Profilbild von herrfabel

herrfabel

Lesejury Star
offline

herrfabel ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit herrfabel über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.10.2021

Über die DDR und das Schweben zwischen Vergangenheit und Gegenwart, eben wie ein "Raumfahrer"

Raumfahrer
0

Lukas Rietzschel wird gerne als junge, wichtige Stimme des Ostens betitelt. Sein Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" bekam sehr viel Aufmerksamkeit da es sich mit dem heute nach wie vor sehr präsenten ...

Lukas Rietzschel wird gerne als junge, wichtige Stimme des Ostens betitelt. Sein Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" bekam sehr viel Aufmerksamkeit da es sich mit dem heute nach wie vor sehr präsenten Thema des Rechtsrucks, gerade in den östlichen Bundesländern, beschäftigt. Mit seinem neuen Roman "Raumfahrer" greift Rietzschel wieder ein bekanntes Ostthema auf - die DDR, die Stasi und zwei Brüder, die durch den Bau der Mauer voneinander getrennt werden, die heutige Situation und vielleicht auch ein Stück weit Trostlosigkeit.

"Es war gar nicht lange her, dass Mutter, Vater und Jan auch im Block gewohnt hatten. Irgendwann hatte Jan bemerkt, dass die Wohnungen ringsum leer wurden und dass die Nachbarn nicht, wie oft behauptet wurde, wiederkamen. Bald waren sie die letzte Familie im Block und mussten umziehen, in eine andere Platte, zusammengekehrt mit den Übriggebliebenen [...] Für manche war das der dritte Umzug dieser Art."

Der Leerstand im Osten greift um sich und macht selbst vor dem Krankenhaus in dem Jan arbeitet, nicht halt. Einer seiner letzten Patienten gibt ihm einen Schuhkarton, der einige Informationen über seine Familie und die Vergangenheit enthält. Jan sieht sich plötzlich mit den Fragen seiner Familiengeschichte konfrontiert. Und während sein Vater, mit dem er zusammenlebt, sich durch den Inhalt provoziert sieht, werden die Fragen nach den Beziehungen der Mutter und dem verschwundenen Gemälde von Georg Baselitz immer lauter. Was haben diese Familien miteinander zutun? Was verbindet sie und was für eine Rolle hat Jan in dem Ganzen?

Für Menschen, die sich fragen, wie es wohl damals in der DDR und insbesondere mit der Überwachung war, ist dieser Roman wahrscheinlich etwas sehr Aufschlussreiches und sehr an der Realität Anknüpfendes. Wie bereits erwähnt, bedient sich Rietzschel hier an den 'klassischen' Osthemen. Während in der Neuzeit noch einige Baurelikte der Vergangenheit stehen, der Wandel der Zeit deutlich zu spüren ist, Menschen wegziehen, sich nirgends mehr so recht zugehörig fühlen und Einrichtungen schließen, greift er in einer zweiten Zeitebene die Geschichte zweier Brüder auf, die durch den Bau der Mauer getrennt wurden. Einer von Ihnen wurde in der DDR von der Stasi als möglicher 'DDR-Flüchtiger' eingestuft und beobachtet, Post wurde nicht weitergeleitet und auch sonstige Kontaktmöglichkeiten erschwert. Und während der eine von Ihnen ein bekannter Künstler wird, bleibt dem anderen nur... ja, was eigentlich?

"Mutter, Vater. Für Jan waren sie Raumfahrer. Schwebten in einer Zwischenwelt, ihrem Ausgangspunkt entrissen. Während sie schwebten, hatte sich die Welt schon ein Dutzend Mal weitergedreht. Sie sahen dabei zu, streckten die Hände aus. Versuchten , vor- oder zurückzukommen. Hoch, runter. Aber wo sie sich befanden, gab es keine dieser Richtungen im Raum. Und Jan stand auf der Erde und richtete sein Fernglas auf sie."

