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Veröffentlicht am 25.09.2019

Blut und Boden

Die letzte Witwe
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Bei „Die letzte Witwe“ handelt es ich um den siebten Fall für die Gerichtsmedizinerin Sara Linton und Special Agent Will Trent. Dieser Thriller aus der Feder von Karin Slaughter ist im August 2019 bei ...

Bei „Die letzte Witwe“ handelt es ich um den siebten Fall für die Gerichtsmedizinerin Sara Linton und Special Agent Will Trent. Dieser Thriller aus der Feder von Karin Slaughter ist im August 2019 bei HarperCollins erschienen und umfasst 560 Seiten.
Ein idyllischer Sommertag wird jäh durchbrochen - von zwei Explosionen. Sara und Will machen sich auf den Weg, Hilfe zu leisten, als sie unterwegs durch einen Verkehrsunfall aufgehalten werden. Obwohl ihnen der Vorfall nicht geheuer erscheint, bieten sie ihre Hilfe an und werden selbst zu Opfern. Der verletzte Will Trent muss hilflos mit anschauen, wie seine Sara entführt wird. Als dann auch noch Zusammenhänge zu einem einen Monat zurückliegenden Entführungsfall, die Wissenschaftlerin Michelle Spivey war gekidnappt worden, ersichtlich werden, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn bald ist klar: Hinter allem steckt eine rechtsradikale Organisation, die die USA wieder „weiß“ machen möchte.
Zwar handelt es sich hier um den siebten Teil von Slaughters Georgia-Reihe, doch sollte dieses auch für Neulinge keine Hürde darstellen: Ich selber habe die Reihe auch nur sporadisch verfolgt und konnte feststellen, dass dieser Thriller auch ohne Vorkenntnisse verständlich ist.
Der Roman beginnt spannend mit einer Entführungsszene im Juli 2019. Anschließend wird man in den August desselben Jahres katapultiert, die dortige Szenerie ist angenehm, einfach schön und idyllisch zu lesen. Die sich anschließenden Explosionen sowie die Unfallszene stehen in einem eklatanten Gegensatz dazu, was der Spannung ebenfalls zuträglich ist und das Lesen abwechslungsreich macht. Hier beweist Karin Slaughter, dass sie ihr Handwerk versteht, indem sie Gegensätze miteinander kombiniert und die Leser/innen aus der Komfortzone regelrecht herausreißt. Dann allerdings wird die Geduld der Leserinnen und Leser erst einmal auf eine harte Probe gestellt, denn ein und dasselbe Ereignis wird mehrmals erzählt, wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven. Die ersten ungefähr zwei Stunden des Falls ziehen sich über fast 200 Seiten hin, was m.E. einfach auf Kosten der Spannung geht. Zudem sind, und das gilt für das gesamte Buch, die Kapitel recht lang, sodass es schwer ist, an einer passenden Stelle zu pausieren.
Sara selbst wird im Laufe der Ereignisse in ein Lager gebracht, das von einer rechtsradikalen und orthodox-christlichen Gemeinschaft unterhalten wird. Dieses wird sehr gut beschrieben, man hat beim Lesen die Szenen praktisch vor Augen. Auch Saras Ängste und Zweifel sind gut dargestellt, allerdings schießt die Autorin hier immer wieder über das Ziel hinaus: Beim ersten Mal war es noch interessant zu lesen, dass Sara sich durch Songtexte ablenkt, aber irgendwann hatte ich beim Lesen das Gefühl, als wiederhole sich vieles. Nichtsdestotrotz muss man Karin Slaughter zugutehalten, dass sie beides, Szenerie und Charaktere, sehr plastisch und lebensnah beschreibt – nur geht dieses immer wieder auf Kosten der Spannung, und manchmal ist weniger eben doch mehr.
Die Themen des Romans sind (US-amerikanischer) Nazismus, Pädophilie und religiöser Extremismus: drei hochbrisante und aktuelle Themen also. Allerdings hätte es sich hier meiner Meinung nach gelohnt, sich auf einen oder zwei Aspekte zu konzentrieren, denn gerade die letzten beiden Themen werden eher im Nebenbei erwähnt und kommen wenig(er) zur Geltung bzw. sind für das Ende weniger von Belang.
Slaughters Sprache und Stil sind eingängig und flüssig zu lesen. Durch den Perspektivwechsel treten unterschiedliche An- und Einsichten zu Tage, im letzten Teil des Romans, in dem Trent und Sara sich wieder begegnen, werden die einzelnen Informationen zusammengeführt, was zu einer restlosen und logischen Aufklärung des Falles führt.
Der Titel des Romans wird im Laufe des Lesens erklärt und hängt mit Saras persönlichem Schicksal zusammen: Ihr Mann, seines Zeichens selbst Polizist, kam bei einem Einsatz ums Leben, Sara ist somit Witwe.
Mir persönlich hat dieser Thriller eher mäßig gefallen: Sprachlich ist er zwar gut, und er bietet auch vortreffliche Einsichten in die Persönlichkeiten und die Szenerie, jedoch gestaltet sich das Lesen insgesamt recht langatmig und wenig spannend, sodass das Werk den Ansprüchen, die ich an dieses Genre stelle, nicht gänzlich gerecht wird. Für Menschen, die diese Reihe nur streckenweise verfolgen, ein Thriller, den man lesen kann, aber nicht eben muss.

