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Veröffentlicht am 04.04.2024

Gesammelte Widerwärtigkeiten

Lil
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Selten habe ich ein Buch in der Hand gehabt, wo das Cover so super zum Inhalt passt. Und schön gestaltet ist es auch. Das kommt ja m. E. neuerdings nicht so oft vor.

Zum Inhalt: Wir springen hier von ...

Selten habe ich ein Buch in der Hand gehabt, wo das Cover so super zum Inhalt passt. Und schön gestaltet ist es auch. Das kommt ja m. E. neuerdings nicht so oft vor.

Zum Inhalt: Wir springen hier von etwa 1880 bis in die Gegenwart – mehr oder weniger. Ein Fundstück im Bauschutt bringt Sarah, die Nachfahrin der Protagonistin, zum Erzählen. Dabei tauscht sie sich oft – etwas gewöhnungsbedürftig zu Anfang – mit ihrer Dobermann-Hündin Miss Brontë aus.

Aber hauptsächlich geht es hier um Sarahs Großmutter, mit vierfachem „Ur-“ vorneweg (S. 12). Diese geschäftlich sehr, sehr erfolgreiche Vorfahrin heißt Lilian Cutting und wir erfahren von den gesammelten Widerwärtigkeiten, die ihr im Verlauf dieser Geschichte angetan werden. Und wie sie es schafft, das Ungemach elegant wieder abzuwenden.

Als Lils geliebter Ehemann Chev stirbt – und möglicherweise wurde er von seinem eigenen Sohn Robert vergiftet – ist Lil auf sich allein gestellt. Mehr oder weniger jedenfalls, denn Freunde hat sie nicht viele, von Jay und Colby Sandberg einmal abgesehen. Feinde hat sie dafür umso mehr und ihr größter Feind ist ihr eigener Sohn Robert. Denn Robert ist gierig und unfähig dazu und will an Lils Vermögen und dafür ist er zu jeder Schandtat fähig, sogar zum Mord. Aber zunächst wird Lil bei einem freiwilligen Besuch in der Nervenheilsanstalt Hops Island überrumpelt und gleich dabehalten. Der tonangebende Psychiater Matthew Fairwell nimmt sich unglaubliche Freiheiten heraus, um Lil zu demütigen und mit Morphium zu destabilisieren. (Ab S. 64) Lils schriftlicher Hilferuf per Brief an ihre Freundin Colby Sandberg fällt der Fairwellschen Zensur zum Opfer und landet irgendwo im Keller von Hops Island. Dort wird er dann etwa 140 Jahre später aufgefunden und gelangt in Sarahs Hände.

Die Dekadenz der reichen und mächtigen Belmorals und Vandermeers im historischen New York wird hier allerfeinst beschrieben. Aber eben auch, wie souverän Lil es schafft ihren eigenen Sohn zu besiegen und schon allein rhetorisch regelrecht platt zu walzen.

Es geistern noch andere Figuren durchs historische NY: So etwa Cora, Roberts Ehefrau, deren gemeinsame Tochter Libby und ein Asiate, Patenkind Zhu Cheng. Wichtige Rollen spielen noch Emma Golding und der Richter Stamford Brook.

Wir können vermuten, dass der Verfasser der Flach-Erde-Theorie zugeneigt ist und auch vom Gendern nicht viel hält. „Noch hielt sich ein kitschgelber Mond stur an dem Wirrwarr der Telegraphendrähte fest, einfach, weil er es satthatte, schon wieder unter die Erdscheibe gedrängelt zu werden.“ (S. 120)

Oder im privaten Zuhause überlegt der Richter mit seiner Frau, wie er mit der Anwältin Colby Sandberg umgehen soll: „Soll ich sie wie eine Frau behandeln oder wie einen Mann? Oder ist in letzter Zeit etwas Drittes hinzugekommen?“ (S. 125)

Fazit: Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten in den Roman herein zu finden, durch den etwas überambitionierten Schreibstil. Fand dann aber zunehmend mehr Vergnügen daran. Wer gerne einmal Ungewöhnliches liest, der ist hier – fern vom Einheitsbrei – genau richtig. 4 Sterne.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Wer anderen eine Grube gräbt …

Der ehrliche Finder
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Was ich zunächst nicht wusste: Dieses schmale Büchlein von Lize Spit wurde in den Niederlanden in der boekenweek (Buchwoche) als Buchgeschenk zu einem gekauften Buch dazu gegeben. De boekenweek dauert ...

