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Veröffentlicht am 28.10.2025

Anders als erwartet, aber überraschend gut

The Academy
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„𝐓𝐡𝐞 𝐀𝐜𝐚𝐝𝐞𝐦𝐲“ ist ein gemeinschaftlicher Roman von Elin Hilderbrand & Shelby Cunningham, in dem wir durch eine Schar von LehrerInnen und SchülerInnen Internatsluft atmen, Teil von verschiedenen Geschichten ...

„𝐓𝐡𝐞 𝐀𝐜𝐚𝐝𝐞𝐦𝐲“ ist ein gemeinschaftlicher Roman von Elin Hilderbrand & Shelby Cunningham, in dem wir durch eine Schar von LehrerInnen und SchülerInnen Internatsluft atmen, Teil von verschiedenen Geschichten und mit stets aktuellen Themen konfrontiert werden.
Geld, Ansehen und der soziale Status spielen hier ebenso eine große Rolle wie Freundschaften, die erste Liebe, Fehlverhalten und emotionales Chaos.

In einem Land, in dem viele (elitäre) Einrichtungen von Spenden leben, sollte es sich Audre Robinson, die sowohl als erste Frau wie auch als erste POC den Posten an der Spitze der Tiffin-Academy innehat, nicht mit den SponsorInnen der nunmehr seit hundertvierzehn Jahren existierenden Schule verscherzen. Keine Eklats dürfen nach außen dringen, nichts, was den Ruf der tadellosen Universität gefährden könnte.
Das landesweite – undurchsichtige – Internats-Ranking einer renommierten Zeitschrift erhöht den Druck, der auf ihr lastet, zusätzlich – dabei liebt Robinson ihren Job und zeigt sich stets nahbar. Nichtsdestotrotz: Tragödien, Liebschaften im Personal, mangelhafte Führungszeugnisse oder die zwielichtige Immunität, die einigen zuteil wird, sind Dinge, die in den Mauern zu bleiben haben. Dabei wird sich strikt an altbackene – schon immer funktionierende – Traditionen, Vorschriften und Lehrpläne gehalten.
Als sich die Tiffin-Academy zu Beginn des neuen Schuljahres plötzlich unter den Top 3 der „Besten Internate“ wiederfindet, fallen alle – inklusive der misstrauischen und missgünstigen KonkurrentInnen – aus den Wolken.
Audre ist überrascht und begeistert – mit der neuen Besetzung von Zimmer 111 und zwei frischen Lehrkräften kann dieses Jahr nur ein glorreiches werden!
Oder?

🍁„𝘑𝘶𝘯𝘨𝘴 𝘸𝘦𝘳𝘥𝘦𝘯 𝘯𝘢𝘤𝘩 𝘪𝘩𝘳𝘦𝘯 𝘛𝘢𝘵𝘦𝘯 𝘣𝘦𝘸𝘦𝘳𝘵𝘦𝘵, 𝘔𝘢𝘦𝘥𝘤𝘩𝘦𝘯 𝘥𝘢𝘯𝘢𝘤𝘩, 𝘸𝘪𝘦 𝘴𝘪𝘦 𝘸𝘢𝘦𝘩𝘳𝘦𝘯𝘥 𝘪𝘩𝘳𝘦𝘳 𝘛𝘢𝘵𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘴𝘴𝘦𝘩𝘦𝘯.“

Hilderbrand & Cunningham erwecken zwar nicht den schulischen Alltag an sich zum Leben, dafür aber die unterschwelligen Brandherde, die verzwickten Situationen unter einzelnen Parteien und die Bedeutung vom sozialen Status. Die Autorinnen zeigen gezielt bestimmte Dynamiken auf und lassen die Stimmung auf den Fluren mehrfach hochkochen. Da aus vielen verschiedenen, rege wechselnden Perspektiven erzählt wird, werden die LeserInnen Teil von Cliquen, Abläufen, Gepflogenheiten und Festivitäten. Auch werden wir in Beziehungen und Streitereien, in sich aufbauende Intrigen und Vorverurteilungen involviert, sehen Erwartungen schrumpfen und Neues erblühen. Ungefilterte Gedanken lassen Personen und Verhaltensweisen noch greifbarer, nahezu real, erscheinen. Das macht es leicht, die Fragmente zusammenzusetzen, sich wiederzufinden, zu verstehen und ganzseitig mitzurätseln. Denn ja, einige Figuren, ihre Veränderungen und Wahrheiten sind von besonders großem Interesse …

