Platzhalter für Profilbild

caro_phie

aktives Lesejury-Mitglied
offline

caro_phie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit caro_phie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.04.2024

Mit- und weiterdenken

Unlearn Patriarchy 2
0

Es gibt viele Aspekte in unserem Leben, die vom Patriarchat geprägt sind, die wir hinnehmen, nach keiner Alternative suchen, uns teilweise ihres Diskriminierungspotentials nicht bewusst sind. Unlearn Patriarchy ...

Es gibt viele Aspekte in unserem Leben, die vom Patriarchat geprägt sind, die wir hinnehmen, nach keiner Alternative suchen, uns teilweise ihres Diskriminierungspotentials nicht bewusst sind. Unlearn Patriarchy 2 greift in Essays von unterschiedlichen Autor*innen 13 dieser Aspekte auf.

Ich war wahnsinnig überrascht von den vielen Dimensionen des Patriarchats, die sich auftaten und die ich vorher gar nicht oder nicht in der Tiefe mitgedacht habe. Immer wieder musste ich zum Stift greifen mir ganze Passagen unterstreichen, weitere Leseempfehlungen rausschreiben. Es ist ein Buch das zum Mitdenken anregt, sowohl während der Lektüre als auch danach, denn dass man danach genauso auf die Gesellschaft schaut wie vorher ist unwahrscheinlich.

Leider muss ich dennoch mein Lob für dieses wichtige Buch ein wenig einschränken, denn so wie sich die Themen unterscheiden, unterscheiden sich auch die Stimmen in diesem Buch. Während Schreibstil (von sachlich bis wütend) sicherlich Geschmackssache ist und ich es auch sehr schön fand, dass so viele verschiedene Stimmen in einem Buch versammelt sind, hat die Aufarbeitung mancher Themen meines Erachtens manche Argumente schwächer gemacht als nötig - Argumente, denen ich in 99% der Fälle folgen konnte, bei denen mir aber, wenn sie als generelles Statement und nicht als eigene Erfahrung dargestellt wurden, oft die Referenzen gefehlt haben.

Dennoch eine klare Leseempfehlung für dieses wichtige Buch, aus dem ich viel mitgenommen habe!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.04.2024

Die Legende der Mutterliebe

Liebesmühe
0

Sie sitzt ruhig da, in ihrem Stuhl, ihr Kind auf den Armen, erst tippend, später diktierend, um ihr Kind nicht zu wecken. Über Monate versucht sie ihre Gedanken in Worte zu fassen, ihrer Verzweiflung einen ...

Sie sitzt ruhig da, in ihrem Stuhl, ihr Kind auf den Armen, erst tippend, später diktierend, um ihr Kind nicht zu wecken. Über Monate versucht sie ihre Gedanken in Worte zu fassen, ihrer Verzweiflung einen Ausweg zu bahnen. Denn es fühlt sich für sie nicht “natürlich” an, ihr altes Leben zurückzulassen, mit der Geburt ihres Sohnes in eine neue Rolle als Mutter katapultiert zu werden. Aber das sollte es doch, oder? So instinktiv ist “Mutterliebe” doch!

Mit einem unglaublich analytischen und gleichzeitig differenzierten Blick nimmt Christina Wessely sich des Themas Post-Partum Depressionen an, entlarvt es als nicht nur hormonellen Schwankungen geschuldet sondern als eine Erkrankung an der Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die suggeriert, dass es nur eine Art gibt eine gute Mutter zu sein, dass Mutterliebe instinktiv ist, Momente der Verzweiflung oder gar Reue hingegen unnatürlich - die Ausnahme.

Es ist ein schmales Buch, eine gelungene Mischung aus Roman, Essay und populärwissenschaftlichem Sachbuch, das auf wenigen Seiten eine unglaubliche Kraft entfaltet, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ein Buch, das einen mitzieht, einen jede einzelne Gefühlsregung nachspüren lässt. Ein Buch, das meines Erachtens wahnsinnig wichtig ist, nicht nur für werdende Mütter und jene, die sich mit dem Gedanken tragen Mütter zu werden, sondern auch für alle anderen. Für die Gesellschaft, in der sich Mütter spiegeln, in der sie Bestätigung suchen und durch die sie, wenn diese ihnen Akzeptanz verwährt, zu Fall gebracht werden.

