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Veröffentlicht am 27.03.2021

„Nun, meine Seele, heißt es Abschied nehmen." (René Descartes)

Eine Sehnsucht nach morgen
2

1968. Bärbel, inzwischen studierte Ärztin, kehrt ihrem Job aufgrund einer beendeten Liaison mit einem Kollegen am Hamburger Klinikum kurzfristig den Rücken und zieht in ihre Heimatstadt Essen zurück in ...

1968. Bärbel, inzwischen studierte Ärztin, kehrt ihrem Job aufgrund einer beendeten Liaison mit einem Kollegen am Hamburger Klinikum kurzfristig den Rücken und zieht in ihre Heimatstadt Essen zurück in das Haus ihrer Familie. Dort kann sie der Begegnung mit ihrer Jugendliebe Klaus nicht lange aus dem Weg gehen, der mit seiner Frau und seiner Tochter Sabine im benachbarten Elternhaus wohnt. Schon bald merken Bärbel und Klaus, dass da immer noch was zwischen ihnen ist. Während Inge und Johannes sich auf ihren ersten Nachwuchs freuen, schmeißt Tante Clärchen den Haushalt. Karl unterstützt sie dabei und bald entdecken die beiden den zweiten Frühling. Jakob, inzwischen ein Teenager, erlebt ebenfalls die erste Liebe und engagiert sich politisch aktiv. Einige seiner Aktionen bringen ihn und damit die Familie in die Bredouille. Und dann taucht auch noch Inges leiblicher Vater auf der Bildfläche auf…
Eva Völler hat mit „Eine Sehnsucht nach morgen“ den Abschlussband ihrer Ruhrpott-Trilogie vorgelegt, mit dem sie den Leser in die späten 60er Jahre schickt, wo er sich zwischen Prilblumen, Quellekäufen, Arbeitskampf und Hippiezeit wiederfindet. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil gemixt mit etwas Lokalkolorit katapultiert den Leser schnell wieder in den Haushalt der Familie, wo er es sich gemütlich macht und nicht nur die bereits liebgewonnenen Protagonisten bei ihrem alltäglichen Treiben beobachtet, sondern auch regen Anteil an ihrer Gedanken- und Gefühlswelt nimmt. Die Autorin schildert sehr authentisch das Leben innerhalb einer Familie zur damaligen Zeit, die mal mit schmerzhaften Ereignissen oder aber auch mit zwischenmenschlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Besonders herausstechend dabei ist der Familienzusammenhalt, denn die einzelnen bilden nicht nur eine Gemeinschaft, sie leben sie auch und helfen sich gegenseitig bei allen Dingen und Dramen, die anfallen. Dabei gelingt es ihr hervorragend, den zeitgemäßen gesellschaftlichen und politischen Hintergrund mit ihrer Handlung zu verknüpfen. So tauchen die Arbeitskämpfe der Zechenmitarbeiter oder der Tod von Rudi Dutschke in der Geschichte auf, aber auch die Rolle der Frau wird thematisiert. Bärbel, die als Ärztin an einer Klinik arbeitet, muss sich von ihren männlichen Kollegen so manche Maßregelung gefallen lassen, die in heutiger Zeit einfach nur als unverschämt bezeichnet würde.
Liebevoll ausstaffierte lebendige Charaktere überzeugen den Leser mit ihrer Glaubwürdigkeit und binden ihn schnell so fest an sich, dass er sich als Teil von ihnen fühlt, mit ihnen hofft, bangt und fiebert. Bärbel ist eine verantwortungsvolle Ärztin, sie liebt ihren Beruf, aber auch das Singen hat einen Platz in ihrem Leben. Tante Clärchen bereitet allen ein heimeliges Nest und kümmert sich um das leibliche Wohl, insgeheim sehnt sie sich noch einmal nach einem Liebesglück. Inge und Johannes halten die Familie zusammen, haben immer ein offenes Ohr für jeden und einen großen Wunsch. Klaus ist ein herzensguter Mann, viel zu gutmütig für diese Welt, denn er gibt bereitwillig und wird doch oftmals enttäuscht. Jakob ist ein intelligenter Junge, der plötzlich seine Hormone zu spüren bekommt. Aber auch Karl, Annette, Biene und weitere Protagonisten steigern mit ihren Einsätzen den Unterhaltungswert.
Mit „Eine Sehnsucht nach morgen“ heißt es leider Abschiednehmen vom Ruhrpott und den liebegewonnenen Protagonisten. Noch einmal wird die jüngste deutsche Vergangenheit lebendig, während Familienleben, kleine Dramen, Geheimnisse und Schicksalsschläge sowie die Liebe ihren Auftritt haben. Eine nostalgische Reise in die späten 60er mit viel Flair, die einen wehmütig zurücklässt. Wundervoll erzählt – verdiente Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
  • Handlung
  • Charaktere
  • Erzählstil
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 02.02.2020

Philadelphias "Ground Zero"

Long Bright River
2

Die 33-jährige Streifenpolizistin Mickey Fitzpatrick ist alleinerziehend und hat ihren Arbeitsbereich im Stadtteil Kensington in Philadelphia. Seit 5 Jahren hat sie keinerlei Kontakt mehr zu ihrer jüngeren ...

