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Veröffentlicht am 12.09.2021

Eine Geschichte über die Kraft der Menschlichkeit

Junge mit schwarzem Hahn
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Der elfjährige Martin ist ein ganz besonderes Kind. Das Schicksal hat ihm seine Familie geraubt, die Mitbewohner seines Dorfes misstrauen ihm und meiden ihn, sein einziger Freund ist ein schwarzer Hahn, ...

Der elfjährige Martin ist ein ganz besonderes Kind. Das Schicksal hat ihm seine Familie geraubt, die Mitbewohner seines Dorfes misstrauen ihm und meiden ihn, sein einziger Freund ist ein schwarzer Hahn, der ihn ständig begleitet. Und doch bewahrt er sich seine Güte, irritiert durch seine innere und äußere Schönheit, ist hilfsbereit und intelligent. Als eines Tages ein Maler das Dorf besucht, erkennt der das Dilemma des Jungen und erlaubt ihm, ihn beim Weiterziehen zu begleiten.
Nicht nur Martin ist ganz wunderbar geraten, so dass man ihn unmittelbar lieben muss, auch das Buch ist es.
Stefanie vor Schulte schreibt ihr Debüt in scheinbar einfacher Sprache, in denen sich Satzkleinode aneinander reihen wie Perlen auf der Schnur. So leichthin und bedeutungstief, dass man beinahe ehrfürchtig wird beim Umblättern. Oft mit einer verborgenen Sprengkraft, die für ein ganzes Buch ausreichen könnte. Immer wieder findet sich feiner, hintergründiger Humor zwischen den Zeilen.
Doch leichte Kost ist die Geschichte keineswegs. Denn Martin hat sich eine Aufgabe gestellt, die ihm viel abverlangt, und er lebt in einer anarchischen, grausamen Zeit, die sich nicht datiert, aber mittelalterlich anfühlt, und leidet, wie das ganze Volk, unter einer despotischen Herrscherin. Unvorstellbare Gräuel säumen seinen Weg, beinahe aussichtslos wirkt recht bald sein Unterfangen, die Stimmung kippt ins Düstere und verharrt lange dort.
Viele Märchen- und Fabelelemente sind eingebaut und wetteifern wegen Martins exzellenter, ungetrübter Beobachtungsgabe und seiner detektivischen Kompetenz um Genrezuteilung.
Überhaupt kann man ins Grübeln kommen, wo uns das Erzählte hinführen will. Vielleicht hält man es am besten mit dem Jungen, als er unerwartet nach seiner Meinung gefragt wird: „Da muss er erst einmal in sich hineinlauschen, ob er eigene Gedanken zu der Frage findet.“ (S. 15) Lauschen wir, ich bin sicher, dass sich ein Schatz an Antworten einstellen wird.

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Veröffentlicht am 08.09.2021

Ein Brand, aber wenig Feuer

Der Brand
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Kurz vor dem gemeinsamen Urlaub erfährt Rahel, dass die gebuchte Unterkunft abgebrannt ist. Als unmittelbar darauf die Freundin ihrer verstorbenen Mutter sie dringend bittet, ihren Hof eine Weile am Laufen ...

Kurz vor dem gemeinsamen Urlaub erfährt Rahel, dass die gebuchte Unterkunft abgebrannt ist. Als unmittelbar darauf die Freundin ihrer verstorbenen Mutter sie dringend bittet, ihren Hof eine Weile am Laufen zu halten, willigt sie ein. Drei Wochen verbringt sie mit ihrem Mann Peter abseits des Alltags, auch in der Hoffnung, ihre erloschene Beziehung etwas wiederbeleben zu können.
Daniela Kriens Schreibstil ist nüchtern, schlicht, zügig zu lesen, sehr auf Informationen begrenzt, meist aus Rahels Warte.
Die Anzahl der Personen ist überschaubar: Neben Rahel sind das vor allem der introvertierte Peter, der sich mit Hingabe um die Tiere kümmert, die es zu versorgen gilt, und die gemeinsame Tochter Selma, die mit ihren kleinen Kindern zu Besuch kommt und so völlig andere Erziehungsvorstellungen hat als ihre Eltern.
Konflikte gibt es zuhauf. Das liegt unter anderem an unausgesprochenen Erwartungen, an unerfüllten Sehnsüchten. Vorwürfe sind zu spüren, Ansprüche, Resignation und Verbitterung. Alles wäre irgendwie nachvollziehbar, wenn Rahel nicht ausgerechnet von Beruf Psychologin wäre. Da möchte man sie am liebsten jedes Mal, wenn sie etwas beklagt, packen und schütteln und sie an das erinnern, was eigentlich so selbstverständlich sein sollte: Kommunikation. Denn daran hapert es gründlich. Vieles läuft aneinander vorbei, weil genau die fehlt.
Die Autorin lässt ein wenig Zeitgeist einfließen. Zum Beispiel war es die mangelnde Sensibilität in Bezug auf Geschlechterzuordnung, die Peter Schwierigkeiten in seinem Beruf als Hochschulprofessor eingebracht hat, und auch Corona lässt grüßen. Doch solche Themen werden kaum vertieft, sie dienen wohl eher der zeitlichen Verortung.
Die Geschichte wirkt nicht unsensibel. Sie unterwirft sich keinen gängigen Klischees und hat interessante Ansätze. Doch irgendwie präsentiert sie sich nicht ganz auserzählt (das liegt nicht an dem halbwegs offenen Ende!) und, mit Verlaub, ein wenig unspektakulär.

