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Veröffentlicht am 15.03.2021

Damals, im wilden Osten

Blütengrab
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Sehr vielversprechender und gruseliger Prolog, der einige Jahre vor der Wende in der ehemaligen DDR spielt. Die eigentliche Handlung spielt in Mecklenburg-Vorpommern, 1993. Viele haben die Gegend schon ...

Sehr vielversprechender und gruseliger Prolog, der einige Jahre vor der Wende in der ehemaligen DDR spielt. Die eigentliche Handlung spielt in Mecklenburg-Vorpommern, 1993. Viele haben die Gegend schon verlassen, hohe Arbeitslosigkeit, Tristesse, marode Häuser Mutlosigkeit allerorten. Wir lernen die Hauptpersonen kennen, manche sind uns sofort sympathisch, für andere können wir Verständnis aufbringen, andere hingegen (den altteutonischen Vater z.B.) könnte ich sofort in seine eigene Walhalla befördern. Die wenigen Westdeutschen, die es hierher verschlägt, sind entweder aufrichtig daran interessiert, hier ihre Arbeit ehrlich und ohne Hintergedanken zu verrichten, oder um dem altgermanischen Gedankengut zu frönen, ohne von Ausländern dabei gestört zu werden; oder um auf der Karriereleiter aufzusteigen und es den „dummen Ossis“ zu zeigen. Von diesen drei Kategorien lernen wir je einen Vertreter kennen im Laufe des Romans.
Die vorherrschende Atmosphäre der Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit, die in Ostdeutschland in den ersten Jahren nach der Wende herrschte fand ich sehr treffend eingefangen. Weshalb sich um einen Job bemühen, wenn es eh nur schlecht bezahlte langweilige Arbeit handelt mit kleinen Chefs, die sich aber wie Napoleon aufführen. Erschreckend fand ich, wie schnell sich das braune Gedankengut da ausbreitete. Wobei „Gedankengut“ wohl der falsche Begriff ist, denn gut ist nichts daran. Da wird ein verletztes weinendes Mädchen von der Tür abgewiesen, bloß weil sie nicht deutsch kann. Oder, um die germanische Sache zu finanzieren, wird mit Zigaretten und Mädchen geschmuggelt. Aber auch die Überheblichkeit und Besserwisserei mancher Wessis wird hier bloßgelegt. Um alte Verstrickungen in Devisengeschäften zwischen Ost und West zu vertuschen werden Mordopfer heimlich beseitigt, verschwinden mal Akte, werden eigene Mitarbeiter um die Ecke gebracht. Damals, vor der Wende und 1993 immer noch.
Die beiden Hauptermittler, Ossi und Wessi raufen sich verhältnismäßig schnell zusammen, ergänzen sich bald hervorragend und ohne viele Worte zu verlieren, eine echt gute Zusammenarbeit bahnt sich an. Hoffen wir, dass Ada Fink diese Reihe fortsetzen wird.
Zügig und flott geschrieben, liest sich der Krimi in einem Rutsch.
Das Titelbild ist sehr stimmungsvoll - fast schon depressiv, aber passend zum Buchtitel.
Fazit: lesenswert.

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Veröffentlicht am 14.03.2021

Was ist Heimat?

Die lustlosen Touristen
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Es ist gar nicht so einfach, einem anderen Menschen die eigene Heimat zu zeigen. Vor allem, wenn sie so dermaßen mit Schuld beladen Aber wer und was ist Heimat? Klar, es ist der Ort, die Gegend, die Region, ...

