Shaka Isawa wird mit einer angeborenen Muskelerkrankung geboren und verbringt ihre Tage in einem Pflegeheim außerhalb von Tokio. Aufgrund ihrer schweren Wirbelsäulenkrümmung ist sie auf einen elektrischen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. Doch auch wenn Shaka körperlich eingeschränkt ist, kennt ihr schneller, scharfsinniger Geist keine Grenzen: Sie studiert online, veröffentlicht pornografische Kurzgeschichten im Internet und twittert provokante Statements wie: „Im nächsten Leben werde ich Edelnutte“. Um alle möglichen Erfahrungen ihres weiblichen Körpers auszuschöpfen, sucht sie eine Samenspende und macht ihrem neuen Pfleger ein unmoralisches Angebot – mit verhängnisvollem Ausgang…
Hunchback
ist intelligent, komisch, feministisch und entlarvt den gesellschaftlichen Blick auf Behinderung, Körper und Sexualität. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die kompromisslos nach Autonomie und der Möglichkeit sucht, das volle Potenzial ihres Lebens auszukosten.
„Hunchback“ ist der Debütroman der japanischen Autorin Saou Ichikawa und ist 2023 in Japan erschienen, 2025 dann auf Deutsch. Das Buch wurde mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet, wobei Ichikawa als erste ...
„Hunchback“ ist der Debütroman der japanischen Autorin Saou Ichikawa und ist 2023 in Japan erschienen, 2025 dann auf Deutsch. Das Buch wurde mit dem Akutagawa-Preis ausgezeichnet, wobei Ichikawa als erste Autorin mit körperlicher Behinderung diesen Preis erhielt.
Die Geschichte ist sehr kurz (knapp 100 Seiten) und erzählt von Shaka Izawa, einer jungen Frau mit einer angeborenen Muskelerkrankung. Sie lebt in einem Pflegeheim außerhalb Tokios, studiert online und schreibt erotische Geschichten, die sie im Internet veröffentlicht. Die Handlung spielt während der Corona-Pandemie. Wir begleiten Shaka in ihrem Alltag, erleben ihre Gedanken und erfahren von ihrem Wunsch, schwanger zu werden, um danach eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Einfach, weil sie das erleben möchte. Genauso wie eine gesunde Frau.
Man sollte vor dem Lesen vielleicht wissen, dass japanische Literatur manchmal sehr ungewöhnlich sein kann. Auch Hunchback ist kein typischer Roman. Shaka ist eine besondere Protagonistin mit einem starken Willen und fernab jeder Klischeevorstellung einer Frau mit Behinderung.
Themen wie Selbstbestimmung, Körperlichkeit und gesellschaftliche Wahrnehmung stehen im Mittelpunkt.
Ein Buch, das man in wenigen Stunden lesen kann und das man so schnell nicht vergisst.
"'Ich hätte gerne bei McDonald's gejobbt.' 'Ich wäre gerne zur Oberschule gegangen.' 'Wenn ich - eins fünfundsechzig, Spross hochgewachsener, bildschöner Eltern mit Black Card - gesund gewesen wäre, hätte ...
"'Ich hätte gerne bei McDonald's gejobbt.' 'Ich wäre gerne zur Oberschule gegangen.' 'Wenn ich - eins fünfundsechzig, Spross hochgewachsener, bildschöner Eltern mit Black Card - gesund gewesen wäre, hätte ich die Welt erobern können.'"
„Hunchback“ von Saou Ichikawa ist ein nur knapp 96 Seiten langer, jedoch sehr intensiver und kraftvoller Roman. Die Autorin, die selbst an myotubulärer Myopathie erkrankt ist, erzählt das Leben der vierundvierzigjährigen Shaka, die aufgrund einer genetisch bedingten, schweren Muskelerkrankung ein isoliertes Leben in einem Wohnheim führt. Ihr Alltag findet zwischen ihrem Bett, ihrem Schreibtisch und dem Speisesaal des Wohnheims statt. Sie hat keine Freunde und hatte noch nie eine Liebesbeziehung. Sie ist aufgrund ihrer schweren Wirbelsäulenverkrümmung auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen; immer wieder benötigt sie ein Beatmungsgerät, um Schleim abzusaugen; sprechen kann sie nur im Notfall.