Veröffentlicht am 22.09.2019

Singe uns dein Totenlied

Miroloi
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Karen Köhlers dystopisches Romandebüt „Miroloi“ stand im Jahr 2019 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Dieses hat mich, gemeinsam mit dem interessant klingenden Klappentext, dazu veranlasst, zu diesem ...

Karen Köhlers dystopisches Romandebüt „Miroloi“ stand im Jahr 2019 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Dieses hat mich, gemeinsam mit dem interessant klingenden Klappentext, dazu veranlasst, zu diesem Buch zu greifen. Erfüllen konnte dieser 464-seitige Roman, der im August 2019 bei Carl Hanser erschienen ist, meine Erwartungen indes nicht – dazu hat er einfach nicht genug Neues zu bieten.
Die Ich-Erzählerin, eine junge, namenlose Frau, lebt als Aussätzige im „Schönen Dorf“ – einer patriarchalischen, religiös fundamentalistischen Gesellschaft. Die Männer, allen voran der Betvater und der Ältestenrat, haben hier das Sagen, und sind, wie in jeder diktatorischen Gesellschaft, gleicher als gleich. Als der Betvater, der gleichzeitig ihr Ziehvater ist, sie das Lesen und Schreiben lehrt, kurz darauf stirbt und sie in Yael, einem jungen Betschüler, einen Liebhaber findet, beginnt sich die Protagonistin gegen die herrschenden Zustände zu wehren.
Sprachlich und stilistisch ist der Roman stimmig: In 128 Strophen singt die Erzählerin hier ihr „Miroloi“, ihr Totenlied, das ihr als Findelkind eigentlich gar nicht zusteht. Die Sprache ist einfach, kindlich naiv, was sehr gut zum Bildungsstand der Dorfbewohner/innen passt und den Roman an sich, hat man sich einmal in den Stil eingefunden, gut lesbar macht. Der Aufbau einiger Strophen sowie die zahlreichen Wortneuschöpfungen zeugen von Kreativität. Über weite Strecken werden das Leben und die Rituale in dieser Gemeinschaft beschrieben, wodurch Leserinnen und Leser tief in diese archaische Welt eintauchen können. Als sehr treffend empfand ich beim Lesen auch die Dialoge. Die Stimmung ist durchgehend düster: Die Protagonistin selbst trägt aufgrund ihrer unbekannten Herkunft keinen Namen, wird von den meisten nur „Eselshure. Schlitzi. Nachgeburt der Hölle“ (S. 9) genannt. Die Dorfältesten wehren sich gegen fast jede Art des Fortschritts, sodass man auf dieser Insel, die im Mittelmeer verortet zu sein scheint, fast so lebt wie in der Antike, obwohl es in der Welt „drüben“, d.h. jenseits des Meeres, zu der mittels eines Händlers Kontakt gepflegt wird, schon viele Errungenschaften der Moderne gibt.
Die Themen, die Köhler in diesem Roman aufgreift, sind vielfältig – und hier liegt m.E. das Manko des Romans. Sie reichen von Konservatismus über Feminismus, Gesellschafts- und soziale Fragen, Religion bis hin zu Bildungsthemen. Vieles wird hier auch miteinander vermischt, wenn die Religion in diesem Dorf z.B. auf der einen Seite durch ihren Polytheismus in Gestalt von Feuer, Wasser, Erde bzw. Zerstörer, Bewahrer, Schöpfer an Naturreligionen erinnert, auf der anderen Seite aber auch Elemente von Christen- und Judentum sowie dem Islam beinhaltet. Wütende Dorfbewohner/innen, die nach Bananen schreien, erinnern an Szenen, die wohl jeder noch aus Zeiten der deutschen Wiedervereinigung vor Augen hat und wirken fast schon ungewollt komisch, genau wie der Umstand, dass die Protagonistin sich gegen Ende mithilfe von Plastikmüll verkleidet und ihre Leidensgenossinnen zu einer Revolte anstiftete. Und dieses sind nur einige Punkte, die ich herausgegriffen habe. Bei solch einer Fülle an Themen ist es nicht verwunderlich, dass letztlich alles an der Oberfläche bleibt.
Bildung in Form des Lesen- und Schreibenkönnens sowie das sich Lösen von Alterhergebrachtem bietet Köhler als Schritt in eine gerechtere Zukunft an – beides Dinge, die in unserer mitteleuropäischen Gesellschaft durchaus praktiziert werden, die allein aber nicht ausreichen. Zugute halten muss man der Autorin, dass sie das Ende des Romans offen lässt – man weiß am Ende weder, wie es mit dem Schicksal des Dorfes noch mit dem der Protagonistin weitergeht. Doch alles in allem wird hier nur eine Reihe von schon hinlänglich behandelten Gesellschaftsdefiziten aufs Tapet gebracht, ohne dass wirklich Neues oder Alternativen zu schon Bestehendem geboten werden.
Aufgrund seines ungewöhnlichen Stils und seiner guten Lesbarkeit habe ich den Roman zu Ende gelesen. Inhaltlich überzeugen konnte er mich überhaupt nicht, auch wenn er vielleicht einige Denkanstöße bietet – Denkanstöße allerdings, die man sich woanders fundierter holen und die man mit etwas gesundem Menschenverstand im Grunde selbst finden kann.

