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Veröffentlicht am 25.02.2023

Schnappschüsse

Die Perfektionen
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Anna und Tom kommen aus dem Süden, lassen sich als sogenannte Expats im modernen, fortschrittlichen Berlin nieder, wählen eine lichtdurchflutende Wohnung mit üppigen Pflanzen als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt, ...

Anna und Tom kommen aus dem Süden, lassen sich als sogenannte Expats im modernen, fortschrittlichen Berlin nieder, wählen eine lichtdurchflutende Wohnung mit üppigen Pflanzen als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt, geben sich ganz der pulsierenden Stadt des beginnenden 21. Jahrhunderts hin mit all ihren Möglichkeiten an Vernissagen, Bars und Sexclubs. Fließend verbindet sich ihr Lebensstil mit der Moderne der Stadt, Erinnerungen an daheim lassen die zurückliegenden Jahre konservativ und hinterwäldlerisch erscheinen. Als Online-Designer sind sie nun unabhängig und frei, können sich dem Rausch der Zeit hingeben und ihr Dasein genießen. Wie lange kann so etwas gut gehen, fragt der Autor und präsentiert damit dieses zum Nachdenken anregende Büchlein.

Mit wundervollen Bildern und aufwendigen Beschreibungen beginnt Vincenzo Latronico seinen außergewöhnlichen Roman. Durch liebevolle Details entwirft er ein Gemälde, ja ein Stillleben Berlins um die 2000er-Jahre. Alles scheint leicht und unkompliziert, junge Menschen aus aller Herren Länder leben in Berlin, Anna und Tom in ihren Zwanzigern sind Teil der Bubble von sorglosen Menschen. Aber irgendwann beginnt Berlin sich zu verändern, und damit verändern sich auch die Rahmenbedingungen für Anna und Tom, sie sind nicht fremd, aber auch nicht heimisch, der Drang, nach Neuem zu suchen, wird immer größer.

Ein Buch wie eine Serie von Schnappschüssen, Bilder von Berlin, von Wohnungen, Cafes und Clubs, von oberflächlichen Gesprächen mit Bekannten und intimen Momenten zu zweit, von Illusionen und der einholenden Realität, ein Buch, das gänzlich ohne direkte Rede auskommt und reduziert wird auf die Betrachtung der Welt, in der sich Anna und Tom bewegen. Was ist Berlin, was ist Heimat? Geht es den beiden besser oder deren irgendwo im Süden daheimgebliebenen Verwandten? Über knapp 130 Seiten begleitet der Leser zwei Menschen der Generation Y, welche die Wahl haben zwischen fixen Bürozeiten und unabhängigen Internetdienstleistungen, zwischen Essen per Lieferdienst oder Kochen mit exotischen Zutaten, zwischen Daheimbleiben oder Koksen im Club mit Gleichgesinnten. Aber ist diese Wahlmöglichkeit auch wirklich zufriedenstellend und sinnstiftend? Wie wird das Leben von Anna und Tom jenseits deren Dreißiger verlaufen?

Latronico bildet ab, was vielfach Realität ist und trifft damit wohl den Kern der Sache, auch wenn ich mich selber überhaupt nicht mit den Figuren im Roman identifizieren kann. Dennoch stellt „Perfektionen“ eine durchaus nicht alltägliche und interessante Lektüre dar und wirft wichtige Fragen auf, wie wir schlussendlich unser Leben gestalten wollen.

Titel Die Perfektionen
Autor Vincenzo Latronico
ASIN B0BJW7B9GM
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (128 Seiten)
Erscheinungsdatum 26. Jänner 2023
Verlag Ullstein
Originaltitel Le perfezioni
Übersetzer Verena von Koskull

Veröffentlicht am 25.02.2023

Rund um die Welt

Das Erbe der Teehändlerin
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Bereits die dritte Generation kümmert sich um den Teehandel Ronnefeldt. Bevor Rolf jedoch traditionsgemäß mit 26 Jahren seine Anteile der Firma erhält, unternimmt er eine Weltreise auf den Spuren des Tees. ...

Bereits die dritte Generation kümmert sich um den Teehandel Ronnefeldt. Bevor Rolf jedoch traditionsgemäß mit 26 Jahren seine Anteile der Firma erhält, unternimmt er eine Weltreise auf den Spuren des Tees. Unterdessen wartet Anna, die junge Tochter des Fabrikdirektors Reither, auf Rolfs Rückkehr. Während der Monate seiner Abwesenheit zweifelt Anna allerdings an dessen aufrichtigem Interesse an ihr und stürzt sich noch mehr in ihre wichtigen Aufgaben beim Wohltätigkeitsverein.

