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Veröffentlicht am 25.09.2021

„Erinnern, das ist vielleicht die qualvollste Art des Vergessens und vielleicht die freundlichste Art der Linderung dieser Qual.“ (Erich Fried)

Die Alster-Schule - Jahre des Widerstands
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1938-1947. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs läutet eine düstere Zeit in Hamburg ein, die bei vielen Ungläubigkeit und Entsetzen hervorruft, während andere sich dem braunen Filz der Nazis und ihren Parolen ...

1938-1947. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs läutet eine düstere Zeit in Hamburg ein, die bei vielen Ungläubigkeit und Entsetzen hervorruft, während andere sich dem braunen Filz der Nazis und ihren Parolen nur zu bereitwillig anschließen. Felicitas Marquardt bangt um ihren Freund Levi Cohn, der aufgrund von Denunziation von der Gestapo verhaftet wurde. Während Levi durch die grausamen Mühlen der Nazis gehen muss, reiten Anneliese und Emil regelrecht auf der Welle des herrschenden Regimes, was eine Distanz zu ihrer Beziehung zu Felicitas schafft. Diese versucht erfolglos alles menschenmögliche, um Levi zu helfen und hält dabei an ihren Idealen und Wertvorstellungen fest, an die sie glaubt, denn die Ideologie der Nazis ist ihr zuwider. Ein Flugblatt der Weißen Rose aus München, das ihr zufällig in die Hände fällt, bestärkt sie darin, sich dem Widerstand anzuschließen…
Julia Kröhn hat mit „Jahre des Widerstands“ den zweiten Band ihrer historischen „Alster-Schule“-Dilogie vorgelegt, der nahtlos an den ersten Teil anschließt und über eine Spanne von 9 Jahren die schrecklichen Kriegsjahre in Hamburg wieder lebendig werden lässt. Der flüssige, bildgewaltige und berührende Erzählstil bringt den Leser schnell zurück in die Vergangenheit, wo er sich erneut an der Seite von Felicitas wiederfindet und mit ihr die düsterste Zeit der deutschen Geschichte hautnah miterlebt. Die Autorin überzeugt nicht nur durch akribische historische Recherche, sondern vermittelt gleichzeitig mit den Bombenhageln auf Hamburg die damaligen Zustände so bildhaft, dass der Leser während der Lektüre die Handlung vor dem inneren Auge regelrecht vorbeiziehen sieht und ihn dabei durch eine Achterbahn der Gefühle jagt. Anhand der Beziehung zwischen Anneliese, Emil und Felicitas wird deutlich, wie unterschiedlich die Menschen auf das damalige Regime reagierten. Während Anneliese und Emil von der braunen Ideologie völlig vereinnahmt werden und erst sehr spät der Realität ins Auge blicken, ist Felicitas von Beginn an angewidert, weshalb sie auch den dringenden Wunsch verspürt, etwas dagegen zu unternehmen. Vor allem auch Levis Schicksal in Buchenwald ist allzeit präsent und geht einem ans Herz. Gerade die Beschreibungen der Gefühls- und Gedankenwelt ihrer Protagonisten sind der Autorin wunderbar gelungen und lassen den Leser das Buch kaum aus der Hand legen, so sehr berührt ihn die Fassungslosigkeit und Ohnmacht, während ihn gleichzeitig die Nazianhänger und deren Tun zutiefst anwidern. Neben Mut gehört auch das Wissen um die Gefahr, sich in den Widerstand zu begeben, und auch heute noch verdienen diejenigen den größten Respekt, die diesen Weg gegangen sind, um sich dieser menschenverachtenden Ideologie entgegen zu stellen.
Liebevoll und tiefgründig ausgearbeitete Charaktere können mit ihren individuellen Ecken und Kanten von Beginn an überzeugen und lassen den Leser in sie hineinschauen. Felicitas macht zwar gute Miene zum bösen Spiel, aber innerlich ist sie sich selbst treu geblieben. Mutig und sich der Gefahr bewusst wagt sie den Schritt in den Widerstand. Anneliese ist lange Zeit geblendet von den Nazis, doch auch ihr geht irgendwann ein Licht auf. Levi muss durch ein Tal aus Leid und Schmerz, nur weil er der falschen Religion angehört. Emil ist fast zu einem armen Würstchen verkommen, während Paul durch sein Engagement beeindruckt.
„Jahre des Widerstands“ ist ein gelungener und fesselnder Abschluss der Alster-Schule-Dilogie. Er überzeugt neben einer hervorragenden Recherche vor allem mit ausdrucksstarken Charakteren und einer berührenden Geschichte, die dem Leser unter die Haut geht und noch lange nachhallt, nachdem die letzte Seite gelesen ist. Absolute Leseempfehlung für eine großartige Lektüre, die einen nicht loslässt! Chapeau!!!

