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Veröffentlicht am 13.06.2025

Amerika von unten

Der Kaiser der Freude
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„Der Kaiser der Freude„: Ocean Vuong macht sich in seinem zweiten Roman auf in eine kleine Stadt namens East Gladness.
Eine Stadt, an der man allenfalls vorbeifährt. Vergessen ist sie, führt ein Schattendasein. ...

„Der Kaiser der Freude„: Ocean Vuong macht sich in seinem zweiten Roman auf in eine kleine Stadt namens East Gladness.
Eine Stadt, an der man allenfalls vorbeifährt. Vergessen ist sie, führt ein Schattendasein. So wie der Protagonist des Romans: Hai. Er gehört zu denen, die den Sprung nicht geschafft haben. Sein Studium hat er geschmissen, weil er über den Tod seines Freundes nicht hinweggekommen ist. Seiner Mutter erzählt er, dass er in Boston Medizin studiere, obwohl er in Wirklichkeit sich selbst in eine Entzugsklinik eingewiesen hat.

Nach seiner Entlassung kommt er bei einer alten Dame unter, Grazina. Um sie, die ihm das Leben gerettet hat, kümmert er sich fortan. Und bei ihr wohnt er auch, schämt er sich doch, seiner Mutter zu gestehen, dass er sein Studium geschmissen hat. Um sie zu unterstützen, fängt Hai an, in einem Fast-Food-Restaurant zu arbeiten. Hier arbeitet bereits sein Cousin Sony, mit dem er lange keinen Kontakt hatte. Seine Mutter ist im Gefängnis. Sony und die anderen Mitarbeiter der „HomeMarket“-Filiale sind bald neben Grazina die einzigen Bezugspunkte in Hais Leben.

Was kann man vom Leben erwarten? Ocean Vuongs Figuren haben keine hochtrabenden Träume. „Ich weiß nicht,, wie das geht — zu leben“, sagt der 19-jährige Hai im Amerika des Jahres 2009. Und zu leben heißt für Hai zunächst einmal nur, das Leben auszuhalten: „Wie bleibt irgendjemand hier?“, fragt sich Hai, während er und seine Freunde Schweine schlachten.

Der Sinn des Lebens im Schlachthaus gesucht: Das gehört zu dem bitteren Humor von Ocean Vuong. Dazu gehört auch, dass Hai immer wieder mit der dementen Grazina Szenen aus dem Weltkrieg nachspielt.

Bereits der Anfang des Romans steckt voller Ironie, wenn die Landschaft ausladend beschrieben wird. So ist die Stadt so schön, dass die Geister nicht wegwollen, die schöne Kirschblüte ist der Gänsescheiße zu verdanken, die die Zugvögel abwerfen.

Freilich ist gerade zu Beginn die Sprache sehr pathetisch, die Farben an einem Schild etwa sind „zu österlichen Nuancen verblasst“, der Himmel senkt „seine Wolkenbrocken in den Horizont“. Und der Protagonist Hai ist mit seinen 19 Jahren „in er Mitternacht seiner Kindheit und noch ein ganzes Leben vom ersten Tageslicht entfernt“.

So sprachlich überbordend ist der Roman – glücklicherweise – nur selten, wenn das Leben der Underdogs, die im HomeMarket arbeiten, zum Thema wird. Es sind diese gescheiterten Existenzen, bei denen dem Leser das Herz aufgeht. Da verzeiht man auch eine etwas alberne Roadmovie-Einlage im Roman. Denn was, wenn nicht abstruse Pläne und Ideen, könnte ihnen noch Hoffnung geben?

Ocean Vuongs Roman habe ich gerne gelesen. An die literarische Dichte von seinem ersten Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ kommt er nicht heran. Aber das muss er vielleicht auch gar nicht.

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Veröffentlicht am 30.05.2025

Journalismus-Roman

Der Einfluss der Fasane
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Antje Rávik Strubel präsentiert in ihrem Roman „Der Einfluss der Fasane“ die Journalistin Hella Karl als Hauptfigur. Die hat einen Zeitungsartikel geschrieben. Über einen gefeierten Berliner Theater-Intendanten. ...

Antje Rávik Strubel präsentiert in ihrem Roman „Der Einfluss der Fasane“ die Journalistin Hella Karl als Hauptfigur. Die hat einen Zeitungsartikel geschrieben. Über einen gefeierten Berliner Theater-Intendanten. Und hat eben diesen sexueller Übergriffe auf Frauen beschuldigt. Eine Frau soll er zur Abtreibung gedrängt haben.