Es ist gar nicht so einfach, einem anderen Menschen die eigene Heimat zu zeigen. Vor allem, wenn sie so dermaßen mit Schuld beladen Aber wer und was ist Heimat? Klar, es ist der Ort, die Gegend, die Region, in der man geboren wurde. Steine, Flüsse, Bäume haben kein Schuldbewusstsein. Aber was ist mit den Menschen? Klar gehören sie zur Heimat, besser gesagt zum Heimatgefühl. Familie, Nachbarn, Freunde, all jene, die die gleiche Sprache sprechen, mit denen man gemeinsam aufgewachsen sind, die den gleichen geschichtlichen Hintergrund haben. Kann man sich mit all diesen Menschen identifizieren? Normalerweise ja. Aber ohne eine Differenzierung müsste man mit dem Tod von 830 Menschen einverstanden sein, die bei den vielen Attentaten der ETA umkamen. Darf man Gewalt gutheißen? Heiligt der Zweck wirklich die Mittel? Können wir mit der „Michael Kohlhaas Attitüde“ leben? Ist sein Wahlspruch „Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde“ noch annehmbar? Die ETA hat auch Basken getötet, nicht nur spanische Politiker oder Polizisten. Die ETA hat von allen, Spanier und Basken gleichermaßen Schutzgelder und Lösegelder erpresst. Was für eine Gerechtigkeit ist das dann? In diesem Buch kommt die Tochter eines solchen ETA Attentäters zu Wort. Sie wusste das nicht, Mariluz, ihre Mutter hat es ihr erst vor Kurzem erzählt. Unter diesem Eindruck macht sie sich auf, eine Reise durch die spanisch-baskische Heimat und sucht immer wieder den richtigen Moment, es ihrem Mann zu erzählen, zu erklären. Ihr Mann ist Spanier. Wird er es verstehen?
Während der Reise taucht immer wieder eine Journalistin auf, Sarah Blagrove. Die Journalistin hat schon einige ablehnende Artikel über die ETA und ihre Anhänger veröffentlicht. Ulia, die Ich-Erzählerin, hat das Gefühl, Sarah hat sie nun auf den Kieker und will sie über ihren Vater ausfragen. Dabei hat Ulia sich geweigert ihren physischen Vater im Gefängnis zu besuchen. Sie kennt ihn nicht, sie ist mit seinen politischen Gewalttaten nicht einverstanden. Was also könnte sie Sarah erzählen, im Falle eines Interviews. Nur stellt es sich heraus, Sarah ist gar nicht an ihr interessiert. Jemand anderer ist Sarahs Zielperson, Und nicht aus beruflichen Gründen.
Das Buch schlägt oft einen ironischen Ton an, leicht distanziert. Als ob dies für Ulia die einzige Möglichkeit wäre, die nötige Entfernung zu ihrem Leben und zu ihrer Heimat zu finden. Denn die Menschen ihrer Heimat haben Schuld auf sich geladen, unter ihnen auch ihr Vater.
Anfangs hatte ich leichte Schwierigkeiten, herauszufinden, wann von Ulia und wann von Mariluz berichtet wurde. Als ich beschloss, mich nicht auf den Unterschied zu konzentrieren, sondern die Seiten auf mich zukommen zu lassen, wie sie von Agirre geschrieben wurden, fiel es mir leichter. Mutter und Tochter haben einiges gemeinsam, auch wenn Ulia das so nicht empfindet.
Fazit: ein interessantes Buch, auch wenn der Zugang nicht leicht ist.

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Veröffentlicht am 14.03.2021

Counterstrike

Unser Mathelehrer unterrichtet von draußen - damit er dabei rauchen kann!
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Nach zwei Büchern voller Helikoptereltern kommt jetzt mal die andere Seite zu Wort in Sachen Erziehung und Bildung der Kinder: Lehrer, denen unsere Blagen vollkommen egal sind, aber sowas von egal! Also, ...

Nach zwei Büchern voller Helikoptereltern kommt jetzt mal die andere Seite zu Wort in Sachen Erziehung und Bildung der Kinder: Lehrer, denen unsere Blagen vollkommen egal sind, aber sowas von egal! Also, Zwerchfell schön locker halten und ablachen. Denn Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Obwohl, bei manchen der Anekdoten gerät das Lachen etwas schief. Manche Geschichten schienen mir dermaßen unglaublich und an den Haaren herbeigezogen, bis meine eigenen Erinnerungen an meine Schulzeit hochkamen. Da war der Physiklehrer der jedes Jahr eine Abiturientin verführte, oder der Grundschullehrer der mit Viertklässlerinnen knutschte, was natürlich einen Riesenskandal auslöste, der Lehrer musste von der Schule gehen. Oder psychisch labile Lehrer, die dermaßen ausrasteten, dass einmal eine Fünftklässlerin vor Angst in der Bank sich die Hosen nass gemacht hat. Das hatte dann auch ein Nachspiel für die Deutschlehrerin. Nein, diese Schulerinnerungen waren nicht lustig. Und auch nach all den Jahren nicht verklärt zu betrachten. Da haben Greiner und Padtberg doch nettere Geschichten herausgesucht. Am besten gefiel mir das Kapitel über Typologie: „Mit diesen 13 Lehrern müssen Schüler rechnen“. Sofort habe ich versucht, meine damaligen Lehrer den Kapiteln zuzuordnen. Deutsch und Geschichte kamen bei mir in „Beste Lehrkraft der Welt“. Im Kapitel „Eklig“ habe ich aber dem Lehrer voll zugestimmt, der sich im Unterricht die Zehennägel geschnitten hat. Gleiches Recht für alle!