Was ich zunächst nicht wusste: Dieses schmale Büchlein von Lize Spit wurde in den Niederlanden in der boekenweek (Buchwoche) als Buchgeschenk zu einem gekauften Buch dazu gegeben. De boekenweek dauert neun Tage und findet jedes Jahr im März statt. Beim Kauf von mindestens 15 Euro an niederländischsprachiger Lektüre erhält man also ein speziell für diese boekenweek geschriebenes Buch. Diese Ehre, dieses Buchgeschenk schreiben zu dürfen, wurde also in diesem Jahr Lize Spit zuteil.

Beim Blauen Sofa in der Bertelsmann Repräsentanz in Berlin, Anfang März 2024, durfte ich nun diese bezaubernde und charmante Autorin persönlich kennenlernen und sie hat mir dieses Buch signiert. Mit einer ganz speziellen Widmung, die ich übersetzen muss. Ich verstehe das so, dass ich den Mansch vom Papri-Club unbedingt probieren soll. Und manchmal auch „Ja“ zu Dingen sagen soll, wo ich eigentlich „Nein“ sagen würde. Mal sehen …

Im „ehrlichen Finder“ geht es um die Freundschaft zweier Jungen und auch um das (schändliche) Ausnutzen des anderen unter der Vorspiegelung der Freundschaft. Und es zeigt sich auch, dass bei verschiedenen Nationalitäten eben unterschiedliche Werte zählen. Der kluge und einsame Jimmy kümmert sich aufopferungsvoll um den Migranten Tristan, indem er ihm nicht nur die Sprache beizubringen versucht, sondern auch die üblichen Verhaltensweisen. Jimmy gefällt auch die riesengroße Familie von Tristan. Denn er selbst hat keine Geschwister und sein Vater verschwand spurlos, nachdem er das halbe Dorf finanziell betrogen hatte. Kein guter Start für den Sohn in der Schule.

Was nun weiterhin geschieht, kann hier nicht verraten werden, nur so viel: Jimmys Gaben weiß man nicht zu schätzen und was man von ihm verlangt, ist viel, viel zu viel.

Lize Spit hat es verstanden, den wenigen Seiten Leben einzuhauchen und eine Geschichte aufzubauen, die es in sich hat. Und ja, manchmal braucht es viel Mut, um ein Feigling zu sein. (Frei zitiert von S. 109.) Warum das Buch aber diesen Titel trägt, das hat sich mir leider nicht erschlossen.

Das Cover bezieht sich auf Jimmys Flipposammlung. S. 32: „Von der Time-Serie und den Pop-up-Monstern hatte er noch am wenigsten. Diese beiden, die aus insgesamt lediglich vierzig Stück bestanden, erwischte man am schwersten.“ Deshalb also sind vierzig Kreise auf dem Cover. Und die Flippos findet man in Kartoffelchips-Tüten und natürlich soll damit der Verkauf der Ware angekurbelt werden. Gab es zuvor offensichtlich schon in Korea, Griechenland, England etc. aber in Deutschland (leider) nicht. Aus den Chips kann man einen wunderbaren Mansch herstellen, den Jimmy und Tristan im Geheimen genießen. In ihrem Papri-Club.

Fazit: Ich habe alle drei Bücher dieser fantastischen jungen Autorin gelesen und kann sie nur wärmstens empfehlen. Ihre Themen sind sehr unterschiedlich, nichts ist aufgewärmt und sie weiß genau, wovon sie schreibt und fühlt sich extrem in ihre Figuren ein. ****

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Veröffentlicht am 10.03.2024

Einer, den niemand will

Demon Copperhead
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Für diesen 832-Seiten-Roman mit dem schrecklichen Cover habe ich knappe vier Wochen gebraucht. Ich habe mich jeden einzelnen Tag so aufs Lesen gefreut, das war bei den beiden Vorgängern in 2024 leider ...

Für diesen 832-Seiten-Roman mit dem schrecklichen Cover habe ich knappe vier Wochen gebraucht. Ich habe mich jeden einzelnen Tag so aufs Lesen gefreut, das war bei den beiden Vorgängern in 2024 leider nicht so. Trotz der Fülle hat also jeder Satz seine Daseinsberechtigung. Und ich muss Frau Kingsolver ein dickes Kompliment aussprechen, dass sie als ältere Autorin so zielgenau die Sprache der Jugend getroffen hat. Und das über diese vielen Seiten bravourös durchgehalten hat. Das Kompliment gebührt natürlich auch dem Übersetzer Dirk van Gunsteren.

