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Veröffentlicht am 10.06.2025

Gletschermilch

Das verstoßene Mädchen
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In einer angesehenen Kaufmannsfamilie wächst Fannerl Nader mit ihren beiden jüngeren Schwestern zur jungen Frau heran. Wie es sich im Jahre 1881 so gehört, knüpft sie unter der gestrengen Aufsicht der ...

In einer angesehenen Kaufmannsfamilie wächst Fannerl Nader mit ihren beiden jüngeren Schwestern zur jungen Frau heran. Wie es sich im Jahre 1881 so gehört, knüpft sie unter der gestrengen Aufsicht der Eltern zarte Kontakte zu Johann, dem Sohn eines eleganten Innsbrucker Herrenausstatters. Bevor aber noch Verlobung gefeiert werden kann, verunglückt Fannerls Vater tödlich und hinterlässt einen Schuldenberg. So sieht sich die Mutter gezwungen, rasch wieder zu heiraten, wobei die Vermählung an eine Bedingung geknüpft ist: Fannerl muss aus dem Haus, denn das Mädchen hat porzellanweiße Haut und auffällig helles Haar, was dem abergläubigen Bräutigam Unglück bringen könnte.

Malerische Szenen rund um den Besuch des Kaisers in Innsbruck, das aufgeregte Tun der wohlhabenden Bevölkerung, die Liebe innerhalb der Familie Nader und die zart beginnende Zuneigung zwischen Fannerl und Johann – schöner könnte dieser bewegende Roman kaum beginnen. Mit vielen außergewöhnlichen Details fesselt Lotte Römer ihre Leser und führt alsbald die böse Wende im vermeintlichen Glück herbei: der künftige Stiefvater will nichts mit Fannerl zu tun haben, die Mutter schickt ihr Kind kurzerhand ins Sellraintal zu den Wäscherinnen, es ist bestimmt das Beste so für alle. Auf einen Schlag steht das Leben des jungen Mädchens auf dem Kopf, statt von Bediensteten verwöhnt zu werden, muss sie nun selbst im eiskalten Wasser, im Sellraintal Gletschermilch genannt, Wäsche für andere waschen, unter einem undichten Dach wohnen und mit einfacher Nahrung vorlieb nehmen.

Bestens recherchierte Wäscherinnenarbeit inmitten des wunderschönen Sellrain neben Figuren, die trotz ihrer harten Schale einen umso weicheren Kern haben beeindrucken in diesem lesenswerten Roman, in dem auch allerlei Gefühle nicht zu kurz kommen. Von mir gibt es jedenfalls eine Empfehlung für Teil 1 der „Töchter aus Innsbruck“.




Veröffentlicht am 10.06.2025

Der Hüne

Die Wölfe unter uns
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Richtung Klöpper Mühl im Fichtelgebirge ist Johann mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Anna unterwegs. Dort will die vertriebene Müllerfamilie im Jahre 1630 neu beginnen. Aber der Ort ist sonderbar, ...

Richtung Klöpper Mühl im Fichtelgebirge ist Johann mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester Anna unterwegs. Dort will die vertriebene Müllerfamilie im Jahre 1630 neu beginnen. Aber der Ort ist sonderbar, es gibt hier – außer einem Säugling – keine Kinder.

Mystisch und voll düsterer Atmosphäre beschreibt Tim Sonderhauf in seinem Roman die Stimmung, die dichten Wälder, das unwegsame Gebirge. Auch Johann und seine Familie bekommen rasch ein Gesicht. Kurz nach seiner Ankunft begegnet der Bub im Dorf einem wahrhaften Hünen, dessen Aufgabe als Wildhüter es ist, die Ursache für das Verschwinden der Kinder zu ergründen und die immer näher kommenden Wölfe fernzuhalten. Mit einem scharfen Blick fürs Detail wird die Zeit um 1630 zum Leben erweckt, werden die sonderbaren Vorgänge im Ort ergründet. Ist es ein Wolfsrudel, sind es die Zigeuner, oder gar Wiedergänger, die hier ihr Unwesen treiben? Bald verbindet Johann und den Wildhüter Hildner ein unsichtbares Band von Vertrauen, von Gemeinsamkeit, das sie zusammen durch die Gegend streifen lässt. Was werden sie herausfinden? Gibt es überhaupt eine logische Erklärung?

