit mir, Cricket." "WAS HAST DU GETAN?", rief er und macht einen zitternden Schritt nach vorn. "Ich habe die Augen geöffnet", sagte sie. "Und dir kann ich sie auch öffnen."


Etwas schade ist nur, dass wir von Eves Sinneswandel und ihren Abgründen nach der Entscheidung, sich den Lifelikes anzuschließen hier kaum mehr etwas mitbekommen. Statt ihres Identitätskonflikts um Gnosis, Ana Monrova und ihr Dasein als Lifelike aufzuschlüsseln, sehen wir nur von außen, zu welchen Taten, die Verzweiflung sie treibt. Auch wenn ihre Abwesenheit dazu führt, dass Lemon, Cricket und Ezekiel stärker in den Vordergrund rücken - wir beispielsweise mehr über Lemons Vergangenheit herausfinden oder Einblicke in Ezekiels Beziehung zu Ana bekommen - und es sehr spannend ist, mehr über die drei zu erfahren, hoffe ich sehr, dass wir im nächsten Band wieder mehr von ihr lesen werden.

Apropos nächster Band. Genau wie "LIFEL1K3" endet auch "LOSTL1F3" mit einem wirklich fiesen Cliffhanger, der so viel offenlässt und zerstört, dass man unmöglich lange auf den Folgeband warten kann. Wann dieser erscheinen wird, ist leider noch unklar. Im Englischen hat die Reihe aber schon mit "TRUEL1F3" einen Abschluss gefunden, hoffen wir also mal, dass sich der Verlag beim Übersetzen nicht zu viel Zeit lässt...


Fazit:


Mit "LOSTL1F3" geht ein einfallsreiches und hochspannendes Science-Fiction-Abenteuer in die zweite Runde. Mit einem komplexen Worldbuilding, interessanten Ideen, vielschichtigen Figuren, einem enorm hohen Erzähltempo und einer wahnsinnigen Handlungsdichte ist auch diese Fortsetzung definitiv wieder in Highlight. Abzug gibt es nur für den leicht chaotischen und überhetzten Eindruck, der durch das hohe Erzähltempo entsteht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.10.2022

Ein einfallsreiches und hochspannendes Science-Fiction-Abenteuer

Das Babel Projekt – Lostlife
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Mit "LOSTL1F3" ist gestern der Mittelteil von Jay Kristoffs "Babel Projekt"-Trilogie erschienen. Nachdem mich Band 1, "LIFEL1K3", im Oktober des letzten Jahres schon in eine verseuchte Wüstenlandschaft ...

Mit "LOSTL1F3" ist gestern der Mittelteil von Jay Kristoffs "Babel Projekt"-Trilogie erschienen. Nachdem mich Band 1, "LIFEL1K3", im Oktober des letzten Jahres schon in eine verseuchte Wüstenlandschaft voll Schrott, Dreck, Tod und Wunder entführt hat und damit sehr überzeugen konnte, war ich sehr gespannt auf die Fortsetzung des hochspannenden Actionabenteuers rund um Eve, Ezekiel und Lemon. Auch "LOSTL1F3" konnte mich wieder sehr mitreißen, war mir im Vergleich zum Auftakt aber eine Kleinigkeit zu temporeich und chaotisch erzählt...

Das Cover ist sehr nah an der Gestaltung von Band 1 gehalten und weicht nur mit einem anderen Titel und neuer Farbgebung ab. Neben dem prominenten Titel in Weiß ist im Hintergrund ein grauer, an ein Auge erinnernder Kreis voller Mechanik zu sehen, welcher sich durch eine strahlend himmelblaue Aura vom ansonsten dunklen Grund abhebt. Das Cover ist somit stimmig gestaltet und im wahrsten Sinne des Wortes ein Eye-Catcher... An dieser Stelle kritisch erwähnen möchte ich allerdings die Übersetzung, welche an einigen Stellen etwas holpert. Vor allem darüber, dass Bienen ständig als "Hummeln" übersetzt sind, bin ich immer wieder genervt gestolpert. Positiv an der Gestaltung hervorzuheben ist hingegen die Karte, welche in den beiden Innenseiten der Buchdeckel vorne und hinten abgebildet ist. Jene gibt einen Überblick über die einzelnen Standorte der Handlung und ist zusammen mit den vorangestellten drei Robotergesetzen und der Definitionen von Automata, Maschina und Logika sehr hilfreich beim Verstehen des Buches. Ebenfalls erleichtert wird uns der Wiedereinstieg in diese komplexe Welt durch ein vorangestelltes "Wer, was und warum", in welchem die wichtigsten Akteure, Figuren und Geschehnisse aus Band 1 zusammengefasst dargestellt sind.

