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Veröffentlicht am 20.04.2025

Ohne Folgeband wertlos

Eislotus. Wasser findet seinen Weg
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Ich liebe Bücher und bin immer eher geneigt, sie wohlwollend zu beurteilen, was sich auch daran zeigt, wie viele ich schon mit vier oder fünf Sternen bewertet habe. Ein Buch muss mich also schon sehr verärgern ...

Ich liebe Bücher und bin immer eher geneigt, sie wohlwollend zu beurteilen, was sich auch daran zeigt, wie viele ich schon mit vier oder fünf Sternen bewertet habe. Ein Buch muss mich also schon sehr verärgern oder enttäuschen, damit es von mir nur zwei Sterne bekommt. Leider ist das bei "Eislotus - Wasser findet seinen Weg" der Fall und das bedaure ich selbst, denn das Buch hat so vielversprechend begonnen.

Äußerlich ist es wunderschön und passend zum Element Wasser gestaltet und insbesondere der Farbschnitt sieht selbst wie ein Seelenbuch aus. Und auch die Geschichte beginnt und entwickelt sich erst einmal vielversprechend.

Aufwendig und liebevoll wurde eine eigene High-Fantasy-Welt der Elementemagie geschaffen, in der sich Menschen an die vier Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer mittels eines Seelenbuches binden und dann entsprechende Magie ausüben und eine Art Unsterblichkeit erlangen können, da sie nach ihrem physischen Tod in das Buch als Seele eingehen, sich dort mit anderen geliebten Seelen im selben Buch wiedervereinigen können und "zu Tinte werden". Je mehr Seelen ein Buch enthält, desto mächtiger ist es.

Diese Idee hat mir sehr gefallen - endlich mal wieder ein spannendes High-Fantasy-Buch, in dem es um eine seltenere Art von Magie geht (mal keine Werwölfe, Vampire, Hexen oder ähnliches) und das nicht so stark in Richtung Romantasy geht, sondern klar Fantasy ist (auch wenn zwei Charaktere sich ein bisschen zueinander hingezogen fühlen, aber mehr als tiefe Freundschaft entwickelt sich in dem Buch zwischen ihnen nicht und es gibt keinerlei romantische oder "spicy" Szenen, das habe ich zur Abwechslung sehr angenehm gefunden).

Um neue Bücher an Seelen binden zu können, braucht es die Buchbinder, und damit die den verschiedenen Elementen nahestehenden Menschen nicht mehr, wie in der Vergangenheit, blutige Kriege um diese knappe Ressource führen, gibt es eine Art Turnier, einen "Stellvertreterkrieg", bei dem ausgewählte Angehörige der vier Elemente miteinander darum kämpfen, wer die Buchbinder für den nächsten Zyklus in die eigene Region und Stadt führen darf. Die ausgewählten beziehen für diese Zeitspanne eine Akademie in Lort, der Stadt, die auf den Ausgleich der Elemente achtet, werden dort untergebracht, verpflegt und ausgebildet und müssen sich immer wieder Aufgaben und einer Auswahl durch die Stadtbewohner stellen.

Das ist eine durchaus bekannte Idee, die sich auch in anderen Fantasybüchern und Dystopien findet, hier aber auf eine ganz eigene Art und Weise ausgetragen wird. Originell habe ich gefunden, dass es nicht hauptsächlich um Kämpfe geht, sondern auch um Intelligenz und Kreativität, um Verbindungen der Elemente miteinander und darum, die Dinge kritisch zu hinterfragen. Geschildert ist das Buch abwechselnd aus den Perspektiven der Mondgebundenen (Wasser-Element) Nara und des Sonnengebundenen (Feuerelement) Katso, das macht es auch nochmal interessanter.