Eher ruhig vom Schreibstil her, aber deshalb nicht minder spannend, begeben wir uns auf eine Zeitreise in ein Land von Söldnern im Krieg, von Gegnern im Namen der Religion. Wer sich nicht darauf versteht, die Zeichen der Natur zu deuten und im Wald zurecht zu kommen, hat es schwer. Und schließlich hält der Autor noch eine verblüffende Wende bereit, die dem Ganzen einen stimmigen Abschluss verleiht. Ungewöhnliche Lesestunden gehen mit dieser Historie jedenfalls einher.


Veröffentlicht am 10.06.2025

Jefferson City II

Im Zeichen der Lämmer
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Als der Hausmeister einer Schule in Jefferson City frühmorgens ein Paar nackter Füße findet, denkt er im ersten Moment an einen Schülerstreich, ein Kunststoffmodell. Tatsächlich aber gehören die sorgfältig ...

Als der Hausmeister einer Schule in Jefferson City frühmorgens ein Paar nackter Füße findet, denkt er im ersten Moment an einen Schülerstreich, ein Kunststoffmodell. Tatsächlich aber gehören die sorgfältig abgetrennten Gliedmaßen einer Frau. Nach dieser grausigen Entdeckung taucht alsbald ein Körper ohne Füße auf, allerdings nicht das passende Gegenstück, sodass Inspector Aidan Carter und sein Kollege Ethan Jones schon zwei Leichen identifizieren und den Mörder finden müssen. Treibt ein Serientäter sein Unwesen in der Stadt?

Ein schauriger Prolog führt direkt ins Geschehen, die Ermittlungen können beginnen. Unter Deputy Chief Warren Schroeders Leitung arbeitet ein ehrgeiziges Team, das aber durchaus auch Zeit für Späße und den ein oder anderen Schlagabtausch hat. Dadurch werden die anfänglich häufigeren blutrünstigen Szenen ganz gut aufgelockert. Bald kommt auch Aidans Lebensgefährtin Jessica ins Spiel, denn sie will immer alles ganz genau wissen, soll sie doch selbst ihrer Agentin demnächst einen Thriller vorlegen, hat aber absolut keine Einfälle dafür. So kommt es, dass die junge Frau mangels Informationen „ihres“ Inspectors anfängt, eigene Nachforschungen anzustellen und sich in gefährliche Situationen begibt.

Emilia Benedict erzählt flott, insbesondere die eingestreuten Kapitel zum Täter bringen mittels knapper Sätze Spannung ins Spiel. An anderer Stelle passt diese Technik nicht immer so gut, einzelne Passagen oder Dialoge können dadurch oberflächlich oder hölzern wirken. Die Handlung selbst ist gut konzipiert und folgt einem logischen roten Faden, ein Motiv blitzt früh auf, verrät aber nicht zu viel, sodass dem Rätseln um den Täter noch ausreichend Raum gegeben wird. Nach dem Auftauchen von mehreren Leichenteilen konzentriert sich das Geschehen in der zweiten Buchhälfte aufs Ermitteln. Dabei geraten Aidan und Ethan jedoch schnell ins Hintertreffen, werden sie von Jessica regelrecht „überholt“. Was anfangs Neugierde weckt und mit humorvollen Szenen durchaus unterhaltsam beginnt, entwickelt sich zum Ende hin weniger spannend als erwartet, einiges wiederholt sich, wirkt unrealistisch, bringt den Schwung nicht ganz mit ins Ziel.

Fazit: flüssig zu lesender Thriller, der mitunter blutige Details liefert, eine überwiegend schlüssige Handlung aufweist und mit seinen gut vorstellbaren Figuren abwechslungsreiche Lesestunden bereithält.


Veröffentlicht am 07.06.2025

Acker Rabeneck

Die Blumentochter
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Nachbarskind Johanna Eckstein ist eine der Ersten, die am Acker Rabeneck in Emsfeld eintreffen, nachdem Bauer Schulze auf seinem Grund eine Leiche gefunden hat. Es handelt sich um die junge Lydia, die ...

Nachbarskind Johanna Eckstein ist eine der Ersten, die am Acker Rabeneck in Emsfeld eintreffen, nachdem Bauer Schulze auf seinem Grund eine Leiche gefunden hat. Es handelt sich um die junge Lydia, die hier sorgfältig begraben liegt unter Rosen und Zauberschnee. Als Täter kann rasch der Gärtnerlehrling Adam Paczek ausgemacht werden. 31 Jahre später ist Johanna aufgrund dieses Erlebnisses Polizistin und kehrt nun nach einer langen Zeit in Berlin zurück in ihr Heimatdorf. Kaum hat sie ihren Platz im hiesigen Kommissariat gefunden, gibt es wieder eine Leiche am Rabenecker Acker, ebenfalls mit hübschen Blumen bedeckt. Hat der damalige Mörder nochmals zugeschlagen oder gibt es einen Nachahmungstäter?

