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Veröffentlicht am 29.08.2023

Humorvoll, manchmal fast bissig, klug, und berührend zugleich

Eigentum
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Wolf Haas ist mit Eigentum ein kleines Kunstwerk gelungen. Die Sätze und Gedanken sind schneidend, schnell, galoppieren nahezu angesichts des nahenden Ablebens der 95 Jährigen und doch erzeugt das Geschriebene ...

Wolf Haas ist mit Eigentum ein kleines Kunstwerk gelungen. Die Sätze und Gedanken sind schneidend, schnell, galoppieren nahezu angesichts des nahenden Ablebens der 95 Jährigen und doch erzeugt das Geschriebene gleichzeitig so viel Wärme und Empathie für den Lebensweg seiner Mutter, den Wolf Haas, mal bissig, mal melancholisch, mal genervt, jedoch immer liebevoll und mit viel Humor beschreibt.

1923 geboren hat die Mutter Inflation, die Kriegsjahre in den Arbeitsdienst 1000km verschickt von Österreich nach Norddeutschland, die Nachkriegsjahre als Serviererin in der Schweiz, und später ein Leben immer am Existenzminimum im ländlichen Österreich. Dieses Leben, es hat sie hart gemacht, eigenbrödlerisch, unnachgiebig und seltsam. Wolf Haas beweist sich als Chronist mit Sinn für die Entbehrungen, zuweilen sehr lustigen Kuriositäten, und auch Leistungen der Mutter in diesem ereignisreichen Leben, dessen Ende er nun begleitet.

Ein wundervolles Buch zum Erinnern!

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Veröffentlicht am 25.08.2023

Ein stimmungsvoller Einblick in eine magische Zeit voll von Mode, Kunst und Musik zwischen Swinging London und Paris

Der Glanz der Zukunft. Loulou de la Falaise und Yves Saint Laurent
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Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, das britische Königshaus, Mick Jagger, Andy Warhol… die Liste könnte noch weitergehen, denn es gibt kaum einen Namen der High Society zwischen Manhattan, London und ...

Yves Saint Laurent, Karl Lagerfeld, das britische Königshaus, Mick Jagger, Andy Warhol… die Liste könnte noch weitergehen, denn es gibt kaum einen Namen der High Society zwischen Manhattan, London und Paris der 60er und 70er Jahre, der in Glanz der Zukunft nicht vorkommt. Im Mittelpunkt Loulou de la Falaise und ihre ganz besondere Beziehung zu Yves Saint Laurent.

Das Buch ist ein Roman und keine Biografie. Dennoch orientierte sich die Autorin an wahren Begebenheiten und Aussagen. Glaubt man dem Roman waren die 60er und 70er ein einziger progressiver Aufbruch zwischen Manhattan, London, Marrakesch, Paris, Rom und LA, in dem jeder jeden kannte, sei es aus Kunst, Mode, Ballett, dem Adel oder der Musik.

Michelle Marly lässt uns eintauchen in die Entstehung von Modekollektionen und ihre Inspiration, in den britischen Adel und seine Normen, in eine Welt aus tausend und eine Nacht in Marokko als Erholungs- und Aussteigeradresse der damaligen Zeit, und nicht zuletzt ins Swinging London immer in Konkurrenz zum lebendigen Paris dieser Epoche. Die Beschreibungen wie Loulou über Flohmärkte streift und ihren Stil findet und verfeinert sind unglaublich lebendig und inspirierend, ebenso wie Yves Saint Laurents Entwürfe und Modenschauen.

Die besondere Beziehung zwischen Loulou und Yves, ebenso wie ihr Entstehen wird sehr feinfühlig und liebevoll nachgezeichnet. Loulou erscheint zunächst als ein zurückhaltendes, junges Mädchen, unsicher was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Im Laufe der Geschichte macht sie eine beeindruckende Entwicklung durch, hin zu einer selbstbewussten, erfolgreichen Frau und Designerin, die ganz sicher viel mehr war als eine Muse.

Ein kurzweiliges, gut geschriebenes Buch mit interessanten Details und Einblicken, nicht nur für Modebegeisterte.

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Veröffentlicht am 19.08.2023

Jim Crow Gesetze trifft auf perlenbestickte Kleidersäume

Die Davenports – Liebe und andere Vorfälle
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Vier junge Frauen, vier Geschichten, jede für sich eine Geschichte vom Erwachsenwerden, Emanzipation, der Rolle als Frau und natürlich der Liebe. Das ist Die Davenports! Und gleichzeitig ist der Roman, ...