Deshalb würde ich dieses Buch allen ans Herz legen. Nein, ich würde es ihnen an die Brust drücken und schreien: “Lest das!”

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.04.2024

Eine Geschichte vergessener Schicksale

Die Frauen vom Café Núria
0

“Großmutter wachte über die Vergangenheit wie über einen glänzenden, trügerischen Schatz. […] Sie schien die Verkörperung der Unerschütterlichkeit, betrachtete das Leben und den Tod mit der verstohlenen, ...

“Großmutter wachte über die Vergangenheit wie über einen glänzenden, trügerischen Schatz. […] Sie schien die Verkörperung der Unerschütterlichkeit, betrachtete das Leben und den Tod mit der verstohlenen, kaum merklichen Zärtlichkeit derer, die wissen, dass sie im Schatten leben und dass keine ihrer Taten und keines ihrer Worte jemals ein Echo finden wird.” (S.157)

Es scheint das Schicksal aller drei Frauen zu sein, dass die Geschichte ohne sie geschrieben wird. Dass sie in die Form gepresst werden, die ihre Rolle als Frau im Spanien des 20. Jahrhunderts beschreibt. Dass sie von Männern dominiert werden, ihre Wünsche und Träume wegsperren.

Mutter, Tochter und Enkelin, alle drei mit dem gleichen Namen - Mundeta, alle drei geboren in einer anderen Lebensrealität, einem anderen Spanien, einem anderen Barcelona - dem Barcelona zur Zeit der spanischen Monarchie, dem Barcelona des Bürgerkriegs, dem Barcelona der Studierendenaufstände. Einem Barcelona, dass ihnen doch allen gleichermaßen die Freiheit verspricht und so gewaltvoll wieder nimmt, dass sie lieben lässt und ihnen gleichzeitig die Luft nimmt - so wie die Männer in ihrem Leben.

Szenisch umreißt Montserrat Roig die Stadt, ihren Wandel gleichermaßen wie die einzelnen Schicksale der drei Frauen. Sie zeigt die bittere Wahrheit auf, was es hieß im Spanien des 20. Jahrhunderts eine Frau zu sein, und erlaubt auf hoffnungsvolle Weise jeder der drei Frauen dennoch ihre eigenen kleinen Freiheiten zu erkämpfen.

“Vielleicht, so dachte sie jetzt, beugt sich das Schilf nicht unter der heftigen Windbö, sondern unter dem beharrlichen Streicheln der sanften Brise” (S.178)

Zu Anfang mag die Erzählweise nicht ganz leicht sein, durch die drei Perspektiven der drei gleichnamigen Frauen, die zum Teil schwer zu trennen sind. Aber für mich hat es sich sehr gelohnt weiterzulesen, Montserrat Roigs Erzählrhythmus zu finden, ihre Worte widerhallen zu lassen. Viele Szenen haben mich in ihrer Intensität sprachlos zurückgelassen, mich zum Stift greifen lassen, ganze Passagen unterstreichend.

Ich bin wahnsinnig dankbar für die Wiederentdeckung und Übersetzung dieses Romans und freue mich schon auf die weiteren Teile der Barcelona-Trilogie.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.04.2024

Düsteres Porträt eines Ortes

Der rechte Pfad
0

Es ist ein Ort, der wie aus der Zeit gefallen wirkt. Welsum, eine kleine Gemeinde in Nordrhein-Westfahlen, in die Benni nach einem Unfall zurückkehrt. Denn hier hat er immer seine Sommer in seiner Kindheit ...

Es ist ein Ort, der wie aus der Zeit gefallen wirkt. Welsum, eine kleine Gemeinde in Nordrhein-Westfahlen, in die Benni nach einem Unfall zurückkehrt. Denn hier hat er immer seine Sommer in seiner Kindheit verbracht, bei seinem Vater. Einem Vater, der ihm trotzdem immer ein wenig fremd geblieben ist. So wie der ganze Ort und seine Bewohner - so scheint es. Denn Welsum ist Zentrum einer sektenartigen Glaubensgemeinschaft, der ein Großteil der Bewohner angehören.

