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Veröffentlicht am 23.09.2021

Spannender Klimathriller

Dürre
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In seinem neuen Thriller beschäftigt sich Uwe Laub mit dem Klimawandel und gibt damit einer der größten Herausforderungen unserer Zeit genau den Raum, den sie verdient. Die Notwendigkeit zum Aufhalten ...

In seinem neuen Thriller beschäftigt sich Uwe Laub mit dem Klimawandel und gibt damit einer der größten Herausforderungen unserer Zeit genau den Raum, den sie verdient. Die Notwendigkeit zum Aufhalten bzw. zum Verlangsamen der Erderwärmung ist fast jedem heute klar. Doch wo und wie ansetzen, damit es wirklich funktioniert und gleichzeitig gerecht zugeht?

Ausgehend von den wiederkehrenden Dürren, die es inzwischen auch in Europa gibt, setzt der Autor das heutige Szenario glaubwürdig in die nahe Zukunft fort. Europa kämpft mit Hungersnot. Erzeugte Lebensmittel sind Staatseigentum, das dann auf die Bevölkerung verteilt wird. Satt wird kaum einer. Gleichzeitig wird alles, was man tut, hinsichtlich des CO2-Abdrucks von einer App überwacht und bewertet. Verbraucht man zu viel CO2-Credits drohen Strafzahlungen, die sich kein Otto Normalverbraucher mehr leisten kann.

Vor diesem Hintergrund geraten Julian und Leni ins Visier der Behörden, nachdem ein Kurzschluss an den Solarpanels ihrer Scheune einen Brand verursacht. Obwohl die beiden jungen Leute eigentlich ganz gut mit den alltäglichen Widrigkeiten zurecht gekommen waren, werden sie jetzt regelrecht aus der Bahn geschleudert. Dabei wirkt Julian zunächst unerwartet naiv. Seine menschliche Seite und seine Gutmütigkeit erzeugen ein Verhalten, das ihn immer tiefer in die Spirale der staatlichen Sanktionen hineintreibt. Es dauerte aus meiner Sicht recht lange, bis Julian in seiner Bedrohungslage wieder vernünftige Entscheidungen treffen kann. Da Leni nicht so stark im Vordergrund steht, ist bei ihr die Unbedarftheit auch nicht so auffällig. Als Helden, die in ihre Rolle erst hineinwachsen müssen, mochte ich die beiden sehr gern.

Noch interessanter war für mich allerdings Alex Baumgart. Nerds wie er sind für mich immer mit einer gewissen Faszination verbunden. Ich mag das technische Know-How, das ihm innewohnt. Seine ungelenke Art verschleiert die überdurchschnittliche Intelligenz, den Gedanken- und Erinnerungspalast, aus dem er MacGyver-mäßig eine Lösung hervorzaubert, obwohl er gerade unter absolutem Stress steht. Gefallen hat mir darüberhinaus, dass er die sich bietende Challenge aufnimmt, ohne an damit einhergehende Gefahren zu denken. Für mich ist er der wahre Held. Seine Unzulänglichkeiten habe ich ihm gern verziehen.

Insgesamt hat mir der neue Thriller gut gefallen. Wie auch schon bei Leben ist das Geschehen immer spannender geworden, bis ich in der zweiten Buchhälfte gar nicht mehr aufhören konnte zu lesen. Lediglich auf die Figur des Diego und die Wandlung seiner Rolle hätte ich verzichten können.

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Veröffentlicht am 13.09.2021

Zerstörerischer Alkohol

Shuggie Bain
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Die Geschichte bewegt sich im Glasgow der 80er Jahre. Die Zechen haben längst dicht gemacht, Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet, ein Leben von der Stütze ist an der Tagesordnung. Die Armut und Perspektivlosigkeit ...

Die Geschichte bewegt sich im Glasgow der 80er Jahre. Die Zechen haben längst dicht gemacht, Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet, ein Leben von der Stütze ist an der Tagesordnung. Die Armut und Perspektivlosigkeit sind schier unerträglich, so dass viele Menschen ihre Sorgen betäuben.
 