Mittlerweile schreiben wir bereits das Jahr 1889, Frankfurt erwartet jubelnd den Besuch des Kaisers und Carl Ronnefeldt ist zufrieden mit seinem Teehandel. Rolf jedoch hegt Zweifel an der konservativen Geschäftsführung seines Vaters und zusätzlich an der Vertrauenswürdigkeit der Handelsvertreter, welche das Teehaus beschäftigt. Also zieht er Erkundigungen ein und bildet sich auf seiner monatelangen Reise selbst ein Bild von Teeanbau und –verarbeitung, Transportwegen und möglichen Geschäftspartnern.

Mit ruhigen Worten und ausschweifenden Beschreibungen holt Susanne Popp ihre Leser nach Frankfurt, New York, Indien und China. Die Welt der Teeplantagen wird ebenso bunt dargestellt wie das Leben jener, die in Frankfurt zurückgeblieben oder früher schon nach Amerika ausgewandert sind. Abwechslungsreich gestalten sich die Szenen auf verschiedenen Kontinenten, zu Lande ebenso wie am Meer. Geschickt verknüpft die Autorin historische Fakten mit fiktiven Elementen, sodass ein stimmiges Gesamtwerk entsteht. Auch diesmal wieder sind sämtliche Figuren glaubwürdig und lebendig charakterisiert, spürt man nicht nur zwischen den Zeilen die Gefühle sämtlicher Personen. Der gesellschaftliche Hintergrund der Zeit ist ebenfalls sehr gut recherchiert und anschaulich in die Handlung eingeflochten. Dass Anna sich für Bildungsmöglichkeiten junger Mädchen abseits von Sticken und französischer Konversation einsetzt und vom Wahlrecht der Frau überzeugt ist, fließt wunderbar ins Geschehen ein.

Das Erbe der Teehändlerin bildet einen würdigen und lesenswerten Abschluss dieser Trilogie. Gerne bin ich als Leserin eingetaucht in die fernen Welten des Genusses und in die wunderbaren Beschreibungen der gesellschaftlichen und politischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts.


Titel Das Erbe der Teehändlerin
Autor Susanne Popp
ASIN B09YC42DPC
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (464 Seiten) und Hörbuch
Reihe Die Ronnefeldt-Saga, Band 3
Erscheinungsdatum 1. Februar 2023
Verlag Fischer

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.02.2023

Ein Sommer in Irland

Das dritte Licht
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Ein Wagen fährt Richtung Wexford, am Steuer der Vater, im Fond das Mädchen mit den zwei Zöpfen. Das Kind soll zu entfernten Verwandten, denn die Mutter ist schon wieder schwanger, die Mäuler sind nur noch ...

Ein Wagen fährt Richtung Wexford, am Steuer der Vater, im Fond das Mädchen mit den zwei Zöpfen. Das Kind soll zu entfernten Verwandten, denn die Mutter ist schon wieder schwanger, die Mäuler sind nur noch schwer zu stopfen. Bei den Kinsellas, den Zieheltern, gibt es genug, erwartet wird lediglich die Mithilfe im Haushalt. Was wird das Kind dort sonst noch erwarten?

Das Titelbild und der Klappentext mit dem Hinweis auf ein trauriges Geheimnis werfen Fragen auf, wecken die Neugier des Lesers. Man glaubt kaum, dass eine ganze Geschichte hineinpasst in die acht Kapitel auf knapp einhundert Seiten. Und doch zeigt Claire Keegan, dass dies möglich ist: mit einem nüchternen Schreibstil besinnt sie sich auf das Allerwesentlichste, manches kann man indirekt herauslesen – wie die Information aus den Nachrichten, dass es sich um die 1980er-Jahre handelt – anderes darf der Leser seiner eigenen Phantasie überlassen. Jedenfalls geht es um ein kleines Mädchen im Volksschulalter, welches aus seiner Perspektive in der Ich-Form erzählt. Das Kind bleibt die ganze Zeit über namenlos und fügt sich brav in sein Schicksal. Bei der Anreise passiert man verschiedene Orte, welche Erinnerungen bereithalten, so erfährt der Leser, dass der Vater trinkt und spielt. Das Leben des Kindes in seiner eigenen Familie ist kein leichtes. Ob sich in diesem Sommer etwas ändert, wird sich weisen.

