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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.06.2022

deutschsprachige Musikgeschichte

Schmalz und Rebellion
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Meinung

Jens Balzer erzählt die Geschichte der deutschsprachigen Musik ab den 1950er Jahren und bezieht dabei sowohl die DDR Künstler:innen als auch die Musik der Gastarbeiter, die mir bisher völlig unbekannt ...

Meinung

Jens Balzer erzählt die Geschichte der deutschsprachigen Musik ab den 1950er Jahren und bezieht dabei sowohl die DDR Künstler:innen als auch die Musik der Gastarbeiter, die mir bisher völlig unbekannt ist, mit ein. Somit bietet das Sachbuch einen gelungenen Querschnitt deutscher Popmusik und zeigt, wie sich die deutsche Musiksprache in den jeweiligen Jahrzehnten bis heute entwickelte.

Dabei entdeckt man spannende Bands, manche davon waren mir kaum, andere gar nicht bekannt. Besonders hervorheben möchte in dem Zusammenhang die Playlist, die per QR Code im Buch auf Spotify abrufbar ist. Es ist wunderbar die Titel zu hören, weil sie das ganze Thema abrunden und durch die Analysen im Buch eine neue Sichtweise auf die Hintergründe der Texte eröffnen.

Einen erheblichen Kritikpunkt habe ich allerdings betreffend des deutschen Hip Hops in den 90ern. Dieses Kapitel wird meiner Ansicht nach zu kurz und zu ungenau behandelt. Es gab so viele gute Bands, z.B. Freundeskreis, Samy Deluxe, die Beginner oder Moses P. uvm. Am meisten stört mich, dass auf eine Band wie Tic Tac Toe verwiesen wird, weil die Mädels „scheiße“ und „verpiss dich“ singen, aber kein Wort über Sabrina Setlur und „Die neue S Klasse“ verloren wird. Tic Tac Toe war eine gecastete Marketingstrategie, Sabrina Setlur hingegen authentisch. Meiner Ansicht nach hat Sabrina Setlur die weibliche deutsche Sprache ganz neu definiert und sie wirklich mit keiner Silbe zu erwähnen, ist ein absoluter Schwachpunkt des Buches.

Zum Ende hin weist der Autor darauf hin, dass Diversität in der Musik nicht gleichbedeutend mit mehr Toleranz ist, was natürlich auf Texte der sogenannten Gangsta Rapper abzielt. Zudem betont Jans Balzer auch, dass es keine Popmusik ohne Aneignung oder Umdeutung gibt. Sich etwas Fremdes anzueignen ist notwendig, um seine eigene Identität zu finden.

Das Buch bietet einen sehr gut ausgewählten Querschnitt durch die deutschsprachige Musikgeschichte. Es hat mir sowohl Neues eröffnet als auch Vergessenes wieder hervorgeholt. Textbeispiele der Songs und die Playlist ergänzen die musikalische Reise ganz wunderbar.


Fazit

Nicht nur für Musikliebhaber, sondern für jeden, der sich gerne mit Sprache und Musik beschäftigt

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Veröffentlicht am 03.06.2022

Still, leise, doch mit großer Kraft

Alte Sorten
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Meinung

Ein außergewöhnlicher Roman über eine ehrliche und tiefgehende Freundschaft zwischen zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht nur der Altersunterschied unterscheidet. Innerhalb von ungefähr ...

Meinung

Ein außergewöhnlicher Roman über eine ehrliche und tiefgehende Freundschaft zwischen zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht nur der Altersunterschied unterscheidet. Innerhalb von ungefähr sechs Wochen entsteht zwischen Sally und Liss eine Verbindung, deren Kraft beim Lesen spürbar wird. Ebenso lebhaft spürte ich auch Sallys unbändige Wut auf die Welt und später ebenso die von Liss, wobei bei Liss zeitweise auch eine große Verzweiflung durchbricht. Denn auch in Liss, die erst einmal sehr in sich ruhend wirkt, hat sich einiges aufgestaut, das durch die Begegnung mit Sally wieder hochkommt.

In herbstlicher Kulisse arbeiten die beiden Frauen Seite an Seite. Durch Liss erfährt Sally viel über Entstehung, aber auch über Vergänglichkeit, vor allem begreift Sally, dass alles seinen Platz und seinen Nutzen in der Welt hat. Besonders der wildverwachsene Obstgarten mit den alten Birnensorten hat es Sally angetan, dort fühlt sie die Ursprünglichkeit der Natur. Diese Erfahrungen verändern Sally, was man als Leser:in hervorragend nachvollziehen kann, denn auch man selbst erlebt beim Lesen des Romans eine gewisse Entschleunigung.