Dennoch scheint es den kleinen Benni und nun auch den erwachsenen immer wieder hinzuziehen, der Glaube an Himmel und Fegefeuer ihn zugleich abzustoßen und anzuziehen. Hier findet er in seiner Jugend einen engen Freund und die erste Liebe. Hier erlebt er Gewalt, Fremdenhass, Angst und Tod.

Großartig verwebt Astrid Sozio die zwei Zeitebenen zu einem atmosphärischen, düsteren Roman darüber, welche Kräfte ein wahnhafter Glaube an Gott freisetzen kann. Obwohl das Buch eigentlich nicht ganz in mein übliches Lesemuster passt, und ich die ersten huntert Seiten gebraucht habe, um in die Geschichte reinzukommen, war ich letztendlich wahnsinnig gefesselt - von der Handlung, aber auch von Astrid Sozios Sprache, ihrer detailreichen Erzählweise, die das Buch für mich zu einem intensiven Leseerlebnis gemacht haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.03.2024

Eine intergenerationale Geschichte über Mütter und Töchter

Wir sitzen im Dickicht und weinen
0

Sie sitzen im Dickicht und weinen. In einem Dickicht aus gegenseitigen Vorwürfen, die den ganzen Raum einnehmen, sich zwischen sie drängen, ihnen die Luft nehmen, in diesem Moment als Valerie am Krankenbett ...

Sie sitzen im Dickicht und weinen. In einem Dickicht aus gegenseitigen Vorwürfen, die den ganzen Raum einnehmen, sich zwischen sie drängen, ihnen die Luft nehmen, in diesem Moment als Valerie am Krankenbett ihrer Mutter sitzt. Denn Christina hat Krebs. Eine neue Realität, die sich so plötzlich, so unwiderruflich in ihre Leben drängt, zu neuer, alter physischer Nähe zwingt und alte Verletzungen wieder aufreißen lässt. Denn Christina war keine fürsorgliche Mutter, war zu sehr mit ihren eigenen Träumen beschäftigt, um zu merken, wie sehr ihre Tochter darunter litt keine Bezugsperson zu haben, die sich um sie kümmerte, und welche Wunden das hinterließ.

„Hätte Mama auch mein Vater sein können, wäre jemand anderer dafür zuständig gewesen, mich zu versorgen, hätte sie unbehelligt von allen häuslichen und emotionalen Verpflichtungen einem Beruf ihrer Wahl nachgehen können, wäre sie wahrscheinlich stabiler gewesen; es hätte gereicht.“

Meisterlich verwebt Felicitas Prokopetz über mehrere Generationen hinweg den Kampf für mehr weibliche Selbstbestimmung mit dem gleichzeitigen gesellschaftlichen Anspruch an Mütter. Es ist nicht nur die Geschichte von Christina und Valerie, sondern auch die Geschichte von Christinas Mutter Martha, von Valeries anderer Oma Charlotte und die Geschichte von deren Müttern. Jede einzelne versucht in ihrer Rolle als Mutter zu bestehen. Jedes Scheitern verursacht Verletzungen. Jede Verletzung resultiert in dem Wunsch der Tochter es besser zu machen als ihre jeweilige Mutter.

Es ist ein wichtiges, ein großes Thema, das Felicitas Prokopetz hier aufmacht und wahnsinnig gut beobachtet beschreibt. Aber es ist auch ein fast zu großes Thema für die wenigen Seiten dieses Buches. Viele Charaktere bleiben skizzenhaft. Viel geschieht in den Zeilen, wenig dazwischen.

Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Autorin mich trotz der starken Message, nicht ganz abholen konnte, mich nicht so berührt hat, wie ich es mir gewünscht hätte. Dennoch ein schönes, leicht zu lesendes Buch, das sehr warmherzig von Müttern und Töchtern erzählt.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Thema
  • Cover