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Veröffentlicht am 07.10.2018

Herrlich skurriles Lesevergnügen

Der lächelnde Gott
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Night Vale ist eine Stadt, in der nichts so ist wie anderswo. Die Uhren gehen anders - wenn sie überhaupt gehen, denn die Zeit folgt in Night Vale ihren eigenen Gesetzen. Joseph Fink und Jeffrey Cranor ...

Night Vale ist eine Stadt, in der nichts so ist wie anderswo. Die Uhren gehen anders - wenn sie überhaupt gehen, denn die Zeit folgt in Night Vale ihren eigenen Gesetzen. Joseph Fink und Jeffrey Cranor haben mit "Der lächelnde Gott" eine völlig verrückte Geschichte geschrieben, die durchgeknallter kaum sein könnte.

Ein Bauer, der nicht sichtbares Gemüse in der Wüste anbaut, ein Haus, das eigentlich nicht existiert, ein Hundepark, in dem keine Hunde erlaubt sind und der Zugang zur Anderswelt ist, eine Sekte, die einen Tausendfüßler anbetet - wer sich über derart skurrile Einfälle amüsieren oder gar vor Lachen biegen kann, für den ist der Roman über Night Vale genau das Richtige.

Hat man sich erst mit der Welt von Night Vale angefreundet, was zugegebenermaßen nicht ganz so leicht ist, doch ist dies erst gelungen, kann man sich an dem herrlichen Klamauk ergötzen und sich von den immer wieder neuen skurrilen Ideen des Autoren-Duos überraschen lassen. Ein absolut schräges Vergnügen!

Doch eigentlich geht es ziemlich ernst zu in Night Vale - denn die Stadt wird bedroht. Immer wieder verschwinden Häuser. Doch wer ist schuld daran, dass Häuser geradezu verschlungen werden? Nilanjana, eine Wissenschaftlerin, will mit ihren Kollegen der Wahrheit auf den Grund kommen. Ihr erster Verdacht: die Kirche des lächelnden Gottes. Denn die betet schließlich einen Gott an, der alles verschlingt. So hat es Prophet Kevin vorausgesagt. Nilanjana beginnt mit ihren Nachforschungen...

Mich hat Night Vale in seinen Bann gezogen. Ein herrliches Lesevergnügen!

Veröffentlicht am 07.10.2018

Auf der Suche nach dem kleinen Stück vom Glück

Der Platz an der Sonne
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Was für eine tolle Idee, dachte ich mir, als ich den Klappentext las. Was für eine schlechte Umsetzung, dachte ich mir, während ich das Buch las. Was will mir das Buch sagen, dachte ich mir, als ich das ...

Was für eine tolle Idee, dachte ich mir, als ich den Klappentext las. Was für eine schlechte Umsetzung, dachte ich mir, während ich das Buch las. Was will mir das Buch sagen, dachte ich mir, als ich das Buch fertig gelesen hatte. „Der Platz an der Sonne“ von Christian Torkler lässt mich zwiegespalten zurück.

Die Handlung ist schnell umrissen: Josua kriegt im zerstörten Deutschland der 1980er Jahre keinen Fuß auf den Boden. Deshalb will er ins reiche Afrika, das als Gewinner eines langen zermürbenden Krieges emporstieg, um sein Glück zu machen. So berichtet der erste Teil des Buches vom Steh-auf-Männchen Josua, das es trotz aller widrigen Umstände, trotz aller Korruption, schafft, seine eigene Bar aufzumachen, während der zweite Teil die zermürbende Flucht nach Afrika schildert.

Die Utopie, die Christian Torkler hier aufmacht, hat zunächst ihren Reiz. Was wäre, wenn nach der Niederlage Deutschlands weitergekämpft worden wäre. Wenn die Weltmächte sich aneinander zerrieben hätten. Wenn dadurch Afrika der Aufstieg zur Weltmacht ermöglicht worden wäre. Allerdings begnügt sich Torkler in seinem Buch mit einigen wenigen Anspielungen; die alternative Weltgeschichte, die er aufmacht, bleibt weitestgehend im Dunkeln. Das ist nicht nur schade, sondern enttäuschend, weil man beim Lesen immer auf die genaueren Hintergründe wartet.