Veröffentlicht am 25.09.2021

"Das Wunder ist des Augenblicks Geschöpf. "(Johann Wolfgang von Goethe)

Weihnachten auf der Archer Ranch
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24. Dezember 1893, Palestine/Texas. Die vier Archer-Brüder finden sich mitsamt ihren Familien wieder einmal auf der Archer-Ranch ein, um das Weihnachtsfest gemeinsam zu feiern. Jim und Cassie allerdings ...

24. Dezember 1893, Palestine/Texas. Die vier Archer-Brüder finden sich mitsamt ihren Familien wieder einmal auf der Archer-Ranch ein, um das Weihnachtsfest gemeinsam zu feiern. Jim und Cassie allerdings bereitet diese eigentlich festliche Jahreszeit immer eine schmerzliche und melancholische Stimmung, denn sie haben an diesem Tag ihren einzigen Sohn vor 3 Jahren kurz nach der Geburt verloren und diesen Schmerz bis heute nicht verwunden. Ablenkung erfährt Cassie nach ihrer Ankunft durch ihre Nichten, die sie für das als Überraschung geplante Krippenspiel einspannen und mit denen sie sich für Proben ins Schulhaus begibt. Dort schon bald ist Cassie Teil einer gefährlichen Situation, aus der ihr nur die gesamte Familie heraushelfen kann…
Karen Witemeyer gönnt ihren Lesern mit „Weihnachten auf der Archer Ranch“ wieder einen historischen Kurzbesuch bei der liebenswerten Großfamilie, die sich schon durch die Vorgängerromane ins Leserherz gestohlen haben und wieder einmal für eine erholsame kleine Auszeit sowie spannende Lesemomente sorgen werden. Der flüssige, farbenfrohe und anrührende Erzählstil lässt den Leser schnell auf der Ranch einziehen, wo er sich unter die Familienmitglieder mischt und die laut lärmende Schar beobachten darf, die voller Vorfreude auf das Weihnachtsfest ist. Dabei fallen Cassie und ihr Mann Jim natürlich auf, die etwas verhaltener und weniger enthusiastisch sind, haben sie doch immer noch an einem herben Verlust zu knabbern. Witemeyer transportiert die Gefühle ihrer Protagonisten so gekonnt, dass der Leser diese selbst zu spüren glaubt. Doch bei all ihrem Schmerz sind sie liebevolle Menschen, deren Gegenwart anderen nicht nur Freude bereitet, sondern die sogar ein großes Herz für hilfsbedürftige Fremde haben und kein Risiko scheuen, diese zu unterstützen. Die Handlung spiegelt nicht nur den christlichen Gedanken, gerade zum Weihnachtsfest, wieder, sondern die Autorin verbindet auf wenigen Seiten neben dem Gefühl von Wohlgefühl, Familiensinn, Zusammenhalt und Nächstenliebe auch eine spannende Krimieinlage, die den Leser zu fesseln weiß.
Liebevoll ausgestaltete Charaktere wurden lebendig in Szene gesetzt und mit glaubhaften menschlichen Eigenschaften und Werten ausgestattet, die sie dem Leser sofort ans Herz wachsen lassen. Cassie ist eine warmherzige und starke Frau, die einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften hat, der sie ein Leben lang nicht loslassen wird. Trotzdem wirkt sie voller Hoffnung und Vertrauen. Auch Jim trauert noch immer, doch die Liebe zu seiner Frau ist stark wie nie zuvor. Er würde alles für sie tun. Aber auch die restliche Archer-Familie hält fest zusammen, unterstützt sich gegenseitig und ist immer füreinander da – einer für alle, alle für einen.
„Weihnachten auf der Archer Ranch“ ist ein wunderschöner und berührender Kurzroman, der nicht nur hervorragend die Bedeutung von Weihnachten wiederspiegelt, sondern den Leser daran erinnert, das Herz für ein Wunder immer weit geöffnet zu halten. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 25.09.2021

Spannender Auftakt mit kleinen Schwächen

Flut
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Finn Walker ist Special Agent der Küstenwache und ist mit Noah Rowley auf die Aufklärung der Morde an seinen Kollegen Will und Sam angesetzt. Was ihm dabei so gar nicht in den Kram passt, ist die Tatsache, ...