Bis kurz vor dem Ende hätte ich das Buch insgesamt mit soliden vier Sternen bewertet (keine fünf Sterne, weil es speziell am Anfang einige Längen aufweist). Ein aufwendiges, interessantes Worldbuilding, spannende Aufgaben und glaubwürdige Charaktere, das mag ich. Während der Lektüre baut sich Spannung auf und man hofft auf die Beantwortung vieler offener Fragen, die sich stellen, z.B. was mit Naras angeblich verstorbenen Eltern wirklich passiert ist, was es mit den Ungebundenen auf sich hat, wer hinter gewissen Attentaten steckt, wer die Stimme ist, die immer wieder in den Fußnoten kommentiert, wem zu trauen ist und wem nicht und natürlich, wer am Ende das Turnier gewinnt.

Ohne spoilern zu wollen, muss ich an dieser Stelle sagen: so gut wie keine dieser Fragen wird am Ende beantwortet. Das Buch endet einfach mittendrin, wir sind noch nicht einmal in der Nähe des Endes des Turniers, da ist das Buch auf einmal zu Ende, und auch sonst wird so gut wie keine dieser und meiner weiteren offenen Fragen beantwortet, nur eine einzige, eher irrelevante, Kleinigkeit in Bezug auf einen Verrat wird aufgedeckt. Aber ansonsten endet das Buch gefühlt einfach in der Mitte der Handlung und lässt mich ratlos und enttäuscht zurück.

Mir ist klar, dass es sich dabei um den ersten Band eines Zyklus handelt und dieser somit nicht absolut alle offenen Fragen klären wird. Ich habe aber schon viele mehrbändige Fantasy-Zyklen gelesen, und die guten davon sind so verfasst, dass man auch am Ende eines einzelnen Bandes ein befriedigendes Leseerlebnis hat. Üblich ist zum Beispiel, dass viele offene Fragen sich am Ende des Bandes klären, aber eine offen bleibt, es also einen Cliffhanger gibt, der neugierig macht, weiterzulesen. Das würde ich angebracht finden. Aber das Ende dieses Buches ist eine einzige Sammlung an offenen Themen und Fragen, es wird so gut wie nichts aufgeklärt.

Und genau das verärgert und enttäuscht mich und macht mich auch nicht geneigt, die Folgebände zu lesen... wer sagt mir, dass dann meine Fragen beantwortet werden und nicht jeder Band und vielleicht am Ende auch die komplette Serie mit vielen offenen Fragen endet?

Ein guter Anfang und eine spannende Idee, die aber völlig unzureichend ins Ziel bzw. eben nicht ins Ziel gebracht wurde. Fast scheint es so, als wären die letzten 50 oder 100 Seiten verloren gegangen. Schade, dass das Lektorat die Autorin hier nicht darauf hingewiesen hat. Sie hat zweifellos Erzähltalent und es wäre sonst so ein spannendes Buch, aber mit so einem unbefriedigenden Ende kann ich von diesem Buch nur abraten.

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Veröffentlicht am 19.04.2025

Tolles Debüt mit fein gezeichneten, vielfältigen Charakteren

Hier draußen
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Martina Behm, die kennt sich offenbar aus mit den vielfältigen Facetten des Lebens auf dem Land heutzutage. Und sie kann schreiben! Selten hat mich ein Debüt so begeistert wie dieses! Fast 500 Seiten lang ...

Martina Behm, die kennt sich offenbar aus mit den vielfältigen Facetten des Lebens auf dem Land heutzutage. Und sie kann schreiben! Selten hat mich ein Debüt so begeistert wie dieses! Fast 500 Seiten lang und ich habe mich keine Sekunde gelangweilt und immer bestens unterhalten gefühlt.