Allein das Internet bietet ihr einen Ausweg in die Welt draußen. Sie studiert online an verschiedenen Universitäten und schreibt p•rnografische Artikel für einen Verlag.
Finanzielle Sorgen hat sie nicht, da ihre Eltern ihr viel Geld vererbt haben; selbst das Wohnheim gehört ihr. Ihr Einkommen, welches sie durch das Schreiben von Texten im Internet verdient, spendet sie komplett weiter an Bedürftige, die Tafel und Mädchenschutzhäuser.
"Die Millionen, die meine Eltern mir vererbt haben, liegen - unangetastet - hier und da verteilt auf der Bank. Da ich keine Kinder habe, denen ich sie vererben könnte, gehen sie nach meinem Tod an den Staat. Dass das gesamte Vermögen, das die Eltern eines behinderten Kindes mühsam aufgehäuft haben, nach dessen Ableben an den Staat geht, weil es keine Kindeskinder gibt, höre ich öfter. Wenn diejenigen, die sich darüber aufregen, dass die Krankenkassen von unproduktiven Behinderten ausgesaugt werden, das wüssten, wären sie vielleicht versöhnt."
Als einer der Pfleger sie auf ihre Internet-Beiträge anspricht, macht Shaka ihm ein unmoralisches Angebot, um eine Samenspende zu erhalten, denn: „Wie eine normale Menschenfrau ein Kind empfangen und abtreiben - das ist mein Traum.“
Saou Ichikawa deckt in ihrem beeindruckenden Debütroman den gesellschaftliche Blick auf Behinderungen, Sexualität und Körper auf.
Sprachlich ist das Buch sehr roh und direkt, teils vulgär. Das mag schockierend wirken, besonders wenn es um die sexuellen Wünsche der Protagonistin geht, zeigt jedoch auf, dass jeder den Wunsch nach Selbstbestimmung und „Normalität“ hat.
"Ich hasse alles, was mit dem Überleben der Zeiten wertvoller wird. Je länger ich lebe, desto mehr zerbreche ich. Ich zerbreche nicht, um zu sterben, ich zerbreche, um zu leben. Ich zerbreche als Beweis dafür, dass ich gelebt habe. Das ist etwas völlig anderes als eine unheilbare Krankheit, die einen Gesunden befällt, oder der normale Alterungsprozess, der früher oder später bei jedem gesunden Menschen einsetzt."
Als Buchliebhaberin, die gedruckte Bücher dem E-Book absolut vorzieht, hat mich besonders nachdenklich gemacht, was die Autorin zur Barrierefreiheit in der Literatur sagt:
"Ich hasse gedruckte Bücher. Ich hasse den Machismus der Lesekultur, die in fünf Punkten Gesundheit voraussetzt: man muss sehen, ein Buch halten, die Seiten zmschlagen, die Lesehaltung aufrechterhalten und zum Erwerb ungehindert eine Buchhandlung aufsuchen können. Ich hasse die unwissende Arroganz der 'Buchliebhaber', die sich ihrer Privilegiertheit nicht bewusst sind."
„Hunchback“ ist ein herausforderndes, kraftvolles Buch, weitgehend autofiktional anmutend. Voller Tiefgang und viel Stoff zum Nachdenken, aber auch mit Humor und Sarkasmus.
"Die Falten meines Herzens verziehen sich zu einem Emoticon, das ein hämisches Grinsen nachbildet. Mein Gesicht indes bleibt unbewegt."
"Ja. Genau dieses Mitleid ist die richtige Distanz.
Ich kann keine Mona Lisa werden.
Weil ich ein Buckelmonster bin, ein hunchback."
Wie schon andere Leserinnen zuvor, war ich vom eher kryptischen Ende leicht überfordert (und kann nicht genau deuten, was uns die Autorin damit sagen will), weshalb ich einen halben Stern bei der Bewertung abziehe und 4,5⭐️ vergebe.
