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Veröffentlicht am 16.01.2021

Königliche Unterhaltung

Das Windsor-Komplott
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Ältere englische Damen stehen ja spätestens seit Agatha Christies legendärer Jane Marple und der Autorin selbst gerne mal im Verdacht, die perfekten Krimi-Ermittlerinnen zu sein. Nun gesellt ...

Ältere englische Damen stehen ja spätestens seit Agatha Christies legendärer Jane Marple und der Autorin selbst gerne mal im Verdacht, die perfekten Krimi-Ermittlerinnen zu sein. Nun gesellt sich zu dieser illustren Runde auch noch die wahrscheinlich berühmteste ältere englische Dame der Welt hinzu: Queen Elizabeth II. höchstpersönlich. Die Idee, die Queen zur Protagonistin eines Cosy-Krimis zu machen finde ich einfach wunderbar, zudem beschäftige ich mich ganz gern mit den Royals und deswegen durfte ich mir “Das Windsor Komplott” natürlich nicht entgehen lassen.

Die Handlung des Romans beginnt im April 2016, den die Monarchin in ihrem geliebten Schloss Windsor verbringt, wohin sie sich traditionell jedes Jahr für einen Monat im Frühling zurückzieht. Nach einer Abendgesellschaft, zu der zahlreiche Gäste geladen sind, wird ein junger russischer Pianist tot in seinem Gästezimmer auf dem Schloss aufgefunden. Der MI5 stellt fest, dass der junge Mann ermordet wurde und wittert eine russische Verschwörung. Die Monarchin, die gerade kurz vor ihrem 90. Geburtstag steht, beginnt auf eigene Faust zu ermitteln, mit der Hilfe ihrer toughen neuen Privatsekretärin Rozie: Wer wollte den jungen attraktiven Maksim Brodsky töten und: hat die russische Mafia etwas damit zu tun oder war es doch ganz anders?

Obwohl das Setting mit Schloss Windsor nicht urenglischer oder aristokratischer sein könnte, ist die Handlung des Krimis doch recht modern und erinnert eher an einen Spionageroman als an einen Landhauskrimi von Agatha Christie. Durch die Perspektive der Königshaus-Angestellten Rozie, und natürlich die der Queen selbst, fühlt man sich auch etwas an die TV-Serie "Downton Abbey" erinnert: Man bekommt sowohl die "Upstairs"-Perspektive der Adeligen als auch die "Downstairs"-Seite des Personals präsentiert.

SJ Bennett zeichnet die Queen als sehr menschlichen, klugen Charakter, mit einem wachen Blick und viel Empathie für die Probleme anderer. Überhaupt nicht abgehoben oder weltfremd, sondern interessiert und sehr sympathisch. Ihre immer noch andauernde Verliebtheit in Prinz Philipp, der unverblümt die Dinge beim Namen zu nennen pflegt, ist zudem sehr rührend und romantisch.

Die bezaubernden Corgis und Dorgis (bitte googeln) auf den Zwischenkapitel-Seiten, sind ein niedliches optisches Gimmick und passen natürlich perfekt, da die Vorliebe der Queen für diese Hunderasse(n) auch im Roman thematisiert wird.

Die Handlung war mir, wie bei einem klassischen Agenten-Roman, stellenweise etwas zu verworren. Ich hatte teilweise Probleme, die Perspektiven und Personen (nicht die realen, sondern die fiktiven) auseinander zu halten. Wer hat jetzt was mit wem gemacht und wieso?

Dennoch ein unterhaltsamer Cosy-Krimi mit ermittelnder Queen, der viele Einblicke ins Leben
der berühmten Monarchin bietet und dennoch der Vorstellungskraft Raum lässt. Teil 2 soll auf Deutsch im Januar 2022 erscheinen. In diesem Sinne also: God save the Queen!


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Veröffentlicht am 10.01.2021

Schneideblock für Vorschulkinder (eher ab 4-5)

Im Kindergarten: Allererstes Schneiden
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Schneiden ist eine Fähigkeit, die einen wichtigen motorischen Entwicklungsschritt im Leben eines Kindes markiert. Die Handhabung der Schere zu lernen ist essentiell und für viele Kinder gar nicht so einfach ...