So auch Shuggie’s Mutter, Agnes, die vom Ehemann verlassen wurde und nun mit ihren drei Kindern und sich selbst total überfordert ist. Abgeschoben in eine dreckige Sozialsiedlung wartet die einstmals schöne und immer noch auf ihr Äußeres bedachte Frau auf die nächste Zuteilung vom Amt, die umgehend in Alkohol investiert wird. Für Lebensmittel reicht das Restgeld dann nicht immer, was für die Kinder einen leeren Magen bedeutet. Neue Kleidung gehört zu den Luxusgütern, die im Katalog auf Pump angeschafft werden muss. Schlimmer als die Armut an sich habe ich allerdings die Umkehr in der Fürsorge empfunden. Die noch sehr jungen Kinder, insbesondere der zunächst 8-Jährige Shuggie, müssen auf die Mutter achten, dass sie sich nichts antut, dass sie nicht verunfallt, dass sie wenigsten ein paar Münzen zum Füllen der Mägen mit einfachsten, sättigenden Nahrungsmitteln erübrigt.
 
Mein liebster und der gleichzeitig titelgebende Charakter Shuggie liebt seine Mutter nicht nur, sondern er vergöttert sie. Er gibt ihr mehr als sie ihm Fürsorge, Wärme und Geborgenheit. Nach seinen Möglichkeiten deckt er Agnes Fehlverhalten, verteidigt sie gegenüber anderen. All das tut Shuggie in einer so zarten Art und Weise, dass mir mein Herz aufging. Vor meinem inneren Auge konnte ich regelrecht diesen hübschen Jungen mit seiner stark ausgeprägten femininen Seite wahrnehmen. Es hat mich jedes Mal durchzuckt, wenn Shuggie dafür, für seine Liebenswürdigkeit in Person, Schläge einstecken musste.

Besonders wird der Roman durch den Schreibstil. Douglas Stuart schreibt aus meiner Sicht sehr atmosphärisch. Das Grau in Grau der Sozialsiedlung, der Kohlestaub sind allgegenwärtig. Die Darstellung von herrschendem Neid und Missgunst fand ich wirklich glaubwürdig. Die Übersetzung des Sprachgebrauchs der glasgower Unterschicht kommt einem in deutsch gelesen zwar erstmal etwas seltsam vor, wirkte auf mich dennoch passend. So wurde direkt vermittelt, wie unsauber die Sprache in Shuggie‘s Umfeld ist.

Letztlich ist dieser Booker Preis prämierte Roman weit entfernt von leichter Kost. Der Autor steigt tief in die Abgründe der Alkoholsucht hinab, arbeitet die Problematik der Co-Abhängigkeit von Agnes‘ Kindern deutlich heraus. Es ist kein Thema, mit dem man sich gern beschäftigt, dem man sich dennoch mit diesem Roman ein Stück weit annähern kann.

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Veröffentlicht am 02.09.2021

Außergewöhnlicher Erzählstil

Der Himmel vor hundert Jahren
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In einem kleinen, weit abgeschiedenen, russischen Dorf um 1918, der Zeit nach der Revolution, begegnen wir Ilja und Pjotr sowie ihren Anhängern.
Technischer Fortschritt und hohe Politik sind weit entfernt, ...

In einem kleinen, weit abgeschiedenen, russischen Dorf um 1918, der Zeit nach der Revolution, begegnen wir Ilja und Pjotr sowie ihren Anhängern.
Technischer Fortschritt und hohe Politik sind weit entfernt, das Weltbild wird gezeichnet von Krankheit und Aberglauben. Das Hauptinteresse der Dorfbewohner gilt der Wettervorhersage, weil die richtige Reaktion auf das Wetter die Ausbeute der Feldwirtschaft erhöht. In dieser Welt leerer Mägen geht es ums nackte Überleben. Während Ilja das zukünftige Wetter von einem Röhrchen ableitet, befragt Pjotr die Flussgeister.

Dieser Roman lässt sich nicht so einfach in eine Schublade stecken. Er berichtet von etwas Historischem, ist gleichzeitig auf das aktuelle Umbruchgeschehen übertragbar. Er erzählt konkret von der Zeit kurz nach der Revolution, fühlt sich allerdings auch irgendwie märchenhaft an, unwirklich. Der Roman berichtet über Ereignisse, ohne richtig darüber zu sprechen. Er beginnt mit einem Aspekt, verliert sich dann im Hundertstel und Tausendstel, landet bei einem neuen Schwerpunkt, um sich abermals zu verlieren. Betrachtet man einzelne Abschnitte liegt das Geschehen im Nebel, erst durch die Sicht auf den Roman als Ganzes entsteht eine Vorstellung von der übergreifenden Situation.
Ich fühlte mich beim Lesen ein bisschen an den Erzählhabitus meiner Oma mit ihren Nachbarn und Besuchern erinnert. Diese Altersgruppe hatte ebenfalls eine ellenlange, beschreibende Erzählweise. Um Personen zu identifizieren wurde beispielsweise „die dritte Tochter von der Nachbarin zwei Häuser rechts von Liselotte Müller verkehrt jetzt mit dem Ältesten von dem Schreiner-Otto seinem Sohn“ gesagt. Darüber hinaus arbeitet die Autorin mit starken Metaphern. Ilja und Pjotr sind mit ihrem Handeln nicht nur Dorfbewohner, sondern in meiner Wahrnehmung auch die Vertreter für das Zeitgeschehen.

Obwohl es mir schwerer gefallen ist, dieses Sprachkonstrukt zu lesen, hat mir die geschichtliche Auseinandersetzung gut gefallen. Historisch Geschehenes kann im Geschehen von heute reflektiert werden. Verklärung durch mangelnde Aufklärung hatte ich im Fokus oder auch gänzlich fehlende Information vs. Informationsoverflow. Es ist weniger der Bericht an sich, sondern mehr das, was er an weiteren Gedankengängen anschubst, was ihn für mich besonders macht.

Ich empfehle ihn sehr gern an alle, die auch das mühevolle Lesen lieben.

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Veröffentlicht am 25.08.2021

Urlaub mit Hindernissen

Der Brand
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Nachdem ich bereits „Die Liebe im Ernstfall“ und „Muldental“ von Daniela Krien mit Freude gelesen hatte, wollte ich mir natürlich ihren neuen Roman nicht entgehen lassen. Er gewährt uns einen kurzen Einblick ...

Nachdem ich bereits „Die Liebe im Ernstfall“ und „Muldental“ von Daniela Krien mit Freude gelesen hatte, wollte ich mir natürlich ihren neuen Roman nicht entgehen lassen. Er gewährt uns einen kurzen Einblick in die Ehe von Rahel und Peter, ihre Beziehung in der Krise. Ist eine Trennung vermeidbar? Wie viel Gemeinsamkeit ist noch vorhanden? In dieser Situation steht ein gemeinsamer Urlaub an, der eigentlich in einer einsamen Hütte in Oberbayern stattfinden sollte, die beiden nun aber nach Dorotheenfelde in die Uckermark führt.

In diesem schönen Setting, einer Mischung aus Bauernhofatmosphäre und Haus am See haben Rahel und Peter zunächst Schwierigkeiten, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Auch das Sehen des Anderen bereitet ihnen Probleme. Jeder ist einsam nur bei sich und hängt an den Fehlern des Gegenüber fest. Das Positive, das Verbindende hat gar keine Chance wahrgenommen zu werden. Jeder Ansatz eines Gespräches wird beleidigt abgeblockt. Erst als die Tochter, Selma, mit ihren Problemen bei den Eltern aufschlägt, entstehen erste Impulse einer Annäherung.

Daniela Krien erzählt geradeaus, was passiert, wie die Partner aufeinander reagieren. Sie zeichnet ein klares Bild von der Umgebung und den Hofbewohnern, die sich direkt vor dem inneren Auge erheben. Es fühlt sich an, als würde man selbst vor Ort sein und die Szenerie live beobachten. Die Autorin wählt ihre Worte zart und einfühlsam. Ich ließ mich von ihrer einnehmenden literarischen Welle mitreißen und davontragen, bis ich vom offenen Ende an den Strand gespült wurde. Ich mochte diese Unabgeschlossenheit sehr, weil man so das weitere Geschehen in verschiedene Richtungen weiterdenken kann. Zudem erhält die Geschichte dadurch zusätzliche Authentizität. Schließlich ist im wahren Leben eine kriselnde Beziehung auch nicht innerhalb eines Urlaubs repariert.

Gefallen hat mir darüber hinaus die Zeichnung der Charaktere. Jeder Charakter hatte seine Ecken und Kanten, weder Rahel noch Peter waren mir durchgehend sympathisch oder unsympathisch. Gleichzeitig konnte ich mich in beide gut hineinfühlen. Schön war auch, dass Rahel eher als Macher und Peter als Denker angelegt waren. Dadurch kommt es zu typischen Konstellationen, die hier allerdings aus traditioneller Betrachtungsweise mit umgekehrter Rollenverteilung daherkommen. Lediglich die in den Urlaub hineinplatzende Selma mit ihrem selbstverursachten, unendlichen Leid hat eine eher ablehnende Haltung meinerseits ihr gegenüber provoziert.