In "Hier draußen" lernen wir außergewöhnlich lebensechte, fein gezeichnete und vielfältige Charaktere kennen. Da ist das moderne Paar aus Hamburg, Ingo und Lara, er Start-Up-Unternehmer, sie Grafik-Designerin, zwei Kinder im Volksschulalter, das sich den Traum von der Idylle und Ruhe auf dem Land und dem unbeschwerten Aufwachsen der Kinder dort erfüllen will. So wird kurzerhand eine hohe Hypothek aufgenommen, ein alter Hof gekauft und saniert. Es bleibt spannend, mitzuverfolgen, ob und wie diese urban geprägten Menschen im Landleben und in der Dorfgemeinschaft ankommen werden, und was es mit ihrer Beziehung macht, wenn Ingo weiterhin seine Tage und oft auch Abende in Hamburg verbringt, während Lara alleine mit den Kindern auf dem Land ist.

Dann gibt es Jutta und Armin, die Übriggebliebenen einer alternativen Wohngemeinschaft mit sechs Menschen, die vor mehreren Jahrzehnten aufs Land gezogen sind. Die beiden sind gute Freunde, vielleicht auch ein bisschen mehr. Jutta gibt Kurse im Hühner-Schlachten, Armin renoviert leerstehende Gebäude, um Ferienwohnungen zu errichten. Insgesamt scheinen sich die beiden über die lange Zeit gut eingelebt zu haben auf dem Land.

Den alleinstehenden Bauer und passionierten Jäger Uwe, mit seiner treuen Jagdhündin Milla, lernt Ingo schon bald nach seinem Umzug näher kennen, als letzterer mit dem Auto versehentlich eine weiße Hirschkuh überfahren hat. Gemeinsam geben die beiden Männer dem schwer verletzten Tier den Gnadenschuss, freunden sich an, Ingo begeistert sich für die Natur und die Jagd, und beide fürchten ein bisschen den im Dorf verbreiteten Aberglauben, dem zufolge es Unglück bringe, eine weiße Hirschkuh getötet zu haben... auch das verbindet.

Noch einige weitere Menschen leben im Dorf, die wir näher kennen lernen: Maggy, ursprünglich aus der Kreisstadt, die sich in den Bauern Sönke verliebt und ihn geheiratet hat, und nun seit Jahrzehnten versucht, die angepassteste und fleißigste Landfrau von allen zu sein, um dazuzugehören. Ihre erwachsene Tochter Marieke, die dieses Beispiel ihrer Mutter abschreckend findet und eine moderne und unabhängige Frau ist... gleichzeitig aber tief mit der Landwirtschaft verbunden und interessiert daran, diese zu übernehmen.

Tove und Enno, die seit Jahrzehnten eine lieblose Ehe führen... die erwachsenen Söhne sind längst aus der Landwirtschaft in andere Berufe und in geografisch weiter entfernte Regionen geflüchtet, keiner davon wollte den Hof übernehmen... wie lange wird Tove, der selbst nichts gehört und die nichts geerbt hat (ihre Eltern haben die ganze Landwirtschaft dem Sohn alleine vererbt) sich noch von ihrem Mann heruntermachen und abwerten lassen?

Diese kurzen Charakterisierungen einiger Dorfbewohner zeigen schon - es sind ganz vielfältige und sehr unterschiedliche Menschen, die sich hier im kleinen Fehrdorf treffen. Die sich kennen lernen, übereinander und miteinander sprechen, gemeinsam Feste organisieren, sich misstrauisch aus der Ferne beäugen, sich aushelfen oder sich auch langsam anfreunden... auch über Alters- und Milieugrenzen hinweg.

Das Buch wechselt immer wieder mal die Perspektive, aus der die Ereignisse erzählt werden, mal erleben wir die Sicht von Ingo, dann die von Lara, dann z.B. die von Uwe oder von Jutta usw. Dadurch bekommen wir beim Lesen noch einmal einen spannenderen und vielschichtigen Blick auf das Dorfgeschehen und die Beziehungen der Menschen untereinander. Gleichzeitig ist es damit ein klug erzähltes Buch, das auch durch diesen Perspektivwechsel aufzeigt, wie differenziert das sein kann, was wir als Tatsache oder Wahrheit ansehen, denn jede und jeder hat den jeweils eigenen, einzigartigen Blick auf die Menschen und Geschehnisse.