Vier junge Frauen, vier Geschichten, jede für sich eine Geschichte vom Erwachsenwerden, Emanzipation, der Rolle als Frau und natürlich der Liebe. Das ist Die Davenports! Und gleichzeitig ist der Roman, der als Jugendliteratur firmiert, so viel mehr. Eingebettet hat Krystal Marquis das unterhaltsame Liebesreigen in einen historisch bedeutenden Kontext. Chicago 1910, hier versammeln sich erfolgreiche schwarze Unternehmer*innen und haben sich vermeintlich von ihrer Geschichte als Sklaven emanzipiert. Doch der Schein trügt, wie bereits sehr früh im Buch deutlich wird, denn trotz allen Geldes und Erfolgs, begegnen auch die Davenports immer wieder Rassismus. Der lang geführte Kampf gegen die Unterdrückung und für das Ende der Sklaverei droht politisch in neuer Form mit den Jim Crow Gesetzen wieder aufzuflammen, statt weiterem Fortschritt der Gleichstellung droht die Regression.

Jim Crow Gesetze neben perlenbestickten Kleidersäumen. Das ist mutig, und es geht auf! Olivia, Helen, Amy-Rose und Ruby - vier ambitionierte, selbstbewusste Frauen, alle unterschiedlich in ihrer Herkunft, ihren Vorlieben, Talenten und Charakter, und auch ihren Sorgen. Was sie eint ist, dass sie mehr vom Leben wollen, als ihre Eltern, ihre Herkunft/Stand und die Gesellschaft für sie als Frau im Jahr 1910 (als Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten) vorgesehen haben.

Die Geschichte ist in 47 kürzere Kapitel unterteilt, die jeweils einer der vier Protagonistinnen gewidmet sind und uns in ihre Gedankenwelt und Erfahrungen mitnehmen. Wie ein Mosaik setzt sich so die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu einem großen Ganzen zusammen. Marquis zeichnet die Charaktere sehr liebevoll und mit großer Sympathie, sodass man kaum umhin kommt, in jeder der vier jungen Frauen ein Stück von sich selbst zu finden, sei es Helens Pragmatismus, Olivias Pflichtbewusstsein und wachsendes politisches Interesse, Amy-Roses Geschäftsbewusstsein und Kampfgeist für ein besseres Leben oder Rubys Warmherzigkeit.

Ja, es ist durchaus nicht völlig überraschend, wie sich das Liebesreigen entwickeln wird, doch das macht das Buch nicht schlechter, denn es ist gerade der Weg dorthin, der unterhaltsam ist und für jede der jungen Frauen viel mehr als die jeweilige Liebesgeschichte darstellt - Amy-Roses Traum vom eigenen Salon, Helens Passion für Mechanik und Autos, Olivias politisches Bewusstsein und Engagement.

An einigen Stellen ist mir jedoch das Schmachten der Protagonistinnen zu viel und passt auch nicht zu ihrer sonst so selbstbewussten, emanzipierten Haltung. Dass nun jeder offene Hemdknopf und Blick auf die Muskeln eines Mannes, eine Frau dazu bringen soll, alles um sie herum zu vergessen, ist mir persönlich manchmal zu kitschig.

Der Schreibstil hat noch etwas Luft nach oben und wirkt an einzelnen Stellen etwas gestelzt, was jedoch auch der Übersetzung geschuldet sein kann. Ich hatte ein paar Stellen an denen ich dachte, das würde ich gern im Original lesen, um zu sehen, wie es dort ausgedrückt ist und vielleicht mache ich dies auch noch.

Sehr gut und informativ finde ich die separate historische Einordnung der Autorin im Anhang des Buches.

Der türkise Einband mit dem gelben Cover sieht sehr wertig aus und macht das Buch auch zu einem schönen Geschenk.

Wer Downton Abbey und Bridgerton mag, wird auch an diesem Buch große Freude haben und auf eine Fortsetzung hoffen. Ein gutes Buch zum Mitfühlen mit kleinen Schwächen, dass im leichten, eingängigen Stil und klug gewählten Setting, wichtige Themen vermittelt und erlebbar macht.