Die 33-jährige Streifenpolizistin Mickey Fitzpatrick ist alleinerziehend und hat ihren Arbeitsbereich im Stadtteil Kensington in Philadelphia. Seit 5 Jahren hat sie keinerlei Kontakt mehr zu ihrer jüngeren Schwester Kacey, und während sie mit ihrem Polizeiwagen durch die Straßen streift, sucht sie in den Passanten auch immer wieder nach ihr, weil sie sich Sorgen um sie macht. Kacey hat Drogenprobleme, ist dem Tod durch eine Überdosis schon mehr als einmal von der Schippe gesprungen und bietet als Prostituierte ihren Körper für den nächsten Schuss an. Als ein Serienkiller in Kensington sein Unwesen treibt und dafür drogenabhängige Prostituierte in sein Visier nimmt, macht sich Mickey daran, nicht nur dem Mörder auf die Spur zu kommen, sondern dabei auch endlich ihre wie vom Erdboden verschluckte Schwester wiederzufinden…
Liz Moore hat mit „Long Bright River” einen durchweg fesselnden und spannenden Roman vorgelegt, der neben Krimielementen auch eine Familiengeschichte beinhaltet, die den Leser sofort anspricht. Der Erzählstil ist bildhaft, flüssig und packend, so dass der Leser schon mit wenigen Zeilen von der Handlung angefixt ist und zwischen den Seiten abtaucht, um mehr über das Schicksal der beiden ungleichen Schwestern zu erfahren. Durch die wechselnden zeitlichen Perspektiven zwischen damals und heute erfährt der Leser von der Ich-Erzählerin Mickey nach für nach über deren Kindheit und wie es zu dem Zerwürfnis zwischen den Schwestern gekommen ist. Gleichzeitig lässt die Autorin den Leser einen Streifzug durch Philadelphia und insbesondere im abgehalfterten Stadtteil Kensington unternehmen, sich unter die Drogensüchtigen mischen und den Dealern bei der Arbeit zusehen. Kensington gilt als der größte Drogenmarkt im Osten der USA und wird auch „Ground Zero“ oder „El Campamento“ genannt, wer einmal dort war, wird diesen Anblick nie mehr vergessen. Da stapeln sich knöchelhoch die Einwegspritzen auf dem Boden und ein Blick in die Gesichter der Menschen lässt den Puls hochgehen, so resigniert und abgestumpft schauen sie durch einen hindurch. Sehr authentisch wird das Suchtproblem beschrieben und hinterlässt beim Leser nicht nur Gänsehaut, sondern auch Mitgefühl. Mit überraschenden Wendungen hält die Autorin den Leser mit psychologischem Geschick in Atem, während er durch eine Achterbahn der Gefühle watet.
Die Charaktere sind sehr lebendig und glaubwürdig ausgearbeitet, sie besitzen Authentizität und gerade deshalb fällt es dem Leser leicht, ihrer Geschichte zu folgen und sich ihnen verbunden zu fühlen, denn ihr Schicksal findet überall auf der Erde ähnlich statt. Mickey ist eine zuverlässige, fürsorgliche und verschlossene Frau, als Polizistin muss sie knallhart sein, um in dem ihr zugewiesenen Viertel zu überleben. Sie lässt die Dinge nicht zu nahe an sich herankommen, die Sorge über ihre Schwester allerdings bringt sie zur Verzweiflung und lässt sie manchmal die Vorsicht vergessen. Kacey ist das Gegenteil ihrer Schwester, aufgeschlossen, neugierig, experimentierfreudig und vor allem risikofreudig, was sie in eine Abhängigkeit drängte, der sie nicht mehr ohne Hilfe entfliehen kann. Eddie Lafferty ist Mickeys neuer Partner und ein herzloses Ekel, so dass die Partnerschaft nicht lange dauert. Ebenso überzeugen die weiteren Protagonisten mit ihren Auftritten und lassen die Handlung rundum gelungen wirken.
„Long Bright River” ist ein tiefgründiger und facettenreicher Roman über Abhängigkeiten, das Leben am Rande der Gesellschaft, Familientragödien und ein schwieriges Schwesternverhältnis. Obwohl eher ruhig erzählt, wühlt die Geschichte auf und geht dem Leser auch dann lange nicht aus dem Sinn, wenn die letzte Seite gelesen ist. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.02.2023