Finn Walker ist Special Agent der Küstenwache und ist mit Noah Rowley auf die Aufklärung der Morde an seinen Kollegen Will und Sam angesetzt. Was ihm dabei so gar nicht in den Kram passt, ist die Tatsache, dass er den Babysitter für die Noahs Schwester, die Journalistin Gabby spielen muss, die durch eine veröffentlichte Story in Schwierigkeiten geraten ist und mit der ihn eine alte Liaison verbindet. Als Gabby spitz kriegt, welchen Fall Finn gerade bearbeiten muss, kann sie natürlich nicht wiederstehen, sich einzumischen. Die Story ist zu verlockend, um sie sich entgehen zu lassen. Leider bringt sie mit ihren ständigen eigenmächtigen Ermittlungen nicht nur sich, sondern auch andere in große Gefahr. Darauf scheint der Drogenboss Xavier Fuentes nur zu warten…
Dani Pettrey hat mit „Flut“ den Auftakt ihrer neuen Küstenwachen-Ermittlerserie vorgelegt, der dem Leser von Beginn an ein rasantes Tempo vorgibt. Der flüssig-leichte und packende Erzählstil der Autorin raubt dem Leser schon von Beginn an den Atem, denn er wird sofort in die Handlung hineingesogen und erlebt alles hautnah mit. Wechselnde Perspektiven und kurze Kapitel puschen die Spannung immer weiter in die Höhe, stellen den Leser aber auch vor die Herausforderung, sich schnell mit den einzelnen Protagonisten und ihrer Position vertraut zu machen, um der Geschichte folgen zu können. Gut und Böse wechseln sich ab, sind oftmals nicht genau zuzuordnen, sodass der Ausgang der Handlung bis zum Ende nicht vorhersehbar und für den Leser in einer Überraschung endet. So folgt der Leser in dem brisanten Fall nicht nur Finn bei seinen Ermittlungen, sondern heftet sich auch an Gabbys Fersen, die ihren eigenen Kopf hat und nichts aus den Schwierigkeiten ihrer letzten Enthüllungsstory gelernt hat, sondern unbedingt die nächste Geschichte aufdecken will, koste es, was es wolle. Finn steckt in einem echten Dilemma, denn er muss seine Konzentration aufteilen, einerseits, um seine Arbeit professionell zu erledigen, die Täter aufzuspüren und dingfest zu machen, andererseits muss er den Bodyguard für Gabby spielen, die sich mit einem Artikel in den Fokus gefährlicher Leute gerückt hat. Diesmal wird der Leser regelrecht durch die Handlung gehetzt, die mit parallel laufenden Fällen einiges an Kombinationsgabe erfordert und zum Miträtseln animiert. Die eingewebte Liebesgeschichte ist diesmal nicht so überzeugend, da die dazugehörigen Charaktere irgendwie nicht so gut zusammenzupassen scheinen. Dafür ist der christliche Gedanke in dieser Geschichte immer präsent, wenn auch nicht aufdringlich eingearbeitet.
Die Charaktere sind differenziert und vielschichtig ausgestaltet, der Leser hat die Qual der Wahl, sie alle im Auge zu behalten und herauszufinden, wer gut und wer böse ist. Finn ist ein pragmatischer, verlässlicher und durchtrainierter Zeitgenosse einer guten Kombinationsgabe. Gabby ist mutig, abenteuerlustig, stur und sucht den Nervenkitzel, wobei sie außeracht lässt, dass sie andere ebenso in Gefahr bringt. Noah ist ein Familienmensch, der seine Lieben vor allem beschützen will. Aber auch Rissi, Mark, Kenzie, Paul und Xavier tragen zur Spannung in diesem Roman bei.
„Flut“ ist ein rasanter Mix aus Krimi und Liebesgeschichte, der den Leser in Atem hält und am Ende noch mit einer Überraschung aufwartet. Spannende Geschichte, die qualitativ allerdings nicht ganz an ihre vorherigen Werke heranreicht. Da geht noch was. Verdiente Empfehlung!

Veröffentlicht am 22.09.2021

Die Zeit ist reif, das Leben spielt jetzt…

Für Glück ist es nie zu spät
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Mit Anfang 50 findet sich Johanna auf der Beerdigung ihres verstorbenen Ehemannes René wieder, mit dem sie sich schon seit Jahren nichts mehr zu sagen hat und sich in einer unglücklichen Ehe gefangen fühlte. ...

