Das Schicksal armer Viktorianer
Und weiter geht‘s mit meiner Jack the Ripper Reise. Über kaum etwas lese ich lieber, als über das viktorianische England mit all seinem Glanz, aber vor allem auch Schattenseiten.
Die Geschichte von Jack ...
Und weiter geht‘s mit meiner Jack the Ripper Reise. Über kaum etwas lese ich lieber, als über das viktorianische England mit all seinem Glanz, aber vor allem auch Schattenseiten.
Die Geschichte von Jack the Ripper kennen wir alle. Aber auch die seiner Opfer? Hallie Rubenhold räumt mit einigen angeblichen Fakten auf, aber vor allem mit einer, nämlich das die fünf Opfer alle Prostituierte waren.
Egal ob in Filmen, Romanen oder Dokumentationen, dass Jack the Ripper Prostituierte ermordet hat, gilt als unumstößliche Tatsache. Nach diesem Buch steht allerdings fest, dass es bei drei dieser fünf Frauen keinerlei Beweise dafür gibt. Vielmehr wurden Frauen, die getrennt von ihren Ehemännern lebten und ohne festen Wohnsitz waren oft als Prostituierte abgestempelt.
Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes und Mary Jane Kelly. Jeder der fünf Frauen wird ein Kapitel gewidmet. Wir erfahren, mal mehr, mal weniger ausführlich, wie und in welchen Verhältnissen die Frauen aufgewachsen sind. Dass sie mitunter Ehefrauen und Mütter waren und in geregelten Verhältnissen gelebt haben. Wie sie ihren Weg auf die schmutzigen Straßen Londons fanden und zum Teil schwer krank von einem Tag zum nächsten überlebten.
Eine Sache zieht sich jedoch wie ein roter Faden durch die fünf Schicksale: Die Alkoholsucht.
Und auch wenn Alkohol nie eine Lösung ist, hat man doch Verständnis, dass viele Menschen zu jener Zeit keine Alternative sahen.
Zum Ende jeden Kapitels beschreibt die Autorin, wie die letzten Minuten vor dem Tod der Frauen ausgesehen haben könnten und stützt sich dabei auch auf Zeugenaussagen. Die Morde und Leichen bleiben auf respektvolle Weise unkommentiert, denn Ziel dieses Buches ist es auch, dass wir sie nicht mehr als die entstellten Opfer, sondern als vom Schicksal gebeutelte Frauen sehen. Das gelingt so gut, dass einem beim lesen der letzten Zeilen jedes mal die Tränen kommen und man zutiefst Mitleid empfindet.
Abgesehen von den jeweiligen Biografien, bekommen wir auch einen interessanten wie schockierenden Einblick in die Möglichkeiten, welche mittellose Frauen zu jener Zeit hatten. Warum viele die Straße dem Armenhaus vorzogen und warum überhaupt der Eindruck entstehen konnte, dass Mary Ann, Annie und Catherine Prostituierte waren.
Und wenn man denkt, man kann nicht noch betroffener sein, gibt es am Ende noch eine Auflistung der Habseligkeiten, welche die Frauen bei ihrer Ermordung bei sich trugen. Ein Menschenleben reduziert auf wenige Gegenstände, die doch eine gewisse Bedeutung für deren Besitzer gehabt haben müssen und ihre ganz eigene Geschichte erzählen.
In der Mitte des Buches befinden sich außerdem noch einige Abbildungen. Keine der Leichen wohlgemerkt, sondern, falls vorhanden, Fotos der Frauen und ihrer Familie vor ihrem Abstieg, Zeichnungen oder auch ehemalige oder letzte Adressen.
Ich werde jetzt sicher jeden Bericht, Film, Roman und jede Dokumentation über das Thema mit anderen Augen sehen und vermutlich herb enttäuscht sein, wenn alle Opfer wieder als Prostituierte bezeichnet oder darauf reduziert werden. Denn auch wenn zwei der Frauen, und nur eine zum Zeitpunkt der Morde, nachweislich diesem Gewerbe nachgegangen sind, ist es nicht fair, sie nur als Huren zu sehen, während dem Mörder viel mehr Aufmerksamkeit zu Teil wird. Dieses Buch schafft es meisterhaft, diesen Frauen eine Stimme zu geben. Und nicht nur ihnen, sondern auch der armen Bevölkerung einen ganzen Epoche.
Absolut empfehlenswert, ob ihr euch nun für Jack the Ripper oder Geschichte interessiert.