Schneiden ist eine Fähigkeit, die einen wichtigen motorischen Entwicklungsschritt im Leben eines Kindes markiert. Die Handhabung der Schere zu lernen ist essentiell und für viele Kinder gar nicht so einfach zu meistern. Auch meine vierjährige Tochter hatte bis vor kurzem kein Interesse am Schneiden und es nach kurzer Zeit aufgegeben. Neulich allerdings hat sie von sich aus angefangen, einfache Schnitte ins Papier zu machen. Dinge ausschneiden um sie aufzukleben aber musste ich für sie. Da kam mir der neue Block "Allererstes Schneiden" von Ravensburger aus der Reihe “Im Kindergarten” (wir haben bereits “Farben und Formen” sowie “Schau genau” zu Hause) wie gerufen. Mit diesem interaktiven Lernblock können laut Klappentext bereits Kinder ab 3 Jahren Formen ausschneiden und sie zusammenkleben oder an anderer Stelle im Block einkleben.

Wie sah die Realität aus? Nun, leider hat sich meine Tochter nicht wie erhofft sofort auf das Heft gestürzt, sie fand Cover und Beschreibung laut eigener Aussage zwar "toll", aber hat es dann erstmal links liegen lassen. Also habe ich mir den Block zunächst alleine angesehen. Die Blätter bzw. Aufgaben sind ganz ohne Erklärungen oder anderen Text versehen. Die Kinder sollen sich hier “selbsterklärend” alles erschließen können, heißt es im Werbeslogan für die Reihe. Es gibt nette begleitende Tier-Bildchen, die einen optischen Hinweis darauf geben, was gemacht werden muss. Hinten auf dem Blatt ist entweder jeweils eine Schere oder ein Klebestift oder beides abgebildet. Manchmal gehören zwei aufeinanderfolgende Seiten zusammen. Auf der ersten Seite ist dann etwas zum Ausschneiden, das man auf der nächsten Seite aufkleben muss. Das sieht man anhand der Form des auszuschneidenden Objekts bzw. an einem kleinen “Umblätter”-Symbol rechts unten. Diesen Zusammenhang muss ein Kind erstmal herstellen können. Auch dass gestrichelte Linien dazu gedacht sind, um an ihnen entlang zu schneiden, ist nicht selbstverständlich und muss erklärt werden. Oder dass man den unteren Teil eines Bildes umknicken und auf ein anderes Blatt kleben kann, so dass man quasi ein stehendes ausgeschnittenes Objekt hat. Manche Schneide-Aufgaben finde ich außerdem für ein dreijähriges Kind viel zu anspruchsvoll - ich finde sie als grobmotorische Erwachsene schon knifflig - und würde daher die Altersangabe für diesen Block für mein Empfinden etwas anheben.

In der Reihe "Im Kindergarten" ist auch ein Block namens "Schneiden und Kleben" verfügbar, für Kinder ab 4 Jahren. Diesen Block werde ich zum Ausbau der in "Allererstes Schneiden" erworbenen Fähigkeiten - wenn sie ihn denn mal benutzt hat - ebenfalls für meine Tochter besorgen. Außerdem interessiert mich, wie anspruchsvoll die Aufgaben dort sind und ob sie auf in “Allererstes Schneiden” gestellten Aufgaben aufbauen.

Fazit: Ein guter Lernblock, bei dem meines Erachtens nicht alles so intuitiv gemacht werden kann wie angepriesen und der außerdem eher für ältere Kleinkinder (ab 4-5) funktioniert.

Veröffentlicht am 07.01.2021

Spannende Unterhaltung mit - statt von - Alexandre Dumas

Die Romanfabrik von Paris
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Die Romane "Der Graf von Monte Christo", "Die drei Musketiere" oder "Der Mann in der eisernen Maske" sind weltberühmt und haben als Abenteuerromane und Populärliteratur des 19. Jahrhunderts ihren angestammten ...