Doch als dieser kurz nach Erscheinen des Artikels sich selbst tötet, bricht über Hella Karl ein Shitstorm aus. Immer mehr gerät ihr bisheriges Leben aus den Fugen. Ob die Vorwürfe gegenüber dem Theater-Intendanten korrekt sind, ist nur noch am Rand Thema, vielmehr geht es um Hella Karls Karriere und den Umgang mit den Vorwürfen gegen sie selbst.

Hella Karl geht zunächst professionell mit den Vorwürfen um – so professionell, wie es beim Boulevard-Journalismus eben sein kann. Das heißt: Sie macht die Witwe ausfindig, nimmt Kontakt auf – will ein Interview mit ihr. Sicherlich nicht nur, um sich selbst reinzuwaschen, sondern auch um einen Knaller zu bringen.

Der Roman beginnt direkt mit der Todesnachricht – und Hella Karls Interesse daran. Erst nach und nach erfährt man, was alles dahinter steckt – und Hella Karl wird einem von Mal zu Mal unsympathischer. Und das nicht – oder nicht nur -, weil Hella Karl selbst Schuld an dem Tod des Theaterintendanten haben könnte, sondern weil die Journalistin sich immer mehr als Karrieristin entpuppt, die kaum Grenzen kennt. Ihre Hybris ist enorm. Sie selbst feiert sich als Sprachkünstlerin – immer auf der Suche nach den richtigen Worten für ihre Artikel. Dass sie suspendiert wird, kann sie kaum aufhalten.

Bass erstaunt ist man dann aber, wenn eben jene sich selbst feiernde Journalistin beim Empfang der Bundeskanzlerin einen Wortschwall von sich gibt, für den die Bezeichnung albern noch viel zu hoch gegriffen ist. Überhaupt dieser Empfang: Braucht man einen Beweis, dass Antje Ravik Strubels Roman literarisch wenig ambitioniert ist, so bietet sich zuallererst diese Szene an.

Man kann sicher nicht so weit gehen wie Sigrid Löffler, die in ihrer Rezension in der Süddeutschen Zeitung Strubel einen literarischen Tiefpunkt (genauer: Nullpunkt) attestiert. Allerdings ist Hella Karl als Hauptfigur so selbstverliebt und egozentrisch, dass es kaum möglich ist, ihr irgendetwas abzugewinnen, egal wie ungerechtfertigt die Vorwürfe gegen sie sein könnten. Und damit verliert man das Interesse daran, ob Hella Karls sich aus dem Tief wieder selbst herausziehen kann, ob die Beziehung mit ihrem Mann das überlebt.

Da ist es nicht verkehrt, sich einfach das Hörbuch anzuschaffen, um im Parlando-Stil den tiefen Fall der Hella Karl mitzuerleben.

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Veröffentlicht am 22.04.2025

Tue-Trilogie, Band 2

Stadt
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„Stadt“ ist die Fortsetzung von Thomas Korsgaards Tue-Roman „Hof“. Während es in „Hof“ um Tues Kindheit geht, setzt „Stadt“ bei dem 17-jährigen Tue ein. Er zieht zu seiner besten Freundin Iben, in die ...

„Stadt“ ist die Fortsetzung von Thomas Korsgaards Tue-Roman „Hof“. Während es in „Hof“ um Tues Kindheit geht, setzt „Stadt“ bei dem 17-jährigen Tue ein. Er zieht zu seiner besten Freundin Iben, in die Stadt.

Da im Wohnheim niemand vom Mitbewohner wissen darf, wird das Ganze schnell kompliziert. Und so richtig weiß Tue auch noch nicht, was er aus seinem Leben machen will. Zwei Schritte vorwärts und einen wieder zurück – so kann man vielleicht am besten sein Verhalten beschreiben.

Derweil könnte es seinen Eltern besser gehen, hat die Versicherung doch wegen eines ärztlichen Kunstfehlers gezahlt – aber Tues Mutter denkt daran, ihren Mann für einen anderen zu verlassen. Und auch ihr Verhältnis zu Tue ist – gelinde gesagt – angespannt. Es gelingt Tue mitnichten, sich von seinem Elternhaus abzukapseln. Was seine Emanzipation angeht, tritt er auf der Stelle.

