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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.12.2025

Kiloschwere Kost

Botanik des Wahnsinns
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Wie lebt es sich, wenn die Familie über Generationen hinweg psychische Probleme hat? Leon Engler wartet im Grunde darauf, dass es ihn auch ereilt, versucht damit umzugehen und versucht zu verstehen, versucht ...

Wie lebt es sich, wenn die Familie über Generationen hinweg psychische Probleme hat? Leon Engler wartet im Grunde darauf, dass es ihn auch ereilt, versucht damit umzugehen und versucht zu verstehen, versucht auch immer wieder, seinen Eltern zu helfen, die in Endlosschleife den immer gleichen Problemen erliegen.

Kann man verstehen, was doch durch und durch verrückt ist? Ab wann ist jemand verrückt oder sollte man einfach die Grenzen verrücken? Wie geht man mit depressiven Menschen um, die sich nun mal nicht helfen lassen wollen? Und kann man dem entgehen, wenn man es doch in die Wiege gelegt bekommen hat?

Seine Überlegungen sind tiefgründig, poetisch, philosophisch und in wunderbarer Sprache dargeboten. Tiefe Melancholie, feiner Humor und auch eine gute Portion Fatalismus liegen zwischen den Zeilen. Es ist ein richtig gutes Buch und ich mochte es überhaupt nicht, habe es als bittere, frustrierende Lektüre empfunden. „Die Geschichte einer Versöhnung“ habe ich dort nur am Rande gefunden, der tröstliche Aspekt ist mir entgangen und als leichtfüßig empfand ich es auch nicht, eher als richtig kiloschwere Kost.

Johannes Nussbaum liest das Hörbuch ganz wunderbar, trifft genau diesen lakonischen Ton des Autors, sonnt sich geradezu im feinen Galgenhumor und gibt noch eine Schippe österreichischen Charme dazu.

Es ist ein wirklich gutes Buch, ein brillantes Hörbuch und ein verdammt harten Brocken, ich bin froh, dass ich es hinter mir habe.

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Veröffentlicht am 27.11.2025

Melodram voller Klischees und Ungereimtheiten

Das Buch der verlorenen Stunden
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Die Idee dieses Buches ist wirklich hübsch und neu. Man stelle sich vor, es gäbe einen „Zeitraum“, einen Raum, der außerhalb der Zeit existiert und in dem in unendlich vielen Bücherregalen die Erinnerungen ...

Die Idee dieses Buches ist wirklich hübsch und neu. Man stelle sich vor, es gäbe einen „Zeitraum“, einen Raum, der außerhalb der Zeit existiert und in dem in unendlich vielen Bücherregalen die Erinnerungen aller Menschen aufbewahrt werden.
Dort landet die kleine Lisavet. Ihr Vater wollte sie vor den Nazis in Sicherheit bringen, konnte sie aber nicht wieder abholen. Lisavet ist dort gefangen, wächst alleine auf, jenseits der Zeit und lernt, sich mit fremden Erinnerungen zu unterhalten. Als sie feststellen muss, dass immer wieder Männer in den Zeitraum vordringen und gezielt Erinnerungen vernichten, wird es ihre Mission, möglichst viele davon zu retten.
So weit fand ich das Buch ganz wundervoll, nur verlässt es diese zauberhafte Ebene dann doch und wandelt sich zu einer Art Spionagethriller, wo die CIA gegen russische Agenten kämpft und beide versuchen, den Wandel der Zeit zu ihren Gunsten zu verändern.
Daran hätte ich mich noch gewöhnen können, wenn auch der Logikfaden oft arg strapaziert wird. Gar nicht gefallen hat mir Lisavets Wandlung vom neugierigen Mädchen zum Vamp, der über Leichen geht. Es ist schön, dass sie eine wehrhafte Frau geworden ist, aber die Methode, zuzuschlagen statt zu reden finde ich fragwürdig. Auch dass immer wieder jemand lügt, betrügt oder sogar mordet, nur um andere zu schützen ist ein unschönes Motiv, das hier überstrapaziert wird und noch dazu wenig nachvollziehbar ist.
Der Erzählstil ist blumig bis pathetisch und spart nicht mit Floskeln. Ständig verkrampfen sich Mägen, werden Lippen gebissen, Stirnen gerunzelt, ein- oder ausgeatmet und Augen zusammengepresst.
Dieses Buch hat durchaus einigen Unterhaltungswert, aber die schöne Grundidee geht unter in einem Melodram voller Klischees und Ungereimtheiten. Sehr schade.

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Veröffentlicht am 27.11.2025

Unterhaltsam informativ und sehr berührend

Katzen und Kapitalismus
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Man stelle sich vor, man mietet ein lauschiges, abgelegenes Haus, zieht ein und stellt fest, drumherum leben 30 verwilderte Katzen. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber ich fände es traumhaft. Genau ...

Man stelle sich vor, man mietet ein lauschiges, abgelegenes Haus, zieht ein und stellt fest, drumherum leben 30 verwilderte Katzen. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, aber ich fände es traumhaft. Genau wie Courtney Gustafson, der das passiert ist und die mit diesem Buch davon erzählt.

Courtney ist fasziniert und fängt an, sich um diese Katzen zu kümmern, sie zu füttern, zu päppeln und zum Tierarzt zu bringen. Sie erstellt einen Instagram Account, auf dem sie darüber berichtet und erhält sogar Spenden und Unterstützung von Fans. Sehr bald schon haben diese Katzen Courtneys Leben komplett verändert.

