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Veröffentlicht am 19.10.2018

Symbol einer Epoche

Queen Victoria
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Eine ganze Epoche der Zeitgeschichte ist nach ihr benannt: Queen Victoria. Sie ging in die Geschichte ein als langlebige Regentin eines riesigen, ausgedehnten Reiches (sie beherrschte ein Viertel der Weltbevölkerung) ...

Eine ganze Epoche der Zeitgeschichte ist nach ihr benannt: Queen Victoria. Sie ging in die Geschichte ein als langlebige Regentin eines riesigen, ausgedehnten Reiches (sie beherrschte ein Viertel der Weltbevölkerung) und Stammmutter zahlreicher Mitglieder von Königshäusern in ganz Europa. Aber die Öffentlichkeit kennt auch viele Fotos, in denen Victoria inmitten ihrer Familie posiert und ein idyllisches Familienleben präsentiert. Sie war „…die mächtigste Königin und die berühmteste berufstätige Mutter ihrer Zeit“, um die sich zahllose Geschichten und Mythen ranken.
Die Absicht der australischen Historikerin und Journalistin Julia Baird, ist es, in ihrem Buch Victorias Leben historisch genau darzustellen und die Widersprüche in ihrem Wesen aufzuzeigen. Auf sachliche, dennoch unterhaltende Weise schildert die Autorin den langen Lebensweg der Monarchin, von ihrer Geburt (1819) und Kinderzeit bis zur Krönung, ihre Ehe und Mutterschaft bis zu ihrem Tod im Jahr 1901. Etliche Illustrationen und Fotos begleiten und ergänzen dabei den Text. Baird geht sehr detailliert und gut verständlich auf die englische Politik jener Zeit ein, erläutert die sozialen Probleme des beginnenden Industriezeitalters und Reformen. Gestützt auf zahlreiche unterschiedliche Quellen, zu denen u.a. auch Tagebucheintragungen Victorias und ihres Arztes James Reid zählen, gibt sie neben Victorias politischer Haltung und Einfluss auch einen recht privaten Einblick in ihr Gefühlsleben wieder, über das sich die Königin sehr ehrlich äußert.
Baird hat überaus gewissenhaft und gründlich recherchiert, und nicht alles, was sie in ihrem Buch veröffentlicht, mag der königlichen Familie gefallen. Doch ihr Ziel ist es „…Mythen zu durchdringen, nicht sie zu fördern.“ Und das ist ihr mit ihrem Buch in anschaulicher Weise gelungen.

Veröffentlicht am 23.09.2018

Feinfühlig

Ein Winter in Paris
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Für den einen bedeutet er das unwiderrufliche Ende, für den anderen den Start in ein neues Leben: an der Eliteschule, dem Lycée D. in Paris, verändert der Selbstmord Mathieu Lestaings den Alltag seines ...

Für den einen bedeutet er das unwiderrufliche Ende, für den anderen den Start in ein neues Leben: an der Eliteschule, dem Lycée D. in Paris, verändert der Selbstmord Mathieu Lestaings den Alltag seines Mitschülers Victor nachhaltig. Der zuvor zielstrebige, aber gesellschaftlich unbeachtete Victor rückt plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses seiner Kollegen. Vor allem Patrick, Mathieus „verwaister“ Vater, bemüht sich um seine Aufmerksamkeit; er möchte so viel wie möglich über die Beweggründe seines Sohnes erfahren. Wie geht Victor mit dem neuen „Ruhm“ um? Was ändert sich am Schulbetrieb?
Realistisch und äußerst kritisch schildert Jean-Philippe Blondel, der selbst an einem Lycée unterrichtet, den Schulalltag an einem Elitegymnasium. Mit viel psychologischem Geschick versetzt er den Leser in Victors Situation. Er lässt seinen Protagonisten selbst erzählen; sachlich und offen spricht Victor von sich und seinen Gefühlen. Vom Elternhaus und seiner provinziellen Herkunft hat er sich innerlich abgewandt, aber auch zu seinen Pariser Mitschülern besteht eine Kluft. Für die Söhne und Töchter der besser gestellten sozialen Klassen fehlen ihm die „Zugangscodes“ ; er spürt sehr deutlich die unsichtbaren Grenzen zwischen den Gesellschaftsschichten.
Blondel schreibt mit viel Feingefühl, in einer ruhigen, gepflegten Sprache. Ohne Pathos beschreibt er die Entwicklung, die der junge Mann durchläuft. Im Roman herrscht zwar ein leicht melancholischer Ton vor, dennoch behalten Victors jugendlicher Optimismus und sein Sinn für Realität die Oberhand. Ein tiefgründiger Stoff, der dem Leser auf leichte und unterhaltende Weise dargeboten wird.