Insgesamt war dies jedoch ein unfassbar beeindruckendes Leseerlebnis, das noch lange in mir nachhallen wird. „Hunchback“ ist schon jetzt eines meiner diesjährigen Jahreshighlights!
"Ich kann keine Mona Lisa werden. Weil ich ein Buckelmonster bin, ein hunchback." (Buchzitat, E-Book, S. 42)
In „Hunchback“ erzählt Saou Ichikawa die Geschichte von Shaka Izawa, einer Frau mit einer seltenen ...
"Ich kann keine Mona Lisa werden. Weil ich ein Buckelmonster bin, ein hunchback." (Buchzitat, E-Book, S. 42)
In „Hunchback“ erzählt Saou Ichikawa die Geschichte von Shaka Izawa, einer Frau mit einer seltenen Muskelerkrankung, die in einem Pflegeheim lebt und sich kompromisslos mit Themen wie Sexualität, Autonomie und gesellschaftlicher Ausgrenzung auseinandersetzt. Die Autorin, geboren 1979, studierte Humanwissenschaften an der Waseda-Universität und lebt selbst mit einer angeborenen Myopathie. Mit ihrem Debütroman gewann sie als erste Autorin mit einer körperlichen Behinderung den renommierten Akutagawa-Preis und wurde für den International Booker Prize 2025 nominiert.
Worum geht's genau?
Shaka Izawa lebt nach dem Tod ihrer Eltern in einem Pflegeheim außerhalb Tokios. Aufgrund ihrer schweren Wirbelsäulenkrümmung ist sie auf einen elektrischen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. Trotz ihrer körperlichen Einschränkungen ist sie geistig aktiv: Sie studiert online, schreibt erotische Kurzgeschichten und teilt provokante Gedanken auf Social Media. Als ein Pfleger sie auf ihre Beiträge anspricht, nutzt Shaka die Gelegenheit, ihm ein unmoralisches Angebot zu machen, um eine Samenspende zu erhalten. Diese Entscheidung führt zu einer Reihe von Ereignissen, die ihre Sicht auf sich selbst und ihre Umwelt nachhaltig verändern.
Meine Meinung
Ich habe „Hunchback“ als kostenloses Rezensionsexemplar über NetGalley erhalten – vielen Dank an NetGalley und den Ecco Verlag dafür. Mit nur 96 Seiten ist es eher ein Büchlein, doch der Inhalt ist intensiv und vielschichtig.
Von Beginn an wird man direkt in Shakas Gedankenwelt hineingezogen. Ihre scharfsinnigen Beobachtungen und ihr schwarzer Humor machen sie zu einer faszinierenden Erzählerin. Besonders in Erinnerung bleiben wird für mich das Thema Barrierefreiheit in der Literatur: Shakas Schwierigkeiten beim Lesen physischer Bücher werfen ein Licht auf die oft übersehenen Herausforderungen, denen sich Menschen mit Behinderungen gegenübersehen. Auch für mich war wirklich neu, wie vielfältig die Herausforderungen beim Lesen sein können abseits der "bekannten" Behinderungen, die beim Lesen einschränkend sein können. Auch die Darstellung von Shakas Sexualität ist mutig und ehrlich. Ihre Wünsche und Fantasien werden nicht beschönigt, sondern in ihrer ganzen Komplexität gezeigt. Dies bietet eine seltene Perspektive auf das Leben einer Frau mit Behinderung, die sich nach körperlicher Nähe und Selbstbestimmung sehnt. So beispielsweise Shakas provokante Aussagen wie diese hier:
Ich rufe auf dem iPhone meinen privaten Twitter-Account auf und tweete: ›Im Swinger-Club Kondome von der Decke regnen lassen – der Job würde mir auch gefallen.‹ Es ist ein unbedeutender Account, der von niemandem groß gelikt wird. Kein Wunder! Wie soll man auch auf einen Account reagieren, auf dem eine praktisch bettlägerige, schwerbehinderte Frau immerzu grummelt: ›Im nächsten Leben werde ich Edelnutte.‹ (Buchzitat, E-Book, S. 11)
Solche Textstellen wirkt zunächst schockierend, sind jedoch Ausdruck ihres Wunsches nach Normalität und Selbstbestimmung.