Veröffentlicht am 15.09.2019

Das Digital-Detox-Experiment

Offline - Du wolltest nicht erreichbar sein. Jetzt sitzt du in der Falle.
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In seinem neusten Psychothriller „Offline“ greift Arno Strobel ein altbewährtes Thema auf: Eine Gruppe ist abgeschnitten von der Umwelt, als ein Mörder sein Unwesen treibt. Dieser 368-seitige Roman ist ...

In seinem neusten Psychothriller „Offline“ greift Arno Strobel ein altbewährtes Thema auf: Eine Gruppe ist abgeschnitten von der Umwelt, als ein Mörder sein Unwesen treibt. Dieser 368-seitige Roman ist im September 2019 als FISCHER-Taschenbuch erschienen.
Eine Gruppe, bestehend aus 13 Personen, ist in einem ehemaligen Bergsteigerhotel im Berchtesgadener Land eingeschneit. Ziel des Unternehmens war es ursprünglich, fünf Tage ohne Smartphone, Internet und Co. zu verleben. Doch dann geschieht das Unvorhergesehene: Schon in der ersten Nacht verschwindet ein Teammitglied spurlos. Nach langer, intensiver Suche wird der junge Mann gefunden, all seiner Sinne beraubt, gequält und geschunden. Als er kurz darauf stirbt, macht sich Misstrauen breit, denn alle wissen: Eine/r von ihnen muss ein Mörder sein. Als es in der Nacht darauf zu einem zweiten Unglücksfall kommt, spitzt sich die Lage zu.
Der Thriller beginnt spannend mit einem Prolog, der mich ein wenig an Thriller für Teenager erinnert hat: Eine Frau wird mithilfe ihrer digitalen Geräte terrorisiert. Dann schwenkt der Autor zur Reisegruppe über, deren Unternehmen von Anfang an unter keinem guten Stern steht, denn gleich zu Beginn kommt es zu ersten Animositäten und Sticheleien. Gleichzeitig dient dieser Einstieg dazu, Leserinnen und Leser mit den Charakteren vertraut zu machen, was dem Autor auch sehr geschickt gelingt. Auch wenn es, wie im realen Leben, hier sowohl Figuren gibt, die eher sympathisch, als auch solche, die eher unsympathisch und ein wenig verschroben wirken, bleibt doch bis kurz vor Ende rätselhaft, wer denn nun der Täter ist. Die Auflösung des Rätsels hat mich beim Lesen dann jedoch enttäuscht, denn sie wirkt auf mich sehr konstruiert und kommt recht abrupt.
Zeitweise ist der Roman aus zwei Perspektiven erzählt: Zum einen aus derjenigen der Reisegruppe an sich, zum anderen erhalten die Leser/innen Einblick in das Innenleben des zweiten Opfers, einer jungen Frau, die ebenfalls ihrer Sinne beraubt wurde, aber immer wieder versucht, mit den Mitgliedern ihrer Reisegruppe zu kommunizieren. Obwohl ich persönlich von Computertechnik wenig Ahnung habe, gelang es mir doch schneller, den Code zu verstehen, als der Computerexpertin im Thriller selbst. Dieses erschien mir beim Lesen ein wenig unglaubwürdig.
Zwar lässt Strobel die Anspannungen innerhalb der Gruppe nach und nach wachsen, bis es schließlich zur Zersplitterung der Gruppe kommt, was durchaus glaubwürdig ist, jedoch fehlte es mir als Leserin einfach an emotionaler Beteiligung, sprich: So richtig packen konnten mich das Geschehen und die Gruppendynamik nicht. Zum Teil liegt dieses bestimmt auch an der einen oder anderen Figur, die ich recht penetrant fand (z.B. das Ehepaar Annika und Matthias Baustert), zum anderen auch daran, dass ich zwar wusste, dass sich vor dem Hotel ein Schneesturm abspielt, die Brisanz der Lage aber nicht richtig ausgearbeitet und quasi im Nebenbei erwähnt wurde. Außerdem muten andere Umstände ziemlich naiv an, z.B. dass man eine solche Reise ohne Verbandsmaterial antritt, jemandem einfach Schmerzmittel verabreicht etc.
Gut gelungen indes ist, dass der Begriff „Offline“ gegen Ende des Thrillers noch eine zweite, übertragene Bedeutung erhält, sodass der Titel in zweifacher Hinsicht zur Handlung passt.
Strobels Sprache ist flott und schnörkellos zu lesen und die Darstellung der Opfer ist prägnant, ohne die Lesenden zu überfordern.
Alles in allem lässt sich das Buch gut lesen, es enthält auch durchaus spannende Momente, wirklich packen und in seinen Bann ziehen konnte es mich indes nicht. Meiner Meinung nach ein Thriller, den man lesen kann, aber nicht lesen muss.

Veröffentlicht am 13.09.2019

Sie wollte immer nur ins Leben springen.

Der Sprung
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Mit sehr großen Erwartungen bin ich an Simone Lapperts 336-seitigen Roman „Der Sprung“, im August 2019 bei Diogenes erschienen, herangegangen, doch konnte er meinen Erwartungen nicht vollends gerecht werden ...