▪︎Harrison Flanders, der mit seinem Job in der Küche nur einer Strafe entgehen will, doch nichts gelernt hat.
▪︎Zurück an der Tiffany versucht der gescheiterte Schriftsteller Rhode Rivera die archaischen Vorgaben des Lehrplans zu durchbrechen, ist gleichzeitig aber nicht bereit, eine Abfuhr zu ertragen.
▪︎Aus Trotz und Langeweile widmet sich East – DER heiße Bad Boy – einem verbotenen Projekt – aber was solls? Immerhin sitzt sein einflussreicher Daddy im Vorstand.
▪︎Von den unkonventionellen Neigungen ihrer Eltern geschockt, kämpft das berühmte Influencer-Sternchen Davi Banerjee (fast) unbemerkt mit (gegen) sich selbst und will einfach nur ihre beste Freundin zurück.
▪︎Simone Bergeron ist kaum älter als die Schülerschaft – und der Alkohol ist nicht ihre größte Versuchung.
▪︎Aufgrund ihrer Stellung ist Audre auf positive Presse und einen guten Eindruck angewiesen, daher drückt die Direktorin gerne mal ein Auge zu. Aber ihre stetig wachsende Besorgnis kann sie nicht ignorieren.
▪︎Dub – eigentlich zu arm für die Kreise der Tiffin – leidet besonders unter dem Verlust, der die komplette Schule erschüttert hat, verbindet ihn doch noch immer etwas mit einem Geist.
▪︎Mein persönlicher Liebling war Charlotte Hicks, die durch einen „glücklichen Zufall“ im 5. Jahr an das Internat stoßen durfte. Charley sticht mit dem stets unter ihrem Arm klemmenden Bücherstapel, eloquenten Antworten, einem aus der Zeit gefallenen Stil und der „Mir doch egal“-Einstellung deutlich aus der Masse der Angepassten hervor. Innerhalb von wenigen Monaten vollzieht die Neue zudem eine beeindruckende Verwandlung – von der freaking Außenseiterin zum beliebten Kid, ohne dabei ihre Prinzipien zu vergessen.
...

Gerade die sacht verstreuten Details wecken (ungute) Ahnungen über die Schar aus mit Eigenheiten und Fehlern bestückten Charakteren. Jede/r, der gezielt in den Fokus rückt, jede Dynamik, die auffallend ist, hält dazu an, mehr erfahren, tiefer in die individuellen Persönlichkeiten, Empfindungen und das, nicht immer lupenreine, Innere dringen zu wollen.
Hier und da blitzen Humor und charmante TeenagerInnen-Dramen auf, jedoch auch ernstzunehmende mentale Probleme. In Kombination mit der durchaus elitären Belegschaft, den deutlich hervorgehobenen Hierarchien, wachsender Unzufriedenheit und dem spürbaren Erwartungsdruck schufen Hilderbrand & Cunningham eine mitreißende Basis. Zwar erzählen die Autorinnen ihre Geschichte in einem ruhigen, authentischen Ton, sehr detailreich und ausschweifend, sodass die Spannung größtenteils eher subtil mitfließt, aber ungefähr im Mittelteil, nachdem sich die LeserInnen eingefunden haben und mit Auftauchen einer App, die Geheimnisse ausposaunt, schwerwiegende Vorwürfe erhebt und dafür sorgt, dass sich niemand mehr in Sicherheit wähnen kann, nimmt die Handlung zusehends Fahrt auf, schlägt Wendungen und entfacht einen Sog.

Es gibt hier so viele kleine – realistische – Geschichten, die vor Eifersucht und Neid pulsieren, vor verbotenen Obsessionen und Überforderung; Intrigen, die heimlich gesponnen werden, Schandflecke, die verborgen bleiben sollten, unterschätzte und viel zu hoch gelobte Menschen.
Wir lesen von (besorgniserregenden!) psychischen Erkrankungen, von Geltungsdrang und Vorurteilen, von verbotenen Küssen, alltäglichem Sexismus, nagender Eifer- und Spielsucht, von Trauer und dem häufig ungesunden Umgang mit dieser. Von diversen Beziehung(smodell)en, von Freundschaften, die zerbrechen, von Täuschungen und Lügen, Einsamkeit und der Gefahr, die Vergleiche bergen.
Obgleich die einzelnen Figuren unterschiedlich viel Raum bekommen, der Wechsel und die vergehende Zeit teilweise rasch erscheinen, wurde aus zahlreichen, ineinandergreifenden Informationen und Eindrücken ein großes Ganzes konzipiert – ein komplexes, facettenreiches, mit etlichen Nuancen besprenkeltes Bild. Elin & Shelby sprechen von den vielfältigen Problemen, die das Erwachsenwerden und -sein so mit sich bringen, während sie uns den schönen, glanzvollen Schein, der selten die Wahrheit ist, zeigen …