Insgesamt gelingt es der Autorin ausgezeichnet, ein vielfarbiges Bild modernen Landlebens zu zeichnen. Neben den Beziehungen der Menschen, die im Zentrum des Romans stehen, thematisiert sie auch Phänomene wie den Umbruch in der modernen Landwirtschaft und die Herausforderungen, mit denen die Bauern zu kämpfen haben (oft geforderter, aber schwieriger Umstieg auf Bio, Modernisierungsdruck, Nachfolgeprobleme,...), genauso wie Werteunterschiede zwischen Stadt und Land und damit einhergehende Verständnisprobleme, die erst überwunden werden müssen (etwa eine Psychologin aus der Stadt, die vor den Landfrauen einen Vortrag über Beziehungsqualität hält, der aber sehr an die Befindlichkeiten urbaner Menschen angepasst ist und viele der Dorfbewohner inhaltlich und emotional nicht erreicht).

Das Buch ist damit nicht nur sehr unterhaltsam geschrieben, sondern auch psychologisch glaubhaft konstruiert, mit tiefgründigen und vielschichtigen Charakteren, einem sehr authentisch geschilderten Setting und so, dass man dabei viel über die Facetten modernen Landlebens lernt. Ein großartiges Debüt: literarisch wertvoll und toll zu lesen - absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 17.04.2025

Ein Märchen darüber, anders zu sein und zu sich zu stehen

Hunger und Zorn
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"Hunger und Zorn", von der erst 2002 geborenen Alice Renard geschrieben, ist ein ungewöhnliches Buch, wie ich noch keines gelesen habe. Es funktioniert nicht sehr gut auf der Ebene des logischen Verstandes ...

"Hunger und Zorn", von der erst 2002 geborenen Alice Renard geschrieben, ist ein ungewöhnliches Buch, wie ich noch keines gelesen habe. Es funktioniert nicht sehr gut auf der Ebene des logischen Verstandes und des Hinterfragens, aber es ist ein zauberhaftes Märchen über eine ungewöhnliche junge Frau.

Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt, die sich stark voneinander unterscheiden.

Im ersten Abschnitt lernen wir die Perspektive der Mutter und des Vaters auf ihre andersartige Tochter Isor kennen. Die beiden lieben ihre Tochter sehr, doch machen sie sich auch große Sorgen, weil sie so anders ist und nicht spricht. In ehrlichen, direkten Worten kommen die Eltern abwechselnd zu Wort, z.B.:

Mutter: "Mein Küken, mein Kleines, ich habe dich im Rhythmus der Geheimnisse meines Bauches geschaffen und schließlich heranwachsen sehen. Trotz aller Widerstände. Ungeachtet all der unerklärlichen Dinge, die sich dir in den Weg gestellt haben."

Vater: "Ich war nicht dafür gemacht, der Vater eines solchen Kindes zu sein. Heute, bald, in absehbarer Zeit ist sie gar kein Kind mehr. Sie wird langsam groß. Aber ich bin noch immer nicht dafür gemacht, ihr Vater zu sein." (S. 7)

Schon in diesen Aussagen, ganz am Anfang des Buches, zeigt sich, dass der Vater noch ein Stückchen mehr als die Mutter damit hadert, diesem ungewöhnlichen Kind ein passender Elternteil zu sein.

Die Eltern konsultieren viele Spezialisten, die alle das Kind aus ihrer jeweiligen berufsspezifischen Brille betrachten. Ist es eine Autismus-Spektrums-Störung? Oder ein Gendefekt? Könnte Yoga helfen? Eine spezielle Ernährung? Doch wirklich helfen kann der Familie keiner. Ein Experte meint einmal zu den Eltern, dass das Kind durchaus sprechen könnte, wenn es wollte. Aber "sie will nicht". Später im Buch wird sich zeigen, ob er damit Recht behalten wird.