Courtney Gustafson erzählt von so manchem Katzenschicksal, aber auch, wie sehr es sie selbst berührt. Katzen zu helfen wird für sie Mission und Therapie gleichermaßen. Bald schon ist sie eine Tierrettungsexpertin und hilft anderen, die auch helfen möchten. Und dann verdient sie tatsächlich auch noch Geld damit, sie kann es selbst kaum glauben, aber sie hat durch einen Zufall ihren Traumjob gefunden.

Dieses Buch ist der Bericht einer ganz besonderen Frau, pure Katzenliebe und auch ein wenig ein modernes Märchen. Es liest sich leicht, mit einer kleinen Prise amerikanischem Pathos, ist unterhaltsam informativ und sehr berührend.

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Veröffentlicht am 29.10.2025

Geisterzauber mit Witz und Frauenpower

Der Fluch der Falodun Frauen
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In Nigeria ticken die Uhren anders. Das kann man hier am Beispiel von Eniiyi verfolgen.

Eniiyi ist eine moderne junge Frau, emanzipiert, weltoffen, gebildet, aber als sie ihren neuen Freund mit nach Hause ...

In Nigeria ticken die Uhren anders. Das kann man hier am Beispiel von Eniiyi verfolgen.

Eniiyi ist eine moderne junge Frau, emanzipiert, weltoffen, gebildet, aber als sie ihren neuen Freund mit nach Hause bringt, dreht ihre Familie durch und ihre Mutter will ihr den Umgang mit dem jungen Mann verbieten. Dabei kennen sie ihn gar nicht.

Eniiyis Familie ist seit Generationen mit einem Fluch belegt, der bewirkt, dass keine der Frauen Glück in der Liebe hat. Noch dazu sieht Eniiyi aus wie das Ebenbild ihre Tante Monife, die am Tag von Eniiyis Geburt starb. Ist sie deren Reinkarnation?

In munteren Zeitsprüngen bekommt man hier die ganze Familiengeschichte erzählt, von der schönen Feromi, gegen die einst ein Fluch ausgesprochen wurde, weil sie einer Frau den Ehemann stahl, bis zu Eniiyi in der Gegenwart, die noch immer davon betroffen ist. Aber ist sie das wirklich, oder lässt der Aberglaube nur alles so aussehen?

Geschickt wird hier zwischen Aberglaube, Geisterzauber und Realität jongliert. Für alles könnte es zu jeder Zeit eine vernünftige Erklärung geben, aber dann ist da doch immer wieder etwas, was ein gar zu großer Zufall sein müsste. Aber Zufälle gibt es doch immer, oder nicht?

Oyinkan Braithwaite erzählt hier eine originelle Familiengeschichte voller Witz und Frauenpower, die Sogwirkung entfaltet und ganz viel nigerianischen Spirit transportiert.

Ich habe das Hörbuch gehört und hatte ein wenig Schwierigkeiten mit der Sprecherin. Sie liest grundsätzlich schön, verkörpert unterschiedlichste Rollen authentisch und lebendig, nur das Tempo ist gewöhnungsbedürftig. Sie spricht sehr schnell und liest trotzdem langsam, deshalb macht es auch nichts besser, wenn die Geschwindigkeit verstellt. Dafür muss ich einen Stern abziehen.

Ein tolles Buch ist es dennoch. Dicke Empfehlung!

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Veröffentlicht am 29.10.2025

Ein bitterböses Buch

Das Dream Hotel
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Was finsteres Buch! Es ist ein bisschen die moderne Version von 1984.

Man stelle sich vor, die Menschheit wird maximal überwacht. Überall wird dein Verhalten beobachtet, gescannt, bewertet und gespeichert. ...

Was finsteres Buch! Es ist ein bisschen die moderne Version von 1984.

Man stelle sich vor, die Menschheit wird maximal überwacht. Überall wird dein Verhalten beobachtet, gescannt, bewertet und gespeichert. Sogar deine Träume fließen mit in die Bewertung ein und wenn dann jemand als potenzieller Gefährder erkannt wird, wird er vorsorglich in Gewahrsam genommen.

Das passiert Sara, die sich keiner Schuld bewusst ist, aber trotzdem am Flughafen festgehalten wird. Sie wird vorübergehend zur Beobachtung einbehalten. Sara ist sich sicher, dass das ein Irrtum sein muss, aber es ist bitterer Ernst. Sie landet in einem Gefängnis, das nicht Gefängnis genannt wird und in dem ihr Verhalten ständig bewertet wird, je nach Laune der Bewacher. Es ist eigentlich gar nicht möglich deren Ansprüchen gerecht zu werden. Wie soll sie jemals wieder zu ihrer Familie zurückkommen?

Die Situation ist ausweglos und beklemmend und steigert sich tatsächlich immer weiter. Mit grausamer Konsequenz legt die Autorin immer wieder noch eine Schippe drauf. Und so absurd es klingt, kommt einem das Szenario doch schrecklich realistisch vor.

Was kann KI und was sollte man KI tun lassen? Ab wann wird technische Unterstützung zu Kontrolle und wer hat eigentlich den Nutzen davon? Wo bleibt Individualität, wenn sie nicht ins Profil passt und ein Algorithmus dein Leben bestimmt.

All das wird hier anhand eines höchst plastischen Beispiels untersucht. Es ist ein böses Buch, das gleichermaßen unterhält, verstört und nachdenklich macht. Ich habe es gerne und voller Ehrfurcht gelesen und bin beeindruckt.

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