Dieses Bild, den Raumfahrer und den damit verbundenen Titel dieses Romans, mag ich total gerne und irgendwie lässt sich sehr viel reininterpretieren. Menschen, die losgelöst sind, nirgends ankommen, nicht vorwärtskommen, sich einfach der Zeit beugen, teilweise von außen gelenkt, so voller Wünsche und doch irgendwie auch unfähig etwas zu bewirken. Jan hätte nun die Möglichkeit zurückzusehen, seine Eltern 'neu' kennenzulernen. Und was ich nun einerseits total faszinierend und durch das Auftauchen der Stasi-Akte unglaublich spannend finde, wäre eigentlich die Auseinandersetzung mit der möglichen Vergangenheit und dem 'will man das eigentlich wissen, wer damals alles mit der Stasi zusammenhing, was sie beobachtet haben, worauf die Regierung alles Einfluss genommen hat' oder möchte man unvoreingenommen weiterleben. Viele, die die Regierung kritisierten, aufmüpfig wurden oder sich gegen den Kommunismus stellten, wurden von der Stasi beobachtet, Stasimitarbeiter wurden teilweise als 'Freunde', Arbeitskolleg:innen oder Schulkamerad:innen in das Leben der zu Beobachtenden eingeschleust oder verschwanden plötzlich wieder und teilweise gab es sogar härtere Einschnitte. Aber als Jan diese Akte von einem seiner letzten Patienten im Krankenhaus erhält, lässt ihn das erstaunlich kalt. Es heißt zwar, dass Jan sich für die Vergangenheit interessiert, aber eher er denkt da eher an seine Zeit mit Karolina. Anfangs hatte ich das Gefühl, er wüsste einfach nichts damit anzufangen, noch könnte er dem Kartoninhalt eine Bedeutung geben, aber selbst im weiteren Verlauf tut sich da kaum eine Regung. Und das kann ich dann auch selbst Wochen nach dem Lesen nicht nachvollziehen, aber gut, jeder Mensch tickt anders und vielleicht wollte Rietzschel mit diesem Handlungsstrang einfach nur eine nebenherlaufende Verbindung zur Gegenwart herstellen, aber das eigentliche DDR-Geschehen in den Vordergrund stellen. Aber selbst dann, hat sich das Lesen durch Jans Abschnitte für mich etwas in die Länge gezogen, ich hatte die ganze Zeit mit einem gewaltigen Rums gerechnet, aber irgendwie kam da fast gar nichts. Es blieb ruhig, sachlich und gegenwärtig ja, irgendwie dann auch etwas trostlos. Und wenn ich dieses Buch nun mit Rietzschels vorherigem Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" vergleiche, so gab es zwar ein komplett anderes Thema des Ostens, aber er konnte da einfach größere Welten aufbauen und der Frage nach rechter Gewalt auf die Spur kommen, eben etwas, womit auch jede:r heutzutage etwas anfangen kann, sich dazu Fragen stellt und vieles nicht verstehen kann. "Raumfahrer" setzt sich dabei eher mit gegebenen Fakten auseinander, die in der Form nur ein Teil seiner Leser:innen kennen wird oder aus Erzählungen gehört hat und dabei eigentlich recht wenig Raum für eigene, weitschweifende Gedanken lässt. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich mochte es gerne, der Roman ist gut erzählt, aber er hat mich weder überrascht noch wirklich berühren können, er ist lesenswert, aber Rietzschels erstes Buch fand ich deutlich stärker.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.09.2021

"Ausweglos" - An welchem Mord möchtest du schuld sein?

Ausweglos
0

Krimi und Thriller sind für mich ja immer so eine Art Ausgleich. Gerade, wenn mich ein Roman sehr gefordert hat und ich nicht gleich in ein neues, ähnlich forderndes Abenteuer starten mag oder kann, schiebe ...

Krimi und Thriller sind für mich ja immer so eine Art Ausgleich. Gerade, wenn mich ein Roman sehr gefordert hat und ich nicht gleich in ein neues, ähnlich forderndes Abenteuer starten mag oder kann, schiebe ich etwas spannendes dazwischen. Doch die Qual der Wahl macht es da gar nicht so einfach... Auf Henri Fabers "Ausweglos" bin ich vor kurzem über ein Insta-Live mit ihm und Romy Hausmann gestolpert und war irgendwie sofort fasziniert. Die Grundidee, dass jemand bedroht wird und den Täter zu seiner Wohnung und Frau führen soll, dann aber aufgrund des Schlüssels zur Nachbarwohnung zwischen zwei Türen entscheiden kann und was dann folgt, finde ich gedanklich total spannend und gleichzeitig völlig perfide. Über das Unglück eines Menschen zu entscheiden, sich so oder so schuldig zu machen, ohne Ausweg... puh.