Ohne Schatten gibt es kein Licht, man muss auch die Nacht kennen lernen. (Albert Camus)

Blankenese - Zwei Familien
1

1919 Hamburg. Der Halbjude John Casparius steht vor den Scherben seines Lebens, denn nicht nur der Krieg hat seine grausamen Spuren bei ihm hinterlassen, auch die gelöste Verlobung sowie die fast ruinierte ...

1919 Hamburg. Der Halbjude John Casparius steht vor den Scherben seines Lebens, denn nicht nur der Krieg hat seine grausamen Spuren bei ihm hinterlassen, auch die gelöste Verlobung sowie die fast ruinierte Reederei seiner Familie. Als er eines Morgens an der Elbe jedoch der jungen Sattlerin Leni Hansen begegnet, schöpft er neuen Lebensmut. Obwohl die beiden aus völlig unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammen, steht schon bald die Hochzeit ins Haus, was vor allem Johns wohlhabender Familie ein Dorn im Auge ist. Doch Leni setzt sich mit ihrer freundlichen Art alsbald im Casparius-Haushalt durch. Das glückliche Eheleben erhält bald einen Dämpfer, als John Kenntnis von den Vorwürfen der Hansen-Familie erhält, die seine Familie für den Tod von Lenis Vater geben und sich um Lenis Liebe betrogen fühlt. Er verlässt die eheliche Wohnung und lässt Leni allein bei seiner Familie zurück, um sich einzig auf das Geschäftliche zu konzentrieren. Kann diese junge Ehe noch gerettet werden?
Michaela Grünig hat mit „Licht und Schatten“ den Auftakt ihrer Blankenese-Saga vorgelegt, der nicht nur mit einem sehr gut recherchiertem historischen Hintergrund glänzt, sondern auch mit einem Mix aus dramatischen Familiengeschichten und Liebe unterhält. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser ins Hamburg des vergangenen Jahrhunderts reisen, um dort über einen Zeitraum von 20 Jahren die Geschehnisse um die Familien Casparius und Hansen hautnah mitzuerleben. Über wechselnde Perspektiven steht der Leser mal an der Seite von Leni, mal an der ihrer Mutter Irma und mal an der von John, wo er deren Gedanken- und Gefühlswelt gut erkunden kann und jeden von ihnen näher kennenlernt. Lenis Vater Gustav kam als Kapitän bei einem Schiffsunglück ums Leben, worunter die Familie Hansen immer noch leidet und die Reederei Casparius verantwortlich macht. Ausgerechnet Tochter Leni und Casparius-Erbe John verlieben sich ineinander, da sind Schwierigkeiten praktisch vorprogrammiert. Während die Jungvermählten ihre Probleme miteinander haben, verwebt die Autorin den historischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung. So bekommen die Nazis immer mehr Zulauf, deren rassistische Ideologien und Judenfeindlichkeit auch vor den Familien der Protagonisten nicht Halt macht. Vor allem aber ist es Grünig hervorragend gelungen, die Diskrepanz der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und ihren Standesdünkel aufzuzeigen. Gleichzeitig zeichnet sie mit Irmi Hansen das Bild einer hart arbeitenden Frau, die ihre Familie in Zeiten von großer Armut mit ihrem Lokal irgendwie durchbringen muss. Der Spannungsbogen wurde gemächlich angelegt, steigert sich aber immer mehr in die Höhe, so dass der Leser sich kaum von den Seiten trennen kann.
Die Charaktere sind liebevoll mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet und erlauben dem Leser, sich an ihre Fersen zu heften. Leni ist eine liebenswürdige junge Frau, die sich durchaus zu behaupten und andere für sich einzunehmen weiß. John ist ein sturer, bockiger Kerl, der lieber an Gerede glaubt, als sich selbst ein Bild zu machen, was ihm nicht gerade die Sympathien zufliegen lässt. Lenis Mutter Irma ist eine starke, mutige Frau, die hart arbeitet und sich trotz einiger Schicksalsschläge nicht unterkriegen lässt. Johns Schwester Felicitas wird Leni eine echte Freundin, auf die sie sich verlassen kann.
„Licht und Schatten“ unterhält mit einem gelungenen Mix aus Familiengeschichten, Geheimnisse, Liebe und einiges an Dramatik. Der historische Hintergrund ist exzellent recherchiert und lässt die Zeit nach dem 1. Weltkrieg in Hamburg wieder lebendig werden. Verdiente Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 08.01.2023

