Wenn Zeit stillsteht
Jaqueline Scheibers Roman „Drei meter dreißig“ ist ein intensives, emotionales Buch, welches mich von der ersten Seite an gefesselt hat. Im Zentrum steht das junge Paar Klara und Balazs. Balazs stammt ...
Jaqueline Scheibers Roman „Drei meter dreißig“ ist ein intensives, emotionales Buch, welches mich von der ersten Seite an gefesselt hat. Im Zentrum steht das junge Paar Klara und Balazs. Balazs stammt ursprünglich aus Ungarn, lebt aber mit Klara in Wien, wo sich die beiden auch kennengelernt haben. Schon auf den ersten Seiten konfrontiert uns die Autorin mit einer erschütternden Szene, in der Balazs tot im Bett liegt.
Von diesem Moment an begleiten wir Klara durch Schock, Erstarrung und Schmerz. Diese Gefühle werden so eindringlich geschildert, dass sie beim Lesen unmittelbar spürbar werden.
Was der Autorin besonders gelungen ist, ist, dass sie zeigt, wie der Tod zwar das persönliche Leben von Grund auf verändert, während die Welt im Außen unbeirrt weiterläuft. Klara erlebt dieses paradoxe Nebeneinander von innerer Starre und äußerer Normalität in einer Intensität, die mich mitgerissen hat. Ich konnte so gut nachempfinden, wie lähmend dieser Moment wirkt und wie schwierig es ist, inmitten des Verlustes überhaupt noch Entscheidungen zu treffen.
Nach und nach entfaltet sich in Rückblenden die gemeinsame Geschichte des jungen Pärchens. Dabei wird die Tiefe ihrer Beziehung erst richtig sichtbar, die so voller Liebe, Wärme, Zuneigung und gegenseitiger Ergänzung geprägt ist. Dennoch gibt es da auch Streit und unausgesprochene Gedanken - zumindest vonseiten Klaras, die immer wieder kleine Fehler an ihrem Partner sieht. Gerade diese Ambivalenz macht die Figuren authentisch. Während Klara privilegiert aufgewachsen ist, wuchs Balasz in ärmlicheren Verhältnissen in einer großen Familie in Ungarn auf. Bereits hier entsteht die Ambivalenz, die diese Beziehung so authentisch macht, denn Klara - obwohl sie vermeintlich alles hat - fehlt etwas und genau das konnte Balasz ihr mit seiner Lebensfreude und der Ausgeglichenheit und Wärme geben.
Besonders berührend ist, wie liebevoll Balazs beschrieben wird. Er ist ein empathischer, lebensfroher Mensch, der Klara auf eine einzigartige Weise ergänzt. Durch seine Biografie, seine Erfahrungen als Ungar und Migrant in Wien, kommt zudem eine politische Dimension hinzu, die dem Buch Tiefe verleiht. Man spürt, wie sehr er sich ein neues Leben aufgebaut hat und vor allem, wie groß wie groß die Lücke für Klara sein muss, die er mit seinem Tod hinterlässt.
Auch der Schreibstil hat mich überzeugen können. Die Rückblenden sind fein miteinander verwoben, die Sprache ist klar und poetisch zugleich. Ich konnte Klaras Gedanken und Gefühle jederzeit nachvollziehen, ihre Trauer, ihre Hilflosigkeit und ihre Erinnerungen an Balazs.
Jaqueline Scheiber knüpft mit dieser Handlung an ihren privaten Verlusterfahrungen an, diese persönliche Dimension spürt man durch jede Zeile. An dieser Stelle möchte ich daher auch ihr Projekt für junge Menschen, die ihre Partner:innen verloren haben, hervorheben - den „Young Widow:ers Dinner Club“.
„Drei meter dreißig“ ist ein Roman, der zeigt, wie Liebe und Verlust untrennbar miteinander verbunden sein können. Es ist eine berührende, authentische Geschichte, die voller Schmerz und gleichzeitig Wärme ist. Für mich ist dieses Buch eine uneingeschränkte Leseempfehlung!