"Wenn Noah Klingberg wusste, dass Emma zu Hause war, hat er den Killer bewusst zu ihr geführt. Er hat eine wehrlose Frau einem Psychopathen ausgeliefert, vorsätzlich. Das ist Beihilfe zum Mord. Aber macht ihn das tatsächlich zum Monster? Zwei Schlüssel in seiner Hand, in der einen Wohnung Emma Falk, in der anderen seine Frau. Bekannte gegen Ehefrau - natürlich führt er den Angreifer nicht in die eigene Wohnung, jeder hätte so gehandelt."

Wirklich? Vor einigen Jahren hielt eine Mordserie in Hamburg nicht nur die Stadt in Aufruhr, sondern ließ die Ermittlungen der zuständigen Kriminalbeamten immer wieder ins Leere laufen. Der berüchtigte Ringfinger-Mörder, so wie ihn die Medien damals tauften, treibt nun scheinbar wieder sein Unwesen. Vier Frauen hat er auf dem Gewissen. Vier Frauen, die hinterlistig in ihrer Wohnung mit einem Schnitt durch die Hauptschlagader am Hals getötet, mit weiteren Stichen versehen und dem Ringfinger beraubt wurden. Doch dieses Mal ist einiges anders, denn der Täter hat zusätzlich einen Mann bedroht, bevor er seine Tat ausführen konnte. Es gibt somit einen Zeugen. Dumm nur, dass dieser bis auf die ungefähre Statur und zahlreiche eigene Blessuren sehr wenig zu berichten weiß. Sind die Ermittlungen also schon bevor der Fall erneut aufgerollt wird, wieder zum Scheitern verurteilt? Woher kannte der Täter die Frau? In welchem Zusammenhang steht dieser Fall mit den vorherigen und warum taucht er ausgerechnet jetzt wieder auf? Fragen über Fragen und mittendrin ist Elias, dessen Leben seit den damaligen Geschehnissen auf anderen Wegen verläuft, da sie ihn den Job in der Mordkommission gekostet haben und ihn, vor allem die Bilder von damals, nie wieder losgelassen haben.

Ja, ich glaube so kann man es grob zusammenfassen, ohne wirklich viel von diesem Fall zu erzählen, denn gefühlt ist auch hier jeder Hinweis ein Spoiler. Und auch wenn das nun alles schon recht spannend normal (für einen Thriller) klingt, so muss ich sagen, gibt es hier Wendungen und gerade durch das betroffene Paar, dass sich so sehnlichst ein Kind wünscht und dadurch auf vieles verzichten muss, weitere Verstrickungen und und und in dieser Form alles außer Standard ist. Aber auch dieses Buch hat so seine Höhen und Tiefen - so muss man es leider sagen, denn schon nach den ersten 50 bis 100 Seiten war ich kurz davor diesen Thriller wieder wegzulegen. Es gibt immer mal wieder so spannende Einwürfe, die sich ein paar Seiten lang halten, aber mit dem Sprung zu einer anderen Perspektive/ zu einereinem anderen Protagonistin, sofort wieder verloren gehen und dann so ein bisschen ins Langweilige abdriften. Dieser Erzählungswechsel zwischen Linda (der Partnerin des bedrohten Mannes), Noah (ihrem Freund) und dem Ermittler Elias, der in seiner Vergangenheit auch so einiges verbockt hat und natürlich vor einigen Jahren schon einmal mit dem Fall des Ringfinger-Mörders zutun hatte und über Umwege nun auch Teil des aktuellen Ermittler-Teams ist, hat mich an manchen Stellen so genervt, aber an den überlappenden Stellen auch so begeistert. Gerade Lindas Perspektive habe ich stellenweise nur noch überflogen, Noahs ähnlich und Elias hat mich quasi durch das Buch gerettet bis dann alles mehr aufeinander aufbaut und die Spannung erhalten bleibt. Und dafür bin ich ihm dann tatsächlich sehr dankbar, denn am Ende kommt hier so einiges zusammen, die Spannung schwappt über, eins führt zum anderen, zu etwas noch größerem und dann hat mich dieser Thriller gleich auf mehreren Ebenen begeistern können... aber bis dahin ist auch ein weiter Weg. Leider darf ich nun wenig über den besten Teil bzw. die Auflösung selbst verraten, aber damit hatte ich nur bedingt gerechnet, dachte zwischenzeitlich die ganze Geschichte würde sich in eine komplett andere Richtung entwickeln und dann hat die Falle plötzlich zugeschlagen und die letzten 100 - 150 Seiten haben mich voll und ganz in Beschlag genommen. Ob dies nun so wie es geschildert wurde möglich erscheint oder doch recht konstruiert, sei mal so dahingestellt, für mich ist jeder Krimi in irgendeiner Form etwas abstrus, aber wie Faber am Ende alle Stricke zusammenführt, das ist schon ganz gut und spannend. Also alles in allem eine gute Unterhaltung mit etwas Ausbaupotenzial.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.09.2021