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Veröffentlicht am 06.03.2021

Benvenuti a Girifalco!

Der Zirkus von Girifalco
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Dies ist der zweite Roman Domenico Daras, der in Girifalco spielt. Dadurch beschert er uns ein wunderschönes Wiedersehen mit Girifalco, ein Dorf das seit seinem ersten Roman (Der Postbote von Girifalco) ...

Dies ist der zweite Roman Domenico Daras, der in Girifalco spielt. Dadurch beschert er uns ein wunderschönes Wiedersehen mit Girifalco, ein Dorf das seit seinem ersten Roman (Der Postbote von Girifalco) uns ans Herz gewachsen ist. Die Menschen in Girifalco sind wie überall: herzensgut, gleichgültig, böse, manchmal niederträchtig; sie lieben, sie hassen, sie lachen oder weinen, sie verzweifeln an der Welt oder sind unbeschreiblich glücklich. Alt und jung, alle werden vor unseren Augen zu realen Gestalten, aus dem Leben gegriffen.
Die ersten acht Kapitel stellen uns ein paar der Bewohner von Girifalco vor, mit all ihren Sorgen oder Freuden, Hoffnungen, Wünschen und Erwartungen.
Zuerst lernen wir Lulu kennen, der in der Nervenheilanstalt lebt. Er tut niemanden etwas zu leide, zieht trotzdem den Hass Caracantulus auf sich, der sich letztendlich aber zu seinem Gunsten auswirken wird. Lulu ist mit einem einmaligen musikalischen Gehör ausgestattet. So kann er jede einmal gehörte Melodie meisterhaft wiedergeben, indem er auf einem Baumblatt bläst. Lulus Herzenswunsch ist es, seine Mutter wiederzusehen, die versprach ihn aus der Nervenanstalt zu holen. Er glaubt ihr Gesicht in einem Madonnenbild zu erkennen und trägt es deswegen ständig auf seiner Brust.
Dann wäre da Archidemu, der Stoiker, der einst seinen Bruder unter nie geklärten Umständen verlor und ihn seither immer sucht.
Mararosa, die Böse. Als Kind war sie schon neidisch und missgünstig auf alle anderen Kinder um sie. Als ihr Vater ihre Heirat mit Servatura verbietet, wird ihr Hass auf die Mitmenschen noch größer. Es vergeht kein Tag an dem sie nicht heimlich Rorò verflucht, die Frau die Servatura dann geheiratet hat. Obwohl selbst verheiratet und mit einem Kind gesegnet, kann sie der Welt im Allgemeinen und Rorò im Besonderen nicht verzeihen.
Mararosas Gegenpole sind Cuncettina und Rorò. Beide Frauen werden einem sofort sympathisch. Die vom Schicksal begünstigte Rorò liebt und lebt nur um ihrem Mann Servatura jeden Wunsch zu erfüllen, und sei er auch noch so klein.
Cuncettina hat es schwer, sehr schwer, in einem Mikrokosmos, in dem der Wert einer Frau an der Zahl ihrer Kinder gemessen wird. Sie kann keine Kinder empfangen, jeden Monat erlebt sie eine herbe Enttäuschung. Jedes Mal, wenn im Ort eine Frau schwanger wird, reiben es ihr die anderen Frauen so richtig unter die Nase und weiden sich an ihrem Leid. Dabei wird Cuncettina nie neidisch, nie missgünstig. Sie gönnt den anderen Frauen ihre Schwangerschaften, sie versucht ihrem Mann eine gute Frau zu sein, würde ihn auch frei geben, um ihn eine andere Frau heiraten zu lassen, die ihm Kinder gebären könnte. Selbstlos und traurig. Als sie die vierzig längst überschritten hat bleibt ihre Regel aus. Zuerst glaubt sie, die Wechseljahre wären da. Doch einige Symptome lassen sie an den Wechseljahren zweifeln. Leider erfahren wir nicht, ob Cuncettinas Herzenswunsch sich erfüllen wird, ich drücke ihr ganz fest die Daumen.
Venanziu, der beste Schneider des Ortes im öffentlichen Leben und der beste Liebhaber im Geheimen, setzt so ziemlich allen Ehemännern heimlich Hörner auf. Offiziell schürt er sogar die Gerüchte, er wäre schwul, nur um so mehr seinem erfüllten Sexleben frönen zu können. Er liebt keine der vielen Frauen, er verlebt nur schöne Schäferstündchen mit ihnen und die Frauen sind alle zufrieden. Sie sind verheiratet, kein Ehemann schöpft je einen Verdacht. Und dann passiert das unglaubliche: Venanziu verliebt sich in Micaela, eine Zirkuskünstlerin. Diese Liebe erscheint auf seinem persönlichen Firmament gerade in dem Moment, in dem er entdeckt, dass seine Virilität nachlässt, dass seine Manneskraft endlich ist. Schön ist, dass diese Liebe nie sexuell ausgelebt wird, unausgesprochen schwebt sie zwischen ihnen in den wenigen Augenblicken, in denen sie sich gegenüberstehen. Venanziu ist sich wohl auch des Altersunterschieds zwischen ihnen bewusst. Er, der Epikureer, verzichtet darauf, Micaela Avancen zu machen, sie ins Bett zu bekommen.