Nun ist das Kind in der Pubertät, spricht immer noch nicht, aber ist zunehmend dabei, sich abzunabeln, unternimmt etwa nachts stundenlange einsame Ausflüge durch Paris. Die Eltern können das nicht verhindern und stehen weiterhin ratlos diesem besonderen Kind gegenüber.

Dann endet der erste Abschnitt und im zweiten kommt es zu der Begegnung und bald intensiv werdenden Freundschaft zwischen dem alten Nachbarn Lucien und Isor. Die beiden verbringen viel Zeit miteinander und scheinen sich ohne Worte zu verstehen. Diesen Abschnitt erleben wir stark aus Luciens Sicht. Er ist ein weiser und geduldiger alter Mann: "Der Unterschied zwischen ihren Eltern und mir ist, dass ich niemand bin, der schnell in Panik gerät - ich meine: das Schweigen, die Wut, die Freude, der Schmerz, damit kenne ich mich aus. Das kann ich ertragen, ohne in die Knie zu gehen. Ich bin daran gewöhnt. Es ist wie Musik hören." (S. 84)

Tja, und dann der dritte Abschnitt, der wieder völlig anders ist und in dem es zu einer großen und unerwarteten Überraschung kommt und wir noch einmal eine ganz neue Perspektive auf das bisher Erzählte kennen lernen.

"Hunger und Zorn" ist insgesamt ein ganz zauberhaftes Buch, das danach ruft, sich emotional voll und ganz darauf einzulassen. In dem Buch steckt eine tiefe Weisheit darüber, was es bedeuten kann, anders zu sein und wie die Gesellschaft damit umgeht. Aber auch darüber, wie flüchtig unsere Identitäten und Selbstkonzepte sein können und wie sehr das, was wir aus uns selbst herausholen und anderen zeigen können und wollen, stark von unserem jeweiligen Gegenüber und unserer Umgebung abhängt. Von den Menschen, mit denen wir sind, davon, wie sie uns begegnen und was sie in uns sehen... wie wir uns ineinander spiegeln und was das mit der Beziehung und mit allen Beteiligten macht. Das ist etwas, was grundsätzlich für alle Menschen gelten kann, aber hier im Kontakt der verschiedenen Menschen mit der andersartigen Isor ganz besonders stark herauskommt.

Außerdem ist es ein Buch über Liebe und Freundschaft, über die Liebe der Eltern zu ihrem andersartigen Kind, über eine tiefe Freundschaft zwischen zwei sensiblen und einsamen Menschen in ganz unterschiedlichen Lebensaltern, und über die Liebe zum Leben und zu den Erfahrungen, und den tiefen Hunger danach, mit aller Andersartigkeit auf die ganz eigene Art Teil dieser Welt zu sein.

Das Buch ist kein authentischer Erfahrungsbericht über das Leben mit einem andersartigen Kind... dafür ist es viel zu märchenhaft... und nicht alle Entwicklungen sind auf logischer Ebene gut hinterfragbar. Aber als Märchen mit einer einzigartigen Botschaft und einer ganz besonderen Sprache und vielfältigen Perspektiven funktioniert es sehr gut. Es ist ein ganz besonderes Buch, das einen dauerhaften Platz in meinem Herzen einnehmen wird. Ich empfehle es allen, die bereit sind, sich emotional darauf einzulassen und ihr Herz für dieses ganz besondere Märchen zu öffnen. Auf weitere Bücher der Autorin freue ich mich schon.

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Veröffentlicht am 14.04.2025

Können wir unserem Schicksal entgehen?

Vorsehung
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"Vorsehung" von Liane Moriarty ist ein Buch, das schon mal sehr spannend beginnt: es geht um eine Frau, die auf einmal in einem australischen Flug allen Mitreisenden unaufgefordert Todesalter und Todesursache ...