Kornkreise in England - "Der perfekte Kreis" und eine ungewöhnliche Freundschaft

Der perfekte Kreis
0

Nachdem Benjamin Myers mit "Offene See" den Liebling der deutschen Buchhändler:innen landete und beinahe jeden mit seiner unaufgeregten und sehr naturverbundenen Freundschaftsgeschichte begeistern konnte, ...

Nachdem Benjamin Myers mit "Offene See" den Liebling der deutschen Buchhändler:innen landete und beinahe jeden mit seiner unaufgeregten und sehr naturverbundenen Freundschaftsgeschichte begeistern konnte, hat er nun mit "Der perfekte Kreis" noch einmal nachgelegt. Auch dieses Buch widmet er einer ganz besonderen Freundschaft. Wir begeben uns mit ihm ins südliche England im Jahr 1989, als dort gehäuft seltsame, kreisrunde Muster auf den Feldern auftauchen. Eine Sensation, die für reichlich Spekulationen in den Medien, bei den Wissenschaftlern und Menschen vor Ort sorgt. Einige wollen kleine grüne Wesen gesehen haben, andere gehen von Jugendstreichen aus oder sehen dies einfach als eine lukrative Geldeinnahmequelle. Doch hinter all dem stecken eher zwei, die sich über einen ungewöhnlichen Weg gefunden haben und eine seltene Leidenschaft hegen. Calvert und Redbone haben sich viel vorgenommen, sie möchten in diesem Sommer die "Kleingeister" mit ihren Kornkreisen umhauen und damit die Aufmerksamkeit zurück auf die Natur lenken. Die Honigwabe-Doppelhelix soll dabei ihr größter Coup werden, aber bis dahin versuchen sich die beiden noch an ein paar anderen Kornkreisformationen. Sie ziehen nächtlich mit Seilen und Brettern bewaffnet los und setzen Redbones verrückte Pläne in die Tat um. Eine Tat und Freundschaft, die gerade für Calvert wichtiger ist, als alles andere. Doch eins schwingt immer mit... die Angst davor entdeckt zu werden.

"Ein perfekter Kreis kann prinzipiell nicht erschaffen werden, erst recht nicht von zwei Typen auf einem Feld mit ein paar Seilen und hochfliegenden Ideen. Sorry, mein Freund. Der perfekte Kreis kann nur als Idee existieren. Was gar nicht so schlecht ist, wenn du mal drüber nachdenkst, denn das heißt, dass jeder von uns einen in sich trägt."


Das ist es also, der berühmt, berüchtigte zweite Roman und ehrlich gesagt, hat mich "Der perfekte Kreis" schon sehr enttäuscht. Zwar gibt es einige Parallelen zu Myers Erstling, aber die Handlung ist dann doch etwas eintönig. Als Leser:in begleitet man die beiden Freunde insgesamt 10 Mal auf ihren Touren durch die Felder. Redbone und Calvert setzen sich dabei immer wieder neue, größere oder spektakulärere Ziele, werden hin und wieder von Anwohnern überrascht und in ihren Gesprächen werden hier und da weitreichende Themen wie Kolonialismus, Müll, Monokulturen, Regionalismus, der generelle Einfluss der Menschen auf die Umwelt, sowie die globale Erwärmung eingestreut, aber bis auf ein paar Grundzüge lernt man die beiden Protagonisten kaum kennen und in der Geschichte gibt es kaum begeisterungsfähige Aufs und Abs. Es plätschert so hin, lässt sich mal eben so fix lesen, aber im Großen und Ganzen gibt einem die Geschichte recht wenig und das ist schade. Auch ein Punkt, über den ich lange nachdachte und irgendwie fraglich finde, ist dass jedes Kapitel den jeweils von den beiden ausgedachten Namen für das Kornkreiskunstwerk, wie der Longbarrow-Wal, der White-Whattle-Schlüssel oder der High-Bassett-Butter-Barrel-Whirlpool trägt und dann in den teilweise am Ende des jeweiligen Kapitels angehängten 'Zeitungsberichten' eben auch jene Namen auftauchen. Dass sich die beiden Künstler und die Redakteure die gleichen Namen für etwas ausdenken... hmm.
Und so ist es dann eben nur ein nettes Buch über eine ungewöhnliche Freundschaft, sehr ruhig und sicherlich ein nettes Verlegenheitsgeschenk für Freunde, bei denen man nicht weiß, was sie gerne lesen, aber die auf der Rückseite versprochene "berührende Liebeserklärung an die englische Landschaft, die Natur und nicht zuletzt an die Freundschaft" ist dann eine vielleicht doch etwas zu hochgegriffene Beschreibung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.08.2021