Erster Satz: "Fast alle nannten sie Eve."

Und das ist auch dringend notwendig, denn Jay Kristoff hält sich nicht lange mit Erklärungen rund um sein Worldbuilding auf, sondern wirft uns abermals kopfüber in die Geschichte. Nach einem kurzen Prolog beginnt ohne große Umschweife direkt der erste von insgesamt drei gleichlangen Teilen, in denen der Autor seine zusammengewürfelte Gruppe ohne Verschnaufpause durch eine erbarmungslose, postapokalyptische Welt jagt. In Band 1 haben Eve, Lemon, Ezekiel und Cricket in Babel erschreckendes erfahren müssen und wurden daraufhin getrennt. Während Eve zusammen mit ihren Lifelike-Geschwistern nun nach der versteckten Ana Monrova sucht, mit deren Hilfe sie an die letzten Geheimnisse von Gnosis Labs kommen können, wird Lemon von einer BioMaas-Agentin verschleppt, Cricket bekommt es mit der Bruderschaft zu tun und Ezekiel muss sich an den Prediger halten, um seine Freunde im erbarmungslosen Yousay wiederzufinden. Anders als in Band 1 wechselt hier die Erzählperspektive aufgrund der aufgeteilten Handlungsstränge zwischen Lemon, Cricket und Ezekiel, während Eve nur zum Ende jedes der drei Teile aus ihrer Perspektive erzählt.

"Es tut mir leid, dass dein Leben nicht so gelaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast, aber genau das macht das Leben aus. Richtiges Leben! Leute lügen. Leute bauen Mist. Leute lassen einen im Stich. Aber ich kenne dich! Das Mädchen, als das du geschaffen wurdest, und das Mädchen, zu dem du danach wurdest. Und das Mädchen, das ich jetzt vor mir sehe, hat mit beiden absolut nichts mehr zu tun."

Gleich geblieben sind jedoch das beinahe irrsinnige hohe Erzähltempo und die wahnsinnige Handlungsdichte der Erzählung. Wir rennen hier an der Seite unserer Hauptfiguren von einem Desaster in das nächste und müssen nebenher auch noch geheimnisvolle Kräfte, alte Geheimnisse, neue Liebe und eine ordentliche Identitätskrise verdauen. Tödliche Roboterkämpfe in der Kampfkuppel, Überlebenskampf im Maschinenschrott, blutrünstige Bruderschaften, kybernetische Kopfgeldjäger, verstrahlte Glasstürme und lebendige Biowaffen sind nur einige der Bedrohungen, die unsere Figuren während der 496 Seiten auf Trab halten. Die Geschichte gleicht also einem einzigen Rausch aus Adrenalin, Action, Emotionen und Überraschungen von Anfang bis Ende, was für eine enorme Spannung sorgt, mir an einigen Stellen aber fast schon zu viel war, da man so kaum die Möglichkeit hat, das Gelesene zu verarbeiten. Und das wäre eigentlich dringend notwendig gewesen, denn so hat man nicht nur kaum Zeit über die Hintergründe der Handlung nachzudenken oder sich in die Figuren einzuspüren, die Wendungen wirken auch ein wenig zu überhastet. Während ich in Band 1 am laufenden Band mit überraschenden Wendungen bombardiert wurde, konnte ich einige der Wendungen in dieser Fortsetzung vorhersehen und selbst unvorhersehbare konnten nicht ganz ihre Überraschungswirkung entfalten.

"Sieh dich genau um. Dann sag uns, was sie sieht."
"Keine Ahnung." Lemon zuckte die Achseln. "Die Welt?"
"Ja." Jäger nickte. "Und Lemonfresh ist die Flut, die sie ertränken wird. der Sturm, der alles davonfegt." Jäger grinste bis zu den Eckzähnen. "Lemonfresh wird alles verändern."