"Vorsehung" von Liane Moriarty ist ein Buch, das schon mal sehr spannend beginnt: es geht um eine Frau, die auf einmal in einem australischen Flug allen Mitreisenden unaufgefordert Todesalter und Todesursache prophezeit - und darum, wie die jeweiligen Menschen damit umgehen und welche Auswirkung diese Prophezeiung auf ihre Leben hat.

Da gibt es die, die erst einmal nicht viel auf die Prophezeiung geben, die Frau für eine Schwindlerin und ihre Aussagen für Humbug halten... bis die ersten Fälle von Mitreisenden, bei denen sich die Vorhersage bewahrheitet hat, durch die Medien gehen. Es gibt jene, die radikal ihr Leben ändern, um das drohende Unheil abzuwenden... die versuchen, sich vorzubereiten... oder die Wahrsagerin zu finden und sie dazu zu bringen, ihre Vorhersage zu ändern. Insgesamt wird das Leben insbesondere der Menschen, denen persönlich oder deren Lieben ein früher oder gewaltsamer Tod prophezeit wurde, sehr durcheinandergewirbelt. Einige von ihnen schließen sich zusammen und tauschen sich aus, zwei Frauen gründen eine Facebook-Gruppe für alle Mitglieder des betroffenen Fluges usw.

Das Buch liest sich unterhaltsam und leicht und regt dabei zum Nachdenken über Determinismus, den Schmetterlingseffekt und vieles weitere an. Abwechselnd erleben wir die Perspektiven einiger Flugpassagiere und ihres sozialen Umfelds mit: z.B. ein junger Mann, der noch nie in eine Schlägerei verwickelt war, aber dem ein gewaltsamer Tod prophezeit wird, eine bis jetzt kerngesunde Mittsechzigerin, die vorhat, nun endlich in ihrer Pension mit ihrem Mann auf Reisen zu gehen und über der nun das drohende Unheil eines möglichen baldigen Krebstodes schwebt, eine frisch verheiratete Braut, der prophezeit wird, durch ihren Intimpartner getötet zu werden, und eine Mutter mit einem Baby, dem vorhergesagt wird, im Alter von sieben Jahren zu ertrinken (und die die Flucht nach vorne ergreift und das Kind schon frühzeitig in so viele Schwimmkurse wie möglich schickt). Diese und weitere Charaktere lernen wir kennen und sie wachsen einem beim Lesen durchaus ans Herz. Über wessen Leben wir aber am allermeisten erfahren, das ist Cherry, die Wahrsagerin selbst. Auch sie hatte ein sehr interessantes Leben, über das ich gerne gelesen habe.

Insgesamt ist es ein spannend zu lesendes, unterhaltsames Buch mit glaubwürdigen Charakteren und angenehm kurzen Kapiteln, die die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen. Für mich, die ich hauptsächlich gerne Romane und insgesamt tiefgründige Literatur lese, war es sehr schön zu lesen.

Ich kann mir aber vorstellen, dass es für Menschen, die eher den Reiz und die Spannung eines Thrillers suchen, etwas zu langatmig sein könnte: es stehen eben tatsächlich die ausführlich erzählten Lebensgeschichten im Vordergrund, nicht nur deren mögliches tragisches Ende. Insgesamt ist für mich das Buch klar - so wie es auch auf dem Coverbild steht - viel mehr Roman als Thriller.

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Veröffentlicht am 10.04.2025

Ein ganzes Frauenleben, vor, in und nach der DDR - bewegend und authentisch

Schwebende Lasten
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"Schwebende Lasten" von Annett Gröschner ist ein Roman, der bei mir noch stark nachwirkt, nachdem ich ihn vor etwa einer Woche fertig gelesen habe. Nüchtern und sachlich, aber gerade dadurch auch emotional ...