zwei "Löwenherzen" unterwegs in Afrika

Löwenherzen
0

"Löwenherzen" ist nun Gesa Neitzels drittes Buch und nach wie vor schafft sie es beinahe mühelos ihre Leserinnen für Afrika, die Natur und das Naturbewusstsein zu begeistern. Ich weiß noch wie ich vor ...

"Löwenherzen" ist nun Gesa Neitzels drittes Buch und nach wie vor schafft sie es beinahe mühelos ihre Leserinnen für Afrika, die Natur und das Naturbewusstsein zu begeistern. Ich weiß noch wie ich vor 5 Jahren "Frühstück mit Elefanten" beinahe verschlungen habe und dabei Gesa und ihrem Mut etwas neues zu wagen, die Zelte in Deutschland abzubrechen und sich in so ein Safari-Abenteuer zu stürzen sehr bewunderte. Auch ihr zweites Sachbuch "The wonderful wild" hat mich gerade während in der Zeit der Klimawandeldebatten aufgrund des stets präsenten Wildlife/ Afrikafeelings, aber auch wegen ihrer perspektivenreichen, besonnenen und beinahe schon tröstenden, sowie Mut machenden Worte sehr begeistern können. Dieses Buch ist nun eher so eine Art Fortsetzung, in der sie davon berichtet, wie es ihr und Frank nach dem Kennenlernen erging, was sie bis dato umgetrieben hat und was sie zusammen in Afrika erlebt haben.

"Mir war vorher nie klar gewesen, wie sehr alles miteinander zusammenhing und wie wir Menschen das Gleichgewicht dieser Welt vollkommen durcheinanderbrachten, in dem wir in die Natur eingriffen."

Ich weiß nicht warum, aber mit diesem Buch tat ich mich so ein bisschen schwer. Auch wenn das Gefühl beim Lesen ähnlich war, wie bei ihren anderen Büchern, so konnte mich die Geschichte einfach nicht mehr so mitreißen. Gesa erzählt von ihren Gedanken, Beobachtungen und irgendwie ja auch Abenteuern mit Frank und ihren gemeinsamen Reisen durch Botswana, Namibia und Sambia. Neben tollen Naturbeschreibungen und Begegnungen wird auch auch immer mal wieder deutlich, welches Recht sich der Mensch herausnimmt und wie er Einfluss auf Ökosysteme nimmt, die es eigentlich zu schützen gilt. Gerade das versetzt mich immer so ein bisschen in Staunen und macht mich gleichzeitig sprachlos, allerdings ist es eben auch nichts 'neues' oder emotional aufwühlendes, bei dem man als Leser
in mit fiebert. "Frühstück mit Elefanten" hatte noch dieses Ziel, am Ende die abgeschlossene Ausbildung zur Rangerin, bei dem man bis zum Ende mit ihr gehofft hat, aber dies ist eben mehr eine Geschichte, die weitererzählt wird, ohne dass man auf etwas hinarbeitet. Es ist mehr ein Eindruck, die Anfänge einer gemeinsamen Reise bei der es immer wieder Hürden zu überwinden gilt. Wahrscheinlich würde ich auch noch alle kommenden Bücher von ihr lesen, einfach um mich an diesem Gefühl und der lockeren Reiseberichterstattung zu erfreuen, dennoch habe ich gerade hier so das Gefühl, dass das wichtigste bereits erzählt wurde und alles was kommt nur noch eine Art Add-on ist.