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Veröffentlicht am 06.09.2021

Kraftvoll, atmosphärisch, unwiderstehlich

Die Leuchtturmwärter
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Das nie aufgeklärte Verschwinden dreier Leuchtturmwärter im Jahr 1900 auf einer Hybrideninsel inspirierte Autorin Emma Stonex zu ihrem fiktionalen Roman.
Am 31. Dezember 1972 bringt ein Boot einen jungen ...

Das nie aufgeklärte Verschwinden dreier Leuchtturmwärter im Jahr 1900 auf einer Hybrideninsel inspirierte Autorin Emma Stonex zu ihrem fiktionalen Roman.
Am 31. Dezember 1972 bringt ein Boot einen jungen Mann zur Maiden, einem Turm vor der Küste Cornwalls. Er soll einen der Wärter ablösen. Doch man findet die Maiden verlassen vor, niemand ist mehr dort.
Diese gespenstische Ausgangslage geht Hand in Hand mit der Ausdruckskraft der Autorin, mit welcher sie das Meer zum Hauptprotagonisten der Geschichte erhebt. So gewaltig sind diese Schilderungen, dass das Schwanken und Tosen erlebbar wird, man sich inmitten einer Gewalt fühlt, wie man sie bislang nicht kennen gelernt hat.
Zwanzig Jahre später recherchiert ein Autor zu dem Vorfall und versucht, die Meinungen und Erinnerungen der hinterbliebenen Frauen zutage zu fördern. Sie haben ihre jeweils eigene charakteristische Weise, mit dem Verlust umzugehen. Ganz nah wird man an sie heran geführt, zunächst unabhängig voneinander geben sie vieles, bei weitem nicht alles, von sich preis. Auch hier überzeugt der Schreibstil, kommt ohne Dialoge aus, schält jede Person aus radikal individueller Sicht detailliert und mit viel Tiefgang aus ihrem Hintergrund.
In der anderen Zeitebene, dem Monat vor dem Ereignis, begleiten wir das Leben im Turm. Wir lernen Arthur, Bill und Vince kennen, drei äußerst unterschiedliche Männer. Ihre Strukturen, ihre Gedanken, Wünsche und Ängste. Den Alltag. Die Routine. Ihr Miteinander. Die extreme Abgeschiedenheit, die beim Lesen heftige Beklemmung verursacht.
Alle drei haben Geheimnisse, die sie umtreiben. Immer wieder entstehen neue Vermutungen, inwieweit diese für die Geschehnisse verantwortlich sein könnten.
Vielleicht ist es der klaustrophobischen Stimmung zuzuschreiben, dass zunehmend übernatürliche Dinge eine Rolle spielen. Manches, nicht alles, findet seine Erklärung. Zu spüren ist, es läuft auf eine Katastrophe hinaus. Und so steigert sich die Spannung ins Unerträgliche.
Ganz sicher ist dieser Roman nicht wenig anstrengend und wird nicht nur Begeisterung auslösen. Aber es ist schwer, sich der Macht zu entziehen, mit der dem ehemaligen Berufsstand der Leuchtturmwärter eine eindringliche, unglaublich intensive Hommage auf höchstem sprachlichen Niveau geboten wird.

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Veröffentlicht am 30.07.2021

Neues Ermittlerduo aus Deutschlands Norden

Hundstage für Beck
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Der Polizist Nick Beck gerät in eine äußerst schwierige Situation: Betrunken überfährt er eine junge Frau. Er weiß sich zunächst nicht anders zu helfen, als die Leiche in einem Kanalschacht zu verstecken. ...