"Schwebende Lasten" von Annett Gröschner ist ein Roman, der bei mir noch stark nachwirkt, nachdem ich ihn vor etwa einer Woche fertig gelesen habe. Nüchtern und sachlich, aber gerade dadurch auch emotional enorm berührend, wird das Leben der fiktiven Hanna Krause geschildert, die prototypisch für so viele Frauen ihrer Generation aus dem ehemaligen Ostdeutschland stehen könnte. Hanna ist um 1913 geboren und sie stirbt irgendwann nach der Wende. Wie viele Zeitenwandel, Krisen und Katastrophen, wie viele Umbrüche und vor allem wie viel Leid hat diese tapfere Frau erlebt!

Ich selbst bin aus Österreich und habe mit der DDR nichts zu tun... doch dieses Buch hat mir auch die Sprachlosigkeit meiner eigenen Vorfahren nahegebracht, von denen manche eine ähnliche Generation wie Hanna waren. Diese multiplen Traumen, die sie erlebt haben... dazu die Not und das Elend und eine Zeit, die erforderlich machte, hart und stark zu sein und anzupacken, um selbst und mit der eigenen Familie zu überleben - kein Wunder, dass da noch wenig Zeit und Raum für Traumaverarbeitung und die Konfrontation mit der eigenen verwundeten Seele war... und oft auch wenig Raum dafür, sich noch einmal auf tiefe Beziehungen einzulassen, wenn man mal mehrere geliebte Menschen verloren hatte.

Für diese Rezension habe ich nach passenden Zitaten aus dem Buch gesucht und dabei noch einmal bemerkt, über was für eine eindringliche Sprache dieses Buch verfügt, z.B.

S. 42: "An solchen Abenden musste er auf der Küchenbank schlafen. Eine bessere Form der Geburtenkontrolle kannte Hanna nicht."

Hanna arbeitet erst als junges Mädchen als Aushilfe im Blumenladen ihrer halben Schwester, dann heiratet sie jung und bekommt die ersten Kinder. Verhütung gibt es nicht, Abtreibung ist verboten (Hanna wird dennoch mehrere haben), regelmäßiger Geschlechtsverkehr wird erwartet und so folgt eine Schwangerschaft auf die nächste, auch in Zeiten von Krieg und Not, in denen nicht klar ist, wie ein weiteres Kind durchgebracht werden soll. Insgesamt wird Hanna sechs Kinder zur Welt bringen, von denen nur vier das Erwachsenenalter erreichen.

Dann im Krieg, S. 109: "Das war noch nicht alles, dachte Hanna in der Notunterkunft, da kommt noch mehr, und sie sollte recht behalten. Das war erst der Anfang."

Durch das ganze Buch und durch Hannas Leben zieht sich die Liebe zu den Blumen. Passend dazu wird jedes Kapitel mit der Vorstellung einer Blumenart eingeleitet. Zwar kann Hanna nur ganz am Anfang ihres Lebens tatsächlich als Blumenhändlerin arbeiten, doch findet sie immer wieder Wege, sich dennoch mit dem Thema zu beschäftigen und ihr Wissen dazu weiter zu kultivieren und einzubringen, etwa durch die Pflege eines Gemeinschaftsgartenstückchens nahe ihrer Wohnung im Plattenbau in der DDR. Und auch im Krieg und im Angesicht von Zerstörung, Tod und tiefstem Elend ist die Verbindung zu den Blumen das, was Hanna aufrecht hält: "Hanna existierte. Nicht mehr und nicht weniger. Sie hatte versucht, über das Menschsein nachzudenken, war aber zu keinem Ergebnis gekommen, außer dass Blumen ihr menschlicher vorkamen als ihre eigene Gattung." (S. 126)

In der DDR ergreift Hanna einen ursprünglich typischen Männerberuf, denn mit diesem kann sie mehr Geld für ihre Familie verdienen. Sie wird Kranfahrerin, hier zeigt sich der Bezug zum Titel des Buches, und wir erleben auch diesen Arbeitsalltag von ihr mit: "Die Kranbahn über ihr, die daran befestigten grünen Lampen, die Meisterbude rechts unten, die Drehmaschinen, die Werkstücke, die Gabelstapler und die Männer mit den Helmen, die zu ihr heraufwinkten. Sie war die einzige Frau, sie verteidigte bei der Prüfung ihr Geschlecht, sie war dabei, ins kalte Wasser zu springen." (S. 167)