Was ich jedoch mitnehme, ist erneut dieses Bild von der unberührten Natur, ihre Gefahren und gerade auch die Herausforderungen für die Menschheit. Ich glaube an dieser Stelle brauche ich nur recht wenig von dem eigentlichen Reisebericht an sich wiedergeben. Einige von euch werden vielleicht schon mal eine Safari in Afrika gemacht haben oder haben diese wahnsinnig beeindruckenden Bilder aus zahlreichen Dokumentationen vor Augen. Und dieses Buch baut nun darauf auf, erweckt Bilder der schützenswerten Natur und gibt den Leser*innen somit etwas an die Hand, für was wir uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten einsetzen und kämpfen müssen. Der Mensch darf in puncto Natur nicht weiter Gott spielen, weiter Ökosysteme, sowie Tiere gefährden, Temperaturerhöhungen einfach so hinnehmen. Gesa zeigt uns, was wir von der Natur lernen können, wie wir im Einklang mit ihr und den anderen Lebewesen leben sollten oder was wir/ wie wir von den Einheimischen lernen können. Dieses Buch ist dabei so von Neugier geprägt und natürlich gibt es auch hin und wieder recht brenzliche Situationen oder Rückschläge für die beiden, aber auch diese haben sie weiter zusammengeschweißt. Dieses Buch ist ein Reisebericht, ein Stück weit Liebesgeschichte, aber vor allem eins: eine große Liebe zur Natur.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.08.2021

Kleines Buch mit großer Wirkung - "Auszeit" von Hannah Lühmann

Auszeit
0

Wenn die Gedanken wieder überhand nehmen, das Leben einen fest im Griff hat, teilweise gar überfordert und irgendwie alles festgefahren scheint, wäre eine Auszeit gar nicht mal so verkehrt. Einen kleinen ...

Wenn die Gedanken wieder überhand nehmen, das Leben einen fest im Griff hat, teilweise gar überfordert und irgendwie alles festgefahren scheint, wäre eine Auszeit gar nicht mal so verkehrt. Einen kleinen Urlaub, in dem man endlich wieder abschalten, das Leben genießen und man mal wieder Zeit finden kann um sich zu ordnen, zu reflektieren, um zu gucken wo einen das Leben hintreibt oder wo sich Möglichkeiten auftun.
Auch Henriette braucht in Hannah Lühmanns Roman "Auszeit" eben jene Pause vom Leben. An ihrer Dissertation über den Werwolf und dessen Kulturgeschichte sitzt sie bereits seit Ewigkeiten ohne nennenswerte Fortschritte zu machen. Das Leben hat sie irgendwie fest im Griff. Henriette trauert. Sie trauert um ihr Kind, wahrscheinlich wäre es eine Tochter gewesen, so wie sie es sich wünschen würde, aber bereits der erste Satz dieses Romans lässt schlimmes erwarten. "Der Tag, an dem ich in die Klinik fuhr, um mein Kind abzutreiben, war ein Dienstag, es war noch Frühling." Und dann nimmt alles so seinen Lauf oder eben nicht, bis
Paula die Reißleine zieht und ihre Freundin Henriette zu einer kleinen Auszeit im östlichen Bayern überredet. Ein bisschen meditieren, viel Wald, Luft und vor allem eins, Freiheit, vielleicht auch etwas Klarheit. Endlich Zeit fokussiert an ihrer Arbeit zu schreiben, endlich wieder etwas anderes sehen und auf andere Gedanken kommen, endlich, ja, was eigentlich?

"Es ist, denke ich, als hätte die Stadt meine Seele zerquetscht, als hätte ich einmal zu oft das graue Szenario gesehen, das sich mir jeden Morgen bietet, wenn ich die graffitibesprühte Tür meines Wohnhauses hinter mir schließe. Die Zigarettenpackungen, die Hundescheiße, der Beton. Früher war es mir egal, wo ich lebe, heute sind alle Klischees über das Leben in der Stadt wahr geworden und nehmen mir die Luft zum Atmen. Ich bin nicht alt, ich habe noch Zeit. Ich brauche nur Luft, Luft und Abstand..."

