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Veröffentlicht am 17.11.2018

Ein wichtiges Buch

Wenn Liebe nicht reicht
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"Mama, kannst du nachvollziehen, dass ich nach seinem Tod auch erleichtert war?
"Ich kann das wirklich gut nachvollziehen, glaub mir, Nova."

Über zehn Jahre kämpfte die Familie mit der Depression des ...

"Mama, kannst du nachvollziehen, dass ich nach seinem Tod auch erleichtert war?
"Ich kann das wirklich gut nachvollziehen, glaub mir, Nova."

Über zehn Jahre kämpfte die Familie mit der Depression des Vaters. Jahrelang lebte Nova mit der Angst, er könne sich das Leben nehmen. Bis es dann passierte. Zurecht fand sie, dass es zu wenig Literatur zu dem Thema gibt und es nach wie vor tabuisiert wird. Es kostet sehr viel Kraft, die eigene Geschichte in dieser Art öffentlich zu machen. Ich glaube, dass Nova damit in erster Linie anderen Betroffenen helfen will.

Das Buch ist in mehrere Kapitel gegliedert. Jedem Kapitel geht eine Frage - Antwort oder Aussage zwischen Tochter und Mutter voraus. Ungefähr chronologisch erzählt Nova dann die Geschichte von der Depression des Vaters. Von vorher, von den Anfängen, den Auslösern. Und wie lange es dauerte, bis die Depression als solche erkannt wurde. Es folgen quälende Jahre mit nur unzureichenden Therapien. Ob diese geholfen hätten? Man weiss es nicht, aber man möchte es wenigstens hoffen. Zwischendurch eingestreut gibt es die "Fachmeinung" von Dr. Mazda Adli, Psychiater und Depressionsforscher an der Berliner Charité.

Ich bin froh, dass Nova Meierhenrich den Schritt gewagt hat, ihre und die Geschichte ihres Vaters öffentlich zu machen. Das Buch besteht hauptsächlich aus den Erzählungen, wie sie all die Situationen erlebt hat, was für sie schwer war und wie sie sich nach dem Suizid gefühlt hat. Ihre Schilderungen fand ich sehr ehrlich und interessant. Die eingeworfenen Fakten von Dr. Adli fand ich größtenteils viel zu einfach und oberflächlich gehalten. Hier hatte ich mir deutlich mehr erhofft!

Insgesamt fand ich das Buch sehr interessant zu lesen, und kann es Betroffenen auch weiterempfehlen. Man fühlt sich als Betroffener weniger allein weil man weiss, dass es anderen ähnlich geht. Dennoch frage ich mich am Ende des Buches, was jetzt? Wie sollen wir damit umgehen, wenn ein Angehöriger oder man selbst erkrankt oder sich sogar das Leben nimmt? Bisher habe ich keinen guten Weg gefunden. Im Buch wird Therapie als Hoffnung genannt, da aber Novas Vater diese nie besonders lange gemacht hat werden hier keine Erfolge aufgezeigt. Dr. Adli scheint daran zu glauben. Leider kenne ich viele, bei denen auch die Therapie nicht ausreichend half. Ich hoffe dass dieses Buch vielen Mut macht, sich wirklich Hilfe zu holen!

Veröffentlicht am 08.10.2018

Eine herausragende Biographie

Befreit
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„Sollte die Welt der Menschen scheitern, würde meine Familie davon unberührt weitermachen.“
Tara Westover ist in Idaho aufgewachsen. In einem Dorf am Fuß eines Berges, die jüngste von sieben Kindern fundamentalistischer ...