Mit Anfang 50 findet sich Johanna auf der Beerdigung ihres verstorbenen Ehemannes René wieder, mit dem sie sich schon seit Jahren nichts mehr zu sagen hat und sich in einer unglücklichen Ehe gefangen fühlte. Nun ist sie frei und weiß doch nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Nach der Beisetzung findet sie bei der Durchsicht der Trauerpost einen lieben Brief ihrer alten Freundin Ines, dem ein Notizbuch beigelegt ist. Ines, zu der der Kontakt schon lange eingeschlafen ist, bringt Johanna mit ihrem gut gewählten Geschenk auf eine Idee. So beginnt sie, ihre Gedanken, Gefühle und Träume in dem Büchlein festzuhalten, wobei sie nicht nur ein Lebensresümee zieht, sondern auch Zukunftspläne verfasst, die sie schon bald in die Tat umsetzt. Dabei läuft ihr auch ihre alte Affäre Henry über den Weg…
Heike Abidi hat mit „Für Glück ist es nie zu spät“ einen wunderschönen und lebensnahen Roman vorgelegt, der den Leser nicht nur in Johannas Welt eintauchen lässt, sondern mit seiner Tiefgründigkeit auch zum Nachdenken anregt. Der flüssig-leichte, warmherzige und gefühlvolle Erzählstil bringt den Leser an Johannas Seite, wo er mit ihr gemeinsam die Beerdigung durchsteht, um sich danach umso tiefer anhand ihrer Aufzeichnungen ihrer Gedanken- und Gefühlslage zu widmen. Dabei lässt die Autorin ihre Protagonistin nicht nur ein neues Tagebuch schreiben, sondern auch in ihren alten Büchern stöbern, wobei man so einiges aus Johannas Vergangenheit, ihren Lebensträumen und –vorstellungen erfährt. Es ist fast so, als wenn man zwei verschiedene Personen vor sich hat. Zum einen eine junge Frau mit viel Elan und Lebensfreude, zum anderen die 50-jährige, die alles in einer Kammer tief verschlossen und sich in den vergangenen Jahrzehnten irgendwann verloren hat. Die Zeit allein mit sich macht ihr immer mehr klar, dass sie die Ärmel hochkrempeln und ihr Leben auf Neustart bringen muss. So kommt langsam der Elan zurück, alles Alte und Unbequeme wird abgestreift, um Dingen Platz zu machen, die Freude bringen. Auch die Begegnung mit ihrer alten Affäre Henry bringt Farbe in ihr Leben, lässt sie Dinge tun, auf deren Idee sie allein nicht gekommen wäre. Und neue Bekanntschaften sowie vor allem ihre alte Freundin Ines bringen zusätzlichen frischen Wind in Johannas Leben, das sich immer leichter anzufühlen scheint. Abidi hat die Verwandlung von Johanna wunderbar realistisch und mit viel Empathie geformt, so dass der Leser regelrecht an den Seiten klebt und sich selbst in vielen Dingen auch wiederfindet.
Die Charaktere sind liebevoll ausgeformt und lebendig in Szene gesetzt, überzeugen mit Authentizität und Glaubwürdigkeit. Der Leser wird von Beginn an mit in die Geschichte hineingenommen, wo er über Johannas Schulter schauen darf. Johanna ist eine sympathische Frau, die sich im Verlauf der letzten 30 Jahre selbst verloren hat. Früher fröhlich und voller Tatendrang erkennt sie nun, dass sie nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Es ist sowohl befreiend als auch erfrischend, wie sie aufblüht, während sie in alten Tagebüchern schmökert, über ihr Leben resümiert und dann langsam anfängt, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Henry ist ein toller Kerl, der genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort erscheint. Freundin Ines ist eine liebevolle Seele mit weisen Ratschlägen. Aber auch Pauline, Maxi und weiter Protagonisten lassen diese Geschichte zu einem echten Seelenwärmer werden.
„Für Glück ist es nie zu spät“ ist eine wunderschöne Geschichte wie aus dem wahren Leben entsprungen. Aufmunternd, nah an der Realität, und vor allem mit viel Hoffnung, dass es nie zu spät ist, nochmal einen Neustart hinzulegen, wenn man sich ein Herz fasst. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.09.2021

"Die Hoffnung hilft uns leben." (Johann Wolfgang von Goethe)

Die vier Winde
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1934 Texas. Die 24-jährige Elsinore Wolcott, genannt Elsa, ist in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aufgewachsen, doch wurde sie als Familienmitglied nie wertgeschätzt, im Gegenteil, tagtäglich sah sie ...