Angeliaddu ist noch ein Kind, hat aber alle Bitterkeit dieser Welt erfahren. Seine Mutter wurde von ihren Eltern verstoßen als sie mit ihm schwanger war, in Girifalco bei der alten Varvaruzza fand sie Unterschlupf. Angeliaddu ist von Anfang an ein Ausgestoßener. Sein „Vergehen“: er hat von Geburt an im Nacken eine Strähne weißes Haar und ist blond, in einer Gegend wie Kalabrien, wo alle Menschen schwarze oder braune Haar haben, fällt er sofort auf.
Das wären die acht Personen, eine kleine Auswahl aus Girifalco. Um sie herum ihre Angehörigen, Freunde, Feinde, das ganze Dorf. Neben Mararosa, der Bösen tun sich durch ihre Niedertracht und Missgunst auch der Vermessungstechniker Discianzu hervor, der Angeliaddus Mutter nachstellt und weil von ihr abgewiesen sich an ihrem Sohn rächt, ihn des Reliquiendiebstahls fälschlicherweise bezichtigt. Dann wäre da noch Caracantulu der den Verlust seiner drei Finger bei einem Arbeitsunfall in Deutschland vor vielen Jahren vor dem Dorf geheim hält und einen Handschuh trägt. Von Juckreiz an der Hand gequält hasst er alle und jeden, am meisten aber den unschuldigen und geistig zurückgebliebenen Lulu. Weil Lulu seine nackte Hand gesehen hat, beschließt er Lulu zu vernichten. Er beschuldigt ihn der sexuellen Belästigung eines Mädchens. Der nächste Böse ist Grafathas. Er stammt nicht aus Girifalco sondern kommt mit dem Zirkus ins Dorf.
Der Zirkus, ach ja der Zirkus: Ort der Wunder, der Magie, für einige der Bewohner von Girifalco auch Ort der Erlösung. Angeliaddu findet hier Schutz, genau wie Lulu, Cuncettina wagt auf eine Schwangerschaft zu hoffen, Mararosa wünscht sich eine Vereinigung mit Servatura. Taliana findet hier ihre Eltern wieder, die sie einst verstoßen hatten und die sie nun reuevoll begrüßen, sie haben sie all die Jahre über gesucht. Und all dies im Zirkuszelt.
Durch den Zirkus lernt Angeliaddu am Trapez trainieren, kann dadurch Discianzus Tochter aus dem Feuer retten, worauf Discianzu beschließt, bei seiner Mutter Abbitte zu leisten und verhilft ihr zu einer gut bezahlten Arbeitsstelle. Nach der Heldentat des Jungen bringt ihm plötzlich das ganze Dorf Achtung und Sympathie entgegen, sein Leben und das seiner Mutter wendet sich zu Guten.
Caracantulu erleidet einen zweiten Unfall im nächtlichen Zirkuszelt und überwindet seinen Menschenhass. Durch diesen Unfall wird Grafathas Anschlag auf Batral vereitelt. Es ist, als ob das Böse keine Macht im Zirkuszelt hat. Lulu kann hier auftreten und alle mit seiner Musik beeindrucken. Vergessen, Null und nichtig sind die Anschuldigungen, er hätte sich an einem Mädchen vergriffen. Die Pfleger in der Nervenheilanstalt hatten sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Lulu diese für lächerlich erklärt.
Die wunderschöne Sprache Domenico Daras meisterhaft ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann verzaubert, nimmt uns mit auf eine italienische Reise, von der wir wünschen, sie möge nie enden. Einige Sätze verwandeln sich in Sentenzen, die uns begleiten, helfen, die Welt besser zu verstehen. Was ist ein Wunsch? „…ein Wunsch ist Zeit, die sich strukturiert, eine Vergangenheit aus Bedauern, eine Zukunft aus Möglichkeiten und eine Gegenwart des Wartens.“ (Seite 129).
Oder nehmen wir den kurzen Exkurs über Barmherzigkeit: „“…auch in der unfehlbaren Himmelsmechanik ist Platz für Barmherzigkeit. Denn Barmherzigkeit ist nur eine andere Bezeichnung für die Ausnahme, die Abweichung von der Regel. Barmherzigkeit ist das orbitale und menschliche Echo, das die Welt hin und wieder nachjustiert, die geringfügige Abweichung, die die Regel außer Kraft setzt, die Umlaufbahn eines Asteroiden, … der Weg, den die Vorsehung einschlägt, wenn der Mechanismus blockiert“ (Seiten 373-374)
Mittels der Sprache tauchen wir tief ein in Girifalco, leben, lieben und leiden mit den Bewohnern mit, gehen abends in den Zirkus betreten mit den Einwohnern ihre Häuser, lernen sie schätzen, lieben, manchmal auch ablehnen. Aber keiner von ihnen ist so abgrundtief schlecht, als dass sie nicht auch das Wunder der Barmherzigkeit streift und sie sich läutern.
Und so nehmen uns die einzelnen Schicksale der Bewohner Girifalcos gefangen, berühren unsere Herzen, um uns erneut dann in unsere eigene vertraute Welt zurück zu entlassen. Girifalco ist uns nicht fremd. Es ist überall. Wir müssen es nur entdecken.