Demon Copperhead, die Titelfigur und unser Ich-Erzähler, hat es schwer in dem Drogensumpf zu überleben, der schon seine Ankunft in dieser Welt überschattet. Sein Vater starb schon vor seiner Geburt und der Stiefvater, Stoner, ist brutal, machtgeil und weiß mit Demon nichts Besseres anzufangen, als ihn pausenlos aufs Übelste zu schikanieren. Demons Mom ist eigentlich nicht so übel, aber leider drogenabhängig und unfähig, sich gegenüber Stoner durchzusetzen. Als sie jung an einer Überdosis Oxy stirbt, verschwindet Stoner fluchtartig aus dem Trailer und aus Demons Leben.

Die Nachbarn: S. 19: „Und da sitzen sie jetzt auf ihren zusammengeflickten Veranden, eine einzige große Sippe, und über dem Ur-Trailer weht die ausgefranste Flagge. Eine Nation unter Schrott.“

Nach dem Tod der Mutter wird Demon pausenlos rumgereicht. Die Pflegefamilien, die ihn widerstrebend aufnehmen, nutzen ihn nur aus, nehmen aber das Pflegegeld gern entgegen. Oder lassen ihn arbeiten und kassieren den kompletten Lohn. Und Demon hat immer, immer Hunger. Auch der umschwärmte Held seiner Jugend, Fast Forward, nutzt alle seine Fans und Bewunderer letztlich nur aus.

Echte Freunde gibt es wenige: Maggot, der im Nachbartrailer wohnt. Tommy, den Demon auf einer Farm kennenlernt, auf der auch das Idol seiner Jugend, Fast Forward, wohnt. Und: nicht zu vergessen Angus, die Unvergleichliche. Bleiben noch die wenigen Erwachsenen, die es gut mit Demon meinen, die Peggots und Tante June. Später noch der Coach der Footballmannschaft, bei dem Demon dann zuletzt unterkommt. Die seltsame Großmutter väterlicherseits, Betsy Woodall, tut zwar Gutes, aber spät und nur zu ihren Konditionen.

Was zeichnet nun Demon aus, dass er die ganze Hölle übersteht? Jedenfalls bis er zum Coach kommt und dort vom Waisenkind zum Footballstar avanciert. Er ist hart im Nehmen, sehr hart und ja, er kann super-gut Comics zeichnen. Damit verdient er später sogar Geld. – S. 432: „Jeder warnt einen vor schlechten Einflüssen, aber das, was einen zu Fall bringt, trägt man schon in sich.“

S. 713: „Es ist ein Wunder, dass man das Leben mit nichts beginnt und mit nichts beendet und dazwischen trotzdem so viel verliert.“ So trauert Demon um seine große Liebe Dori, eine weitere Drogentote in den Appalachen.

Zur Kritik gegen das System in USA: Tante June hatte ja einen Zwischenlover, der Pharma-Vertreter ist. Und da wird ganz deutlich erklärt, dass jeder Arzt, wenn er nur genug verschreibt, dann eine Golfreise machen darf oder alternativ nach Hawaii reisen kann. Für tutti, versteht sich. (siehe S. 372)

Mehr heftige Kritik gegen die Nation unter Schrott, bzw. für die sog. Hunde Amerikas gibt es jede Menge. Z. B. S. 576: „Wir waren mit Fernsehserien aufgewachsen, in denen Eltern Jobs hatten und die Kinder ihre Großstadtträume durch die Wahl ihrer Garderobe und mit Strömen von Geld auslebten.“

Befeuern solche Fernsehsendungen die armen Leute mit einer Wut und möchten sie, dass der Rest der Welt leiden soll, weil sie selbst so leiden? Siehe S. 754: „Man fragt sich, wie viel von dem, was auf der Welt passiert, von dieser Wut befeuert wird.“ – Demon dagegen ist erstaunlich unwütig. Selbst, als er in seiner größten Not aufs Übelste bestohlen wird, reagiert er nicht aggressiv.

Fazit: Hier ist Barbara Kingsolver ein großer Wurf gelungen, zu Recht mit Preisen überhäuft. Warum allerdings ausgerechnet ein Mainstream-Preis (der Pulitzer) an so ein amerika-kritisches Werk vergeben wird, ist mir schleierhaft. – Einfach eintauchen und sich diesem unwiderstehlichen Sog hingeben. Bin mal gespannt, ob mir dieses Jahr noch so ein super Highlight vergönnt sein wird. Vielleicht der Pulitzer-Zwilling? *****

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Veröffentlicht am 14.02.2024

Ein Sachbuch im Krimigewand

Die Spiele
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Hier haben wir von allem etwas: Ein wenig Krimi, ein wenig Liebesgeschichte, ein wenig Männerfreundschaft. Einen Bericht über die Arbeit von Journalisten und Diplomaten, Geheimdienst, Sport nicht zu vergessen. ...