War es teilweise anstrengend, der kaleidoskopähnlichen Storyline aufmerksam zu folgen? Ja. Ist „The Academy“ dennoch lesenswert, unterhaltsam, aktuell und interessant? Auf jeden Fall!
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Veröffentlicht am 21.10.2025

Düstere Romance – perfekt für gemütlich-schaurige Leseabende

House of Rayne
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„House of Rayne“ ist eine spicy Sapphic-Romance mit atmosphärischen Horror-Elementen und düsteren Geheimnissen: perfekt für herbstliche Lesestunden.

Als Salem auf die Inhaberin des Bed and Breakfasts ...


„House of Rayne“ ist eine spicy Sapphic-Romance mit atmosphärischen Horror-Elementen und düsteren Geheimnissen: perfekt für herbstliche Lesestunden.

Als Salem auf die Inhaberin des Bed and Breakfasts trifft, in dem sie sich für zwei Wochen eingemietet hat, verstummt die Grafikerin. Immerhin steht sie ihrem One-Night-Stand der letzten Nacht gegenüber. Auch Rayne verschlägt der Anblick des Gastes die Sprache, sieht sie ihre Bettgeschichten üblicherweise nie wieder.
Da Salem die Insel wie jede/r UrlauberIn bald verlassen muss, atmet die verschlossene Besitzerin auf. Denn so sehr sie Salems Art und Anwesenheit schätzt, so gefährlich wäre es, wenn sie bliebe … doch manchmal ist das Schicksal ein Miststück und so ist Salem selbst dann noch auf Blackridge Island, als alle BesucherInnen und die letzte Fähre der Saison längst zurück auf dem Festland, in Sicherheit sind …

Harley Laroux führt uns in einem einnehmenden, teilweise verführerisch poetischen, von Distanz und Vorsicht durchtränkten Stil durch ihren Roman. Unheimliche Dinge geschehen auf der Insel, geisterhafte Gestalten suchen das B&B heim, Menschen verschwinden und ein groteskes Geschöpf hinterlässt nichts als Verderben. Schon bald droht Salem inmitten geflüsterter Angst und dem gefährlichen Wispern verloren zu gehen. Aber Rayne wird ihr Anker in tiefster Dunkelheit, in blutigen Albträumen. Ein Fels. Von Rissen gezeichnet, doch scheinbar unbrechbar.

Erzählt wird aus wechselnder Perspektive, was uns einen direkten Zugang zu den Protagonistinnen ermöglicht. Obwohl Salem nur wegen eines gebrochenen Herzens und zerstörter Pläne im Balfour Manor gelandet ist, genießt sie die Auszeit an der Seite der verschwiegenen Frau. Hier kann sie ihre Gelüste und Begierden ausleben, findet sich in nie gefühlter Ekstase wieder. Stellt sich dem Verlangen, das schon viel zu lange in ihr existiert, und sprengt die Fesseln der Gesellschaft, Konventionen und ihre Unsicherheiten.
Rayne, deren eng mit der Tragödie verwoben ist, die seit knapp zwei Jahrzehnten zur Winterzeit den Tod über ihre Heimat bringt, lässt langsam ihre Mauern, erbaut aus herben Verlusten und tiefgreifendem Schmerz, fallen. Gleichzeitig wächst Schuld in ihr – denn wie kann sie einen so guten Menschen, wie Salem es ist, zu solch einer Bürde verdammen?
Beide Frauen, ihre Ängste und Probleme, der Mangel an Selbstakzeptanz und -liebe, waren nachvollziehbar und echt ausgearbeitet, genau wie ihre individuelle, von den gemeinsamen Erfahrungen und der intensiven Zweisamkeit geebnete Entwicklung. Dafür empfand ich die Basis – den Anfang – der romantischen Komponente als substanzlos und zu schnell. Zudem wirkt Salem – außerhalb der im Bett stattfindenden Kapitel – größtenteils naiv und gewissermaßen einfach, sodass ich für die eine oder andere (fehlende) Reaktion kein Verständnis erübrigen konnte. Abgesehen von den Protagonistinnen begegnen wir auch anderen Figuren, diese bleiben aber blasse Schemen. Tatsächlich hätte ich mir mehr von der „tief religiösen Inselgemeinschaft“ erhofft.