Zusätzlich zu Erzähltempo und Handlungsdichte trägt Jay Kristoffs brachiale, aber detailversessene Art zu schreiben zu diesem leicht überfordernden, intensiv Gesamtbild bei. Auch wenn ich sehr beeindruckend finde, wie greifbar und szenisch er seine Geschichte vermittelt, schießt er für meinen Geschmack ab und zu etwas über das Ziel hinaus (zum Beispiel bei der Beschreibung von Farbe, Konsistenz und Geruch verschiedener Sorten von Schleim), sodass man zwischen Blut, Schnodder, Explosionen und Tod kaum weiß, wo einem der Kopf steht und diese hochspannende Reise durch eine dystopische Variante Kaliforniens beinahe zu intensiv wirkt. Angesiedelt ist die Geschichte in einem staubigen, lebensfeindlichen Wüstensetting voll Technologie und Abfall, welches definitiv "Mad Max"- und "Bladerunner"-Vibes verströmt und von verschiedenen Gegensätzen geprägt wird. Wir sehen, wie sich Fortschritt in den Trümmern einer alten Zivilisation erhebt, wie sich Großkonzerne um die Macht bekriegen, während in den Gassen Menschen neben Maschinen ums Überleben kämpfen und eine Bruderschaft Mutanten jagt, die sich mit besonderen Fähigkeiten aus dem Dreck zu erheben wagen.

"Ana war das Mädchen, das mir gezeigt hat, wie es ist, lebendig zu sein. Und wenn sie noch da draußen ist, dann bin ich es ihr schuldig, sie zu finden. Die vergangenen zwei Jahre, in denen ich dieses Ödland durchstreift habe... Manchmal haben mich nur die Gedanken an sie weitermachen lassen."
"Aber was ist, wenn das Mädchen, das du findest, nicht mehr das Mädchen ist, an das du dich erinnerst?"
"Sie wird immer das Mädchen sein, an das ich mich erinnere. Sie ist das Mädchen, das mich wahrhaftig gemacht hat."


Damit erfindet Jay Kristoff hier das Rad nicht komplett neu, dafür mischt er in seiner neuen Trilogie ein episches Reise-Abenteuer, eine Roboterrebellion, mutantische Magie, verbotene Liebe, Endzeitstimmung und die Mensch-vs.-Maschinen-Thematik so zusammen, dass ein Mix entsteht, dem man nicht widerstehen kann. Neben verschiedenen Arten von Robotern wie Machina, Automata und Logika, bevölkern Cyborgs, Mutanten und künstliche Lebewesen das vom Krieg und Umweltkatastrophen zerstörte Kalifornien. Die Linie zwischen Mensch und Maschine wird dabei wie in vielen Dystopien absichtlich aufgeweicht und verwischt. Das geschieht nicht nur durch die Existenz der Lifelikes - starke, schnelle und schöne Androiden, die trotz ihrer verbesserten Fähigkeiten so lebensähnlich sind und denken, lieben und hassen wie Menschen, dass sie auf den ersten Blick nicht von Menschen zu unterscheiden sind - sondern auch dadurch, dass Maschinen Gefühle zugestanden werden, zu liebenswerten Protagonisten werden und beginnen, für ihre eigene Freiheit zu kämpfen.

"Die ganze Welt ist still geworden. Und obwohl noch vor einem Augenblick alles ringsumher so laut und so hell gewesen ist, steht jetzt, da ich sie ansehe, alles und jeder absolut still. Ich weiß nicht, was ich fühle. Nur, dass ich es weiter fühlen möchte. Deshalb lächle ich und strecke ihr meine Hand entgegen. Meine Haut kitzelt an der Stelle, wo sie sie berührt. "Ich bin Ezekiel", sage ich.
"Ich heiße Ana", erwidert sie.
Der Name klingt wie ein Gedicht.
Ein Gebet.
Ein Versprechen.
Ana."