Auch hier zeigt sich wieder eine klassische Qualität Hannas: sie ist anpackend, tüchtig und mutig, scheut nicht vor Herausforderungen zurück und ist bereit, sich beruflich in neue Gebiete vorzuwagen und sich zu entwickeln. Das sind Eigenschaften, die sie in ihrem Privat- und Berufsleben zeigt.

Sonderlich politisch ist Hanna aber nicht und lehnt sich weder gegen das NS-Regime auf noch setzt sie sich in der DDR für mehr Freiheit ein. Ambitionen, die DDR zu verlassen, hat sie auch keine. Sie ist eine, die sich auch sehr gut mit dem herrschenden System arrangieren kann und damit insgesamt eine ambivalente Persönlichkeit. Ein bei ihr kurz verstecktes jüdisches Mädchen schickt sie auf die Straße, nachdem der Blockwart sie darauf angesprochen hat. Später aber gibt sie hungernden Arbeiterinnen aus Polen und der Ukraine Brot. So zeigt sich in Summe eine Frau, wie es sie viele gegeben haben könnte, mit ihren menschlichen Stärken und Schwächen. Genau diese Authentizität macht das Buch in Summe auch aus.

Außerdem mochte ich an dem Buch, wie deutlich es die vielen politischen und ökonomischen Umbrüche aufzeigt, die Menschen dieses Geburtsjahrganges erlebt haben - das muss eine unglaubliche Anpassungsleistung erfordert haben.

Als Hanna schon eine alte Frau von fast 80 Jahren ist, kommt es zur Wende und damit zur Wiedervereinigung. Wieder ein Systemwechsel für Hanna. Ihr ganzes Leben lang hat sie geübt, sich mit den wechselnden Umständen abzufinden und sich anzupassen und so nimmt sie es auch jetzt hin, als Investoren aus dem Westen die Blockbauten mitsamt ihrer Wohnung kaufen, renovieren und die Miete erhöhen möchten und ihren liebevoll angelegten Blumengarten vernichten: "Als die Mietergärten verschwanden, wehrte sie sich nicht. Sie blieb einfach auf dem Sofa sitzen und sah sich bei ausgestelltem Ton die Showsternchen im Fernsehen an. Sie zog die Vorhänge zu, hörte aber, wie die Gartenarbeiter die Pflanzen mit der Wurzel ausrissen."

Mit jeweils wenigen Worten gelingt es der Autorin damit, ein eindringliches Bild der jeweiligen Zeit zu malen. Viele Details, aber vor allem die Atmosphäre dieses beeindruckenden Buches wirken in mir tief nach. Es sind viele harte Bilder, von Tod und Zerstörung, einem Magdeburg, das dem Erdboden gleich gemacht wurde, vielen Jahren der Entbehrung, einem langsamen Aufschwung und zaghafter Hoffnung, wirtschaftlich etwas besseren Zeiten mit wenig Freiheit und doch hin und wieder ein bisschen Raum für Individualität, wie beim Anlegen der Blumengärten. Ganz viel Sich-Abfinden mit den Umständen, Akzeptieren und das Beste aus dem machen, was möglich ist.

Es ist ein wichtiges Buch, ein besonderes Buch, das dazu beitragen kann, Verständnis und Empathie zwischen den Generationen zu fördern und uns allen noch einmal anders spürbar zu vermitteln, woher unsere Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern kommen und was sie geprägt haben könnte, sodass sie so wurden, wie wir sie erlebt haben und sie schlussendlich uns geprägt haben. Hanna steht hier als Beispiel für ganz viele. Danke für dieses Buch!

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