Natürlich passieren auch hier nun eher unerwartete Dinge. Dieser Roman ist nämlich nicht nur von ein kleiner Ausflug in Richtung Freundschaft, denn irgendwie bewegt gerade diese gemeinsame Zeit, von der wir lesen können, Henriettes Leben in eine ganz andere Richtung. Henriette muss sich mit den großen Fragen des Lebens, nach der Zukunft und ihrem Jetzt auseinandersetzen, sich neu finden und motivieren und ihre Freundin gibt ihr dabei Raum und fungiert gleichzeitig als eine ungeheure Stütze und Wegbegleiterin. In diesem Buch geht es aber auch um die Fragen nach dem, was einen erfüllt und glücklich macht, ob es richtig ist ein Kind in die Welt zu setzen oder eben nicht, wie es sich anfühlt stets auf der Suche nach dem richtigen Weg zu sein und dabei doch auch vieles falsch zu machen. Es ist aber auch irgendwie eine Geschichte über die verschiedenen Wirkungen des Menschen, dem Gedachten und dem Wirklichen, dem Tröstenden, Ängstlichen und dem Angreifenden. Der Werwolf, eine Art Sinnbild für so vieles. Die Verwandlung, die zwei Seiten des Menschen, die Gefühlswelt, das Ringen und die Auseinandersetzung und vielleicht auch ein Stück weit der Kipppunkt, sowie die Entscheidung.

Gerade nach den letzten Zeilen habe ich mich lange gefragt, was Hannah Lühmann mir mit dieser Geschichte sagen mag. Eine Auszeit. Im östlichen Bayern. Zwei Freundinnen. Zwei ganz unterschiedliche Lebenswelten, von denen die der Henriette stets am präsentesten ist. Ich kann nicht einmal sagen, dass mir diese Protagonistin wirklich sympathisch ist, vielleicht weil sie auch so egoistisch wirkt. Ein Ich-Mensch, der sich immer weiter in sich selbst verzweigt und dadurch nicht vorwärts kommt. Eben das genaue Gegenteil von Paula und irgendwie sind es dann auch ihre Worte und ihre Entscheidung, am Ende, die mich berührten und zum Nachdenken gebracht haben. Eigentlich nicht nur am Ende, immer wieder. Und irgendwie fand ich es dann auch an ihr ganz spannend zu sehen, wie sie mit ihrer Freundin und dem Leben umgeht.

Teilweise sehr schmerzhaft, manchmal auch eher gedankenverloren nähert sich derdie Leserin Henriettes Problemen und Ängste, der Frage nach dem Kind und ihrer Aufgabe. Sehr bemerkenswert finde ich dabei diese Aufbruchsstimmung, in all dieser Ruhe, und den plötzlich neu gefassten Drang etwas im Leben verändern zu wollen, gar zu müssen.


"Ich spüre eine große Aufregung in mir, ich bin, das denke ich ernsthaft, wild entschlossen, mein Leben zu ändern, ein Bild zu werden, etwas zu werden. Irgendetwas. Es ist nicht zu spät, es ist alles eine Frage der Geschwindigkeit, ich muss mich einfach zusammenreißen und beschleunigen, vielleicht muss ich mich wirklich mehr bewegen, mehr erden, mehr Yoga machen,..."

"Auszeit" ist für mich so ein kleiner winkender Zaunpfahl. Eine Geschichte, die davon zeugt, dass es nie zu spät ist, sein Leben neu zu hinterfragen, Sachen anzugehen oder zu ändern, selbst wenn das ganze Leben auf dieser Vorstellung beruht. Es ist aber auch so ein Buch, das während des Lesens so leicht und dünn erscheint, aber im Nachgang wahnsinnig viel Mühe und Gedanken kostet. Schon ewig habe ich nicht mehr so lange über ein Buch, dessen Bedeutung und die einzelnen Funktionen der Protagonisten nachdenken müssen. Und irgendwie bin ich nun auch schon einige Wochen später, nicht wirklich schlauer geworden. Ich reime mir Dinge zusammen, finde Paula nach wie vor großartig und diese akzeptierende Ruhe, sowie das Ungesagte, dieses nicht ganz zu Ende erzählte und doch zu Ende erzählte... Und so wird dann aus diesem gerade einmal 173-seitigen Roman etwas riesiges, was man irgendwie noch sehr lange mit sich rumschleppt und das finde ich wahnsinnig faszinierend. Vielleicht ist es das optimale Geschenk, für jeden, derdie gerade im Leben feststeckt, nach Antworten sucht, sich in Gedanken verrannt hat oder eben auf diesen berüchtigten Wink mit dem Zaunpfahl wartet. Der Mensch ist zu vielem fähig, er muss sich manchmal nur auf etwas neues einlassen um seinen Weg zu erkennen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere