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Veröffentlicht am 20.09.2022

Aus dem Leben einer Dolmetscherin

Intimitäten
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Eine junge Dolmetscherin verlässt nach dem Tod ihres Vaters New York, um am Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu arbeiten. Auf einer Party lernt sie Adriaan kennen. Doch dann verschwindet er zu seiner ...

Eine junge Dolmetscherin verlässt nach dem Tod ihres Vaters New York, um am Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu arbeiten. Auf einer Party lernt sie Adriaan kennen. Doch dann verschwindet er zu seiner Noch-Ehefrau und hinterlässt nichts als Fragen. Ins Grübeln kommt die junge Frau auch, als sie für einen angeklagten westafrikanischen Kriegsverbrecher dolmetschen muss.

„Intimitäten“ ist ein Roman von Katie Kitamura.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 16 Kapiteln. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive aus der Sicht der Dolmetscherin.

Der Schreibstil ist unaufgeregt, aber eindringlich und atmosphärisch. Immer wieder wird das sprachliche Talent der Autorin deutlich.

Der Fokus liegt eindeutig auf der leider namenlosen Dolmetscherin, deren Innenleben intensiv beleuchtet wird. Sie wirkt authentisch und ist psychologisch gut ausgestaltet. Die übrigen Personen bleiben blass, was mich jedoch überhaupt nicht gestört hat.

Inhaltlich geht es vor allem um existenzielle Fragen. Das Thema Heimatlosigkeit spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Sehr interessant fand ich es, mehr über das Berufsbild von Dolmetschern zu erfahren.

Die Handlung ist überschaubar. Der Schwerpunkt der Geschichte sind die Gedanken der Protagonistin. Viele dramatische Momente gibt es somit nicht. Dennoch konnte mich der Roman mit seinen etwas mehr als 200 Seiten fesseln.

Der deutsche Titel ist wortgetreu aus dem Englischen („Intimacies“) übersetzt worden. Auch das Cover passt zur Geschichte und gefällt mir sehr gut.

Mein Fazit:
„Intimitäten“ von Katie Kitamura ist ein empfehlenswerter Roman. Ein intensives und ungewöhnliches Leseerlebnis.

Veröffentlicht am 02.09.2022

Die dunklen Seiten der Leidenschaft

Sturmhöhe
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Yorkshire in England: Als Lockwood, der neue Mieter von Thrushcross Grange, in der Gegend ankommt, will er seinem Vermieter Heathcliff in Wuthering Heights einen Besuch abstatten. Nicht nur das Wetter ...

Yorkshire in England: Als Lockwood, der neue Mieter von Thrushcross Grange, in der Gegend ankommt, will er seinem Vermieter Heathcliff in Wuthering Heights einen Besuch abstatten. Nicht nur das Wetter ist frostig, sondern auch der Empfang. Doch von einer alten Haushälterin erfährt er, was sich vor etlichen Jahren ereignet und Heathcliff so verbittert hat…

„Sturmhöhe“ ist ein Romanklassiker von Emily Brontë, der zum ersten Mal 1847 erschienen ist.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 34 Kapiteln. Ansonsten ist der Aufbau erstaunlich raffiniert. Zum einen: Die Perspektive wechselt mehrfach, wobei die Erzählungen ineinander verschachtelt sind. Zum anderen: Es wird nicht chronologisch erzählt. Die Handlung beginnt 1801, springt mehrere Jahrzehnte nach vorne und dann ins Jahr 1802.

Auch in sprachlicher Hinsicht ist der Roman erstaunlich modern. Er lässt sich gänzlich ohne erklärende Anmerkungen oder Fußnoten verstehen. Zudem gelingt es der Autorin auf wunderbare Weise, mit ihren Beschreibungen sehr viel Atmosphäre und starke Bilder zu erzeugen.

Die Protagonisten sind äußerst interessant ausgestaltet. Sie kommen weder gefällig noch besonders sympathisch daher. Die meisten Figuren weisen sogar etliche menschliche Schwächen und düstere Charaktereigenschaften auf. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist das Personal des Romans für mich sehr reizvoll. Etwas verwirrend ist allerdings die sehr ähnliche Namensgebung.

Vor der Lektüre hatte ich mich auf eine Liebesgeschichte eingestellt. Diese ist zwar durchaus vorhanden, aber weitaus weniger raumgreifend als vermutet und keineswegs kitschig. In inhaltlicher Sicht habe ich den Roman als überraschend vielschichtig und facettenreich empfunden. Menschliche Abgründe wie Hass und ungesunde Besessenheit spielen eine wichtige Rolle. Insgesamt könnte man sagen, dass es vor allem darum geht, wie Leidenschaft ins Negative umschlagen kann.

Obwohl der Roman mit fast 500 Seiten recht umfassend ist, konnte mich die Geschichte durchweg fesseln. Nennenswerte Längen gibt es nicht.

Mein Fazit:
Mit „Sturmhöhe“ ist Emily Brontë ein Roman gelungen, der auch mehr als 150 Jahre nach seinem Erscheinen nichts von seiner Faszination, seiner Lesbarkeit und seinem Unterhaltungswert eingebüßt hat. Eine empfehlenswerte Lektüre nicht nur für eingefleischte Liebhaber klassischer Literatur.

Veröffentlicht am 21.08.2022

Nicht nur die Vögel finden zurück

Die Rückkehr der Kraniche
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Vogelwartin Grete Hansen ist gerne draußen in der Natur. Ihr ganzes Leben hat die 49-Jährige im kleinen Dorf hinter dem Deich verbracht. Hier zog sie ihre Tochter Anne groß und half ihrer Mutter Wilhelmine ...

Vogelwartin Grete Hansen ist gerne draußen in der Natur. Ihr ganzes Leben hat die 49-Jährige im kleinen Dorf hinter dem Deich verbracht. Hier zog sie ihre Tochter Anne groß und half ihrer Mutter Wilhelmine mit Haus und Hof. Als Wilhelmine stürzt und ihr Zustand kritisch ist, reist Gretes jüngere Schwester Freya an und Gretes Pläne geraten ins Wanken. Auch Anne findet zurück ins Dorf. Mehrere Geheimnisse stehen allerdings zwischen den Frauen…

„Die Rückkehr der Kraniche“ ist ein Roman von Romy Fölck.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 31 angenehm kurzen Kapiteln. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht von Grete, Freya, Anne und Wilhelmine. Die Handlung ist nahe der Elbe verortet. Die Zeitangaben sind eher vage, aber die Chronologie wird eingehalten.

Der Schreibstil ist atmosphärisch, sehr anschaulich und eindringlich. Schon nach wenigen Seiten haben mich die tollen Naturbeschreibungen für die Geschichte gewinnen können.

Die vier Protagonistinnen sind interessant und lebensnah gestaltet. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut nachvollziehen.

Inhaltlich ist der Roman nicht besonders kreativ. Familiengeschichten mit Geheimnissen gibt es zuhauf. Dennoch hat mich die Umsetzung überzeugt. Die Handlung driftet nicht in Banalitäten ab und verharrt nicht an der Oberfläche. Thematisch ist der Roman zudem durchaus facettenreich.

Auf wenig mehr als 300 Seiten ist die Geschichte nicht immer turbulent, aber trotzdem nicht langatmig.

Das stimmungsvolle Cover ist nicht nur hübsch, sondern passt meiner Ansicht nach recht gut. Auch der Titel gefällt mir.

Mein Fazit:
Mit „Die Rückkehr der Kraniche“ hat Romy Fölck meine Erwartungen voll erfüllt. Ein lesenswerter Roman für schöne Lesestunden.

Veröffentlicht am 16.08.2022

Ein Finanzgenie

Treue
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New York in den 1920er-Jahren: Die Wirtschaft boomt, die Finanzbranche wächst. Und ein Mann profitiert davon besonders. Selbst beim großen Börsencrash 1929 fährt er saftige Gewinne ein. Welche Art Mensch ...

New York in den 1920er-Jahren: Die Wirtschaft boomt, die Finanzbranche wächst. Und ein Mann profitiert davon besonders. Selbst beim großen Börsencrash 1929 fährt er saftige Gewinne ein. Welche Art Mensch ist er? Und wie ist dieser erstaunliche Erfolg bloß möglich?

„Treue“ ist ein Roman von Hernan Diaz.

Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in vier Teile, die als Werke unterschiedlicher Urheber ausgegeben werden: der Roman „Verpflichtungen“, eine Autobiografie, ein Memoir und ein Tagebuch, erzählt aus verschiedenen Perspektiven. Ein interessanter und gut durchdachter Aufbau.

Die Geschichte fokussiert sich auf die 1920er- und 1930er-Jahre, umspannt aber auch weitere Jahrzehnte. Ihr Schwerpunkt liegt in New York.

Sprachlich variiert der Roman sehr stark. Das passt einerseits hervorragend zu den verschiedenen, teils unzuverlässigen Erzählstimmen, ihren jeweiligen Hintergründen und Intentionen. Andererseits sorgt dies dafür, dass mich manche Teile mehr, manche weniger angesprochen haben. Vor allem der zweite Teil ist in stilistischer Hinsicht kein Vergnügen. Festzustellen ist aber, dass es der Autor trefflich versteht, mit Sprache umzugehen. Immer wieder tauchen kluge Sätze und Gedanken auf, die man sich merken möchte.