Die Romane "Der Graf von Monte Christo", "Die drei Musketiere" oder "Der Mann in der eisernen Maske" sind weltberühmt und haben als Abenteuerromane und Populärliteratur des 19. Jahrhunderts ihren angestammten Platz in der Literaturgeschichte. Ihr Autor, Alexandre Dumas der Ältere (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn A. D. d. Jüngere, der "Die Kameliendame" schrieb), war mir zwar durch sein Werk, nicht aber so sehr durch sein Leben bekannt. Ich wusste wenig bis nichts über seine Biografie. Nach der Lektüre der "Romanfabrik von Paris" und des lohnenden Nachworts ist mir die Lebensgeschichte von Alexandre Dumas aber nun schon sehr vertraut - von 0 auf 100 sozusagen. Wir kommen durch “Die Romanfabrik von Paris” ganz nah an die Persönlichkeit Dumas heran - selbstverständlich im Rahmen einer fiktiven Geschichte, die sich nur an die Realität anlehnt.
Worum geht's? Wir schreiben das Jahr 1851 und Alexandre Dumas lebt als Schriftsteller in seinem Schlösschen, dem “Chateau Monte Christo” außerhalb von Paris. Dort entstehen im Rahmen der "Romanfabrik" seine beliebten Romane, die er von Lohnschreibern aufschreiben lässt, die Ideen und Geschichten aber kommen von ihm. Die fertigen Werke publiziert er als Fortsetzungsgeschichten in der Zeitung. Er hat es neben großer Popularität auch zu vielen Neidern und einigen Feinden gebracht. Die LeserInnen aber lieben seine Geschichten, in denen es um Rache und Liebe, Intrigen, Mord und Totschlag geht. Auch der Humor und der Genuss haben in den Abenteuerromanen ihren angestammten Platz und versüßen so manchem Franzosen den harten Alltag. Der Bonvivant Dumas gibt das Geld, das er durch seine Schriftstellerei verdient, gerne mit vollen Händen aus - für Reisen, Essen, Luxus, etc. Der gutherzige Lebemann Dumas ist ein erfolgreicher Glücksritter und liebt das Leben, wobei er auch gerne neue Ideen für seine Abenteuerromane sammelt.
Die deutsche Gräfin Anna von Dorn ist die weibliche Protagonistin des Romans. Nach dem Tod ihres adeligen Mannes kommt sie als Privatlehrerin nach Paris. Sie sitzt im Rollstuhl - warum, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Als sie bei einer Familie, in der sie unterrichtet, die Fortsetzungsromane von Dumas kennenlernt, ist sie empört. Die lose Moral und mangelnde Gottesfürchtigkeit sind für die belesene Lehrerin ein Graus. Sie stellt Dumas zur Rede und muss dabei feststellen, dass die beiden ungleichen Personen ein gemeinsamer Gegenspieler verbindet: der Magnetiseur Lemaitre.
Mit einer actiongeladenen Handlung, allerlei Intrigen, plötzlichen Wendungen und ganz vielen Zufällen ist dieser historische Roman ein amüsanter Parforceritt durch das Europa des mittleren 19. Jahrhunderts. Neben Paris spielt die Handlung auch in Brüssel, London und Moskau. Wie es sich für einen richtigen Abenteuerroman gehört, jagt ein Handlungselement das nächste. Der Leser hat kaum Zeit zum innehalten, aber dafür ist dieser Roman auch wirklich nicht gedacht. Gelegentlich schon sehr abgedreht, ist die Handlung aber stets unterhaltsam und lebendig. Ich habe durch dieses Buch selbst Lust bekommen, die Romane von Dumas, die ich nur als Verfilmungen kenne, einmal zu lesen. Fazit: Ein sehr lesenswerter historischer Abenteuerroman für lange Wintertage (der zufällig auch im Winter spielt)!

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Veröffentlicht am 04.01.2021

Das Drama des modernen (Herr-)Mann(e)s

Herrmann
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Das Drama einer Existenz in der österreichischen Provinz hat keiner so gut beschrieben wie Thomas Bernhard. Da er aber ja nun mal leider tot ist, müssen andere diese "Lächerlichkeit", wie er gesagt hätte, ...