Der Schreibstil erinnert stellenweise an einen Essay, was gut zum Text an sich passt. Es ist eine gelungene Mischung aus Autofiktion, Wutrede und poetischer Reflexion. Vielleicht gerade deshalb hat es mich sehr gefesselt, auch wenn ich das Buch sowohl inhaltlich als auch sprachlich stellenweise herausfordernd fand. Die Beziehung zu ihrem Pfleger Tanaka ist komplex und wirft Fragen zu Machtverhältnissen und Autonomie auf. Als begeisterte Musikerin habe ich auch die musikalischen Anspielungen geschätzt, wie die Beschreibung ihrer Kommunikation als atonal, ähnlich wie bei Schönberg.
Fazit
„Hunchback“ ist ein kraftvolles, unbequemes und zugleich humorvolles Werk, das einen neuen Blick auf das Thema Behinderung bietet. Es fordert heraus, regt zum Nachdenken an und bleibt lange im Gedächtnis. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.
"Wie eine normale Menschenfrau ein Kind empfangen und abtreiben – das ist mein Traum." (Buchzitat, E-Book, S. 15)
Shaka Izawa wird mit einer Muskelerkrankung geboren und lebt nach dem Tod ihrer Eltern in einem Pflegeheim. Da ihre Wirbelsäule stark verkrümmt ist, ist sie auf einen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. ...
Shaka Izawa wird mit einer Muskelerkrankung geboren und lebt nach dem Tod ihrer Eltern in einem Pflegeheim. Da ihre Wirbelsäule stark verkrümmt ist, ist sie auf einen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. Ihre Zeit vertreibt sie sich mit dem Schreiben erotischer Artikel und Kurzgeschichten und dem Teilen ihrer Gedanken auf Social Media – alles anonym, wie sie glaubt. Doch einiges Tages spricht ein Pfleger sie auf ihre Beiträge an, was Shaka nutzt, ihm ein unmoralisches Angebot zu machen.
„Hunchback“ ist der Debütroman der japanischen Autorin Saou Ichikawa, die selbst aufgrund einer angeborenen Myopathie im Rollstuhl sitzt und ein Beatmungsgerät nutzt. Sie ist die erste Schriftstellerin mit einer Behinderung, die den berühmten Akutagawa-Preis erhielt, die deutsche Übersetzung des Textes stammt von Katja Busson. Erzählt wird die Geschichte von der Protagonistin selbst in der Ich- und Gegenwartsform, was das Geschehen sehr eindringlich und unmittelbar wirken lässt.
Shaka spricht in ihren Texten Gedanken aus, die für eine Frau mit Behinderung ungehörig scheinen. „Im nächsten Leben werde ich Edelnutte.“, schreibt sie oder „Ich würde gerne schwanger werden und abtreiben.“ Was zunächst schockierend wirken mag, ist einfach nur Ausdruck des Wunsches nach Normalität, nach Körperlichkeit und Selbstbestimmung – Rechte, die behinderten Menschen nur allzu oft abgesprochen werden. Als sich für Shaka eine Gelegenheit bietet, einen dieser Wünsche aktiv umzusetzen, ergreift sie diese Chance, doch das alles ist nicht so unkompliziert, wie sie es sich vorgestellt hat.
„Hunchback“ ist ohne Frage ein kraftvoller Text, der einen Einblick in das Leben einer behinderten Frau mit all ihren Wünschen und Sehnsüchten gibt und aufzeigt, welchen Beschränkungen und gesellschaftlichen Ansichten sie ausgesetzt ist. Man muss jedoch auch sagen, dass Shaka – trotz ihrer Einschränkungen – ein sehr privilegiertes Leben führt. Sie ist reich, besitzt das gesamte Heim, in dem sie wohnt und hat Einnahmen aus weiteren Immobilien. Sie wird nie im selben Maße so von anderen Abhängigkeit sein, wie wohl der Großteil behinderter Menschen.