Stark gerafft und recht nüchtern im Schreibstil präsentiert sich dieser Roman, der das Erwachsenwerden eines Kindes darstellt, der hinter der Kargheit von Worten dennoch eine Reihe von Gefühlen und Weisheiten verbirgt und auch mit Ungesagtem noch eine Menge an Informationen bereit hält, wenn man nur genau genug hinsieht. Der Satz „So mancher Mann hat viel verloren, nur weil er eine perfekte Gelegenheit verpasst hat, nichts zu sagen.“ (kindle, Pos. 531) passt nicht nur im Zusammenhang gut in die Handlung, sondern trifft auch den Kern des Buches perfekt. Mit wenigen oder gar ohne Worte zaubert die Autorin das Gefühl dieses Sommers zwischen zwei Buchdeckel, gibt dem Kind als Hauptfigur Platz und Zeit zum Reifen und seine Persönlichkeit deutlich weiterzuentwickeln. Was schmerzt, ist die Zerrissenheit zwischen den beiden Lebenswelten.

Ein Roman, der trotz oder gerade wegen seiner Kürze und seiner distanzierten Schreibweise bewegt und zum Nachdenken anregt. Ich freue mich, dass ich mit „Das dritte Licht“ Claire Keegan als Autorin kennenlernen durfte.


Titel Das dritte Licht
Autor Claire Keegan
ASIN B0BVBLMY99
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (104 Seiten)
Erscheinungsdatum 1. Februar 2023
Verlag Steidl
Originaltitel Foster
Übersetzer Hans-Christian Oeser

Veröffentlicht am 16.02.2023

Italienisierung und Heimholen ins deutsche Reich

Der Duft von Erde nach dem Regen
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Südtirol, 1936: Einige Jahre sind vergangen, Johanna hat mit dem ehemaligen Knecht Wilhelm eine Familie gegründet und bewirtschaftet erfolgreich den Apfelhof. Zwistigkeiten mit ihrem älteren Bruder Leopold, ...

Südtirol, 1936: Einige Jahre sind vergangen, Johanna hat mit dem ehemaligen Knecht Wilhelm eine Familie gegründet und bewirtschaftet erfolgreich den Apfelhof. Zwistigkeiten mit ihrem älteren Bruder Leopold, welcher sich um sein Erbe betrogen fühlt, stehen an der Tagesordnung. Ebenso heißt es stets auf der Hut sein, mit wem man noch ein deutsches Wort wechselt. Die Zeiten werden nicht einfacher, die einheimischen Juden sehen sich immer öfter nach Auswanderungsmöglichkeiten in die Schweiz oder gleich nach Amerika um.

Leicht fließt Anna Thalers Sprachmelodie dahin, detailliert und bildhaft beschreibt sie das Familienleben jener Figuren, die man schon aus dem Vorgängerband kennt. Wer neu einsteigt, wird es jedoch ebenfalls nicht schwer haben, den roten Faden im Buch zu finden und mit vielen liebenswerten Personen einige schicksalreiche Jahre zu verbringen. Die Umbrüche in deutschen Landen führen auch in Südtirol zu zunehmender Verunsicherung. Hatten die deutsch sprechenden Bewohner von Alto Adige es in den letzten Jahren schon schwer, Sprache und Brauchtum zu bewahren und gleichzeitig den gestrengen Blicken der Carabinieri auszuweichen, welche die Italienisierung überwachen müssen, so gibt es nun Gerüchte über Umsiedlungen in sizilianische Arbeitslager. Kein Wunder, dass Angst umgeht unter den Südtirolern.

Die persönlichen, genauso wie die politischen Zustände vermag Anna Thaler gut vorstellbar zu Papier zu bringen. Allerdings fehlt es mir dann und wann an Lebendigkeit im Vergleich zum Vorgängerband. Der ist mir ein wenig bunter und aufregender in Erinnerung. Nichtsdestotrotz hat die Autorin die Stimmung im Land wunderbar eingefangen, die Sicht des ein wenig fremd gewordenen Bruders Andreas dargelegt, der schon Jahre zuvor nach Amerika ausgewandert ist. Alles in allem ergibt sich ein stimmiges Bild der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: Nachbarn, die in den 1920er-Jahren verfeindet waren, weil sich manche ihrer Meinung nach zu schnell an die Italiener angepasst haben, werden nun wieder zu Freunden. Andere sympathisieren mit Hitler und dessen Vorhaben, Südtirol „heimzuholen“. Realistisch und authentisch geht es auch im Band Zwei zu, gute und schlechte Tage wechseln einander ab wie es eben auch im echten Leben so geschieht.