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Veröffentlicht am 13.08.2023

Die Unzulänglichkeit der Erinnerung und die Macht von Veränderung - über eine Frau, die ihren Weg sucht, findet und mit Stärke geht

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Veränderungen können gut oder schlecht sein, manchmal fühlen sie sich jedoch vielleicht auch zunächst nur schlecht an, einfach weil sich überhaupt etwas verändert, was man gerne beibehalten hätte. Erst ...

Veränderungen können gut oder schlecht sein, manchmal fühlen sie sich jedoch vielleicht auch zunächst nur schlecht an, einfach weil sich überhaupt etwas verändert, was man gerne beibehalten hätte. Erst im Rückblick stellen sie sich dann im positivsten Sinne als die richtigen Veränderungen zur rechten Zeit dar.

In diesem Dilemma bewegt sich auch die Ich-Erzählerin in Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe. Wir begleiten eine Frau Mitte 50, Alleinerziehend, 2 Kinder, die gerade ihr Abitur abgelegt haben und ausziehen werden. Ihre Wohnung wird sie ohne die Alimente nicht halten können. Es ist angesichts der letzten knapp 20 zwar herausfordernden doch trotzdem stabilen Jahre, eine große, vielleicht sogar die letzte große Veränderung. Wie wird sie wohnen, abgesichert sein, wie wird ihr Leben als Mutter nun erwachsener Kinder? Alles steht auf dem Prüfstand.

Der Roman wird so zum einen zum Resümee ihres bisherigen Lebens und gleichzeitig ein Ausblick, das Nachdenken über den Umgang mit Ängsten, Sorgen und Hoffnungen für die Zukunft. Im lockeren eingängigen Schreibstil, mit viel Wortwitz (beispielsweise auch das Buch übers Erinnern, hat sie vergessen) und kurzen Kapiteln als anekdotische Episoden setzt Doris Knecht das Bild einer Frau zusammen, die sich oft unzulänglich fühlt, zweifelt, unsicher ist und doch letztlich mit beeindruckender Stärke durchs Leben geht, arbeitet, zwei Kinder allein großzieht, Feministin ist und trotz aller Hindernisse und Herausforderungen des Lebens immer wieder zu sich selbst findet.

Die zu Beginn dominierende Melancholie und Vergleiche zu Menschen, denen es vermeintlich besser geht, ohne Blick auf ihre eigenen Privilegien und Sinn für die vielen Menschen, die in einer wesentlich schlechteren sozialen und wirtschaftlichen Lage sind, waren für mich stellenweise schwer auszuhalten. Aber auch das macht das Buch stark. Der ungeschönte Blick auf und in das Innenleben einer durchschnittlich privilegierten Frau an einem entscheidenden Punkt ihres Lebens, mit allen Sorgen und Ängsten die damit verbunden sind.

Spätestens ab dem zweiten Drittel des Buchs ändert sich jedoch der Blickwinkel der Ich-Erzählerin, wird viel differenzierter und reflektierter, mit fast schon ethnographischem Spürsinn (im Sinne Ernauxs als Ethnografin ihrer selbst) beschreibt sie das Aufwachsen in einem Arbeiterhaushalt im katholisch geprägten ländlichen Österreich der 70er Jahre, die Enge, die Normen, die Erwartungen, die für viele andere Sicherheit und Glück bedeuten, doch sie will etwas anderes, will mehr und zahlt auch einen Preis dafür, der immer währende Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit. Aber auch (gewollte und ungewollte) Schwangerschaft, Mutterschaft, Frausein in einer Welt und Gesellschaft, die von patriarchalen Erwartungen und Mustern geprägt war und ist, kommen zur Sprache. Hier entwickelt die Erzählung für mich ihre wahre Stärke, in einem noch immer eingängigen, fast schon leichten Ton mit präzisen Sätzen, analysiert die Ich-Erzählerin ihre Herkunft, Prägung, Entwicklung, Erfahrungen und Empfindungen des Frauseins, Mutterseins, Unabhängigseins, Erwachsenseins und Älterwerdens.

Während ich noch am Anfang skeptisch war und keine wirkliche Sympathie für die Ich-Erzählerin entwickeln konnte, hat sich diese langsam, mit jedem weiteren Kapitel, mit jeder weiteren Zeile, Empfindung und zuweilen komisch anekdotischen Erzählung in mein Herz geschrieben. Für mich ein überraschendes Buch im positivsten Sinne mit einer klaren Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 09.08.2023

Die junge Frau und das Meer

Mattanza
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Mattanza, so viel sei verraten, ist die traditionelle Thunfischjagd bzw. konkret das Töten der Thunfische, als eine der Phasen des Thunfischfangs (Tonnara). Der Roman beschreibt das Leben auf der süditalienischen ...