Alles, was man für einen guten Krimi braucht, ist ein guter Anfang. (Georges Simenon)

Rückkehr nach Tanner Hollow
1

Kallie Ainsworth hat ihren Heimatort Tanner Hollow seit sechs Jahren gemieden wie die Pest. Nun ist ihr Stiefvater Rick tot und einer Rückkehr steht nichts mehr im Wege, da ihre Mutter sie jetzt braucht. ...

Kallie Ainsworth hat ihren Heimatort Tanner Hollow seit sechs Jahren gemieden wie die Pest. Nun ist ihr Stiefvater Rick tot und einer Rückkehr steht nichts mehr im Wege, da ihre Mutter sie jetzt braucht. Doch bereits auf dem Weg dorthin scheint es jemand auf Kallie abgesehen zu haben und attackiert sie mit seinem Auto. Kallie kann sich gerade noch retten und ihr altes Elternhaus erreichen. Als Kallie den Anschlag auf sich bei der Polizei meldet, ist es ausgerechnet Detective Nolan Tanner, der sich um den Fall kümmern wird. Er war vor Kallies überstürztem Weggang ihre große Liebe. Ob es Nolan und Kallie gelingen wird, den unsichtbaren Angreifer zu entlarven, der ihr nach dem Leben trachtet?
Lynette Eason hat mit „Rückkehr nach Tanner Hollow“ den Auftaktband ihrer Tanner Hollow-Serie vorgelegt, der sich nicht nur als spannender Pageturner entpuppt, sondern auch mit einiger Romantik punkten kann. Der flüssige, bildhafte und fesselnde Erzählstil treibt schon gleich zu Beginn der Lektüre den Adrenalinspiegel des Lesers in die Höhe und lässt diesen bis zum Finale kaum abfallen. Kallies Rückkehr in ihren Heimatort nach so langer Zeit scheint einigen Menschen ein Dorn im Auge zu sein. Informationen über Charaktere und die üblichen Verdächtigen werden dem Leser nach und nach präsentiert, so dass dieser sich an den Ermittlungen von Kallie und Nolan beteiligen kann, um das Rätsel gemeinsam mit ihnen zu lösen. Während der Handlung werden einige Familiengeheimnisse aufgedeckt, die die Spannung nicht nur erhöhen, sondern auch die Ermittlungsarbeit interessant gestalten. Gleichzeitig stehen sich Kallie und Nolan nach vielen Jahren endlich wieder gegenüber und müssen sich ihrer gemeinsamen Vergangenheit stellen, die so einige Gefühle in ihnen aufwallen lässt. Die Autorin versteht es sehr gut, nicht nur einen spannenden Kriminalfall zu präsentieren, der keine Wünsche offen lässt, sondern bindet auch noch eine authentische Romanze in ihre Handlung ein. Wenn man bedenkt, dass der Roman nur 144 Seiten stark ist, ist das schon eine ganz hervorragende Leistung.
Die Charaktere sind mit menschlichen Zügen versehen, wirken auf den Leser glaubhaft und authentisch, so dass es leicht fällt, sich an ihre Fersen zu heften und die Rätsel mit ihnen in Angriff zu nehmen. Kallie ist eine offene und sympathische Frau, die schon einige Schicksalsschläge hinter sich hat. Die Rückkehr in ihre Heimat ist für sie sowohl Freud als auch Leid, denn die alten Erinnerungen verfolgen sie noch immer. Nolan ist ein feiner Kerl, der nicht nur seinen Job sehr ernst nimmt.
„Rückkehr nach Tanner Hollow“ ist ein wunderbarer Pageturner und perfekter Mix von Spannung, alten Familiengeheimnissen und Romantik. Absolute Leseempfehlung für eine kurze (Ent-)Spannungsauszeit!

Veröffentlicht am 18.12.2022

As tears go by (Rolling Stones)

Der Salon
1

1963 München. Leni Landmann hat lange gebraucht, bis sie den Unfalltod ihres Bruders Hans einigermaßen verdaut hat, ebenso haben Mutter Käthe und Hans‘ Freundin Charlotte nebst Sohn Peter gelitten, die ...