Im Verlauf der Geschichte wird klar, dass die Frauen vieles gemeinsam haben, das eine besondere Freundschaft entsteht, die beide ins Leben zurückholt. Beim Lesen beginnt die Erzählung zu leben. Man riecht förmlich die reifen Birnen, sieht den morgendlichen Dunst über den Feldern liegen und hört das leise Summen der Bienen. Ewald Arenz macht seinen Roman zu einem Erlebnis, seine unprätentiösen Beschreibungen erschaffen Bilder, die der Geschichte eine besondere Note geben. Es ist wunderbar Sally und Liss zu erleben und die aufkommende Nähe zu verfolgen. Ein sehr kluger, einfühlsamer Roman mit viel Lebensweisheit.


Fazit

Still, leise und doch mit großer Kraft ist dieser Roman eine absolute Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 29.05.2022

Keine Magie

Mit uns wäre es anders gewesen
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Meinung

Auf knapp hundert Seiten erzählt die Autorin davon, den richtigen Zeitpunkt zu nutzen, denn wenn er verstrichen ist, lässt er sich nie wieder zurückholen. Es ist Amélie, die zu spät erkennt, welches ...

Meinung

Auf knapp hundert Seiten erzählt die Autorin davon, den richtigen Zeitpunkt zu nutzen, denn wenn er verstrichen ist, lässt er sich nie wieder zurückholen. Es ist Amélie, die zu spät erkennt, welches Geschenk ihr der Zufall gemacht hat.Sie verpasst die Chance auf Glück, obwohl es keinerlei Garantie dafür gibt, dass sie und Vincent tatsächlich glücklicher gewesen wäre. Es ist nur die Vorstellung davon, weil sie die Chance verpassten.

Die Charakteren bleiben für mich wage, distanziert und die Magie zwischen den beiden Hauptfiguren ist für mich nicht spürbar. Das spannende Was-wäre-wenn bleibt aus meiner Sicht belanglos und ohne Herz. Am meisten stört mich, dass sich vor allem Amélie nur darüber definiert, dass sie eine Familie gründen muss, weil es alle machen. Die zwei Ehepartner werden dermaßen negativ dargestellt, dass es absolut unglaubwürdig ist. Allgemein ist die Handlung kaum nachvollziehbar und wirkt sehr ausgedacht und altbackend. Dem Roman fehlt es an Herz, an Tiefe und an Glaubwürdigkeit.

Fazit

Es gibt lesenswerte Geschichten, die ähnliche Themen behandeln.

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Veröffentlicht am 23.05.2022

Fesselnder Familienroman

Über Carl reden wir morgen
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Meinung

„Über Carl reden wir morgen“ ist ein faszinierendes Portrait einer alteingesessenen Müllersfamilie im österreichischen Mühlviertel. Über ein Jahrhundert und über Generationen hinweg erzählt Judith ...

Meinung

„Über Carl reden wir morgen“ ist ein faszinierendes Portrait einer alteingesessenen Müllersfamilie im österreichischen Mühlviertel. Über ein Jahrhundert und über Generationen hinweg erzählt Judith W. Taschler von der Familie Brugger, von ihren Hoffnungen, Träumen und von Schicksalsschlägen. Aber sie erzählt auch vom Leben im langen 19. Jahrhundert, vom Unterschied zwischen Stadt und Land und zwischen Adel und Bürger, von der Macht der Bauern und des Patriarchats.

Dies alles verwebt die Autorin geschickt zu einer wirklich großartigen Geschichte. Ruhig und präzise schildert sie Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven, baut Zeitsprünge ein, sodass man immer wieder Neues erfährt. Damit schafft es Judith W. Taschler die Neugier aufrecht zu erhalten. Ich wollte das Buch oftmals gar nicht aus der Hand legen.

In diesem unaufgeregtem Schreibstil schwingt ständig eine leichte Melancholie des Lebens mit, was den Roman für mich besonders macht. Jede der Charaktere nahm vor meinem inneren Auge Gestalt an sowie ich auch das kleine Dorf im Mühlviertel vor mir sah. Der Facettenreichtum der einzelnen Charaktere ist der Autorin bestens gelungen und macht die Erzählung aus meiner Sicht außergewöhnlich, denn jede Figur hat seine helle und seine dunkle Seite.