Auch schulisch könnte es besser laufen. Das Abitur steht an, und Tue kann sich nicht wirklich aufraffen, viel für die Schule zu tun.


Immerhin: der Titel des dritten Bandes der Tue-Trilogie lautet „Paradies“ – und verspricht ein positiveres Ende der Trilogie.

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Veröffentlicht am 22.04.2025

Lesenswert

Ginsterburg
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Arno Franks Roman „Ginsterburg“ spielt in einer fiktiven Stadt, allerdings nicht in einer fiktiven Welt. Arno Frank begibt sich mit „Ginsterburg“ in die Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1935 und ...


Arno Franks Roman „Ginsterburg“ spielt in einer fiktiven Stadt, allerdings nicht in einer fiktiven Welt. Arno Frank begibt sich mit „Ginsterburg“ in die Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1935 und der Nachkriegszeit spielt der Roman.

Hauptfiguren in „Ginsterburg“ sind die durchschnittlichen Menschen. Diejenigen, die sich mehr oder weniger schnell mit dem neuen System arrangieren. Helden gibt es in dieser Stadt nicht. Es gibt keine Widerstandskämpfer, allenfalls Kriegshelden. Menschlich handeln sie, sympathisch geben sie sich dabei selten.

Otto Gürckel profitiert vielleicht am meisten vom neuen System. Der Gärtnerei-Besitzer wird zum Blumengroßhändler und zum NSDAP-Kreisleiter. Dass seine Frau ihn mit einer NS-Größe hintergeht, macht ihn nur wenig sympathischer, nimmt er sich doch immer wieder vor, ordentlich „aufzuräumen“. Merle, die ihren Sohn zunächst nicht zur HJ gehen lässt, arrangiert sich damit, dass er schließlich zum Piloten ausgebildet wird – und sogar die neuen Wunderwaffen der Nazis testen darf. Die NS-Propaganda hinterfragt sie immer weniger.

Die tragischste Figur ist vielleicht Eugen, der vom kritischen Journalisten zum Zeitungsherausgeber und zum Schreiberling von Göbbels wird. Bei ihm wundert einen die Rückgrat-Losigkeit mit am meisten. Die Möglichkeit, sich in beruflichem Erfolg zu suhlen, wiegt für ihn mehr als seine innere Überzeugung. Hier – und das ist auch gut so – macht Arno Frank keine großen Worte über das Aufgeben einstiger Ideale. Es geschieht einfach und bleibt letztlich schwer erklärbar.

Arno Frank geht es nicht darum, Helden zu erschaffen. Er zeigt mit „Ginsterburg“, wie alle mehr recht als schlecht im neuen System leben, sich arrangieren und unterordnen. Deshalb erzählt er aus ihrer Perspektive – wodurch diese im Roman häufig wechselt. Um die Verführbarkeit von Menschen geht es Frank nicht. Die setzt er voraus. Vielleicht ist der Name Ginsterburg kein Zufall – wächst Ginster doch an nährstoffarmen Stellen. Viel ist es nicht, was entstehen kann, wenn die Nährstoffe fehlen, ist vielleicht eine Lehre aus dem Roman. Schlechte Umstände setzen nichts Gutes frei.

Man könnte aber auch einen Schritt weiter gehen: Als der Prophet Elija nicht mehr konnte, legte er sich unter einen Ginsterbusch, um zu sterben. Und so sind auch die Figuren in Arno Franks Roman erschreckend lethargisch und zutiefst unpolitisch. Elija gibt sich geschlagen, will nichts mehr von seinem großen Auftrag wissen und verliert seinen Antrieb. Und so wirken auch die Gintersburger energie- und antriebslos. Freilich mit einem Unterschied: Elija wird von Gott durch Raben gerettet, während Ginsterburg untergeht, als böses Omen dienen dabei die Kraniche.

Überhaupt die Motive in diesem Buch! Sie sind es, die dieses Buch zu guter Literatur machen. Die Wahrsagerin gibt es da, die immer wieder im Laufe der Geschichte auftaucht, ebenso die Kraniche, die schon mit einem Schiller-Zitat dem Roman vorangestellt sind und dann, an der Front, sinnlos abgeschossen werden – aus Langeweile.

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Veröffentlicht am 22.03.2025

Thomas Manns Radioansprachen

Deutsche Hörer!
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Genau 59 Mal wendete sich Thomas Mann über den Rundfunk an die Deutschen. „Deutsche Hörer“ heißt nun das Buch, das diese Reden gesammelt veröffentlicht. Herausgegeben sind sei von Mely Kiyak,

Thomas Mann ...