Hier haben wir von allem etwas: Ein wenig Krimi, ein wenig Liebesgeschichte, ein wenig Männerfreundschaft. Einen Bericht über die Arbeit von Journalisten und Diplomaten, Geheimdienst, Sport nicht zu vergessen. Denn die olympischen Spiele sind auch dabei, jedenfalls wird entschieden, wo sie demnächst stattfinden sollen. Das Ganze spielt in Shanghai 2021 und manchmal auch in Mosambik, aber dort um 1990 herum. Zwischen diesen beiden Orten, bzw. Ländern und den Zeiten wird auch wild hin und her geswitcht. Klingt das nach einer unbekömmlichen Mischung? Ach ja, DDR habe ich noch vergessen. Nun, teils, teils.

Die ersten drei Viertel – bis auf die Leseprobe – sind recht zäh und nahmen mir fast jegliche Freude am Lesen. Das letzte Viertel ist dann leidlich spannend, leider mit einem Logikfehler, auf den ich hier nicht eingehen kann, sonst würde ich zu viel verraten. Da hat das Lektorat wohl was übersehen.

Die ausländischen Protagonisten, die hier in China die Machtspiele spielen, sind alle Säufer, bis auf die deutsche Diplomatin Lena. Zwischendurch gibt es noch einen ziemlich überflüssigen Besuch der deutschen Langzeitkanzlerin mit ihrer Truppe in Shanghai. Mit echten Namen der Truppe. Seltsam.

Zum Thema Männerfreundschaft: Der deutsche Journalist Thomas Gärtner und der Schwarze Charles Murandi aus Mosambik befreundeten sich vor siebenundzwanzig Jahren in Afrika. CM hat mal in der DDR gearbeitet und ist dabei, wie viele seiner Kollegen, betrogen worden. Finanziell. 2021 bestellt CM TG nach Shanghai, verspricht ihm dabei die Übergabe wichtiger, geheimer Papiere, bzw. Verträge. Um dieses Motiv herum rankt sich die Handlung.

Wer also hat Charles Murandi in Shanghai ermordet und warum? Thomas Gärtner wurde von den Hotelkameras gesehen, als er das Zimmer seines Freundes verließ, mit Papieren in der Hand. Es gibt auch noch einen anderen deutschen Journalisten, Sascha Daniels, der sich legal im Land aufhält – im Gegensatz zu Gärtner, der sich sein Visum rechtswidrig erschlichen hat.

Ein paar andere Figuren schleichen auch noch durch Shanghai: Da gibt es Kommissar Luo, seinen Vorgesetzen Herrn Pan, Lenas Vorgesetzten Dr. Hirsch, Lenas Haushaltshilfe Yaya, die neugierige Verkäuferin Tante Wu etc. In Mosambik gibt es auch noch so einiges an Personal, nebst Hund Lupo.

Fazit: Trotz bildschönem Cover konnte der Roman mich überhaupt nicht überzeugen und ich empfand das Lesen als Qual, habe oft an Abbruch gedacht. Denn die zähe, verworrene Handlung mit lauter saufenden, teils sexbesessenen, unsympathischen Protagonisten hat mir keinen Spaß bereitet. Ich finde den Roman nicht empfehlenswert.
*

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Veröffentlicht am 07.02.2024

Hier haben sogar die Teller Namen

Wellness
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21 Tage habe ich gebraucht für diese 732 Seiten, macht knapp 35 Seiten pro Tag, mein üblicher Durchschnitt. Meistens fiel das Lesen leicht und es war spannend und erhellend. Aber oft kamen auch endlose ...

21 Tage habe ich gebraucht für diese 732 Seiten, macht knapp 35 Seiten pro Tag, mein üblicher Durchschnitt. Meistens fiel das Lesen leicht und es war spannend und erhellend. Aber oft kamen auch endlose Seiten mit nichts als Geschwafel. Ich bin davon überzeugt, dass nicht einmal der eingefleischteste Kunstliebhaber dies hätte lesen mögen.