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Veröffentlicht am 02.03.2021

Topf und Deckel

Heimweh nach uns
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So bezeichnen sich Lena und Malte. Sie passen wunderbar zusammen, sind seit vielen Jahren ein Paar, haben mittlerweile zwei Kinder, alles könnte gut sein. Aber der stressige Alltag hat sie beide gefangen. ...

So bezeichnen sich Lena und Malte. Sie passen wunderbar zusammen, sind seit vielen Jahren ein Paar, haben mittlerweile zwei Kinder, alles könnte gut sein. Aber der stressige Alltag hat sie beide gefangen. Zwischen aufreibenden Jobs, Terminen der Kinder, Haushalt, Planung für einen Hauskauf, fühlt sich Lena immer mehr aufgerieben. Das kennen wir wohl alle. Dieses Gefühl nicht zu genügen, im Job und als Mutter zu versagen, den Ehemann zu vernachlässigen aber auch sich selbst. Burnout, Rückenschmerzen, Anblaffen der Kinder und Malte sind die Folgen. Lena beschließt auf langem Zureden ihrer Schwester endlich einen Yoga Kurs zu beginnen. Bei Reik und auf seinem Bauernhof kommt Lena endlich zum Aus- und Entspannen, findet sie langsam zu sich selbst.
Natürlich muss sich der angestaute Frust, all die ungesagten Wörter zwischen den Eheleuten entladen, es kommt zu einer temporären Trennung. Malte hatte diese Trennung gewollt, er beendet sie auch, in einer ganz und gar romantischen Art, die uns Mädels dahinschmelzen lässt.
Bemerkenswert fand ich, dass sich beide sehr bemühen und eigentlich am gleichen Strang ziehen, was Kinder, Haus und Arbeit anbelangt. Dass Lena erst so spät in die Krise gerät, liegt mit Sicherheit auch an Malte, der mit allen Mitteln versucht sie zu unterstützen.
Das Buch ist aus Lenas Sicht geschrieben, wir können uns vielleicht auch deswegen so gut in sie hineinversetzen.
Das Titelbild ist zum Hineinträumen schön! Das satte Nachtblau und die Landschaft sind so richtig stimmig.

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