Mattanza, so viel sei verraten, ist die traditionelle Thunfischjagd bzw. konkret das Töten der Thunfische, als eine der Phasen des Thunfischfangs (Tonnara). Der Roman beschreibt das Leben auf der süditalienischen Insel Katria von 1960 an über 5 Jahrzehnte bis ins Jahr 2012. Katria lebt vom Thunfischfang, der Takt und Leben aller EinwohnerInnen bestimmt. Im Mittelpunkt Eleonora Greco, genannt Nora, der „göttliche Fehler“, denn sie kam gegen alle Erwartungen und Hoffnungen als Mädchen, und nicht als Junge und gebührender Nachfolger des großen Raìs zur Welt. In Ermangelung an Alternativen wird Nora trotz ihres Geschlechts zum Nachfolger ihres Großvaters ernannt und von diesem als Oberhaupt der Thunfischfänger, und aufgrund seiner stillen Autorität implizit der ganzen Gemeinschaft, ausgebildet.

Der Stil und die Geschichte erinnern mich unmittelbar an Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Marquez. Dort das fiktive Macondo als Ausgangspunkt einer Familiensaga an der kolumbianischen Karibikküste, hier die süditalienische Insel Katria (die es tatsächlich gibt und heute Favignana genannt wird). Ein Hauch von magischem Realismus weht durch die Zeilen, wenn Noras Gefühl der Ausgrenzung, ihre Verbundenheit mit dem Meer, der Aberglaube in der Dorfgemeinschaft, die vom Thunfischfang geprägte Gemeinschaft, mit ihren BewohnerInnen und all ihren Eigenheiten mit viel Liebe zum Detail, den Menschen und der Sprache beschrieben werden. Germana Fabiano nimmt uns mit in eine Welt aus Geschichten, Gerüchten, Glauben, „kaum wahrnehmbaren Gesten, Blicken, die hin und her gehen, geflüsterten Worten“. Da ist beispielsweise Don Tanino dei Tonni von dem niemand, einschließlich ihm selbst noch seinen richtigen Nachnamen weiß, als er hundert wurde, habe er verkündet nicht mehr zu sterben.

Wenn die Rolle und innere Berufung des Raìs beschrieben wird, „du wirst in deinem Gesicht die Routen tragen, die du auf dem Meer zurückgelegt hast, die Furchen, die dir die Sonne in die Haut brennt, und eine Zärtlichkeit, die niemand je in dir erkennen wird“, dann kommt darin nicht nur eine gewisse Magie zum Ausdruck sondern auch die unbändige Liebe zum Meer und gleichzeitig der Respekt vor der Natur und der Gewalt des Ozeans.

All diese Geschichten und Traditionen sind es die jahrhundertealtes Wissen konservieren und bis in die Moderne das Leben der InselbewohnerInnen prägen. Fabiano verfasst so mit der Geschichte um Nora eine Chronik dieser Insel und des Thunfischfanges bis in die Moderne, die auch das Leben auf der Insel verändert, sei es durch den Tourismus oder den Fluchtbewegungen über das Mittelmeer.

Besonders gefällt mir, dass eine Frau im Mittelpunkt der Geschichte steht und diese damit auch eine Geschichte von Emanzipation und Ermächtigung in einer Welt die Männern vorbehalten war, ist. Über Jahrhunderte war der Raìs ein Mann und man glaubte nur männliche Nachfahren, wären traditionell der Aufgabe gewachsen. In Mattanza kann man Nora beobachten, wie sie mit Talent und ebenso viel harter Arbeit und Disziplin diese vermeintlichen Gewissheiten Lügen straft und sich den Respekt der Männer erarbeitet. Dabei erleben wir beim Lesen immer wieder wie Nora versucht ihre Rollen als Frau und als Raìs auszutarieren und sowohl die Rollen als auch sich selbst dabei neu zu erfinden.

Ein Lesevergnügen, bei dem man ganz nebenbei auch viel über den Thunfischfang lernt (eine sehr schöne Skizze der Fanganlagen ist im Anhang des Buchs beigefügt). Und immer im Mittelpunkt das Meer als Sehnsuchtsort und Respekt erheischende Naturgewalt zugleich.

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