Mit sehr großen Erwartungen bin ich an Simone Lapperts 336-seitigen Roman „Der Sprung“, im August 2019 bei Diogenes erschienen, herangegangen, doch konnte er meinen Erwartungen nicht vollends gerecht werden und ließ mich etwas zwiegespalten zurück.
Eine mittelgroße Stadt in Süddeutschland. Auf dem Dach eine junge Frau. Wütend. Rasend. Unter ihr der grölende Mob, Handys zuckend, sensationsgeil. Doch am Rande gibt es auch noch die anderen Menschen, die in einer mehr oder weniger festen Beziehung zu dieser Frau stehen. Was geht in ihnen vor? Und vor allem: Was macht der vermeintliche Suizidversuch mit ihnen?
Der Roman beginnt imposant mit der Beschreibung des Sprunges selbst im Zeitlupentempo. Wie fühlt es sich an? Welche Gedanken gehen einem durch den Kopf? All diesen Fragen versucht die Autorin nachzuspüren. Dann unverhofft ein Zeitsprung: „Zwei Tage davor“. Hier werden die ersten Charaktere vorgestellt, denen weitere folgen sollen. Und dieser Aufbau zieht sich durch den ganzen Roman, der auf zwei Zeitebenen erzählt wird: der Sprung selbst und die zwei Tage, bis die Protagonistin den letzten Schritt tut, wobei der Sprung das Geschehen in der Vergangenheit von Zeit zu Zeit unterbricht.
Das Herzstück des Werkes sind die Menschen, die den Sprung „mitverfolgen“ und auch als Kapitelüberschriften dienen. Da ist zum einen das Teenager-Mädchen Winnie, das von seinen Mitschüler/innen wegen ihrer Figurprobleme gemobbt wird. Oder der Obdachlose Henry, der auf der Straße bedeutsame Fragen verkauft. Maren indes lebt mit Hannes, einem Gesundheitsfanatiker, zusammen, ihre Beziehung jedoch ist erkaltet. Felix als Polizist mit einer Ausbildung in Krisenintervention soll die Selbstmordgefährdete von ihrer Tat abhalten – doch er selbst hat seine eigenen Probleme, die ihn zu überwältigen drohen. Astrid, die Schwester der jungen Frau auf dem Dach, macht sich unterdessen Sorgen um ihre Karriere als Lokalpolitikerin. Und dann sei da noch Finn genannt, Fahrradkurier und Freund der vermeintlichen Selbstmörderin, der die Welt nicht mehr versteht und seiner Freundin helfen will. Allen ist gemeinsam, dass ihr Leben aus dem Lot geraten ist. Dreh- und Angelpunkt des ganzen Geschehens sind Roswithas Café und der kleine Laden von Theres und Werner, der eigentlich schon pleite ist, durch das Geschäft mit der Sensation, der selbstmordgefährdeten Frau, aber plötzlich wieder boomt. In