Gelungen hingegen ist, wie Torkler die Situation beschreibt, in der Josua leben muss. Überall Willkür, Machtmissbrauch, Korruption. Man bekommt als Leser irgendwann zu viel davon, und so ergeht es auch Josua. Immer mehr hat er die Schnauze voll vom tristen Leben in Deutschland. Genauso gelungen ist auch die Beschreibung der Flucht: Josua wird zwar immer wieder geholfen, doch seinen Schleppern ist er willkürlich ausgeliefert, wird sogar eine Zeitlang versklavt. Wer da Freund, wer Feind ist: es ist kaum zu erkennen.

Nicht sehr geglückt finde ich die Art und Weise, wie erzählt wird. Dass Josua seine Geschichte selbst aufschreibt, während er im Gefängnis sitzt, führt letztlich dazu, dass man zu Josua als Leser keine emotionale Bindung aufbaut. Josua berichtet, erzählt nüchtern und sachlich. Und wenn Josua nach dem Tod seines Sohnes in den Alkoholismus abdriftet, erfährt man das nur am Rande. Ebenso beiläufig sind die Wendungen des Romans: die Auseinandersetzung mit einem Taxi-Passagier und die Rettung eines Mädchens lassen die Handlung weitergehen. Das war mir etwas zu viel deus ex machina.

Die Zweiteilung des Romans finde ich irgendwie nicht gelungen. Was vor der Flucht passiert, ist plötzlich völlig unwichtig, man kann es als Leser ad acta legen und sich auf neue Begegnungen, auf neue Menschen einlassen. Wenn es darum gehen soll, wie jemand verzweifelt sein Glück sucht, dann passt das, dann sind das zwei Seiten einer Medaille, aber als Leser hätte ich mir da etwas anderes gewünscht. Zumindest ein paar rote Linien, eine Entwicklung hin zur Flucht statt eines plötzlichen Aufbruchs. Zwischen den Teilen besteht für mich kein richtiger Zusammenhang.

Das andere, was mich an dem Buch kolossal stört, ist die Sprache. Es gibt fast keine Seite in diesem Buch, auf der nicht irgendein Gespräch wiedergegeben wird. Letztlich schlittert die Handlung von Begegnung zu Begegnung, und das tut dem Roman nicht gut. Torklers Schreibstil hat nichts Fesselndes an sich. Er schreibt nüchtern, viel zu nüchtern, berichtend. Hinzu kommen sehr plumpe Versuche, die Situation sprachlich widerzuspiegeln. Da wird ständig vom „Fraß“ gesprochen, den es zu essen gibt, dann wiederum wird die fehlende Bildung der deutschen Bevölkerung während der Reise immer wieder plump durch Wortspiele angesprochen (die Landschaft heißt ähnlich wie Apfelsine – aha…).

Richtig klar geworden ist mir nicht, was Christian Torkler mit seinem Buch erreichen will: will er eine alternative Weltgeschichte durchspielen? – dann wäre das Buch ob der geringen Hintergründe schlichtweg peinlich. Will er Sympathie für Flüchtlinge wecken? – dann hätte das Buch nicht so emotional verkorkst sein dürfen. Will er die Geschichte eines kleinen Mannes erzählen, der einfach nur auf der Suche nach einem Stück vom Glück ist? – dann hätte es einer stärkeren Akzentuierung bedurft.

Was übrig bleibt ist ein Buch, das interessante Seiten hat, mich aber letztlich nicht überzeugen konnte.

Veröffentlicht am 10.09.2018

Jugendbuch mit eigenwilliger Protagonistin

Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren
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Ali Benjamins Jugendbuch „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ hat eine Protagonistin, die alles andere als einfach ist. Ihre Eltern schicken sie zur Therapeutin, da sie sich entschieden hat, ...

Ali Benjamins Jugendbuch „Die Wahrheit über Dinge, die einfach passieren“ hat eine Protagonistin, die alles andere als einfach ist. Ihre Eltern schicken sie zur Therapeutin, da sie sich entschieden hat, nicht mehr zu sprechen. Mit niemandem. Außer natürlich mit sich selbst. Denn Su hat eine Menge an Fragen an das Leben und an den Tod.

Ohne dass ihre Eltern es mitbekommen, verzweifelt Su fast an der Frage, woran ihre beste Freundin Franny gestorben ist. Mit der einfachen Antwort, dass sie ertrunken ist, will sie sich nicht abfinden. So kommt sie stattdessen auf die Idee, dass Franny von einer giftigen Qualle gestochen worden sein muss.

Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, beschäftigt sich die 12-jährige Su immer intensiver mit Quallen. Dass die beiden Freundinnen sich kurz vor Frannys Tod auseinandergelebt haben, wird erst nach und nach beleuchtet. Ali Benjamin, die amerikanische Autorin, hat dabei nicht Trauer und Schuld in den Vordergrund gestellt, sondern eine etwas verschroben wirkende 12-jährige eine Protagonistin, die sich an einer Idee festbeißt, die nicht wahrhaben will, dass Dinge einfach so passieren. Ein Mädchen also, das im Grunde – noch – nicht trauern kann.

Dass Su sich ausgerechnet für Quallen interessiert, ist ein großes Glück für den Leser. Denn so erfährt man so einiges über diese Tierart: dass es zum Beispiel Quallen gibt, die theoretisch ewig leben könnten (die turritopsis dohrnii), dass es im Jahr zu etwa 150 Millionen Quallenstichen kommt. Kein Wunder, dass Su dann schließlich auch ihr Biologie-Referat über Quallen hält. Ungewollt bringt das dann ihr Leben wieder ins Lot.

Die eigenwillige Protagonistin mit ihrem Entdeckerdrang macht das Buch zu einer interessanten Lektüre.

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Veröffentlicht am 03.09.2018

Keine klare Linie

Im Blick
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"Du sitzt vor mir. Ich lege mein glattes Gesicht an und gebe nichts preis, was mich menschlich macht. So lerne ich dich kennen."

Dieser erste Satz aus Marie Luise Lehners neuem Buch „Im Blick“ hat mich ...

"Du sitzt vor mir. Ich lege mein glattes Gesicht an und gebe nichts preis, was mich menschlich macht. So lerne ich dich kennen."

Dieser erste Satz aus Marie Luise Lehners neuem Buch „Im Blick“ hat mich fasziniert. Die Frage der Identität, die hier mitschwingt, die Frage nach dem wer man ist, sein will und wie man von anderen definiert wird, all das hätte Stoff für einen spannenden Roman bieten können. Hätte. Denn das Buch entwickelt keine klare Linie, geschweige denn eine klare Geschichte.

Die Ich-Erzählerin des Buches lebt in einer Beziehung mit einem ominösen „Du“, einer Frau, ist allerdings deutlich öfter zusammen mit ihrer alten Schulfreundin Anja. Zudem wird die Beziehung der Erzählerin noch bedroht durch die „Wölfin“, die Ex ihrer Freundin. Erzählt wird von diesem Beziehungsreigen fragmentarisch, wobei die Geliebte immer als „Du“ angesprochen wird. Eine Entwicklung in diesen Beziehungen ist nicht erkennbar, alles dümpelt so vor sich hin. Mal sagt die Protagonistin, es sei schwer das „Du“ zu lieben, dann wiederum stellt sie fest, dass sie zu einem „Wir“ werden. An anderer Stelle wiederum bemerkt sie, dass sie eigentlich alle liebt: ihre Geliebte, ihre Freundin Anja und irgendwie auch die „Wölfin“. Love is all around.

Dazwischen sind immer wieder Gespräche eingeschoben, die Aspekte der Genderdebatte aufgreifen. Kann man einen Mann, der einer Frau an den Po fasst vergleichen mit einer Frau, die einem Mann an den Po fasst? Gibt es einen männlichen Blick (male gaze) auf die Frau im Kino? Muss man sich als schwul outen? Die Diskussion bleibt jedoch meist im Oberflächlichen, es wird mehr angedeutet, angesprochen als diskutiert. Von einem Buch wie Thomas Meineckes „Tomboy„, das einem die feministischen Theorien nur so um die Ohren haut, ist „Im Blick“ meilenweit entfernt.

Auch in Blick auf die Beziehung der Protagonistin wird vieles nur angedeutet, wenig beleuchtet. So wird Max Frischs Bildnisproblematik aufgegriffen: „Du fragst ich, ob ich eine Projektionsfläche brauche“ – und endet mit der Frage der Ich-Erzählerin, wie ihre Geliebte rauchend Fahrrad fahren kann. Selbst wenn – ganz im Sinne der Postmoderne – auf einen Bildband von Rhys Ernst und Zackary Drucker verwiesen wird, fragt man sich als Leser nur: warum? Will die Ich-Erzählerin auch eine neue Form von Identität, Gender, Sexualität und Queerness? Oder will sie einfach nur ab und zu darüber reden?