Nach den Enthüllungen von Band 1 ist klar, dass wir mit Evie, Ezekiel, Cricket und Lemon keine einzige rein menschliche Figure haben. Während Eve und Ezekiel Lifelikes sind und Cricket als Logika vom Hilfsbot zum Kampfbot aufgestiegen ist, hat sich Lemon als Mutantin, die Elektrik verschmoren kann, offenbart. Ein Beinahe-Junge mit mechanischem Herzen, ein Mädchen mit zu vielen Namen und einer ungewissen Zukunft und ein Mädchen ohne Namen mit unbekannter Vergangenheit? Damit ist jeder der Charaktere auf seine Art und Weise ein Ausgestoßener und bringt um einiges mehr mit, als man das auf den ersten Blick erwartet. Neben der großen Frage nach der Maschinen-Ethik und was Freundschaft, Loyalität und auch Liebe im Kontext der drei Maschinen-Gesetze bedeuten, müssen die Hauptfiguren jeweils noch ihre eigenen Dämonen bekämpfen. Auch die Dynamik der drei, welche von Humor, aber auch von tiefer Liebe in unterschiedlichen Formen geprägt ist, ist wirklich wundervoll. Am meisten ins Herz geschlossen habe ich immer noch Cricket und werde loyal gegen jeden in den Krieg ziehen, der ihn klein nennt! Ergänzt wird die bunte Truppe durch einen Haufen neuer Nebenfiguren wie Diesel, Fix, Grimm, Abraham, der Major, Jäger oder die Reiter der Bruderschaft.

"EVIE, WAS HAST DU GETAN?". Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb langsam. Asche im Wind, in ihrem Haar, auf ihrer Haut. Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, ihre blutigen Finger schimmerten im Feuerschein. "Komm mit mir, Cricket." "WAS HAST DU GETAN?", rief er und macht einen zitternden Schritt nach vorn. "Ich habe die Augen geöffnet", sagte sie. "Und dir kann ich sie auch öffnen."


Etwas schade ist nur, dass wir von Eves Sinneswandel und ihren Abgründen nach der Entscheidung, sich den Lifelikes anzuschließen hier kaum mehr etwas mitbekommen. Statt ihres Identitätskonflikts um Gnosis, Ana Monrova und ihr Dasein als Lifelike aufzuschlüsseln, sehen wir nur von außen, zu welchen Taten, die Verzweiflung sie treibt. Auch wenn ihre Abwesenheit dazu führt, dass Lemon, Cricket und Ezekiel stärker in den Vordergrund rücken - wir beispielsweise mehr über Lemons Vergangenheit herausfinden oder Einblicke in Ezekiels Beziehung zu Ana bekommen - und es sehr spannend ist, mehr über die drei zu erfahren, hoffe ich sehr, dass wir im nächsten Band wieder mehr von ihr lesen werden.

Apropos nächster Band. Genau wie "LIFEL1K3" endet auch "LOSTL1F3" mit einem wirklich fiesen Cliffhanger, der so viel offenlässt und zerstört, dass man unmöglich lange auf den Folgeband warten kann. Wann dieser erscheinen wird, ist leider noch unklar. Im Englischen hat die Reihe aber schon mit "TRUEL1F3" einen Abschluss gefunden, hoffen wir also mal, dass sich der Verlag beim Übersetzen nicht zu viel Zeit lässt...


Fazit:


Mit "LOSTL1F3" geht ein einfallsreiches und hochspannendes Science-Fiction-Abenteuer in die zweite Runde. Mit einem komplexen Worldbuilding, interessanten Ideen, vielschichtigen Figuren, einem enorm hohen Erzähltempo und einer wahnsinnigen Handlungsdichte ist auch diese Fortsetzung definitiv wieder in Highlight. Abzug gibt es nur für den leicht chaotischen und überhetzten Eindruck, der durch das hohe Erzähltempo entsteht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.10.2022

Ein politisches, abenteuerliches High Fantasy-Highlight!

Die Saphirkrone
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Mit "Die Saphirkrone" erschien vor zwei Wochen der Auftakt der neuen "Gargoyle Queen"-Reihe, welche in direkter Verbindung mit Jennifer Esteps "Splitterkrone"-Reihe rund um "Kill the Queen", "Protect the ...