das Leben all dieser und noch anderer Personen schlägt „der Sprung“ ein wie eine Bombe – und verändert es (hoffentlich) nachhaltig. So steht im Zentrum des Geschehens dann auch nicht die Selbstmörderin selbst, sondern das Leben ihrer Mitmenschen. Den Grund für den Sprung selbst kann man am Ende zwar erahnen, letztlich bleibt er aber – zumindest für mich – doch ein wenig nebulös.
Sehr realistisch und eindrücklich gelingt es der Autorin, das Szenario selbst darzustellen: die im wahrsten Sinne des Wortes wütende Frau; die skandierenden Massen, die einfach nur den Sprung sehen wollen, ja ihn herbeisehnen; die Medien, die keinerlei Distanz wahren; und schließlich, am nächsten Morgen, den Dreck auf der Straße „wie am Morgen nach dem Karneval“ (S.229), hinterlassen, als die Schaulust befriedigt ist und man sich lieber anderen Sensationen zuwendet. Dieses beinhaltet, genau wie Werners oder Egons (ein ehemaliger Hutmacher) Schicksal, eine ordentliche und angebrachte Portion Gesellschaftskritik.
Nicht ganz so überzeugen konnte mich die Entwicklung einiger Charaktere, denn hier bleibt die Autorin von Zeit zu Zeit oberflächlich (Winnie) oder wird auf mir unangenehme Weise komisch (Maren, Egon), was beides an sich nicht schlecht sein muss, mir aber dem Ernst des Themas nicht angemessen erscheint. Dass Simone Lappert dennoch in der Lage ist, tief und ernsthaft Charakterentwicklungen darzustellen, zeigt sie an anderen Stellen sehr wohl, wenn man sich z.B. Werner und seine Frau Theres oder Edna, eine ehemalige Lokführerin, anschaut.
Sprachlich ist der Roman rundum gelungen: Simone Lappert schreibt flüssig, teilweise poetisch, auf jeden Fall aber plastisch und auf einem angenehmen Niveau. Besonders gefallen haben mir beim Lesen darüber hinaus (Lebens-)Weisheiten, die das Buch an passenden Stellen anbringt und welche zum Denken anregen, z.B. „Leben heißt bleiben und ertragen, dass alles irgendwann verschwindet.“ (S. 110), „Wer wütend ist, hat noch etwas zu verlieren.“ (S. 268) oder „Das Nichtverrücktwerden (ist) die eigentliche Anomalie.“ (ebd.).
Insgesamt handelt es sich bei „Der Sprung“ um einen lesenswerten Roman mit einem wichtigen Thema und ebenso wichtigen Botschaften, der aber meiner Meinung nach durch die immer wieder auftretende Komik ein wenig an Reiz verliert. Trotz allem empfehle ich ihn mit dreieinhalb von fünf Punkten gerne als Lektüre weiter.