Ich kann „Der Duft von Erde nach dem Regen“ ebenso empfehlen wie Teil Eins der Trilogie und werde die Leidingers, die Andergassers, die Rosenbaums und alle anderen sehr gerne auch im folgenden Band auf ihren Wegen begleiten.


Titel Der Duft von Erde nach dem Regen
Autor Anna Thaler
ASIN B09KXM45F5
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (352 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 1. Juni 2022
Reihe Die Südtirol-Saga, Band 2
Verlag Knaur

Veröffentlicht am 14.02.2023

Ein faszinierender Segeltörn

In blaukalter Tiefe
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Andreas und Caroline, ein beruflich erfolgreiches Paar, buchen endlich den erträumten Urlaub – einen Segeltörn in den Schwedischen Schären, gemeinsam mit Andreas‘ ambitioniertem Juniorpartner der Anwaltskanzlei, ...

Andreas und Caroline, ein beruflich erfolgreiches Paar, buchen endlich den erträumten Urlaub – einen Segeltörn in den Schwedischen Schären, gemeinsam mit Andreas‘ ambitioniertem Juniorpartner der Anwaltskanzlei, Daniel und dessen Freundin Tanja. Eric als Skipper der schnittigen Charterjacht ist der fünfte im Bunde für zehn erholsame Tage. Nach einem Beginn mit Sonne, ruhiger See und frischen Meeresfrüchten als köstlichem Tagesabschluss beginnt sich die Idylle aber zu verändern. Schwelende Konflikte drängen mit zunehmendem Wind immer mehr an die Oberfläche bis ein Sturm zur Kursänderung zwingt.

Mit vielen fachmännischen Details führt Kristina Hauff in den Alltag des Segelns ein, schnell ist der Leser gefangengenommen von Groß und Vorsegel, Wenden, Luv und Lee und etlichen anderen Ausdrücken, die sich fließend in die Handlung einfügen und aufgrund der kundigen Erklärungen auch für Laien sofort verständlich sind, Profis werden sich daran hoffentlich nicht stören. Der zarte Wind streicht einem anfangs übers Gesicht, die Sonne schickt warme Strahlen aus, der Duft des Dorsches am Grill umweht das Näschen, dennoch liegt von Anfang an etwas in der Luft, etwas, das die Stimmung unterschwellig bedroht, sind es doch die fünf Personen selbst, die durch ihre so unterschiedlichen Charaktere Spannung ins Geschehen bringen. Jeder hat ein Ziel bei dieser Reise, werden alle dieses auch erreichen?

Faszinierend beschreibt die Autorin ihre Figuren, welche – einander großteils fremd – auf engstem Raum begegnen, gemeinsam als Crew das Boot steuern müssen. Langsam aber stetig beginnen sich die wahren Gesichter zu zeigen, die rauer werdende See tut ihr Übriges dazu. Dicht und atmosphärisch geht es dahin, hart am Wind lautet zuletzt der Kurs, jeder sollte sich auf jeden verlassen können, aber das kann mit drei Anfängern schlussendlich zum Verhängnis werden.

Aus Sicht der vier Urlauber lässt Kristina Hauff diese packende Geschichte erzählen, abwechselnd, immer in der angenehmen dritten Form. Manche Szenen werden dabei wiederholt und werfen aus einem neuen Blickwinkel ein anderes Licht aufs Geschehen. Vieles ist klar nachvollziehbar, gegen Ende hin aber dann doch wieder nicht, insbesondere Eric bleibt unnahbar. Dennoch ist dieser Segeltörn ein Abenteuer, welches man sich keinesfalls entgehen lassen sollte – voller Spannung, Gewissenskonflikte und folgenschweren Entscheidungen.


Titel In blaukalter Tiefe
Autor Kristina Hauff
ASIN B0BP2MKS92
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (289 Seiten)
Erscheinungsdatum 20. Februar 2023
Verlag hanserblau