Mit "Die Saphirkrone" erschien vor zwei Wochen der Auftakt der neuen "Gargoyle Queen"-Reihe, welche in direkter Verbindung mit Jennifer Esteps "Splitterkrone"-Reihe rund um "Kill the Queen", "Protect the Prince" und "Crush the King" steht, welche ich 2020 mit großer Freude gelesen habe und nun die Geschichte der dort vorkommenden Kronprinzessin Gemma erzählt. Die beiden Reihen können zwar theoretisch unabhängig voneinander gelesen werden, ich kann potenziellen LeserInnen von "Die Saphirkrone" aber definitiv ans Herz legen, die Hauptreihe zuerst zu lesen. Erstens weil sie an sich sehr lesenswert ist, zweitens weil man mehr Spaß hat, wenn man alle Anspielungen und Eastereggs versteht. Da wir die Splitterkrone-Trilogie ebenfalls zusammen gelesen haben, habe ich auch "Die Saphirkrone" wieder als Buddyread zusammen mit Sofia von "Sofias kleine Bücherwelt" (wie immer an dieser Stelle ein kurzes Shoutout!!) gelesen. "Die Saphirkrone" kann für mich unterm Strich bisher noch nicht ganz mit der Hauptreihe mithalten, ist als abenteuerliches Spionage-Sequel aber definitiv lesenswert!

Das Cover und der Titel der deutschen Ausgabe erinnern anders als die Originaledition nur wenig an die Gestaltung der Hauptreihe. Während sich im Englischen der Titel "Capture the Crown" perfekt in die Reihe der Titel von Band eins bis drei einreiht, stechen der deutsche Titel und das Cover etwas heraus. Zu sehen ist der Titel in weißen geschwungenen Großbuchstaben vor einem dunklen Hintergrund, der von blauen Lichtpunkten durchzogen ist und im unteren Teil des Bildes eine silberne, mit blauen Edelsteinen besetzte Krone zeigt. Die Gestaltung des Covers ist unterm Strich also stimmig und hübsch anzusehen, dabei aber leider recht nichtssagend und für meinen Geschmack zu weit von der Gestaltung der anderen Bände entfernt. Ebenfalls schade fand ich, dass wir hier anders als in der Hauptreihe keine beigefügte Karte von Jennifer Esteps Fantasy-Welt erhalten. Gerade da wir mit unseren Figuren verreisen und ein neues Königreich kennenlernen, wäre eine Karte hier sehr hilfreich gewesen!

Erster Satz: "Ich liebe mein Leben als Prinzessin".

Ganz entgegen meiner Erwartung und im Gegensatz zu diesem Einstiegssatz entführt uns Jennifer Estep nicht in das glamouröse Leben einer Prinzessin, sondern schickt uns LeserInnen gemeinsam mit der Kronprinzessin von Andvari Gemma Ripley auf eine gefährliche Undercover-Spionage-Mission an der mortanischen Grenze. Wer bereits die "Splitterkrone"-Reihe gelesen hat, der weiß, dass dem Königreich Morta mit der aktuell herrschenden Königin Maeve Morricone nicht zu trauen ist und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass Gemma auf der Suche nach verschwundenem Zährenstein aus ihrer Miene auf eine verdächtige Spur stößt, die sie geradewegs ins Herz von Morta führt: den königlichen Palast Myrkvior in Majesta, wo es nicht nur von Feinden wimmelt, sondern wo auch ihr Erzfeind aus Kindestagen auf sie wartet...

"Wo... bringst du mich ...hin?", krächzte ich. Ein Dutzend schrecklicher Szenarien glitt durch meine Gedanken. Und bevor ich in der Bewusstlosigkeit versank, hörte ich, wie er meine schlimmste Angst bestätigte.
"Nach Hause", antwortete er sanft, "Nach Morta."

Genau wie in ihrer Hauptreihe präsentiert uns Jennifer Estep mit "Die Saphirkrone" also wieder ein politisches, abenteuerliches High Fantasy-Highlight voller Intrigen, Spionage, Verrat und ein bisschen Romantik. Letztere bleibt trotz des Enemies-to-Lovers-Potentials zwar stark im Hintergrund, dafür sind aber einige spannende Crime-Elemente enthalten und wir erhalten hier erstmals einen Blick auf das Königreich Morta. Nachdem wir schon Unger, Bellona und Andvari aus erster Hand kennengelernt haben, dürfen wir nun hinter die Kulissen des zuvor so feindlich und grausam aufgetretenen Königreichs Morta werfen, die Strukturen am Hof besser kennenlernen und die seit Generationen vor sich hin schwärenden Konflikten innerhalb der Königsfamilie begutachten, welche erklären und verständlich machen, weshalb sich die Morricones in den letzten Jahren so kriegerisch verhalten haben, wie wir es aus der Hauptreihe kennen. Besonders im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen hier die mortanische Königin Maeven, ihr Sohn Milo und dessen Verlobte aus einer weiteren einflussreichen mortanischen Familie, deren Plänen Gemma als Spionin auf die Schliche kommen muss, um eine weitere Gefährdung ihres Königreichs zu verhindern.