Erst einmal geht es zurück ins Jahr 1984 und zu dem schrecklichen Vorfall, der sich dort im Münsterland ereignet hat. Bildhafte und lebendige Szenen sorgen sofort dafür, dass man sich mitten im Geschehen fühlt und beinahe selbst Teil der handelnden Personengruppe wird. Die Geschehnisse drei Jahrzehnte später stehen dem in nichts nach, der Mix aus Johannas Privatleben und akribischer Ermittlungsarbeit ist bestens gelungen. Spritzige Dialoge und interessante Rückblenden sorgen für Spannung und eigene kreative Überlegungen. Aber Fritzi Jäger platziert ihre Informationen geschickt und häppchenweise, sodass man nicht gleich die Lösung vor Augen hat. Bäuerliche Dorfstrukturen und lärmende Großstadt, schillernde Machos und zurückhaltende Verliebte, damals und heute eine Blumentochter, die Autorin verknüpft unterschiedliche Welten und Weltanschauungen mit Leichtigkeit zu einem runden Gesamtbild, welches bis zur letzten Seite fesselnde Lesestunden bietet.

Großartig gezeichnete Figuren und eine durchwegs schlüssige Handlung, garniert mit so manch humorvollem Vergleich, lassen diesen Krimi zum Vergnügen werden. Ich empfehle ihn sehr gerne weiter.

Veröffentlicht am 06.06.2025

Überlebende

Die Festung
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Als einzige Überlebende einer Realityshow gilt Bonnie Drake, die vor der Küste Englands angespült worden ist. Auf einer abgelegenen Festung mitten im Meer hat sie mit sieben weiteren Teilnehmern um den ...

Als einzige Überlebende einer Realityshow gilt Bonnie Drake, die vor der Küste Englands angespült worden ist. Auf einer abgelegenen Festung mitten im Meer hat sie mit sieben weiteren Teilnehmern um den Sieg gekämpft, damit sie sich nach dem Tod ihrer Mutter die Hypothek fürs Haus leisten kann. Nun versucht die junge Frau, sich zu erinnern, was geschehen sein könnte.

Ein packender Prolog mit blutigen Fußspuren eröffnet das Spiel, dann geht es voller Abwechslung weiter durchs Geschehen. Einerseits fährt man mit den Teilnehmern des Wettbewerbes zu der abgeschlossenen „Festung“, welche der Show auch ihren Namen gibt, andererseits hört man einen Podcast, der im Nachhinein die Vorkommnisse auf dem Fort in der Meerenge von Solent wiedergibt. Dazwischen werden Kommentare der Zuschauer der Realityshow eingestreut. So bekommt Bonnies Geschichte einen rundum gerichteten Blickwinkel, der für stete Kurzweil sorgt. Wer anfangs noch meint, es geht schlicht um eine Reihe von Rätseln, der denkt spätestens beim ersten toten Kandidaten, dass da doch etwas gehörig schief läuft. Aber was? Sollen sie weiter die Befehle befolgen und auf ein Entrinnen hoffen oder sich allen Aufgaben widersetzen, um damit einen Abbruch der Sendung zu erzwingen? Die ursprünglich halbwegs geeinte Gruppe bricht aufgrund verschiedener Meinungen auseinander.

In kurzen, flott lesbaren Kapiteln geht es spannend dahin. Besonders gut gelungen ist die Handlung deshalb, weil wir uns nicht ausschließlich im Fort aufhalten, sondern dazwischen dem Podcast lauschen oder den Polizisten über die Schultern sehen. So vergeht die Zeit wie im Fluge und die zweite Buchhälfte liefert noch einiges an Überraschungen. Mit dem Ende schließt sich der Kreis zu den blutigen Fußspuren und der Leser wird sich genauestens überlegen, ob der jemals an solch einem Wettbewerb teilnehmen möchte.

Ein gelungener Escape-Room-Thriller, der durch interessante Zusammenhänge und größtmögliche Abwechslung punktet. Mir hat‘s sehr gut gefallen.