Im Verlauf werden die dunklen Gegebenheiten logisch aufgegriffen. Durch temporeiche und adrenalingeladene, haarscharfe Konfrontationen mit dem „Engel“ erhält die namenlose Bedrohung Kontur, während es die Entdeckungen der Frauen, Visionen und verwaschene Hinweise sind, die dem Monster nach all den Jahren einen unerwarteten Ursprung verleihen und Rayne Antworten schenken. Dabei mangelte es insgesamt mehrfach an Aktivismus, verlieren sich die Liebenden gerade im Mittelteil in Passivität, in stillem Warten, was zu Längen führt.
Nichtsdestotrotz schuf Laroux mit ihren Worten eine dichte, atmosphärische Story, die von Dunkelheit und einer subtilen Bedrohung durchzogen, von düsteren Bildern besprenkelt ist. Das mystisch wirkende, abgeschiedene Insel-Setting war eine hervorragende Wahl, denn in Kombination mit den schaurigen Horror-Elementen, den Wendungen und den actionreichen Sequenzen erzeugt die Autorin Gänsehaut. Animiert zum Miträtseln, lässt vorsichtig werden. In dieser paranormalen Romanze zeigt Harley außerdem, dass WW nicht gleichbedeutend ist mit soft und kuschelig, zaghaft und sanft, sondern dass es auch unter Frauen heiß, derb und hart zugehen kann. Salem und Rayne geben sich Spielen aus Dominanz und Unterwerfung, ihren Fantasien hin, nutzen Toys, lieben laut. Die expliziten Szenen waren anschaulich, stimmungsvoll und direkt, jedoch möchte ich einerseits die Vielzahl dieser bemängeln, andererseits sind einige der intimen „Zusammenkünfte“ vollkommen deplatziert – man müsste doch meinen, dass ein undefinierbares, blutrünstiges und scheinbar unaufhaltsames „Geschöpf“ wie auch die Gegenwart einer geisterhaften Erscheinung eher ab- statt anturnend sind …
Am Ende warten noch einige Wahrheiten darauf, die Protagonistinnen und uns zu überraschen.

„House of Rayne“ ist eine mystische Romance, die vor allem mit der geheimnisvollen, düsteren Note und der Ungewissheit auf jeder Seite fesselt.

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Veröffentlicht am 20.10.2025

Mehr davon! Sehr gute und eindrucksvolle Low-Fantasy-Dilogie

Fairiegolden Town – Der König der Verdammten
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Ein gescheiterter Coup brachte die Prinzessin der Diebe in die Gewalt des gnadenlosen Lords, der nichts mehr begehrt als Macht und Kontrolle. Nun sieht sich Samuel Everett in der Bredouille: rettet er ...

Ein gescheiterter Coup brachte die Prinzessin der Diebe in die Gewalt des gnadenlosen Lords, der nichts mehr begehrt als Macht und Kontrolle. Nun sieht sich Samuel Everett in der Bredouille: rettet er die Frau, die seine Welt auf den Kopf stellte, oder sein Volk?

Mit „Der König der Verdammten“ endet die politische Fantasy-Dilogie über „Fairiegolden Town“ – es wird spannend, emotional und aufregend.
Diese Story spielt in einer Zeit, nachdem ein Krieg Fairies und Menschen unwiderruflich entzweite und zahlreiche Länder zerstörte. Liverpool scheint sich als Einziges von der Tragödie erholt zu haben, für ein Miteinander zu stehen. Verantwortlich hierfür ist vornehmlich die Skyson-Gang – unter Führung von Cormorant Samuel Everett. Darüber ist der Lord Mayor, zumindest auf dem Papier die mächtigste Instanz Liverpools, nicht erfreut und sieht sich jetzt endlich in der Position, diesen Umstand zu ändern …