"Ich war der Sturm. Unvorhersehbar. Unkontrollierbar. Nicht aufzuhalten."

Nach einem flotten Einstieg inklusive Beinahetod, Kampfszenen und Lebensgefahr nimmt sich "Die Saphirkrone" im Mittelteil recht viel Zeit, die Gegebenheiten am neuen Hof in Morta auszuloten und Gemmas Beziehung zu Leo zu vertiefen. Das ist auch keineswegs ein Problem, an manchen Stellen reichen gezielte Intrigen zwischen Kaffeekränzchen und ein Kampf nach einer königlichen Audienz jedoch einfach nicht aus, um darüber hinwegzutäuschen, dass Jennifer Estep von Zeit zu Zeit etwas zu sehr ins Schwafeln gerät. In der Splitterkrone-Reihe waren Informationen über Setting und Figuren eher beiläufig platziert und ließen mehr Raum für die aufs Ganze gehende Handlung. Hier werden Kleidung, Zimmer, Magie und Gärten manchmal seitenlang beschrieben. Die ausführlichen, teilweise abschweifenden Beschreibungen regen zwar die Fantasie stark an, bremsen die Handlung jedoch ein wenig aus und lassen den Eindruck entstehen, dass die Geschichte im Verhältnis zur Handlung etwas zu viele Seiten hat. Zwar erhalten wir neben der Haupthandlung ab und an spannende Rückblicke in die Kindheit der Protagonistin, die auch ihre erste Begegnung mit Leonidas beschreiben und uns Hintergründe der Handlung besser verstehen lassen, hier wäre zur weiteren Auffrischung aber eventuell ein paralleler Handlungsstrang oder eine weitere Erzählperspektive hilfreich gewesen...

"Ich mochte es als akzeptables Risiko betrachtet haben, hierzubleiben und in den gefährlichen Gewässern von Myrkvior zu schwimmen. Doch jetzt hatte die Flut eingesetzt, und es wurde Zeit, sich wieder ans Ufer zu begeben, bevor ich in meinem eigenen Blut ertrank"

Langweilig wird es aber trotzdem nie. Dafür sorgen zum einen der für High Fantasy recht temporeiche und dynamische Erzählstil, der die Handlung zu jeder Zeit vorwärts treibt und Längen verhindert. Mit spannenden Kämpfen, Intrigen, Geheimnissen, Reisen durch mehrere Königreiche, der Vorstellung von Fabelwesen wie Gargoyles oder Strixen und dem Kennenlernen von verschiedenen Arten von Magiern - Murkse, die eine verbesserte Körpereigenschaft besitzen, Morphe, die sich in Monstergestalten verwandeln, Magier, die Elemente kontrollieren und Meister, die aus Materialien die beeindruckendsten Dinge herstellen können - bekommen wir zu zum anderen genügend Spannendes präsentiert, dass man darüber wegsehen kann, dass auch hier einige Fantasy-Klischees verbaut wurden und die Handlung zwar sehr stimmig aufgelöst und überraschend unvorhersehbar, an einigen Stellen aber auch ein bisschen fragwürdig ist (Spoiler: Dass Gemma als Prinzessin einfach ihre Haare etwas schneiden und dunkler färben und sich dann als Spionin unerkannt in einen feindlichen Palast einschleusen kann, erschien mir die ganze Zeit über ein wenig unglaubwürdig. Klar hat sie die meisten Höflinge noch nie persönlich getroffen, aber man will doch meinen, dass sie trotzdem einer erkennt - sei es wegen der schlechten Verkleidung, ihrem teilweise auffälligen Verhalten oder weil er oder sie sie bereits auf einem Fest gesehen hat).

"Ich wusste immer, dass du glorreich bist." Trotz der Entfernung hörte ich die tiefe Überzeugung in seinen Worten und konnte nichts gegen die Freude tun, die mein Herz dabei erfüllt. "Jetzt weiß dein Volk das auch."