Veröffentlicht am 12.09.2019

Ein Wolf im Schafspelz übelster Art

Brennendes Grab
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Zum zehnten Mal ermittelt Kate Burkholder in „Brennendes Grab“ von Linda Castillo in der Welt der Amish-People. Erschienen ist dieser 352-seitige Thriller im Juli 2019 als Fischer-Taschenbuch.
Der 18-jähige ...

Zum zehnten Mal ermittelt Kate Burkholder in „Brennendes Grab“ von Linda Castillo in der Welt der Amish-People. Erschienen ist dieser 352-seitige Thriller im Juli 2019 als Fischer-Taschenbuch.
Der 18-jähige Daniel Gingerich verbrennt eines Nachts in einer Scheune auf dem väterlichen Hof. Als sich herausstellt, dass es sich um Brandstiftung handelt und der junge Mann in der Scheune eingesperrt wurde, beginnt Kate zu ermitteln. Das Rätselhafte: Daniel war ein beliebtes, fleißiges und treues Gemeindemitglied. Doch je tiefer Kate bohrt, je weiter ihre Ermittlungen voranschreiten, desto bröckeliger wird dieses Bild. Wer war Daniel wirklich? Und wer hat ihn so gehasst, dass er seinen Tod wünschte?
Wer Castillos Burkholder-Thriller kennt, wird feststellen, dass sie stets nach demselben Schema ablaufen: In einer Amisch-Gemeinde wird ein Verbrechen begangen, und im Laufe der Recherchen stellt sich heraus, dass auch in dieser äußerlich frommen Gemeinschaft nicht alles Gold ist, was glänzt. Doch im Gegensatz zu anderen Kreisen, stoßen die Ermittler/innen hier auf eine besonders standhafte Mauer des Schweigens. Gerade der letzte Punkt hat zur Folge, dass es in diesen Thrillern auch viel zu lernen und erfahren gibt über diese doch etwas geheimnisumwitterte Glaubensgemeinschaft. Und trotz der tiefen Abgründe, die sich immer wieder auftun, kommen die Amish-People am Ende nicht schlecht weg. Die Thriller sind, wie das Leben selbst, nicht schwarz-weiß-gemalt, sondern eben grau. Schwarze Schafe gibt es überall.
Dieser Roman beginnt mit einem Selbstmord, der einige Monate zurückliegt. Nach einem Sprung in die Gegenwart werden dezidiert die Brandstiftung und der Mord geschildert. Hier baut sich ein Spannungsbogen auf, der während der Ermittlungsarbeiten durchgängig zu spüren ist und durch sich langsam offenbarende Motive sowie entsprechende Überraschungsmomente immer wieder neue Impulse erfährt. Je mehr Leser/innen und Ermittlerin über Daniel erfahren, desto deutlicher wird das Mordmotiv, und der Bezug zum Prolog wird ersichtlich. Auch wenn die Hintergründe der Tat bald darauf ersichtlich sind und der Täter festzustehen scheint, gelingt es der Autorin noch einmal durch eine nervenaufreibende Szene gegen Ende, die Lesenden zu überraschen und somit für einen unvorhergesehenen Ausgang zu sorgen.
Im Zentrum dieses Thrillers steht das Leben der Heranwachsenden mit seinen Höhen und Tiefen, die Zeit des „Rumspringa“ und den damit zusammenhängenden ersten sexuellen Erfahrungen sowie der Suche nach Liebe. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Da es sich um eine Reihe handelt, spielt auch immer wieder das Privatleben der Protagonistin eine Rolle. Dabei gelingt es Castillo aber gut, Bekanntes für die Kenner/innen so einzuflechten, dass sie sich nicht langeweilen, und Neulingen gleichzeitig alles Wissenswerte zu unterbreiten. Beide Kreise sind also gut bedient.
Castillos Sprache ist auch dieses Mal wieder flüssig und schnörkellos zu lesen, sodass man beim Lesen flott voranschreitet und sich voll und ganz auf den Inhalt konzentrieren kann. Das Besondere an diesem Buch sind ein weiteres Mal die Wendungen, die im Pennsylvania Deitsch verfasst sind, und die mir immer wieder Freude bereiten. Aber keine Sorge: Die Übersetzung folgt stets auf den Fuß, auch wenn vieles für Deutsche verständlich ist.
Für Krimi- und Thriller-Fans ist auch dieser Band wieder zu empfehlen, ist er doch solide gebaut und spannend zu lesen.