Für mich gibt es im gesamten Roman keine klassischen Sympathieträger. Dennoch haben wir es mit reizvollen Charakteren zu tun, die bewusst ein wenig ambivalent und diffus bleiben.

Inhaltlich dreht sich die Geschichte - zumindest vordergründig - um Reichtum, Macht, Moral und Deutungshoheit. Der Handel an der Börse und die Finanzwelt nehmen breiten Raum ein. Davon sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen, denn es gelingt Diaz sehr gut, diese Themen verständlich zu machen. Darüber hinaus steckt aber noch viel mehr darin, wobei ich an dieser Stelle nicht zu viel vorwegnehmen möchte. Ich kann allerdings verraten, dass Täuschung und Wahrheit weitere zentrale Motive sind. Alles in allem ist die Geschichte facettenreich und vielschichtig angelegt.

Auf den mehr als 400 Seiten gibt es durchaus kleinere Längen. Durch die unterschiedlichen Perspektiven kommt aber dennoch keine Langeweile auf. Zum einen kann der Roman immer wieder überraschen. Zum anderen entsteht ein spannendes Verwirrspiel, was den Lesesog noch verstärkt. Sobald man glaubt, man habe verstanden, wie sich alles zugetragen hat, lässt ein neues Mosaiksteinchen das zuvor Gelesene in neuem Licht erscheinen. Erst am Ende ergibt sich ein vollständiges Bild. Dann wird die Gesellschaftskritik in Gänze ersichtlich, die dazu führt, dass der Roman noch länger nachhallt.

Nur ein kleines Manko: Der deutsche Titel kommt bei Weitem nicht an die Mehrdeutigkeit des englischsprachigen Originals („Trust“) heran und passt nach meinem Empfinden nur mäßig gut zum Inhalt.

Mein Fazit:
Mit „Treue“ ist Hernan Diaz ein in mehrfacher Sicht ungewöhnlicher und kreativer Roman gelungen. Eine besondere Geschichte mit vielen Ebenen, die zwar ein wenig Ausdauer erfordert, die sich aber lohnt. Eine empfehlenswerte Lektüre und ein Lesehighlight des Jahres 2022.

Veröffentlicht am 16.08.2022

Von übellaunigen Drachen und störrischen Prinzessinnen

Der kleine Raubdrache
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Der kleine Drache hat es nicht leicht. Er will keine Prinzessinnen rauben, weil das eine undankbare Aufgabe ist. Aber er hat keine Wahl und daher schlechte Laune. Und dann läuft auch noch alles schief…

„Der ...

Der kleine Drache hat es nicht leicht. Er will keine Prinzessinnen rauben, weil das eine undankbare Aufgabe ist. Aber er hat keine Wahl und daher schlechte Laune. Und dann läuft auch noch alles schief…

„Der kleine Raubdrache - Das vorschriftsmäßige Rauben von Prinzessinnen“ ist ein Kinderbuch von Dagmar H. Mueller, geeignet für Jungen und Mädchen ab fünf Jahren.

Meine Meinung:
Die Geschichte besteht aus 18 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Zeit und Ort bleiben unklar, sind aber fürs Verständnis irrelevant.

Die Sprache ist auf die Altersgruppe abgestimmt. Die Beschreibungen sind anschaulich und gut verständlich. Der Text eignet sich gut zum Vorlesen. Einzelne Wörter wie „mucksch“ sind allerdings schon recht speziell.

Der kleine Drache ist ein sympathischer Protagonist. Auch die frechen Prinzessinnen sind interessante Charaktere.

Auch in inhaltlicher Hinsicht hat uns das Buch überzeugt. Die Geschichte um Drachen und Prinzessinnen, die sich gegen Rollenerwartungen, Klischees und Zwänge auflehnen, ist nicht nur ein amüsantes Lesevergnügen. Sie liefert auch Gesprächsstoff und vermittelt begrüßenswerte Botschaften.

Die Illustrationen von Sabine Rothmund gefallen uns ebenfalls sehr gut: zeitgemäß, mit Liebe zum Detail und lustigen Elementen. Sie ergänzen die Geschichte perfekt.

Die Covergestaltung spricht uns ebenso sehr an. Der Titel ist recht lang und etwas redundant, aber passt zum Inhalt.

Mein Fazit:
Mit „Der kleine Raubdrache - Das vorschriftsmäßige Rauben von Prinzessinnen“ ist Dagmar H. Mueller ein witziges Vorlesebuch gelungen, das auf liebevolle Weise mit Geschlechter- und Rollenklischees spielt. Pädagogisch sinnvoll und zugleich unterhaltsam. Wir freuen uns schon jetzt auf die angekündigte Fortsetzung.