Auch die weibliche Hauptfigur Gemma blieb für mich ein wenig hinter der Protagonistin der Hauptreihe zurück. Nach wenigen Kapiteln aus ihrer Perspektive ist mir bereits aufgefallen, dass sie Evie in vielen Charaktereigenschaften stark ähnelt, auch wenn sie deutlich jugendlicher und weniger abgeklärt wirkt als unsere Heldin aus Band 1-3. Mit ihren 29 Jahren ist sie überraschend alt (wenn man bedenkt, dass wir Gemma als 12jähriges Mädchen in der Hauptreihe kennenlernen), könnte nach ihrem teilweise etwas naiven Verhalten und den vielen ungeklärten emotionalen Problemen (zum Beispiel mit ihrer Macht) aber deutlich jünger sein. Da sie wie Evie sehr mutig, loyal ihrem Land gegenüber, dabei aber auch voll Mitgefühl, Wärme und dem genau richtigen Maß an zerbrechlichem Selbstbewusstsein ist, habe ich sie aber sehr schnell ins Herz geschlossen und für ihre Stärke bewundert. Genau wie in der Hauptreihe blieb sie nicht die einzige starke Frau, die sich nichts sagen lässt und die wir hier bewundern dürfen. Neben Gemma, der geheimnisvollen Spionin Reiko und der Prinzessin Delmira ist vor allem die Antagonistin, die skrupellose mortanische Königin Maeven, eine vielschichtige ambivalente Figur, die mich sehr fasziniert hat. Ich bin ein großer Fan von feministischer Fantasy, in der es Königinnen und Kämpferinnen gibt, die sich nicht von irgendwelchen Rittern retten lassen oder von gutaussehenden Prinzen abgelenkt werden, sondern selbst das Heft in die Hand nehmen, wodurch Jennifer Estep noch weitere Pluspunkte sammeln konnte.

"Keine Sorge", murmelte Leonidas. "Bei mir wirst du immer in Sicherheit sein." Er sprach leise, doch in seinen Worten schwang ein wildes Versprechen mit, bei dem mein verräterisches Herz schneller schlug."


Mit dem Mentalmagier und Gemmas Nemesis aus Kindertagen Leonidas haben wir einen nach Geißblatt-duftenden, Bibliothek-besitzenden, gutaussehenden und beschützerischen Love Interest (-->❤️), der mir sehr schnell ans Herz gewachsen ist. Auch wenn er als mortanischer Prinz alles verkörpert, was Gemma hasst und die beiden eine komplizierte, belastete Vergangenheit verbindet, sehen wir sofort, dass er anders ist als seine Familie und es trotz einiger bedauernswerter Ausrutscher tief im Herzen gut meint. In Kombination entwickeln die beiden eine sehr interessante Dynamik und eine überraschende Chemie, sodass ich mich auf der einen Seite etwas geärgert habe, dass sie nicht mehr Szenen zusammen habe, mich auf der anderen Seite deshalb aber nur noch mehr auf Band 2 freue. Ich hoffe, dann bekommen wir auch ein paar weitere Szenen mit Gemmas Gargoyle Grimley und Leonidas Strix Lyra (die Autorin hat echt ein Faible für Alliterationen, wenn ihr es noch nicht bemerkt habt)!!!

Ebenfalls ein wenig mehr erhofft hatte ich mir bezüglich Auftritte von Figuren aus der Hauptreihe. Ich kann verstehen, weshalb die Autorin es hier größtenteils bei kurzen Nennungen von Evie, Lucas, Alvis, Xenia und Co gelassen hat, hätte mich aber sehr gefreut, noch ein bisschen mehr von unseren Helden zu lesen. Aber das kann in den Folgebänden ja noch kommen... Der nächste Teil der Gargoyle-Queen-Reihe wird uns zusätzlich durch eine kurze Leseprobe am Ende des Buches schmackhaft gemacht. "Der Dornenthron" erscheint allerdings erst am 30. März 2023, wir müssen uns also noch ein wenig gedulden. Angesichts der langen Wartezeit ist es praktisch, dass uns der spannende Showdown ohne krassen Cliffhanger, dafür aber durchaus mit vielen offenen Fragen und Anknüpfungspunkten gespannt auf Band 2 zurücklässt.


