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Veröffentlicht am 23.02.2021

Unkaputtbare Freundschaft?

Unter Wasser Nacht
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Sophie und Thies sowie Inga und Bodo teilen sich einen Hof direkt an der Elbe. Ihre Freundschaft besteht seit der gemeinsamen Jugend, die sie als Hausbesetzer und engagierte Atomkraftgegner verbracht hatten. ...

Sophie und Thies sowie Inga und Bodo teilen sich einen Hof direkt an der Elbe. Ihre Freundschaft besteht seit der gemeinsamen Jugend, die sie als Hausbesetzer und engagierte Atomkraftgegner verbracht hatten. Mit den Kindern kam der Umzug ins Idyll des Wendlands. Etwas spießiger ging es nun zu, Picknicks, gemeinsame Feste in der Nachbarschaft.

Den Lesern wird der Einstieg in den Roman dreizehn Monate, nachdem der Sohn von Sophie und Thies unter ungeklärten Umständen ums Leben kam, gewährt. Sofort ist klar, die Idylle des Wohnorts trügt. Die Leere und Trauer im Leben von Sophie und Thies steht dem weiterlaufenden Familienleben von Inga und Bodo mit ihren Vorzeigekindern gegenüber. Man beäugt sich, beobachtet sich, überwacht den jeweils anderen. Die einen suchen Makel, um den eigenen Neid zu schmälern, die anderen weichen gefährlichen Themen aus, wollen auf keinen Fall Streit. So steht viel Unausgesprochenes im Raum, blockiert alle Beteiligten in ihrem Verhalten, stellt die Freundschaft auf eine harte Probe. Als nun eine Fremde in das Leben der beiden Paare eintritt, sich mit ihnen anfreundet, aber auch unbequeme Fragen stellt, gerät das Hofleben an den Rand der Belastungsgrenze.

Die Autorin führt uns vor Augen, dass Dinge nicht unbedingt so sind, wie wir sie sehen. Hinter einer Fassade kann eine ganz andere Wirklichkeit stattfinden. Sehr feinfühlig arbeitet Kristina Hauff die ambivalenten Gefühle der Beteiligten heraus. Besonders deutlich sind die Ängste der beiden Paare beschrieben. Gut gefallen haben mir auch die Ausführungen zu Entschuldigungsfloskeln bezüglich des „Fehlverhaltens“ der Kinder.

Ein wenig Kritik verdient die Vorhersehbarkeit der Handlung. Etwa in der Mitte des Romans hatte ich abgesehen von der Nebenhandlung eine Ahnung über den Ausgang, der dann so tatsächlich auch eintrat.

Insgesamt hat mir „Unter Wasser Nacht“ trotzdem gut gefallen. Der Roman ist geradlinig erzählt, lässt sich angenehm flüssig lesen, hat gleichzeitig einen gewissen Tiefgang.

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Veröffentlicht am 23.02.2021

Glaube und Liebe

Aus der Mitte des Sees
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Lukas ist fast vierzig und lebt als Mönch in einem Kloster. Die meisten seiner Mitbrüder sind schon sehr alt. Der einzig junge neben ihm hat sich gerade für ein Familienleben entschieden somit gegen das ...

Lukas ist fast vierzig und lebt als Mönch in einem Kloster. Die meisten seiner Mitbrüder sind schon sehr alt. Der einzig junge neben ihm hat sich gerade für ein Familienleben entschieden somit gegen das Kloster. Lukas ist nun selbst am Zweifeln, erst recht als ihm eine attraktive Frau begegnet.

Beim Lesen begleiten wir Lukas in seinen Gedanken, die hier immer dann eingefangen werden, wenn er im nahen See schwimmen geht. Dort ist er allein, kann sein Denken fließen lassen. Zunächst nahm ich Lukas‘ Neid wahr, auf seinen Freund Andreas, der sich für Frau und Kind entschieden hat. Er blickt auf ihr Glück, kann es ihnen so recht nicht zugestehen. In meiner Wahrnehmung fühlt er sich betrogen. Erst als ihm Sarah begegnet, mischen sich andere Gefühle in seine Gedankenwelt.

In diesem Roman mochte ich den Rückzugsort, den See mit dem Steg, der auch das Cover ziert. Eigentlich hatte ich Stille und Besinnlichkeit in Bezug auf das Klosterleben erwartet. Doch auch hier gab es Stresssituationen, dazu die Unruhe durch die Kurzzeitbewohner des Gastflügels. Was ich vom Kloster erwartet hatte, erfüllte der See. Innerliche Ruhe finden, während der Blick über die Wasseroberfläche schweift. Die innere Mitte finden in der Konzentration auf die Atmung beim Schwimmen. Das war schon sehr glaubwürdig beschrieben. Von einem Gastaufenthalt könnte ich mich sogar überzeugen lassen.

Hegers Schreibstil, der durch seine ungewöhnliche Wortstellung auffällt, hielt mich trotzdem bis zum Schluss in gewisser Distanz zum Klosterleben. Er hatte etwas passend Sakrales an sich, dem ich recht ehrfurchtsvoll gegenüberstand, auch mit Bewunderung, den ich allerdings nicht im Ansatz in eigenen Sprachgebrauch überführen vermag. Gekonnt verschmolzen Sprache und Umgebung regelrecht miteinander.

Die zeitliche Ausdehnung der Reflexionen des Protagonisten wie auch die Reflexionen an sich haben mir gut gefallen. Sie stellen für mich etwas dar, was in unserer schnelllebigen Welt vom Aussterben bedroht zu sein scheint. Gern empfehle ich „Aus der Mitte des Sees“ allen, die auch gern mal abseits des Mainstreams lesen.

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Veröffentlicht am 16.02.2021

Zwischen Leben und Tod

Die Mitternachtsbibliothek
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Matt Haig hatte mich 2018 mit seinem Roman „Wie man die Zeit anhält“ unendlich begeistert. Seine Betrachtungsweise des Übernatürlichen zog mich magisch an, war sehr faszinierend für mich. Mit einer ähnlichen ...

Matt Haig hatte mich 2018 mit seinem Roman „Wie man die Zeit anhält“ unendlich begeistert. Seine Betrachtungsweise des Übernatürlichen zog mich magisch an, war sehr faszinierend für mich. Mit einer ähnlichen Erwartung startete ich mein Leseerlebnis mit seinem neuen Werk, „Die Mitternachtsbibliothek“.

Nora Seed macht das Leben überhaupt keinen Spaß mehr. Nachdem die sozialen Kontakte ihrer Schulzeit in alle Welt zerstreut sind, verliert sie ihren Job im Plattenladen. Als dann noch ihre Katze stirbt, empfindet sie nur noch Einsamkeit und Verzweiflung. Ihr Leben scheint lediglich eine Aneinanderreihung von verpassten Chancen und falschen Entscheidungen zu sein, die reinste Qual. Nora beschließt, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Statt ins Jenseits hinüber zu driften, landet Nora Seed in der Mitternachtsbibliothek, wo sämtliche alternative Leben als Bücher in den Regalen stehen.

In dieser Ebene zwischen Leben und Tod wartet Matt Haig mit philosophischen Gedanken auf. Was braucht ein Leben, um lebenswert zu sein? Kann es Glück ohne Unglück geben? Welchen Preis sollte man bereit sein zu zahlen, um seine Ziele zu erreichen? Was will man eigentlich wirklich? Tut man das, was man tut, weil es von einem erwartet wird oder weil es tatsächlich dem eigenen Wunsch entspricht? Der Autor verpackt diese Fragen in die potenziellen Leben der Protagonistin. Die Beantwortung überlässt er weitestgehend den Leser*innen. Dennoch gibt er Denkanstöße zur Orientierung in unserem modernen Leben, das uns schier unendliche Möglichkeiten bietet, die aber unmöglich alle nutzbar sind. Man muss sich eben entscheiden, zwischen Alternativen abwägen, Fehler machen.

Was thematisch komplex klingt oder vielleicht ein bisschen nach Selbsthilferatgeber, liest sich trotzdem sehr angenehm, so wie ich es eben von einem Roman erwarte. Die verschiedenen Leben, die Nora Seed durchwandert, knüpfen geschickt an die Informationen, die uns vor ihrem Suizidversuch präsentiert worden sind, an. Der Autor schreibt dicht an der bekannten Realität entlang, wodurch ich auch recht unwahrscheinlichen Alternativen Glaubwürdigkeit zugestehen konnte. Matt Haig bedient sich einer ansprechenden, nicht zu anspruchsvollen Sprache. Dadurch entstand eine Wohlfühlatmosphäre, in der ich mich gern mit seinen Gedanken beschäftigt habe. Besonders mochte ich die Parallelen zum Schachspiel, die vergleichend an einigen Stellen eingeflossen sind, sowie die Einbindung des Gedankenexperiments Schrödingers Katze.

Insgesamt hat mir „Die Mitternachtsbibliothek“, die sich irgendwo zwischen Glaube und Quantenphysik bewegt, sehr gut gefallen. Wieder war das nicht greifbare Übernatürliche, hier die Sphäre zwischen Leben und Tod, überaus interessant für mich. Gern empfehle ich den Roman weiter.

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Veröffentlicht am 13.02.2021

Abenteuer und erste schüchterne Liebe in einem

Elchtage
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Von dem sehr einladend wirkenden Cover habe ich mich - ähnlich wie ein Elch durch Futter - regelrecht anlocken lassen. Der sich streicheln lassende Elch ist zutraulich und kuschelig, einfach nur schön. ...

Von dem sehr einladend wirkenden Cover habe ich mich - ähnlich wie ein Elch durch Futter - regelrecht anlocken lassen. Der sich streicheln lassende Elch ist zutraulich und kuschelig, einfach nur schön. Die Sternchen an seinem Hals ein echtes Highlight. Dazu kommt diese wohlige Stimmung durch den Lichteinfall, wo sich der Buchtitel im Wasser spiegelt. So ein wunderbares Buch muss man einfach lesen.

Johanna ist das Mädchen auf dem Bild. Obwohl sie sich über die Sommerferien nicht verändert hat, gehört sie danach irgendwie nicht mehr dazu. Ihre beste Freundin Sandra möchte jetzt lieber ihre Zeit mit den beliebten Mädchen der Klasse verbringen. Johanna sei ihr zu langweilig geworden, behauptet sie. So verbringt die Naturfreundin nun allein ihre Freizeit in der einstmals gemeinsamen Hütte im Wald. Doch wirklich allein bleibt sie nur kurz. Eines Tages spazieren nämlich Elche an ihrer Hütte entlang, sie kommen sogar ganz dicht an sie heran, lassen sich Füttern und Streicheln. Doch diese Zutraulichkeit bringt die Elche in Gefahr. Die Jagdsaison beginnt.

Als merkwürdige Dinge im Wald vorgehen, ist Johanna mittendrin im Abenteuer. Neue Leute treten in ihr Leben ein, darunter auch ein interessanter Junge. In kurzen Kapiteln führt Malin Klingenberg die Leserinnen durch die Geschichte. Sie nimmt die Leserinnen mit in die Wildnis, regt zum Nachdenken hinsichtlich Tierwohl und Umweltschutz an, ohne dabei oberlehrerhaft zu wirken. Darüber hinaus beschreibt die Autorin sehr einfühlsam erste, vielleicht irritierende Gefühle gegenüber jemanden, der nicht zur Familie gehört. Sie erzählt von den allerersten Schritten auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Sprachlich bewegt sie sich auf einem ansprechenden Niveau, das gleichzeitig fordert, aber nicht überfordert. Ich empfinde es für die empfohlene Altersgruppe ab 11 Jahre sehr gut geeignet.

Mir hat ganz besonders das Einfühlungsvermögen der Autorin gefallen. Etwas märchenhaft verpackt, spricht Malin Klingenberg Themen an, die die angesprochene Altersgruppe eigentlich zum Wegrennen findet. Durch das Setting entsteht eine gewisse Wohlfühlatmosphäre, die öffnet und aushalten lässt. Elchtage ist ein sehr schöner Jugendroman, den ich gern weiterempfehle.

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Veröffentlicht am 09.02.2021

Ich bin enttäuscht

DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021
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Syz, der Protagonist der Geschichte, ist ein Programmierer, der im sogenannten Labor lebt und arbeitet. Das Labor ist ein riesiges, von der Außenwelt abgeschottetes, fünfstöckiges Gebäude. Gleichzeitig ...

Syz, der Protagonist der Geschichte, ist ein Programmierer, der im sogenannten Labor lebt und arbeitet. Das Labor ist ein riesiges, von der Außenwelt abgeschottetes, fünfstöckiges Gebäude. Gleichzeitig verkörpert es eine kastenähnliche Gesellschaftsordnung, in der sich Reinigungspersonal und Ärzte in derselben, wenig Ansehen genießenden Ebene wiederfinden. Entwickler, wie Syz, sind gehobene Mittelschicht. Erstrebenswert ist eine Karriere als Wissenschaftler der Dave-Forschung. Nur so ist ein Aufstieg nach ganz oben möglich. Abgerundet wird die Gesellschaftsform durch totale Überwachung.

Syz ist in seinem Tagesgeschäft damit beschäftigt, die KI Dave mit Scripts zu versorgen, die für deren alltägliche Entscheidungen „Nagel in die Wand schlagen“ benötigt werden. Gemeinsam mit hunderten Kollegen haut er wie ein Hacker den ganzen Tag in die Tasten. Dabei sitzen sie dermaßen dicht beisammen, dass der Vergleich mit einer Legebatterie bemüht werden kann. Gegessen wird nur, um das Bewusstsein nicht aufgrund eines Schwächeanfalls zu verlieren. Nach der Arbeit studiert er, schlafen tut er kaum. Sein Ziel ist der Aufstieg.

Neben der laufenden Story ist der Roman wohl eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Gefahren von KI an sich. Leider kam dies nur schwerlich und unkomfortabel bei mir an. Gehemmt wurde mein Vergnügen durch einen Schreibstil, der an das Aussieben von würdigen Student*innen beim Studium erinnert, durch Widersprüchliches sowie schiere Überladung. Raphaela Edelbauer kombiniert Begriffe aus Kunst und Musik mit eigenen Wortschöpfungen und IT-Vokabular in einem bunten, absolut unüblichen Reigen. Die Autorin arbeitet mit extremen Bildern, allen voran dem der durch Überbevölkerung unbewohnbaren Erdoberfläche. Andere Beispiele sind die schlimme Kindheit des Protagonisten und die Beinahe-Katastrophe zu Beginn des Romans. Ein gravierendes Bild nach dem anderen wird einem vor die Füße geworfen und dann nicht mehr weiter verfolgt. So findet in meiner Wahrnehmung kaum eine Entwicklung der Charaktere und der Geschichte selbst statt. Widersprüchlich empfand ich Aussagen zu gefühlt winzigen Speicherbedarfen zur vollständigen Abbildung von komplexen Vorgängen im menschlichen Körper. In anderen Szenen können dann die leistungsfähigsten Computer einfach so herumgetragen werden. Warum lässt man sie nicht stehen und koppelt sie im Netzwerk? Während manches für mich Zukunftsmusik ist, erscheint mir andres bezogen auf heute rückständig. Eine zeitliche Einordnung ist somit unmöglich. Insgesamt leidet das große Ganze. Kaum hat man den Eindruck, sich in diesem Geschehen orientiert zu haben, kommt etwas anderes ins Spiel und die Spur verliert sich wieder.

Das Lesen war für mich ein stetes Auf und Ab, eine Achterbahn aus Mutmaßungen und immer wieder neuen Theorien, die mir durch den Kopf schwirrten. Den erwähnten Gedankenexperimenten und Memotechniken habe ich mich gern hingegeben, aber einen echten roten Faden konnte ich leider nicht ausmachen.
Ich mag Sciencefictionliteratur bzw. Utopien immer dann sehr gern, wenn der Plot so entwickelt ist, dass ich mir grundsätzlich vorstellen kann, genau so anders als unsere könnte eine Gesellschaft auch sein oder werden. Dabei darf es auch gern extrem sein. Dazu ist allerdings ein gewisses Maß an nachvollziehbarer Herleitung notwendig, was ich hier schmerzlich vermisst habe. Vielleicht hätte man diesen Roman mit „Willkommen in meinem Memory Palace“ überschreiben sollen, dann hätte ich weniger KI erwartet.

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