Amerika von unten
Der Kaiser der Freude„Der Kaiser der Freude„: Ocean Vuong macht sich in seinem zweiten Roman auf in eine kleine Stadt namens East Gladness.
Eine Stadt, an der man allenfalls vorbeifährt. Vergessen ist sie, führt ein Schattendasein. ...
„Der Kaiser der Freude„: Ocean Vuong macht sich in seinem zweiten Roman auf in eine kleine Stadt namens East Gladness.
Eine Stadt, an der man allenfalls vorbeifährt. Vergessen ist sie, führt ein Schattendasein. So wie der Protagonist des Romans: Hai. Er gehört zu denen, die den Sprung nicht geschafft haben. Sein Studium hat er geschmissen, weil er über den Tod seines Freundes nicht hinweggekommen ist. Seiner Mutter erzählt er, dass er in Boston Medizin studiere, obwohl er in Wirklichkeit sich selbst in eine Entzugsklinik eingewiesen hat.
Nach seiner Entlassung kommt er bei einer alten Dame unter, Grazina. Um sie, die ihm das Leben gerettet hat, kümmert er sich fortan. Und bei ihr wohnt er auch, schämt er sich doch, seiner Mutter zu gestehen, dass er sein Studium geschmissen hat. Um sie zu unterstützen, fängt Hai an, in einem Fast-Food-Restaurant zu arbeiten. Hier arbeitet bereits sein Cousin Sony, mit dem er lange keinen Kontakt hatte. Seine Mutter ist im Gefängnis. Sony und die anderen Mitarbeiter der „HomeMarket“-Filiale sind bald neben Grazina die einzigen Bezugspunkte in Hais Leben.
Was kann man vom Leben erwarten? Ocean Vuongs Figuren haben keine hochtrabenden Träume. „Ich weiß nicht,, wie das geht — zu leben“, sagt der 19-jährige Hai im Amerika des Jahres 2009. Und zu leben heißt für Hai zunächst einmal nur, das Leben auszuhalten: „Wie bleibt irgendjemand hier?“, fragt sich Hai, während er und seine Freunde Schweine schlachten.
Der Sinn des Lebens im Schlachthaus gesucht: Das gehört zu dem bitteren Humor von Ocean Vuong. Dazu gehört auch, dass Hai immer wieder mit der dementen Grazina Szenen aus dem Weltkrieg nachspielt.
Bereits der Anfang des Romans steckt voller Ironie, wenn die Landschaft ausladend beschrieben wird. So ist die Stadt so schön, dass die Geister nicht wegwollen, die schöne Kirschblüte ist der Gänsescheiße zu verdanken, die die Zugvögel abwerfen.
Freilich ist gerade zu Beginn die Sprache sehr pathetisch, die Farben an einem Schild etwa sind „zu österlichen Nuancen verblasst“, der Himmel senkt „seine Wolkenbrocken in den Horizont“. Und der Protagonist Hai ist mit seinen 19 Jahren „in er Mitternacht seiner Kindheit und noch ein ganzes Leben vom ersten Tageslicht entfernt“.
So sprachlich überbordend ist der Roman – glücklicherweise – nur selten, wenn das Leben der Underdogs, die im HomeMarket arbeiten, zum Thema wird. Es sind diese gescheiterten Existenzen, bei denen dem Leser das Herz aufgeht. Da verzeiht man auch eine etwas alberne Roadmovie-Einlage im Roman. Denn was, wenn nicht abstruse Pläne und Ideen, könnte ihnen noch Hoffnung geben?
Ocean Vuongs Roman habe ich gerne gelesen. An die literarische Dichte von seinem ersten Roman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ kommt er nicht heran. Aber das muss er vielleicht auch gar nicht.