1934 Texas. Die 24-jährige Elsinore Wolcott, genannt Elsa, ist in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie aufgewachsen, doch wurde sie als Familienmitglied nie wertgeschätzt, im Gegenteil, tagtäglich sah sie sich den Beleidigungen und Beschimpfungen ihrer Eltern ausgesetzt und zu allem Übel wurde ihr suggeriert, dass sie kränklich sei. All dies führt dazu, dass sie kaum das Haus verlässt, sich in Bücherromanzen flüchtet und sich schon dem Schicksal als alte Jungfer ausgeliefert sieht. Doch dann trifft sie am Abend vor ihrem Geburtstag auf den 18-jährigen Italiener Raffaelo „Raf“ Martinello und mit ihm die Liebe. Schnell wird Elsa schwanger und muss erleben, wie ihre eigenen Eltern sie verstoßen und an ihre Schwiegereltern nach Texas abschieben. Elsa muss sich erst einmal zurechtfinden, scheut keine harte Arbeit und lebt sich schließlich in ihrer neuen Umgebung ein, die ihr endlich mit Zuneigung und Liebe begegnet, Gefühle, die sie bisher kaum erleben durfte. Doch Jahre voller Sandstürme und Dürreperioden bescheren ein hartes Leben, so dass Raf der Familie den Rücken kehrt. Auch Elsa entschließt sich irgendwann, mit ihren beiden Kindern Loreda und Anthony nach Kalifornien zu flüchten, die Naturkatastrophen und das Elend hinter sich zu lassen…
Kristin Hannah hat mit „Die vier Winde“ einen eindrucksvollen, tiefgründigen historischen Roman vorgelegt, der den Leser durch eine wahre Achterbahn der Gefühle jagt. Der flüssige, teilweise schon poetisch anmutende, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser gedanklich ins letzte Jahrhundert reisen, um während des Zeitrahmens von 1921 bis 1936 das Schicksal von Elsa genau kennenzulernen. Schon die Behandlung, die Elsa durch ihre eigenen Eltern erfährt, grenzt an Misshandlung und lässt den Leser großes Mitgefühl für die junge Frau empfinden. Es ist unbegreiflich, wie abwertend und gefühlskalt Vater wie Mutter mit Elsa umspringen, ihr sämtliche Makel suggerieren und sie dadurch praktisch ans Haus fesseln für ihre in Hintergedanken geformten eigenen Zwecke. Elsas Ausbruch aus diesem Gefängnis war längst überfällig, auch wenn sie sich an den falschen Mann hängt, der sie schon bald fallen lässt. Doch dessen Familie nimmt sie auf, dort kann sie sich beweisen und erfährt zum ersten Mal, was es heißt, geliebt zu werden. Die gewaltige Natur allerdings sorgt dafür, dass sie jahrelang ums nackte Überleben kämpfen. Auf Dauer war diese Qual für viele Menschen nicht mehr durchzuhalten, die sich nach Normalität sehnten und sich gerade deshalb nach Kalifornien flüchteten. Aber auch dort sind sie vom Regen in die Traufe gekommen, wurden ausgebeutet oder fanden überhaupt kein Auskommen. Hannah beschreibt all dies sehr düster, doch gleichzeitig auch so atmosphärisch und bildhaft, dass man als Leser zum Teil der Geschichte wird und praktisch als Elsas Schatten fungiert.
Die Charaktere sind sehr detailliert gezeichnet und in Szene gesetzt, sie wirken glaubwürdig und authentisch. Der Leser folgt ihnen gern und nimmt regen Anteil an ihrem Schicksal. Zu Beginn ist Elsa eine zurückhaltende und schüchterne Frau, die sich kaum aus dem Haus traut. Doch im Verlauf der Geschichte wird sie mutig, gewinnt immer mehr an Stärke und Selbstbewusstsein und kämpft wie eine Löwin für ihre Familie. Ihre eigenen Eltern sind an Lieblosigkeit fast nicht zu überbieten. Raf ist ein Traumtänzer und wenig verlässlich. Loreda ist eine kleine Rebellin, was vor allem ihre Mutter Elsa zu spüren bekommt.
„Die vier Winde“ ist ein tiefgründiges Buch gespickt mit amerikanischer Historie, Familiengeschichten und –dramen sowie Protagonisten, die einem ans Herz wachsen. Ein Roman mit sehr aktuellen Themen, über harte Zeiten, neue Chancen und die Hoffnung, dass sich alles doch noch zum Guten wendet. Sehr empfehlenswert.