Das Drama einer Existenz in der österreichischen Provinz hat keiner so gut beschrieben wie Thomas Bernhard. Da er aber ja nun mal leider tot ist, müssen andere diese "Lächerlichkeit", wie er gesagt hätte, fortschreiben. Bettina Gärtner ist kein Thomas Bernhard, aber sie hat es mit "Herrmann" geschafft, ganz tief in das menschliche Drama der österreichischen Provinzialität einzutauchen. Es ist eine moderne Tragikomödie in Romanform, die Gärtner hier abliefert. Herrmann ist Pendler, zerrissen zwischen langweiligem Bürojob in der Finanzbranche in der Bundeshauptstadt und kümmerlichem Privatleben als Single in seinem dörflichen Heimatort. Letzteres besteht im Wesentlichen aus der vom - kurz vor Beginn der Handlung verstorbenen - Vater geerbten Jagdhundezucht, seinem Jagdrevier, der freiwilligen Feuerwehr und dem Rest seiner Herkunftsfamilie, bestehend aus der bald vierzigjährigen Schwester Lindi, die nach Trennung von ihrem Freund Anselm "vorübergehend" wieder zu Hause eingezogen ist, und der Mutter, einer pensionierten Lehrerin. Als Herrmanns Jugendfreund Orban aus England zurückkehrt, ist es mit der Lethargie in Herrmanns Leben vorbei. Die Vergangenheit holt den Mittvierziger ein und wir erleben eine Woche in Herrmanns Leben, die selbiges auf den Kopf stellen wird.
Gärtner hält der entmenschlichten Business-Gesellschaft unserer Gegenwart einen Spiegel vor. Sie beschreibt nuanciert und mit stets ironischem Unterton die Banalitäten eines Büroarbeitstages, die intriganten Strukturen der heutigen Berufswelt und die ermüdende Pendelei hin und zurück zum Arbeitsplatz (erst mit dem Auto zum Park-and-Ride am Bahnhof der Bezirkshauptstadt, dann mit der Schnellbahn in die Bundeshauptstadt bzw. vice versa).
In "Herrmann" geht es aber auch um das Private und damit vor allem um die Vergangenheitsbewältigung des namensgebenden Protagonisten. Er sinniert darüber nach, warum die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin Rieke in die Brüche ging, wie die enge Freundschaft zu Orban scheiterte und über andere vergangene Ereignisse, die ihn geprägt haben. "Die meisten Vorboten erkennt man erst im Nachhinein" (S. 157) heißt eine Sentenz im Buch. Überhaupt wird viel mit Worten, mit Redewendungen gespielt - was ist die eigentliche Bedeutung einer dahingeworfenen Aussage, einer gern verwendeten Floskel. Sowas gefällt mir sehr, wenn ein Text sich stets selbst reflektiert und sich seiner Wortwahl mehr als bewusst ist. Die pseudo-lexikalischen Zwischenkapitel, in denen in der Handlung erwähnte wichtige Begriffe erklärt werden, sind ein Teil dieser metafiktionalen Komponente des Romans.
Herrmann ist ein klassischer Antiheld, ein unscheinbarer Jedermann, der sich nur in Bezug auf andere definiert - seine Mutter, Schwester, den verstorbenen Vater, seine Arbeitskollegen, seine Lehrer, seinen ehemaligen Freund Orban, etc. - und dabei gar nicht so genau weiß, wer er selbst eigentlich ist ("Er hätte gern gewusst, was er wollte…", S. 275). Dazu kommt noch sein Status als Single und Mann in der Midlife-Crisis, der endlich mal etwas für seine Gesundheit und gegen die späte Familienlosigkeit tun sollte. Der soziale Druck aber führt bei Hermann erst recht zu Angstzuständen, Depressionen und Tagträumen, die er aber so gut es geht unterdrückt. Der Vorname Herrmann setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, die beide Mann bezeichnen - semiotisch clever, denn die Ironie des Ganzen ist, dass der männliche Hermann gnadenlos an den Anforderungen scheitert, die die Gesellschfat an den modernen Mann von heute stellt.
Bettina Gärtner ist mit "Herrmann" eine absolut grandios geschriebene Chronik eines scheiternden Mittvierzigers gelungen. Ein wunderbar feinsinniger und gescheiter Roman des Jahres 2020, der viel mehr Beachtung und LeserInnen verdient hätte.

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Veröffentlicht am 28.12.2020

Intimer Blick ins Familienalbum

Die Bagage
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Monika Helfer erzählt in "Die Bagage" nichts weniger als die Geschichte ihrer Existenz, die sie wie jeder andere Mensch auch ihren Ahnen zu verdanken hat. Dafür blickt sie - durch die literarische Brille ...