„Sollte die Welt der Menschen scheitern, würde meine Familie davon unberührt weitermachen.“
Tara Westover ist in Idaho aufgewachsen. In einem Dorf am Fuß eines Berges, die jüngste von sieben Kindern fundamentalistischer Mormonen. Zuhause geboren hatte sie keine Geburtsurkunde, ihr genauer Geburtstag ist nicht einmal bekannt. Die Regierung wusste nicht von ihrer Existenz oder der ihrer Geschwister. Sie hatte keinen Pass und ist nie zur Schule gegangen. Es gab aber auch keinen Unterricht zu hause. Dafür gab es genügend "life lessons" am Schrottplatz und im Bauunternehmen des Vaters, sowie mit den Kräutertinkturen der Mutter, die nebenbei als (nicht lizenzierte oder registrierte) Hebamme Geld verdiente. Arztbesuche gab es keine. Krankheiten waren gottgewollt und wurden mit Kräutern geheilt. Und Krankheiten bzw. Unfälle gab es viele, mit einigem an häuslicher Gewalt. Mit jedem Jahr schien der Vater weiter in seine eingebildete Welt abzurutschen, und nahm seine Familie mit. Wie Tara es trotzdem an die Universität geschafft hat und wie sie es schließlich geschafft hat, aus dieser Welt auszubrechen, erklärt sie in diesem Buch.
Das Buch ist herausragend geschrieben. Obwohl das Thema sehr ernst ist schafft Westover, dies mit etwas Humor zu erzählen. In jedem Kapitel kommt wieder ein neuer Aspekt dieser verkorksten Welt zur Schau. Westover ist eine herausragende, inspirierende Biographie gelungen, die sehr zum Nachdenken anregt und hoffentlich auch Dankbarkeit bei uns hervorruft, dass wir eine Ausbildung bekommen durften. Ich möchte dieses Buch wirklich jedem empfehlen! Von mir gibt es 5 Sterne.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Tief unter Manhattan

Manhattan Beach
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Anna Kerrigan wächst in den 1930er Jahren in New York City auf. Durch die Weltwirtschaftskrise wurde die Familie auf eine Probe gestellt. Die Mutter ist Zuhause und pflegt die behinderte Schwester. Der ...

Anna Kerrigan wächst in den 1930er Jahren in New York City auf. Durch die Weltwirtschaftskrise wurde die Familie auf eine Probe gestellt. Die Mutter ist Zuhause und pflegt die behinderte Schwester. Der Vater erledigt halb legale Botengänge für Reiche, doch auch das wird immer weniger lukrativ, sodass er sich schließlich einen neuen Job suchen muss. Eines Tages verschwindet der Vater, und wird nie mehr gesehen. Von nun an muss Anna die Familie versorgen. Sie findet Arbeit in der Marinewerft von New York. Doch ihr großer Traum ist, eines Tages als Taucherin in der Marine Kriegsschiffe zu reparieren. Eine Arbeit, die bisher Männern vorbehalten war. Doch der Krieg öffnet bekanntlicherweise Türen...

Egans Buch ist komplex und umfasst eine Reihe von Erzählsträngen. Sowohl Anna, als auch ihre Vater Eddie und dessen Geschäftspartner Dexter Styles erzählen abwechselnd, wobei Anna in jeder der Erzählstränge präsent ist. Die Geschichte beginnt schleppend, bedarf es doch einiger Erklärungen und Hintergründe. Erst nach ca. 200 Seiten nimmt der Roman Fahrt auf - von dort an wollte ich ihn nicht mehr aus der Hand legen. Egan schafft es, die Fäden gekonnt zusammenlaufen zu lassen - bis es soweit kommt benötigt der Leser jedoch etwas Geduld. Voller Spannung läuft die Handlung von hier an ab - mitten im zweiten Weltkrieg. Ich fand das Buch sehr gut geschrieben (sobald man es durch die anfänglichen, ausführlichen Erklärungen geschafft hat), sowohl spannend als auch informativ. Eine besondere Art, den zweiten Weltkrieg durch einen Roman zu beleuchten.

Veröffentlicht am 08.10.2018

Ein Meisterwerk

Loyalitäten
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"Übrigens seltsam, dieses Gefühl einer Besänftigung, wenn schließlich das hervorkommt, was man nie sehen wollte, obwohl man wusste, dass es ganz in der Nähe vergraben war, dieses Gefühl Von Erleichterung, ...

"Übrigens seltsam, dieses Gefühl einer Besänftigung, wenn schließlich das hervorkommt, was man nie sehen wollte, obwohl man wusste, dass es ganz in der Nähe vergraben war, dieses Gefühl Von Erleichterung, wenn sich das Schlimmste bestätigt."