1963 München. Leni Landmann hat lange gebraucht, bis sie den Unfalltod ihres Bruders Hans einigermaßen verdaut hat, ebenso haben Mutter Käthe und Hans‘ Freundin Charlotte nebst Sohn Peter gelitten, die nun alle unter einem Dach in Lenis Elternhaus in Hebertshausen zusammenleben. Als Käthe sich endgültig aus dem Berufsleben zurückziehen und Leni ihren Friseursalon übertragen will, ergreift Leni mit beiden Händen die von ihrem Chef Alexander Keller gebotene Chance, ein dreimonatiges Praktikum bei Vidal Sassoon in London zu absolvieren, um die Entscheidung ihrer Mutter hinauszuzögern. Während Leni sich auf den Weg ins aufregende London macht, erhält Charlotte durch eine Zufallsbegegnung mit Maria Bogner eine Anstellung beim Modehaus Bogner. Käthe kümmert sich ebenso liebevoll um ihren Enkel Peter wie Patenonkel Schorsch, so dass Charlotte den Rücken frei hat, um beruflich Karriere zu machen. Dabei lernt sie den charismatischen Fotografen Walter kennen. Leni lebt sich derweil in London immer mehr ein, findet Geschmack an dem dortigen Modestil und der immer populäreren Musik der Rolling Stones. Nach ihrer Rückkehr begegnet sie nicht nur einer alten Liebe, sondern muss auch weitreichende Entscheidungen für ihr künftiges Leben treffen…

Julia Fischer hat mit „Ein hoffnungsvoller Aufbruch“ den zweiten Teil ihrer Salon-Dilogie rund um ihre Hauptprotagonistin Leni Landmann vorgelegt, der an sowohl an Unterhaltungswert als auch mit wunderbar recherchiertem historischem Hintergrund den Leser von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß. Der farbenfrohe, flüssige und gefühlvolle Erzählstil entführt den Leser in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, wo er über wechselnde Perspektiven auf Leni Landmann, Käthe, Charlotte und Schorsch trifft und die Entwicklungen in ihrem Leben hautnah miterlebt. Der damalige Zeitgeist sowohl gesellschaftlicher als auch politischer Art wurde von der Autorin wunderbar eingefangen und mit ihrer Geschichte verwebt. So erlebt der Leser nicht nur Lenis Praktikumszeit beim Starfigaro Vidal Sassoon in London mit und trifft dort mit ihr gemeinsam auf Prinzessin Margret und Minirock-Erfinderin Mary Quant, sondern sieht dort auch die Rolling Stones in einem Club. Mit Charlotte darf der Leser in die internationale Modewelt eintauchen, mit Schorsch die Olympiade in Innsbruck erleben. Die Sechziger bedeuten nicht nur einen Aufbruch in der Gesellschaft, die sich etwas bunter, vielfältiger und offener zeigt, sondern lässt auch Leni, Charlotte, Alexander und Schorsch an ihren Aufgaben wachsen und sich entwickeln. Gerade dieser Mix an realem Historie und fiktiver Geschichte wirkt hier unwiderstehlich und vielschichtig, ist er doch durch das Talent der Autorin ebenso mitreißend wie authentisch. Die Lektüre lässt das Kopfkino anlaufen und die Seiten an den Fingern des Lesers kleben.

Die Charaktere wurden liebevoll ins Bild gesetzt und haben durchweg einige realistische Entwicklungen erfahren. Mit ihren authentischen menschlichen Eigenheiten schleichen sie sich schnell ins Leserherz, der mit ihnen fiebert, hofft und bangt. Leni hangelt sich nach einem schweren Schicksalsschlag mühsam wieder ins Leben zurück, doch ihre lebensfrohe, positive Art reißt mit. Sie ist offen für Neues, wagt sich hervor und tritt immer selbstsicherer auf. Charlotte ist eine liebevolle Mutter, die sich nach mehr sehnt. Schorsch ist der heimliche Star, denn er ist nicht nur der Ruhepol, sondern vor allem empfindsam, großzügig und hilfsbereit. Walter wirkt auf den ersten Blick erfolgsverwöhnt und etwas arrogant, doch im Grunde ist er auch nur auf der Flucht und wünscht sich etwas Normalität. Käthe ist die gute Seele, die alle zusammenhält. Aber auch Alexander, Günther, Marie und weitere Protagonisten verleihen diesem Roman Vielfalt und Farbe.

„Ein hoffnungsvoller Aufbruch“ ist nicht nur ein farbenfrohes Potpourri der 60er Jahre, sondern verführt mit wunderbaren Protagonisten, Schicksalen, Liebe, Familiensinn und einer Prise Dramatik den Leser zu unvergesslichen Lesestunden. Absolute Leseempfehlung für dieses Highlight!!!

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