Monika Helfer erzählt in "Die Bagage" nichts weniger als die Geschichte ihrer Existenz, die sie wie jeder andere Mensch auch ihren Ahnen zu verdanken hat. Dafür blickt sie - durch die literarische Brille der Erzählerin (die aber mit der Autorin gleichzusetzen ist) quasi ins orale Erinnerungsalbum ihrer Herkunftsfamilie. Dieses setzt sich aus Geschichten zusammen, die ihr ihre hochbetagte Tante Kathe kurz vor ihrem Tod erzählte. Sie fügt die Geschichten in "Die Bagage" zu einem Ganzen zusammen. Sie erzählt, wie sie es erzählt bekommen hat, versucht aber die Lücken in der Überlieferung, also die Ereignisse, die Kathe nur indirekt mitbekommen hat, mit ihrer eigenen Vorstellungskraft zu schließen, sie literarisch zu verfeinern. Und doch bleiben bei ihr am Ende noch Fragen offen, wie zum Beispiel: "Warum haben sich meine Leute immer absichtlich abgesondert? Warum?"

Die Geschichte beginnt kurz vor der Zeugung der Großmutter der Erzählerin im Spätsommer 1914, irgendwo in einem kleinen Dorf in Österreich. Kennt man die Biografie der Autorin, kann man sich das Dorf und das Bundesland erschließen, für die Geschichte aber ist der Name des Ortes nicht relevant. Es könnte jedes kleine österreichische Dorf sein und die Familie jede arme Familie im Jahr 1914, ist es aber nicht. Es geht um die Familie Moosbrugger, vor allem um die Mutter, die schöne Maria, ihren Mann Josef und die zunächst vier gemeinsamen Kinder: Hermann, Katharina, Lorenz und Walter. Josef wird im September 1914 in den 1. Weltkrieg eingezogen. Der Bürgermeister soll "ein Auge" auf die Familie haben, während der Vater im Krieg ist. Als er Maria auf einen Markt in die nächst größere Stadt mitnimmt, lernt diese dort den Deutschen Georg kennen. Sie verliebt sich in ihn und er in sie, aber es bleibt eine kurze, nicht lebbare Liebe. Josef darf gelegentlich für kurze Zeit auf Heimaturlaub. Bei einem dieser Urlaube wird Grete gezeugt. Die Gerüchte über Maria und den Deutschen erreichen auch Josef und dieser hegt einen schlimmen Verdacht….

Gut gefallen hat mir, dass Monika Helfer ihre Figuren nicht nur als arm und von Geburt an determiniert darstellt, sondern als Menschen aus Fleisch und Blut, die menschliche Bedürfnisse, ganz eigene Vorstellungen vom Glück und Träume haben. Dass diese meist an der Realität scheitern, ist die Tragik des Menschseins und das strahlt diese Geschichte für mich aus. Dennoch ist sie nicht fatalistisch und die Figuren bemitleiden sich nicht selbst (bis auf den Bürgermeister vielleicht).

Die große Frage des Romans ist im Grunde auch die nach der eigenen Verortung in der Genealogie einer Familie. An einer Stelle fragt sich die Erzählerin nämlich, wo "die Bagage" denn enden würde und ob sie selbst überhaupt noch dazugehöre bzw. ihre Familie, ihre Kinder und ihr Mann. Zieht sich ein roter Faden durch die Geschichte einer Familie, deren Teil man für alle Zeiten bleibt oder muss man sich selbst als eigene Bagage begreifen und seine selbst gegründete Familie als von der Vergangenheit unabhängig begreifen?

Obwohl Helfer ihre Figuren sehr profiliert darstellt und man sich ein genaues Bild der unterschiedlichen Charaktere machen kann, bleibt zwischen den Figuren und dem Leser eine gewisse Distanz. Es ist als würde man das Fotoalbum einer anderen Familie ansehen, nicht der eigenen. Man findet vieles interessant, hat Fragen, aber das Interesse bleibt oberflächlich und man hat das dumpfe Gefühl, dass einen diese intime Geschichte einer anderen Familie doch eigentlich nichts angeht. Dennoch möchte ich sagen, dass "Die Bagage" ein sehr fein gezeichnetes Zeitgemälde der bäuerlichen Lebenswelt des frühen 19. Jahrhunderts ist, rustikal erzählt und mit einem gewissen spröden Charme.

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