Genau 59 Mal wendete sich Thomas Mann über den Rundfunk an die Deutschen. „Deutsche Hörer“ heißt nun das Buch, das diese Reden gesammelt veröffentlicht. Herausgegeben sind sei von Mely Kiyak,

Thomas Mann war schon über 60 Jahre alt, als er ab 1941 aus den USA sich an die Deutschen wandten. Insgesamt waren es 59 Rundfunkansprachen über die BBC. Die letzte erfolgte nach dem Krieg, als Thomas Mann sich verteidigen musste, weshalb er nicht nach Deutschland zurückkehrte. Dennoch stellt Mely Kiyak Thomas Mann das Urteil aus, dass er „merkwürdigerweise politisch fürchterlich naiv war“. So habe Thomas Mann keinerlei Vorbereitungen für seine Emigration getroffen. Messerscharf hingegen ist das Urteil Manns zum Nationalsozialismus.

Liest man Thomas Manns Reden heute, so fällt auf, wie klar Thomas Mann das Menschenverachtende des Nationalsozialismus benennt – um starke Worte ist er dabei nicht verlegen. So spricht er vom „Unflat des Hitlerismus“, vom „Teufelsdreck“ des Nationalsozialismus und von Hitler als „fanatischem Idiot“ oder einer „hohlen Null“. So gut wie in jeder Ansprache gibt es eine Kaskade an Beschimpfungen gegen den Nationalsozialismus.

Schon 1940 spricht Thomas Mann darüber, was nach dem Zweiten Weltkrieg sein könnte – „die Errichtung einer Gesellschaft freier, aber der Gesamtheit verantwortlicher Völker mit gleichen Rechten und Pflichten“, eine Neuordnung der Welt. Später dann verteidigt er den Gedanken an ein geeintes Europa – den die Vereinnahmung des Europa-Begriffs durch die NS-Politik.

Wie ein roter Faden zieht sich durch Manns Reden der Wunsch, dass die Deutschen den Aufstand gegen Hitler wagen. In Blick auf Deutschlands Zukunft berge der Aufstand gegen Hitler die Chance, dass Deutschland nicht zerstört wird. Und so sagt Thomas Mann: „euer Gehorsam ist grenzenlos, und er wird, dass ich es euch nur sage, von Tag zu Tag unverzeihlicher“. „Ein ewiges Kopfschütteln wird sein über ein Volk, das deutsche, das, wo längst aller Wahn, alle Hoffnung zerstoben, weiterkämpft“, schreibt Mann im März 1944 und spricht von Deutschland als einem Trümmerfeld, bewohnt von „wenigen wölfisch schweifenden Halbtieren“.

Für Mann ist es unverständlich, weshalb die Nationalsozialisten nicht kapitulierten, sondern ein „Blutkonto des totalen Krieges“ betrieben. Thomas Mann erwartet Anfang 1944 20 bis 25 Millionen Opfern des Krieges. Dass es schließlich über 60 Millionen wurden, allzu sehr hätte es Thomas Mann nicht verwundert. Unermüdlich hat Thomas Mann den Deutschen ins Gewissen geredet. Den Schrecken hatte er immer vor Augen.

Auf Kriegsgräuel geht Thomas Mann ein, auch auf den Massenmord von Mauthausen, wobei Thomas Mann den Umfang der Judenvernichtung mit ihren Konzentrationslagern nicht wusste, sondern von Vergasungen in Zügen spricht.

An manchen Stellen hört man den Literaturnobelpreisträger noch heraus. Zwischen die klar formulierten Aussagen schleichen sich Wörter wie „Gelichter“, „Piedestal“, „Pönitenz“, er spricht von einem Land der „Traulichkeit“ und dem „maniakalischen Entschluss zur völligen Austilgung der europäischen Judenschaft“.

Leider fehlen in dem Buch Anmerkungen, die an manchen Stellen hilfreich gewesen wären. So spricht Thomas Mann etwa von einem Manifest in Russland gefangener Offiziere oder von einer historischen Zusammenkunft von Teheran – den wenigsten dürfte das etwas sagen. Interessant wäre auch zu wissen, woher Thomas Mann seine Informationen zu Deutschland bekam – aber das würde wohl den Rahmen dieses Buches sprengen.