Der zwölfjährige Theo ist sehr still, scheint aber mit den Mitschülern gut auszukommen. Er ist ein guter Schüler. Sein einziger Freund ist Mathis, ein Mitschüler. Dennoch hat Helene, seine Biologielehrerin, das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Sie selbst kennt die Anzeichen einer Misshandlung, und versucht, Theo näher zu kommen. Aus Angst kann sich dieser jedoch nicht anvertrauen. Er kann schließlich nicht verraten, dass seine Mutter häufig traurig und allein ist, und der Vater arbeitslos und depressiv. Theo muss dafür sorgen, dass alles funktioniert. Der Alkohol ist das einzige, was diese Probleme mindert. Am liebsten würde er sich in die Bewusstlosigkeit trinken, bis er nichts mehr spürt...


De Vigan zeichnet ein Bild von einem alltäglichen Leben. Allerlei Beziehungen, die alle nicht wie vorgesehen funktionieren, die jedoch trotzdem von Liebe gekennzeichnet sind. Sie wählt die Worte sehr gekonnt; vieles hätte ich mir gerne herausgeschrieben. Abwechselnd wird aus Sicht von Theo und Mathis erzählt, jeweils in der dritten Person; sowie aus der Sicht von Helene, der Lehrerin, und Cecile, Mathis Mutter, in der Ich-Form. Alle haben ihre eigenen Dämonen zu bekämpfen, und alle kämpfen mit der Frage, was Loyalität gegenüber den Liebsten bedeutet. Ein erschütterndes Porträt unserer Gesellschaft, das mich noch lange begleiten wird und das ich sicher noch ein zweites Mal lesen werde.

Veröffentlicht am 16.09.2018

Die Suche nach Anerkennung

Die Gesichter
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„Den gefeierten Künstler – der nur sein Werkzeug benötigt und nichts weiter von der Welt will -, den gibt es nicht, hat es vielleicht nie gegeben.“

In diesem Meisterwerk erzählt Tom Rachmann das Leben ...

„Den gefeierten Künstler – der nur sein Werkzeug benötigt und nichts weiter von der Welt will -, den gibt es nicht, hat es vielleicht nie gegeben.“

In diesem Meisterwerk erzählt Tom Rachmann das Leben von Charles „Pinch“ Bavinsky, vom Kleinkind (1955) bis 2018. Pinch wird als Sohn eines amerikanischen Malers und einer kanadischen Töpferin in Italien geboren. Sein ganzes Leben strebt er nach der Gunst des Vaters Bear Bavinsky. Dieser bleibt meist unnahbar, beschäftigt entweder mit seiner Kunst oder mit Frauen. Eine Affäre nach der anderen, eine Ehe nach der anderen, fast 20 Kinder… Als der Vater die Familie verlässt stürzt dies die Mutter in eine Depression. Charles muss früh erwachsen werden. Er ist entschlossen, ebenfalls ein großer Künstler zu werden, dem Vater nachzueifern, um endlich dessen Stolz zu erlangen – doch dieser beachtet ihn nicht und erstickt seine Versuche, Bilder zu malen, praktisch im Keim. Die Jahre vergehen, Charles wird erwachsen. Alle paar Jahre kommt es zu lang antizipierten Treffen mit dem Vater. Jedes Mal schafft er es, Charles Leben auf eine andere Art und Weise zu ruinieren. Doch der liebende Sohn, der sich die Anerkennung des Vaters mehr als alles andere wünscht, ist hierfür blind. Und so verfolgen wir Charles sein ganzes Leben. Studium, gescheiterte Beziehungen, schließlich das Niederlassen als Sprachlehrer in London.

Anfangs war ich nicht sicher, was ich von der Geschichte halte, der Erzähler scheint teilnahmslos und distanziert. Dennoch schafft Rachmann, eine komplex versponnene Geschichte zu erzählen, ohne dem Leser zu viel an Meinung in den Mund zu legen, so dass sich jeder seine eigene Meinung über die verschiedenen Beziehungen zwischen den Charakteren bilden kann. Die Protagonisten sind sehr lebensnah und gut aufgebaut. Der Kunst-Aspekt bringt interessante Gedanken zu Tage. Es gefiel mir, Charles sein ganzes Leben lang zu verfolgen – viele Abschnitte regen zum Nachdenken an oder machen traurig. Im Gesamten ein großartiges Werk. Klare Leseempfehlung!