Haben wir in „Prinzessin der Diebe“ die Hauptakteure, die aufrührerische, stetig mehr kippende Situation des eigentlich Einheit symbolisierenden Orts kennengelernt, verfolgt, wie sich die Wege der unterschiedlichen Parteien kreuzen und sich die Gefahr über das Wasser nähert; Einblicke in den existenziell bedrohlichen Plan des Lords und in die von Ideologien geprägten „Purebreads“ bekommen, geht die Geschichte nun nahtlos weiter. Aufgrund der Zeit, die seit dem Vorgänger vergangen ist, der komplexen Gegebenheiten und der Vielzahl von Perspektiven brauchte ich etwas, um mich erneut in der explosiven Welt einzufinden, aber davon abgesehen hatte ich eine aufregende, eindrucksvolle Lesezeit.

Jennifer Benkau schuf mit ihren eindringlichen Worten, mit lebendigen Szenarien, gewaltvollen Machtdemonstrationen, flotten Dialogen und der brodelnden Stimmung, mit deftigen Konflikten, Rebellion und klugen Diskussionen eine dichte, oft beklemmende Atmosphäre, in der hier und da Hoffnungssprenkel und Witz, Magie und sogar ein Hauch Romantik zu finden sind. Dabei wird auf Schwarz und Weiß, auf klassische HeldInnen, auf Rosapuder verzichtet, sondern auf raue, von Erfahrungen, Erwartungen und (inneren) Narben gezeichnete Charaktere gesetzt, die in moralischen Grauzonen, in dunklen Ecken, agieren. Und das macht Sabria O'Toole, Sebestien, Eliah und Co. nahbar. Verletzlich. Echt.

Rory, die sich zu Beginn ihrer Reise noch nicht über das Ausmaß ihrer Rolle und ihrer »Fracht« bewusst war, rückt nun präsenter ins Geschehen; wird gezwungen, sich mit relevanten und nachhaltigen Themen auseinanderzusetzen, ihr eigenes Vorhaben zu hinterfragen und schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.
Eine ebenso große Entwicklung zeigt die Prinzessin der Diebe. Bria wächst über sich hinaus, stellt sich ihrem eigenen Gefühlschaos, ihrer Herkunft und ihren, von einer Gesellschaft, die von Ungerechtigkeiten und Vorurteilen, von Angst und Hass auseinandergerissen wurde, beeinflussten Intentionen. Als Bria auf der Suche nach Antworten auf eine ungeahnte Macht in ihrem Inneren und den damit verbundenen Einfluss stößt, findet sie auch Mut – solchen, der den Verlauf prägt, Samenkorn ist für jene Veränderungen, die Fairies und Menschen brauchen.
Auch Samuel, weiterhin in einer gewichtigen Position und unerschütterlich in seinen Zielen, nicht bereit, Liverpools pluralistische Stellung aufzugeben, wenn gleich der Cormorant schon so viel für seine Stadt gegeben, so viel gesehen und verloren hat, lernen wir noch intensiver kennen. Sein augenscheinlich kaltes und hartes – gleichzeitig reflektiertes und bedachtes – Verhalten, seine Reaktionen, waren nachvollziehbar ausgearbeitet, sodass es einfach war, Verständnis und Mitgefühl zu empfinden.
Nicht zu vergessen sind Aiven, Kayleigh und all die anderen, die nicht nur den Trupp um Everett vervollständigen, sondern relevant sind, Hilfe bringen, Vernunft. Freundschaft und Zusammenhalt symbolisieren, Gleichheit.

Aufgrund der missständigen Situation, in die wir geworfen werden, und der vielschichtigen Figuren und zwielichtigen Parteien fließt ganzheitlich eine subtile (An)Spannung mit, eine nervöse, Vorsicht heischende Note, die selbst in ruhigen Abschnitten dazu verführt, achtsam und aufmerksam zu bleiben. Gleichzeitig fasziniert die Autorin mit mystischen Wesen, berührt mit Tragik und erinnert uns daran, wie leicht sich Fairiegolden Town in unsere Realität projizieren lassen kann. Wie schnell sich Hetze ausbreiten, wie einfach Angst geschürt werden, ein Ganzes zerspringen kann. Mit der hier geschilderten, bewussten und systematischen Spaltung eines Reiches, den Anfeindungen und der Ausgrenzung, den endlosen Ungerechtigkeiten wird Gänsehaut erzeugt, Melancholie, etwas Düsteres.
Da zwischenmenschliche Dramen, Gefühlswirrwarr und unnötige Ausschweifungen nicht dominieren, sondern sich auf charakterliche sowie für die Stadt relevante Entwicklungen konzentriert wurde, bleiben weder Lücken offen noch Raum für Langeweile.
Jennifers Low-Fantasy-Dilogie enthält interessante Hintergründe, unerwartete Geschehnisse, alles aus dem Gleichgewicht bringende Enthüllungen und rührende Augenblicke. Zusätzlich gibt's Action, Tempo, Spaß und personifizierte Stärke. Für das Ende war ich eigentlich noch nicht bereit, aber hier fügen sich alle Fäden zusammen, Geheimnisse werden gelüftet und Fragen beantwortet.