Veröffentlicht am 23.09.2018

Ein wahres Füllhorn...

Geschichten von Henriette und Onkel Titus
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… an fantastischen Geschichten und Gedichten hat der Schriftsteller Peter Hacks (1928 – 2003) für Kinder und Erwachsene geschrieben. Eine kleine Auswahl ist nun als Hörbuch im Eulenspiegel-Verlag erschienen, ...

… an fantastischen Geschichten und Gedichten hat der Schriftsteller Peter Hacks (1928 – 2003) für Kinder und Erwachsene geschrieben. Eine kleine Auswahl ist nun als Hörbuch im Eulenspiegel-Verlag erschienen, der Werke des Autors bereits zu dessen Lebzeiten verlegt hat.
Die „Geschichten von Henriette und Onkel Titus“ enthalten originelle kurze Erzählungen über das nicht ganz alltägliche Leben des schrulligen Erfinder-Onkels mit dem birnenförmigen Kopf und seiner aufgeweckten Nichte Henriette. Mit von der Partie sind die Nachbarin Frau Philip und der Dichter Felix im rosa seidenen Morgenrock, der „sich vernünftige Gedanken ausdenkt“ und Henriette zeigt, was ein „Tagedieb“ bewirken kann. Die einzelnen Episoden werden immer wieder einmal abgelöst von humorvollen Gedichten. Hacks´ anspruchsvolle Sprache und seine knappen hintersinnigen Anspielungen sind für jeden gut verständlich und werden - finde ich - ausgezeichnet von den beiden Sprecherinnen transportiert. Die bekannten Schauspielerinnen Carmen-Maja und Jennipher Antoni lesen die Geschichten wechselweise, mit viel Enthusiasmus, frisch und ausdrucksvoll. Es gelingt ihnen vortrefflich, dem Zuhörer Hacks´ Fabulierkunst und seine optimistische Lebenseinstellung zu vermitteln.
Peter Hacks´ Humor reicht von witzig bis sarkastisch und rabenschwarz. Als „sozialistischer Klassiker“ war der Schriftsteller zwar nicht unumstritten, doch als Kinder- und Jugendbuchautor ist er zweifellos einer der fantasievollsten und feinsinnigsten Literaten. Neben zahlreichen Auszeichnungen für seine Werke erhielt er im Jahre 1998 auch den deutschen Jugendliteraturpreis.
Die „Geschichten von Henriette und Onkel Titus“ bieten 74 Minuten Hörvergnügen, in denen Mutter und Tochter Antoni die kuriosen Einfälle und überraschenden Wendungen vor den Augen des aufmerksamen Lauschers (ab 6 Jahren) lebendig werden lassen.

Veröffentlicht am 23.09.2018

Kein Platz für Geister?

Tiergeister AG - Achtung, gruselig!
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Tomato Salata! Was passiert nur mit Spuk Ekelburg? Der kleine Dackel Arik hat noch gar nicht richtig begriffen, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, da wird er schon als Neuankömmling in der ...

