Große Leseempfehlung!
„Kennst du die Angst, nach Hause zu kommen und nicht zu wissen, ob die Mutter vielleicht mit ner Vase erschlagen in der Ecke liegt?"
GELIEBTE MUTTER CANIN ANNEM
Çiğdem Akyol
1974:
Aynur wird mit 18 Jahren ...
„Kennst du die Angst, nach Hause zu kommen und nicht zu wissen, ob die Mutter vielleicht mit ner Vase erschlagen in der Ecke liegt?"
GELIEBTE MUTTER CANIN ANNEM
Çiğdem Akyol
1974:
Aynur wird mit 18 Jahren von ihrem Bruder zwangsverheiratet - mit einem Mann, der unter ihrem Stand ist, der aus allen Poren nach Armut riecht und diesen Geruch sein Leben lang nicht loswerden wird. Ihr Bruder will sie einfach nur aus dem Haus haben und redet ihr ein, der Bewerber Alvin lebe in Deutschland ein luxuriöses Leben und habe eine bedeutende Arbeit.
Doch die Realität ist eine andere: Alvin schuftet unter Tage, sie wohnen zu viert in einer kleinen Wohnung ohne Bad, und Geld gibt es kaum. In Deutschland kennt sie niemanden, die Sprache spricht sie nicht, und die Tage ziehen endlos an ihr vorbei.
Erst mit der Geburt ihrer beiden Kinder, Ada und Meryem, empfindet sie für eine kurze Zeit so etwas wie Glück. Sie beginnt in einer Fabrik zu arbeiten, und endlich können sie sich eine eigene Wohnung leisten.
Doch Alvin verfällt dem Glücksspiel. Die Schulden türmen sich, er versetzt alles, was er zu Geld machen kann. Immer häufiger schlägt er seine Familie. Auch Aynur lässt ihre Verzweiflung an ihrer Tochter Meryem aus - mal aus Hilflosigkeit, mal aus Frustration.
Während Aynur sich aufreibt, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, zerbricht in ihnen eine ganze Welt.
Die heranwachsenden Kinder schwanken zwischen Scham und Sehnsucht: Scham über Eltern, die nach all den Jahren noch immer gebrochenes Deutsch sprechen, und die Sehnsucht danach, von ihnen geliebt und anerkannt zu werden. Sie wollen anders sein - freier, selbstbestimmter - und doch suchen sie immer wieder den Stolz in den Augen ihrer Eltern.
Çiğdem Akyol zeichnet in diesem Roman ein beklemmendes, toxisches Familienporträt. Die Gewalt und Spielsucht des Vaters stehen im Mittelpunkt. Doch statt ihre Kinder zu schützen, hält die Mutter an ihm fest - aus Angst, aus Abhängigkeit, vielleicht auch aus Resignation. Ein Leben in einem Land, dessen Sprache sie noch immer nicht sicher spricht, ganz allein? Unvorstellbar.
Was dieses Buch neben seiner Tragik so besonders macht, ist der großartige Schreibstil der Autorin. Flüssig, eindringlich - und immer wieder unterbrochen von Passagen, in denen Meryem in der Ich-Perspektive direkt an ihre Mutter schreibt.
Mich hat das Buch tief berührt. Noch lange werde ich darüber nachdenken. Und immer wieder stellte ich mir beim Lesen die Frage: Wie unwillkommen mussten sich die Gastarbeiter damals gefühlt haben? Ohne Integration, ohne echtes Ankommen?
Ein Meisterwerk, das gelesen werden muss!
#Highlight – Eine große Leseempfehlung!
5/5