Summa Summarum ein schöner eingängiger Roman, der frei von Kitsch gut lesbar das Zusammenleben nach den Kindern betrachtet. Ich mochte die Geschichte sehr und empfehle sie daher gern weiter.

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Veröffentlicht am 23.08.2021

Langer Titel, kurzweiliger Inhalt

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García
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Pedro Fernández García ist wie auch schon sein Vater und sein Großvater Postbote mit einem kleinen Büro in Yaiza im Süden von Lanzarote. Was zu Zeiten seines Großvaters noch ein ehrbarer Beruf war, ist ...

Pedro Fernández García ist wie auch schon sein Vater und sein Großvater Postbote mit einem kleinen Büro in Yaiza im Süden von Lanzarote. Was zu Zeiten seines Großvaters noch ein ehrbarer Beruf war, ist durch die Kommunikation via Internet inzwischen vom Aussterben bedroht. So ist Pedro nach der Zustellung der täglichen Postwurfsendungen und den verbliebenen wenigen Briefen dazu gezwungen, Zeit totzuschlagen. Seiner Freundin Carlota, die selbst im Tourismus arbeitet und unter Dauerstrom steht, ist das als berufliche Aufgabe zu wenig. In der Folge verlässt sie ihn und zieht mit dem Sohn Miguel nach Barcelona. Pedro bleibt mit seinem Freund aus Kindertagen, Tenaro, zurück, der heute als Fischer arbeitslos ist.

Während Pedro in der Wahrnehmung von Arbeitsbienen wie Carlota irgendwie antriebslos wirkt, ist Tenaro sprunghaft, sprudelt nur so vor verrückten Ideen, um zukünftig seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Während es Pedro reicht, von seinem Gehalt einen Café con leche und den Mittagstisch in der BarStop für sich uns seinen Sohn finanzieren zu können und will Tenaro den ganz großen Coup. Tenaro will wie in den Zwanzigern feiern, Pedro für seinen Sohn da sein. Obwohl ich wahrscheinlich mit beiden Herren nicht zusammenleben könnte, ist mir letztlich Pedro doch sympathischer. Er hat wenigstens ein echtes Ziel. Er möchte das Beste für seinen Sohn. Gut gefallen an den beiden hat mir ihr Zusammenwirken als Team. Vieles klappt zwar nicht mehr so wie früher und ein bisschen auseinander gelebt haben sich die Freunde auch, aber letztlich wissen sie doch um die Bedürfnisse des Anderen.

Insgesamt ist der Roman von Moritz Rinke unglaublich vielschichtig. Es geht um wegbrechende Berufe, was die mit sich anfangen sollen, die sie bisher ausgeübt hatten. Hinzu kommen Flüchtlinge, die nach Freiheit strebend über die Kanaren nach Europa einreisen. Eingewoben sind die Themen Männerfreundschaft, Vaterschaft und Fußball, der alles verbindet. Messi als Vorbild und Held vom FC Barcelona ist ebenfalls mit von der Partie. Abgerundet wird das Ganze durch einen tiefergehende Blick in die Vergangenheit Spaniens, als sich Franco mit Unterstützung des nationalsozialistischen Deutschen Reichs an die Macht geputscht hat.

Das Konstrukt des Autors ist so geschickt zusammengesetzt, dass regelrecht einleuchtet, wie die Ereignisse und Entscheidungen der Vergangenheit bis ins Heute wirken. Durch die ungelenke Art seiner Charaktere schafft Rinke trotz der ernsten Thematik eine Situationskomik, die ich sehr mochte, nicht schreiend komisch, sondern immer wieder zum Schmunzeln anregend. Witzig waren zudem die leicht spoilernden Kapitelüberschriften, die manchmal auch Vorfreude, was denn jetzt wieder passiert, erzeugen konnten. Der Titeldes Romans ist vielleicht etwas langatmig gewählt, der Roman selbst ist es nicht, sondern ein ganz besonderes Lesevergnügen, das ich gern weiter empfehle.

Schade ist nur, dass parallel zur Veröffentlichung der deutschen Ausgabe verkündet wurde, dass Messi nach Paris Saint-Germain wechselt.

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