Soll heißen: an den richtigen Stellen gekürzt, so etwa auf 600 Seiten – ja auch das Abbrennen in der Prärie war teils Geschwafel – und die hätten dann auch gereicht. Dies zu Gunsten der Lektüre, sie wäre entscheidend flüssiger gewesen.

Wir haben hier also einen Eheroman, der zeitlich in die Digitalisierung hereinreicht. Es werden etwa zwanzig Jahre der Ehe von Elizabeth Augustine und Jack Baker verfolgt. Irgendwann kommt Toby dazu. Ihr erstaunlicher Junge, der leider zu Wutanfällen neigt. Die hat er vom Opa Augustine geerbt.

Jack stammt aus der Kansas-Prärie. Sein Vater, Farmer Lawrence, ist meistens gebührenpflichtig damit beschäftigt das Gras der Prärie abzubrennen. Die hoch religiöse Mutter schaut unentwegt fern. Eine ältere Vorzeigeschwester, Evelyn, gibt es auch noch. Ganz jung entflieht Jack aus dieser geistigen Enge nach Chicago.

Ein Glanzstück des Romans ist die Beerdigungsfeier von Lawrence, ab S. 602. Stilistisch gewagt, ich fand’s großartig – und oh – da fehlte doch jemand – oder etwa nicht?

Lobend erwähnen möchte ich auch die gelegentliche Systemkritik, z. B. auf S. 67: „Die industriellen Mächte, die über uns herrschen, wollen nicht, dass wir wissen, wie ungesund das Atmen heutzutage ist …“
Oder auf S. 234: „... das Gesundheitsministerium habe ein Patent auf das Ebolavirus und wolle die Seuche auf Amerika loslassen, um aus dem Impfstoff Profit zu schlagen; Ebola könne durch hoch dosiertes Vitamin C geheilt werden.“ Bzw., S. 438: „Und wenn Menschen Entscheidungen bezüglich ihrer Gesundheit fällen, sollten sie sich darauf verlassen können, dass sie nicht angelogen werden.“

Oder Erkenntnisse, die für mich gänzlich neu waren, S. 187: „… dass aus Kindern, die Angst vor neuen Speisen hatten, Erwachsene wurden, die Angst vor neuen Situationen, neuen Orten und sogar neuen Kontakten hatten …“

Zwischen großartig und schwafelig auch die beschriebenen Facebook-Manipulationen. Und als Jack sich mit seinem Vater via FB streitet, wäre auch weniger mehr gewesen. Alles über – sage und schreibe – 52 Seiten!

Elizabeth dagegen stammt aus einer reichen, sehr reichen, Familie, sozusagen aus einer Abzocker Dynastie. Wo jeder der männlichen Vorfahren finanziell über Leichen gegangen ist. Deshalb will sie mit diesem ganzen Materialismus nichts mehr zu tun haben und flieht nach Chicago.

Jack lehrt als Dozent ungewöhnliche Fotokunst. Und E. hat eine maßgebliche Stelle bei Wellness, dem titelgebenden Institut, das sich hauptsächlich mit der Wirkung von Placebos beschäftigt.

M. E. versucht der Roman, bzw. der Autor, an zu vielen Stellen Aufmerksamkeit zu erregen. Bei mir entstand so das Gefühl, dass aus jedem Dorf ein Hund näher betrachtet werden müsse, bis tief ins Fell hinein, damit noch jedem Floh ins Gehirn geleuchtet werden könnte. So verzettelt sich der Autor in Details, die allerdings teilweise hoch interessant sind. Auch wenn man sich am Ende fragt: Was habe ich da eigentlich gelesen? Und worum ging es überhaupt?

Trotz allem konnte ich mit den Protagonisten nicht warm werden und hätte mit keinem von ihnen befreundet sein mögen. Zum Thema Freundschaft: Hier fiel mir noch auf, dass Freunde hier rar gesät sind, bei ihr gibt es Eintagsfliegen und bei ihm (und auch ihr) eigentlich nur den Bauleiter von The Shipworks: Ben Quince.

The Shipworks ist ein sehr umstrittenes Bauvorhaben, in das E. und J. investiert haben. Für eine zukünftige Eigentumswohnung. Das viele Geld dafür hat E. bei einem sehr zweifelhaften Projekt verdient.

Fazit: Alles in allem hat mich das Buch nicht so überzeugt, auch wenn ich drangeblieben bin. Aber einige verblüffende Erkenntnisse hat es schon gebracht, deshalb 3 Sterne. Hätte das Lektorat es verstanden, den Roman auf etwa 600 Seiten einzudampfen, wären es bei mir sicher 4 Sterne geworden.

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