Es war gewissermaßen erfrischend, dieser komplexen, tiefgründigen und aktuellen Geschichte, die sich doch – gemessen an Anspruch und Themen – deutlich von den Trends abhebt, zu folgen. Unbedingt mehr davon!

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Veröffentlicht am 20.10.2025

Große Gefühle samt viel Humor und tieferer Themen

Madly Forbidden
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„Diese Frau würde entweder mein Tod sein oder die Liebe meines Lebens.“

Als Single-Mom, deren wenige positive Erfahrungen mit Männern lediglich auf ihren Bruder zurückzuführen sind, hat sich Dylan geschworen, ...

„Diese Frau würde entweder mein Tod sein oder die Liebe meines Lebens.“

Als Single-Mom, deren wenige positive Erfahrungen mit Männern lediglich auf ihren Bruder zurückzuführen sind, hat sich Dylan geschworen, niemals wieder wegen eines Jungen zu weinen, sich nie mehr zu verlieben. Um für ihre Tochter sorgen zu können, hat die 26-Jährige den Traum vom College gegen einen Job als Kellnerin eingetauscht. Eigentlich ist Dyl in ihrem kleinen Heimatort zufrieden, glücklich – betäubt.
Als sie von Cal und Row das Angebot bekommt, in New York, der Stadt der zahlreichen Möglichkeiten, deren Wohnung zu hüten, greift sie zu – nie waren Veränderung und Wachstum, ein gutes Leben für sie und Grave, so nah.
Nur blöd, dass ihr Nachbar ein Auge auf sie haben soll – gerade Rowlands unverschämt gutaussehender bester Freund. Doch nicht nur die Anwesenheit des Frauenhelden drückt ihre Euphorie des Neuanfangs, auch der aussichtslose Arbeitsmarkt, ihre sie zum Verzweifeln bringenden Finanzen und das Auftauchen ihres Ex'...

Rhyland Coltridge hat sich zur Ruhe gesetzt, um mit seiner erfolgversprechenden Idee in eine glanzvolle Zukunft zu starten. Da er sein Vermögen sinnlos verprasst hat und jetzt auf Investitionen angewiesen ist, sieht er in Bruce Marshall sein Sprungbrett. Aber der konventionelle Cowboy setzt auf Familie und Beständigkeit. Nichts, das jemand mit Rhyland, der seinen Körper und seine Seele jahrelang als Sexarbeiter verdingte und sich einen Ruf als freizügiger Lebemann aufbaute, assoziieren würde. Als Bruce Rhy und Dylan in einer hitzigen Auseinandersetzung erwischt, ist er augenblicklich von der jungen Mutter und Gravity angetan. Und Rhy? Sieht seine Chance und lügt …
Von nun an ist Dylan Casablancas seine Fake-Verlobte. Dass ihn die verbotene Schwester seines besten Freundes am Ende nicht nur Tausende von Dollar, Zeit und Energie kosten wird, sondern auch sein Herz … damit hätte Row wohl am wenigsten gerechnet …

»Meine Schwester hat die ganze Welt verdient.«
»Ich werde ihr die ganze verdammte Galaxie zu Füßen legen.«