Der Polizist Nick Beck gerät in eine äußerst schwierige Situation: Betrunken überfährt er eine junge Frau. Er weiß sich zunächst nicht anders zu helfen, als die Leiche in einem Kanalschacht zu verstecken. Doch bald wird er selbst beruflich mit dem Vermisstenfall konfrontiert.
Tom Voss hat für den ersten Band einer neuen Krimireihe eine überaus vertrackte Ausgangssituation hergestellt. Das funktioniert nur mit einem Antihelden wie Nick, der, von seinem letzten Einsatz schwer traumatisiert, versucht, sich mit Hilfe von Alkohol und Beruhigungsmitteln so einigermaßen am Laufen zu halten. Dazu hat er sich in den fiktiven Ort Nordbek im Norden Hamburgs versetzen lassen, in der Hoffnung, dort keine Gelegenheit für weitere Fehler zu erhalten. Gemeinsam mit der jungen Cleo Torner vom LKA Hamburg soll er nun ausgerechnet die Frau suchen, die er mit seinem Mercedes-Oldtimer überrollt hat.
Die beiden Ermittler erhalten genügend Raum, man lernt sie in ihren momentanen Verfassungen gut kennen und kann sich, falls man möchte, durchaus mit ihnen anfreunden, auch wenn die fortgesetzten Gesetzesübertretungen und allergröbsten Fahrlässigkeiten Nicks einem die Haare zu Berge stehen lassen und nicht immer glaubhaft sind.
Die Atmosphäre ist gut eingefangen, gefühlt eine Chimäre aus viel Norddeutschland mit etwas Westernkolorit. Leider erscheinen manche Dialoge steif, beinahe hölzern, nach dem Schema „Tu das - nein - doch - nein - doch - na gut“.
Der Kriminalfall ist solide gebaut, wenn auch mit wenig Überraschungen, was nach dem spektakulären Einstieg ein wenig enttäuscht.
Natürlich gibt es auch den roten Faden, der neben den wichtigsten Personen und der Entwicklung ihrer Beziehungen die Romane der Reihe verknüpfen wird. Der sei hier aber nicht verraten …
Insgesamt liegt uns hier ein unterhaltsamer, leicht zu lesender Kriminalroman vor, der mehr durch sein Ermittlerduo punktet als durch Spannung oder Originalität.

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Veröffentlicht am 20.06.2021

Lebendig, authentisch, spannend

Das Buch des Totengräbers (Die Totengräber-Serie 1)
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1993 wird in Wien der junge Inspektor Leopold von Herzfeldt mit äußerst brutalen Morden an jungen Frauen konfrontiert. Überraschende Unterstützung erhält er von dem Totengräber des Wiener Zentralfriedhofs, ...

1993 wird in Wien der junge Inspektor Leopold von Herzfeldt mit äußerst brutalen Morden an jungen Frauen konfrontiert. Überraschende Unterstützung erhält er von dem Totengräber des Wiener Zentralfriedhofs, Augustin Rothmayer.
Oliver Pötzsch, bekannt durch viele mittelalterliche Romane, insbesondere die Henkerstochtersaga, hat sich in eine neue Zeitebene begeben. Dabei beweist er abermals, auf welch geniale Weise er das Ambiente einer Epoche, einer Lokalität und die sie bevölkernden Charaktere herauf zu beschwören und zu transportieren weiß. Wie er hier seine Figuren in Aktion setzt, sie aufeinander prallen, reden und streiten lässt, wie er auch diese Zeit historisch exakt, detailversessen und authentisch darstellt, grenzt an Zauberei. Aufkeimender Feminismus, Antisemitismus, Aberglaube, technischer Fortschritt, die politische, soziale und bauliche Entwicklung einer wachsenden Weltstadt - das sind einige der Phänomene, die wie beiläufig in die Handlung einfließen und ein rundes Bild erschaffen.
Während Herzfeldt mit seinen neuartigen analytischen Untersuchungsmethoden und seinem übereifrigen Naturell auf Häme und Widerstand in der eigenen Behörde stößt, überlegt der eigenbrötlerische Rothmayer sehr genau, mit wem er seine Gedanken teilt. Was die beiden Männer eint, ist ihr naturwissenschaftliches Interesse, und so kann der der Totengräber mit dem wachen Verstand und der guten Beobachtungsgabe manchen hilfreichen Tipp geben. Wer allerdings glaubt, hier habe sich ein Ermittlerduo nach dem Vorbild Holmes und Watson gesucht und gefunden, wird enttäuscht. Welten liegen zwischen den beiden, so leicht ist die Kluft nicht überbrückbar. Mehr als gegenseitiges Wohlwollen ist in diesem ersten Band nicht zu erreichen, da braucht es, wenn überhaupt, wohl noch das ein oder andere Abenteuer.
Bis der Kriminalfall gelöst ist, darf fleißig mitgerätselt werden. Ganz routiniert wird die Spannung gehalten, dabei Platz gelassen für etwas Romantik und eine Prise Humor. Stoff, den man sich beinahe zwangsläufig verfilmt wünschet. Und ein Rundum-Paket für die Fans historischer Krimischmöker, die nach diesem Einstieg vermutlich schon einer Fortsetzung entgegen fiebern.

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