Tomato Salata! Was passiert nur mit Spuk Ekelburg? Der kleine Dackel Arik hat noch gar nicht richtig begriffen, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, da wird er schon als Neuankömmling in der Spukschule für Geistertiere aufgenommen. Hier schließt er Freundschaft mit Schicksalsgenossen - doch Spuk Ekelburg, die tagsüber unter dem Namen Sankt Ethelburg als Schule für Menschenkinder dient, ist als Unterschlupf für die Geistertiere nicht mehr sicher. Arik, der Kinder liebt, schmiedet einen Plan, bei dem nicht nur seine spukigen Freunde sondern auch einige menschliche Schüler eine Rolle spielen…
Leichten Grusel und eine Menge Spaß verspricht Barbara Iland-Olschewskis Buch für Kinder ab 8 Jahren. In kindgerechter Sprache erzählt sie vom Schulbetrieb einer ganz besonderen Art. Lustig und lebendig schildert sie die Spukfächer der Geistertiere, die sich von denen der menschlichen Schüler sehr unterscheiden, und die (Freizeit-)Aktivitäten der Geisterschüler, die denen der Menschenkinder recht ähnlich sind. Die freundlich gesinnten Gespenster beweisen mit ihrer gewitzten Aktion, wie wichtig Zusammenhalt ist, dass Ziele gemeinsam leichter erreicht werden können und (Vor)Urteile nicht zutreffen müssen. Zahlreiche witzige Illustrationen, die ebenso fantasievoll sind wie der Text, runden die Geschichte ab. Diverse Lautäußerungen - farblich und in der Schriftart abgehoben vom übrigen Text - lockern das Schriftbild auf. Geheimnisvolle Pfotenabdrücke begleiten die kleinen Leser durch das Buch, ebenso wie kecke Würmer, die sich um die Kapitelanfänge ringeln. Und auch das Vorsatzblatt gibt einen Vorgeschmack auf ein bisschen Grusel und Ekel und beschert eine leichte Gänsehaut.

Veröffentlicht am 13.09.2018

Ein "leises" Drama

Loyalitäten
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Wie reagiert ein Kind, wenn es in eine anscheinend ausweglose Situation gerät? Der 12jährige Théo, der als Kind geschiedener Eltern zwischen den unversöhnlichen Partnern steht, folgt dem Beispiel seines ...

Wie reagiert ein Kind, wenn es in eine anscheinend ausweglose Situation gerät? Der 12jährige Théo, der als Kind geschiedener Eltern zwischen den unversöhnlichen Partnern steht, folgt dem Beispiel seines Vaters: er sucht Entspannung und Vergessen im Alkohol. Obwohl zermürbt von der ständigen, selbst auferlegten Verpflichtung, seine Eltern - besonders die Lebensweise seines Vaters – decken zu müssen, schafft er es dennoch nicht, sich einem Erwachsenen anzuvertrauen. Auch seiner Lehrerin Hélène gegenüber, deren eigene Kindheitserlebnisse sie für die Probleme ihrer Schüler sensibilisiert haben, kann er sich nicht öffnen. Steuert Théo einer Katastrophe entgegen?
Mit ihrer ruhigen, aber sehr intensiven Art zu erzählen trifft Delphine de Vigan ihre Leser im Innersten. Wie weit geht die Verpflichtung, einen Menschen, dem ich familiär oder freundschaftlich verbunden bin, durch Schweigen zu schützen? Wann kann oder muss ich mein Schweigen brechen? Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Gefühl der Loyalität für andere ergeben, beleuchtet de Vigan eindrucksvoll aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sachlich, ohne Sentimentalität, lässt sie einen kleinen Personenkreis selbst zu Wort kommen: zwei Kinder, Théo und seinen Freund Mathis, und zwei Erwachsene, ihre Lehrerin Hélène und Mathis´ Mutter Cécile. Den Dreh- und Angelpunkt bildet Théo; um ihn herum gruppieren sich die Episoden und Probleme der übrigen Figuren. Neben dem Thema Loyalität entsteht logischerweise auch die schwierige Frage: Wann und wie soll ein Außenstehender eingreifen?
Werden zumindest die Erwachsenen einen Weg finden, Théo zu helfen?
Ungeschminkt inszeniert Delphine de Vigan eines der „leisen Dramen“ in dieser Welt. Ihr neuer Roman hat mich stark beeindruckt und lässt mich nachdenklich zurück.