Die Ernsthaftigkeit, die das Buch streckenweise hat, wenn es um Identität geht, um Gewalt gegen Frauen und um die Frage, wo Grenzüberschreitungen beginnen, verliert sich leider in einem Wust an Angesprochenem und einer unerquicklichen Handlung.

Veröffentlicht am 02.09.2018

Frauen-Schicksalsroman, der leider im Kitsch endet

Das rote Adressbuch
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Frauenschicksale, so scheint es, sind wieder stark in Mode. Wurde zunächst viel Tamtam um Ida gemacht, so folgt nun (freilich – noch – nicht in überregionalen Medien) „Das rote Adressbuch“ von Sofia Lundberg. ...

Frauenschicksale, so scheint es, sind wieder stark in Mode. Wurde zunächst viel Tamtam um Ida gemacht, so folgt nun (freilich – noch – nicht in überregionalen Medien) „Das rote Adressbuch“ von Sofia Lundberg. In beiden Hörbüchern müssen sich Frauen in den Wirren der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Weltkrieg behaupten. Und dabei müssen die beiden Frauen viele Schicksalsschläge hinnehmen.

Während „Ida“ von Katharina Adler sich eher im Geschichtlichen verliert, drückt „Das rote Adressbuch“ ordentlich auf die Tränendrüse und wird am Schluss zum großen Herzschmerzkino. Das Geschichtliche wird hier eher zur Nebensache, denn in den USA unterscheidet man sowieso keine Länder und spricht vom Krieg in Europa. Sofia Lundberg konzentriert sich ganz und gar auf ihre Protagonistin. Wenn sie die Armut im Stockholm der 1920er Jahre aufgreift, dann erfährt man nicht mehr als dass das Kind weggegeben wurde, weil die Familie arm war.

Die Stärken von Sofia Lundbergs Debütroman sind daher anderswo zu finden: Hauptfigur ist die 96-jährige Doris, die auf ihr Leben zurückschaut. Und so ist auch immer wieder in dem Hörbuch das Leben im (hohen) Alter thematisiert. Die Unterstützung im Haus durch ausländische Pflegekräfte, die Frage nach einem Platz im Pflegeheim, der Umgang mit alten Patienten im Krankenhaus. All das ist eingebettet in den Rückblick auf ein bewegtes Leben. Wo sonst oft die rüstige Greisin erzählt, kommen hier auch Schmerzen und Leid zum Vorschein.

Das Zweite, das ich an diesem Hörbuch spannend finde, ist die Einstellung einer Generation von Frauen zu ihrem Schicksal. Es wird hingenommen. Und so macht auch Doris kein besonderes Aufheben um ihr Schicksal. Sie wird weggegeben: als Hausmädchen hat sie es besser. Überrascht stellt sie fest, als sie Mannequin wird: das ist ja mehr Arbeit als Hausmädchen. Nach einem Jahr meldet sich ihr Freund aus den USA – sie fährt zu ihm, um ihn zu heiraten. Natürlich bleibt Doris oft nichts anders übrig, als mit dem zu leben, was ihr widerfährt. Was aber meines Erachtens typisch für diese Generation ist und von der Autorin wunderbar eingefangen ist, ist die Art, wie darüber berichtet wird. Doris jammert nicht.

Diese Einstellung ändert sie bis zu ihrem Tod nicht. In ihrem roten Adressbuch, das sie als Kind vom Vater zu ihrem zehnten Geburtstag geschenkt bekam, schreibt sie neben alle Verstorbenen „tot“ an den Rand. Als Leser spürt man, dass sie sich einsam fühlt, sagen würde es Doris von sich selbst allerdings nicht. Sie nimmt es hin, so wie sie auch die vielen Schicksalsschläge, die sie ereilen, hinnimmt. Gerade weil diese Schicksalsschläge mit vielen Wendungen in der Handlung einhergehen, eignet sich das Buch ganz wunderbar als Hörbuch. Man fragt sich als Zuhörer, was diese Frau noch alles ertragen soll und folgt atemlos ihrer Odyssee nach Frankreich, in die USA und zurück nach Schweden.