Ich habe diesen Roman in nur wenigen Tagen gelesen, dennoch habe ich eine Zeit gebraucht, um diese Geschichte wirken zu lassen. Es ist ein besonderer Roman, der mich in das 19. Jahrhundert mitgenommen hat und mich zu einer stillen Beobachterin der Familie Brugger hat werden lassen.


Fazit

Der Roman „Über Carl reden wir morgen“ erzählt von der Familie Brugger auf ganz wunderbare und unvorhersehbare Weise.

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Veröffentlicht am 04.05.2022

Unausgegoren

Mutters Lüge
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Meinung

Die Geschichte wird aus Martas Perspektive und meist in chronologischer Abfolge erzählt. Es beginnt mit der Beschreibung ihrer Kindheit im kommunistischen Polen, in der Stadt Breslau, in einer ...

Meinung

Die Geschichte wird aus Martas Perspektive und meist in chronologischer Abfolge erzählt. Es beginnt mit der Beschreibung ihrer Kindheit im kommunistischen Polen, in der Stadt Breslau, in einer heruntergekommenen Wohnung mit Schimmel an den Wänden und Ratten im Treppenhaus. Und später schildert sie ihren Neuanfang in Deutschland und ihr späteres Leben in der Schweiz.

Der Beginn des Buches ist sehr vielversprechend, denn als Leser:in erfährt man von den Lebensumständen in Polen in den 1970er/80er Jahren. Ebenso aufschlussreich gestaltet sich der Abschnitt, in dem die kleine Familie in Deutschland ankommt und sich ein neues Leben aufbauen muss. Allen Schwierigkeiten zum Trotz beißt Marta sich durch, um ihr Ziel, das Medizinstudium, zu erreichen.

Doch an dem Punkt, als Marta ihr Medizinstudium beginnt, besteht die Erzählung nur noch aus einer Aneinanderreihung von Eckdaten Martas Werdegang betreffend. Anstatt den Figuren Tiefe zu verleihen, sich eingehend mit dem Mutter-Tochter-Konflikt auseinanderzusetzen, begnügt sich die Geschichte mit unwesentlichen Geschehnissen in Martas Leben, welche die Handlung in keiner Weise voranbringen. Seite um Seite wartete ich auf die angekündigte Lebenslüge, darauf, dass die Geschichte wieder Fahrt aufnimmt, aber nichts als wandern, Fahrrad fahren und Schweizer Berge, gespickt mit ein bisschen Krankenhausalltag. Auch die Dialoge wirken oft hölzern und nichtssagend.
Erst auf den letzten Seite kommt das Hauptthema endlich zum Vorschein, leider sehr unausgegoren und schwer nachvollziehbar. Wer als Leser:in an dieser Stelle hofft, von der Geschichte noch in den Bann gezogen zu werden, wird enttäuscht.

Der zu Beginn entstehende, durchaus gelungene Spannungsbogen, verliert sich bedauerlicherweise im Verlauf der Geschichte in Belanglosigkeiten.

Mich konnte die Erzählung nicht erreichen, zu sachlich und nüchtern ist der Ton des Romans, sodass es mir unmöglich war eine emotionale Verbindung zu den Charakteren aufzubauen. Gerade die Hauptfigur, Marta, blieb distanziert, teilweise empfand ich sie sogar als sehr oberflächlich. Ebenso erging es mir mit dem bedeutsamen Mutter-Tochter-Konflikt, der angedeutet, jedoch nicht auserzählt wird.

Es fehlt die literarische Auseinandersetzungen mit den Charakteren und dem Thema an sich. Das Problem des Romans liegt meiner Ansicht nach darin, dass sich das Buch, das auf wahren Begebenheiten beruht, nicht entscheiden kann, ob es ein fiktiver Roman oder ein autobiografisches Sachbuch sein will.


Fazit

Mich konnte der Roman nur bedingt überzeugen. Aus meiner Sicht verschenkt das Buch sein Potential an eine zu nüchterne, emotionslose Erzählweise und das Schwanken zwischen Fiktion und zu viel Realität. Der Roman besteht vor allem aus Fakten, dabei taucht das eigentliche Thema nur als Randnotiz auf.

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