L. J. Shen kreierte mit „Madly Forbidden“ erneut eine mitreißende Liebesgeschichte, die mit viel Witz, skurrilen Momenten, charmanten Figuren und realitätsnahen Problemen daherkommt. Der Ton ist direkt und lebhaft; die deftigen, sarkastischen Wortgefechte ließen mich mehrfach lachen und neben einer großen Portion Romantik, Spice und einem Hauch Glamour warten ernste Themen, eine Bandbreite von Gedanken und Gefühlen, die nur zu leicht zu verstehen sind.
Erzählt wird aus wechselnder Perspektive, was deutlich macht, welche Erwartungen beide an dieses befristete Arrangement haben und wie sich ihre Empfindungen langsam verändern, sich die Prioritäten verschieben. Auch erhielten die Protagonisten durch Einblicke in Vergangenes sowie sorgfältig verstreute Details Tiefe – berührende Gründe –, die für ihre verschlossenen Herzen, quälenden Selbstzweifel und die Distanz fordernde Vorsicht verantwortlich sind. Es war wunderbar, zu erleben, wie Rhyland auftaut, Verantwortung übernimmt, zu seinen viel zu lange vor sich und der Welt verborgenen Bedürfnissen steht. Hilfreich hierbei waren mit Sicherheit auch Gravity, ihre unverblümte Kindlichkeit und die liebevolle Mutter-Tochter-Beziehung, etwas, das der angehende Geschäftsmann nie selbst erfahren hat.
Rhy ist eine Schulter, an die sich die Alleinerziehende anlehnen kann, ein Mann, der ihre Intelligenz, ihr Potenzial und sie – als Frau und Mensch – sieht, ihr gewachsen ist. Trotz Argwohn und fiesem Geplänkel, Missverständnissen, Alltagstrott und temperamentvollen Konflikten entwickelt sich der lockere Win-win-Deal zu einer ungezwungenen Affäre und einer Liebe, die unausweichlich war.
Shen greift zudem Vorurteile auf und generiert in ihrem Buch die dringend benötigte Aufmerksamkeit für Single-Mütter und Callboys. Aufgegriffen werden auch Sorgerechtsstreits, sexuelle Übergriffe DURCH Frauen, psychischer Missbrauch von (narzisstischen) Eltern und einiges mehr.
Tate, Tyler und Bruce bringen Anspannung und Ungewissheit in die Handlung, drei nicht durchschaubare, auf unterschiedliche Arten überraschende Facetten, während Cal und Row mit speziellen Eigenheiten für Humor und Wärme sorgen.

Obgleich „Madly Forbidden“ durchaus mit einem üppigen Umfang aufwartet, ist die Story abwechslungsreich, rührend und unterhaltsam. Die Romance beinhaltet eine schiere Flut von Emotionen; Gefühle, die endlich gefühlt, Träume, die endlich gelebt werden müssen.

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Veröffentlicht am 20.10.2025

Coole Idee, die mich nicht komplett überzeugte

Of Flame and Fury
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Neben mystischen Legenden und Sagenwesen gibt es in Salta auch hochentwickelte Technologien. Dennoch sind gerade die gefährlichen, brutalen – widernatürlichen – Phönix-Rennen eine Attraktion, um die sich ...

Neben mystischen Legenden und Sagenwesen gibt es in Salta auch hochentwickelte Technologien. Dennoch sind gerade die gefährlichen, brutalen – widernatürlichen – Phönix-Rennen eine Attraktion, um die sich ReporterInnen, SponsorInnen und ZuschauerInnen jeder Altersklasse scharen. Während die „gezähmten“ Geschöpfe für mediales Aufheben sorgen, werden ihre wilden Artgenossen gefürchtet und getötet.
Kelyn Varra hat gelernt, die credorische Regierung, ihre Forschung und die den Tieren unwürdige Behandlung zu hassen – dennoch ist sie gezwungen, mit ihrer Crew und Sav an den Wettbewerben der CVPRs anzutreten …
Als sich die Howlers auf dramatische Weise dezimieren, bleibt Kel und Dira nichts anderes übrig, als sich mit den berüchtigten Coupers-Brüdern zusammenzuschließen – nur mit deren Hilfe können die Freundinnen weiterhin an den Rennen, mit denen Kel ihre Schulden tilgen und Savita ein Zuhause geben kann, teilnehmen. Dabei ist der Zähmerin gerade der arrogante, zu waghalsigen Manövern neigende Warren ein Dorn im Auge.
Ein außer Kontrolle geratener Phönix sorgt letztlich dafür, dass die neu zusammengewürfelten Howlers ein verlockendes, wenn auch moralisch fragliches Angebot bekommen – eines, das sie am Ende doch nicht ablehnen können.
Nach und nach stoßen Varra, Coup, Dira und Bekn innerhalb der technisch versierten und scheinbar lupenreinen Mauern von Cristo Industries auf abscheuliche Vorgehensweisen, gesetzeswidrige Geheimnisse und perfide Pläne …

„Of Flame and Fury“ verspricht eine temporeiche Geschichte voller tödlicher Wettrennen und magischer Wesen innerhalb einer Tech-Welt sowie eine knisternde Romance. Ohne Frage basiert der Fantasy-Roman von Mikayla Bridge auf einer originellen Idee und interessanten Gedanken, jedoch gelang die Umsetzung mMn nicht zu 100 Prozent.

Zu Beginn wird das Land in Form einer schönen Karte visualisiert, zudem bekommen wir einen Überblick über die verschiedenen Phönixarten. Im Verlauf treffen wir immer wieder auf die Feuervögel – oft in spektakulärer Inszenierung –; sammeln lose Informationen über sie, die Rennen und die herrschenden Gegebenheiten. Fand ich dies spannend, die Kombination frisch, erhielt das Worldbuilding insgesamt eher eine oberflächliche Betrachtung, während ich den Aufbau als sprunghaft bezeichnen würde.
Erzählt wird aus der Sicht von Kel, dabei bleibt die Protagonistin – häufig überfordert und abweisend – unnahbar, obwohl ersichtlich ist, welch große Verantwortung auf ihr liegt, welch tiefe Ängste in ihr wüten. So manche ihrer (naiven/impulsiven) Reaktionen dämpfen die Sympathie, aber je mehr wir über Kelyns Situation, ihre Verluste und Hintergründe erfahren, umso mehr Verständnis erweckt die Autorin für die 17-Jährige.
Warren, Dira und Bekn sind theoretisch von Anfang an präsent, bringen zwar Ideen, Abwechslung und Konflikte mit, bleiben aber, rückblickend, Schemen, die hier und da Freundschaft symbolisieren, Zusammenhalt und Gemeinschaft. Hingegen schafft es Rahn, zu überraschen. Und Cristo? Freund oder Feind?

Stilistisch führt uns Bridge in einem einfachen und leichten Ton durch die Story, die einerseits vor sich hin dümpelt, andererseits rasante und schockierende Sequenzen bereithält. Ereignisse – vor allem die, in denen die Phönixe involviert waren – wurden lebendig und bildreich ausgearbeitet, die Kulisse sowie temporeiche Momente kamen vorstellbar zur Geltung. Es gibt einiges zu entdecken, Dinge und Offenbarungen, die unerwartet kommen, eine mysteriöse Krankheit, die zerstörerischer nicht sein könnte, Augenblicke, die bewegen. Außerdem regen die eingebundenen Themen zum Nachdenken an:
Mikayla generiert Aufmerksamkeit für verschiedene Arten der Tierquälerei. Aufgrund der nicht artgerechten Haltung, Experimente und Schaukämpfe hat die Population der einst freien und wilden – heute gebändigten, eingesperrten und kontrollierten – Wesen deutlich abgenommen. Auch die grausamen Rennen – gleichzusetzen mit bspw. zu Recht verpönten Stierkämpfen und Pferderennen – werden angesprochen und öffnen BefürworterInnen hoffentlich die Augen.

Die Charaktere selbst zeigen kaum eine signifikante Entwicklung, aber gerade die romantische Komponente konnte ich so gar nicht fühlen. Von Knistern und Prickeln? Keine Spur. Nichtsdestotrotz sorgt so manche Figur für Misstrauen, schenkt eine trügerische Sicherheit, bringt Schmerz.
In den letzten 25 Prozent wurde ich plötzlich mitgerissen: Ereignisse überschlagen sich und schockierende Wahrheiten kommen ans Licht. Dramatik, Tragik und Spannung greifen ineinander. Trauer und Loslassen sowie Hoffnung und Liebe wurden Seite an Seite aufs Papier gebannt. Aufgrund des deutlich angezogenen Tempos ist zwar auch hier kein Platz für die nötige Tiefe, dennoch fand ich die abschließenden Kapitel wirklich berührend und aufregend.

Fazit: „Of Flame and Fury“ ist ein solider Fantasy-Roman, der vor allem wegen der Phönixe(-Rennen) an die Handlung fesselt. Die Geschichte der Howlers ist gewissermaßen abgeschlossen, aber ich würde gerne mehr über die Armondspest, die magischen Gegebenheiten und die nun eintreffenden Veränderungen in Salta lesen.

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