Fazit:


"Die Saphirkrone" ist ein politisches, abenteuerliches High Fantasy-Highlight voller Intrigen, Spionage, Verrat und einem Schuss Romantik. Zwar bleibt das Sequel was Figuren und Handlung angeht leicht hinter der Haupt-Trilogie zurück, ich kann Euch diesen hochspannenden Ausflug ins mörderische Morta aber trotzdem ausdrücklich empfehlen!

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Unterhaltsam, verstörend und inspirierend

Achtsam morden
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Handlung: Nachdem mir "Achtsam morden" nun schon von ganz unterschiedlichen Seiten herzlich empfohlen wurde, musste ich mir den Hype um Karsten Dusses Crime-Comedy-Achtsamkeitsratgeber selbst ansehen. ...

Handlung: Nachdem mir "Achtsam morden" nun schon von ganz unterschiedlichen Seiten herzlich empfohlen wurde, musste ich mir den Hype um Karsten Dusses Crime-Comedy-Achtsamkeitsratgeber selbst ansehen. Und tatsächlich: wie der Autor eine spannende Kriminalhandlung mit morbidem Witz und hilfreichen Achtsamkeitsratschlägen verbindet ist tatsächlich so einmalig wie lesenswert. Betrachtet man die Handlung, die den Werdegang eines gestressten Anwalts zu einem achtsam mordenden Kopf eines Verbrechersyndikats beschreibt, kritisch, so hat sie definitiv 100 Seiten Übergewicht und hätte ohne einige Wiederholungen brillieren können. Zuviel über die Logik der Handlung nachgrübeln darf man ebenfalls nicht, aber dank ständigen Überraschungen und wohlplatziertem Witz, hat man dazu auch keinen Anlass.

Schreibstil:
Das Beste an der Geschichte ist der sehr morbide, schwarze Humor. Egal ob es um die Knappheit an Kindergartenplätzen, explodierende Autobomben, die Hochschulabschlüsse von Schwerverbrechern, die Nährwerte von McDonalds-Essen oder Elektroschockfolter geht - Karsten Dusse schreibt mit rabenschwarzem Sarkasmus und provozierender Ehrlichkeit, was wir alle schonmal gedacht haben, aber uns nie auszusprechen getraut hätten. Als weiteren stimmungsvollen Kontrapunkt zu der blutigen Handlung und dem absurden Humor streut er Achtsamkeitsübungen, Ratschläge und Lebensweisheiten des fiktiven Coaches Joschka Breitners aus dessen Ratgeber "Entschleunigt auf der Überholspur - Achtsamkeit für Führungskräfte" ein. Diese kurze Einschübe lockern nicht nur die Erzählung gelungen auf, sondern regen tatsächlich nebenbei zum Nachdenken an und inspirieren - hoffentlich zu keiner Straftat -, aber vielleicht doch zu dem ein oder anderen größeren oder kleineren Lebenswandel.

Figuren:
Gut gefallen hat mir auch die Hauptfigur Björn Diemel, die abseits jeglicher Moral, politischer Korrektheit oder Gesetz agiert, dabei aber dennoch eine sympathische Identifikationsfigur bleibt. Egal wie tief sich der Anwalt und Ich-Erzähler in der Welt des Verbrechens verstrickt, man fiebert unweigerlich mit, drückt ihm die Daumen, dass seine zwielichtigen Pläne aufgehen und bewundert insgeheim seine gelassene Effizienz, mit der er sich Probleme vom Hals schafft. Auch einige seiner Verbrecher-Kumpels wachsen einem mit der Zeit überraschend ans Herz, sodass ich gerade überlege trotz des sehr stimmigen und eigentlich abgeschlossenen Endes auch die Folgebände zu lesen.

Das Zitat

"Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten, stehen Sie vor einer Tür und warten. Wenn Sie sich mit Ihrer Frau streiten, streiten Sie sich mit Ihrer Frau. Das ist Achtsamkeit. Wenn Sie vor einer Tür stehen und warten und die Wartezeit dazu nutzen, sich in Gedanken zusätzlich noch mit Ihrer Frau zu streiten, dann ist das nicht Achtsamkeit, dann ist das einfach nur blöd."



Das Urteil:


"Achtsam morden" ist unterhaltsam, verstörend und inspirierend in einem. Karsten Dusse verbindet hier eine spannende Kriminalhandlung mit morbidem Witz und hilfreichen Achtsamkeitsratschlägen und schafft so eine einmalige wie lesenswerte Geschichte!

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