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Veröffentlicht am 20.08.2017

Eine Story, die nachhallt

Die Erfindung der Flügel
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„Die Erfindung der Flügel“ von Sue Monk Kidd erzählt aus dem Leben der Schwestern Sarah und Angelina, genannt Nina, Grimké, die sich für die Abschaffung der Sklaverei und für Frauenrechte in den Vereinigten ...

„Die Erfindung der Flügel“ von Sue Monk Kidd erzählt aus dem Leben der Schwestern Sarah und Angelina, genannt Nina, Grimké, die sich für die Abschaffung der Sklaverei und für Frauenrechte in den Vereinigten Staaten von Amerika vor ungefähr zweihundert Jahren eingesetzt haben. Das Cover ist eher schlicht gehalten. Orangefarbene Streifen auf hellem Untergrund stehen symbolisch für Gegensätze wie den von hell- und dunkelhäutigen Menschen oder Frauen und Männern.

Schwarzdrosseln, auch bekannt als Amseln, fliegen vorbei. Sie sind Teil der Familiengeschichte von Hetty, die von ihrer afrikanischen Mutter Charlotte den Namen Handful erhielt. Die Autorin erzählt ihre Geschichte parallel zu der von Sarah. Der Titel des Buchs bezieht sich auf eine afrikanische Legende nach der die Menschen einst fliegen konnten und durch die Sklaverei diese Fähigkeit verloren. Sarah und Hetty sind Menschen, die versuchen ihre Flügel wieder zu erlangen.

Sarah Grimké wohnt mit ihrer Familie zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Charleston in South Carolina und erhält zu ihrem elften Geburtstag die Sklavin Hetty für persönliche Dienste von ihren Eltern geschenkt. Hettys Mutter wohnt ebenfalls im Haus der Grimkés und ist eine begabte Näherin. Als Sarah Hetty die Freiheit schenken will, wird ihr dies verboten. Doch als kleine Genugtuung bringt sie ihr heimlich lesen und schreiben bei, bis beide dabei erwischt und bestraft werden. Sarahs großer Wunsch ist es, so wie ihr Vater Jurist zu werden, doch als Frau bleibt ihr dieser Beruf verwehrt.

Sue Monk Kidd erzählt in diesem Roman von dem streng reglementierten Leben in den Südstaaten, an das sich sowohl die aus besserem Hause kommenden Grimké-Schwestern wie auch die Sklavin Hetty zu richten hatten. Jedes Aufbegehren gegen die Herrschaft bringt Strafe für Hetty und jedes Aufbegehren gegen das für sie vorgesehene gewöhnliche Leben als Haushaltsvorstand und Mutter ebenso wie ihre Haltung gegen die Sklaverei bringt Strafe für Sarah. Ausgezeichnet mit einem hohem Einfühlungsvermögen und Sinn für Gerechtigkeit erkennt Sarah schon früh, dass die Sklaven von ihren Besitzern, darunter natürlich ihre eigene Familie, für ihre Zwecke ausgenutzt werden. Im Laufe der Zeit erkennt sie sich selbst als dem männlichen Geschlecht unterlegen und beginnt sich für die Gleichberechtigung der Frauen einzusetzen. Die Autorin schildert den langen Weg, den sowohl Sarah wie auch Nina gehen müssen um Menschen zu finden, die ihre Ideen teilen und Unterstützung zu finden beziehungsweise deren Gedanken sie aufnehmen können um sie ihrerseits zu verbreiten.

Sue Monk Kidd ist eine hervorragende Symbiose zwischen Realität und Fiktion gelungen. Dank einer ausgezeichneten Recherche vermittelt sie dem Leser die historischen Daten und füllt sie in glaubhafter Weise mit vielen detailliert geschilderten Situationen mit Leben aus. Da Sarah wie auch Hetty jeweils in der Ich-Form erzählen, gelingt es dem Leser nicht nur an der Seite der beiden Frauen die beschriebenen Ereignisse zu erleben, sondern auch deren Gedanken zu teilen. Gerade weil beide so verschieden sind und sich gegen ihre gesellschaftliche Stellung auflehnen, manchmal aber auch nachgeben müssen, bleibt der Roman abwechslungsreich. Wie bei jeder Biografie kann man natürlich nachlesen, wie das Leben von Sarah und Nina historisch verbürgt verlaufen ist, doch gerade die parallel erzählte Geschichte von Hetty bringt unerwartete Wendungen in die Erzählung. Neben den ernsten Themen entbehrt das Buch aber auch nicht freundlichere Abschnitte, wenn die Autorin über die Liebe schreibt oder das Nähen von Quilts. Gleichermaßen wird der Leser emotional berührt.

Wer diesen Roman liest, wird an eine vergessene Episode der Geschichte erinnert, die gerade uns Europäern in dieser Form kaum präsent ist. Von Sklaven, die auf Plantagen gearbeitet haben, hat fast jeder schon gehört, aber hier wird vor allem das Leben der Stadtsklaven geschildert. Die Art und Weise der Darstellung führt dazu, dass die Auseinandersetzung mit dem Abolitionismus und dem beginnenden Feminismus noch einige Zeit in den Gedanken des Lesers nachhallt. Ich kann dieses Buch allen geschichtlich Interessierten sehr empfehlen.

Veröffentlicht am 20.08.2017

Die Hölle lauert auf Erden

Inferno
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Der Thriller „Inferno“ von Dan Brown ist als Hardcover mit Schutzumschlag im Verlag Lübbe erschienen. Er umfasst 685 Seiten inklusive Prolog, 104 Kapiteln, Epilog und einer Danksagung des Autors. Jedes ...

Der Thriller „Inferno“ von Dan Brown ist als Hardcover mit Schutzumschlag im Verlag Lübbe erschienen. Er umfasst 685 Seiten inklusive Prolog, 104 Kapiteln, Epilog und einer Danksagung des Autors. Jedes Kapitel beginnt auf der rechten Seite, so dass einige Seiten des Buchs leer bleiben. Der Titel des Buches in roter Schrift im mittleren Bereich zieht die Blicke der Interessenten auf sich. Im unteren Drittel ist die Silhouette der Stadt Florenz zu sehen, in dem ein großer Teil des Romans spielt. Leider hat sich die Aufmachung gegenüber den vorigen Büchern von Dan Brown geändert. Der Titel bezieht sich auf einen Teil der „Göttlichen Komödie“ von Dante Aligieri. In der dortigen Reise durch die drei Reiche der jenseitigen Welt durchquert man zunächst das „Inferno“. Bereits zum vierten Mal lässt der Autor seinen Protagonisten Robert Langdon, einen amerikanischen Symbologen, mitspielen, der eine Verschwörung aufzuklären hat, die in Zusammenhang mit der exponentiell zunehmenden Weltbevölkerung.
Der Prolog wird von einem scheinbar Wahnsinnigen erzählt, der vor seinen Häschern davonläuft. Nachdem er von seinem nicht benannten Geschenk an die Menschheit erzählt hat, stürzt er sich in den Tod. Scheinbar zusammenhanglos zu diesem Prolog erwacht Robert Langdon zu Beginn der Erzählung in einem Krankenhaus in Florenz. Schnell stellt er fest, dass er sich an die letzten Stunden nicht erinnern kann. Während ein Arzt und eine Ärztin seine Vitalfunktionen überprüfen, dringt eine bewaffnete Person in den Krankenhaustrakt ein und beginnt damit, sich den Weg zu Langdon freizuschießen. Mit der Hilfe der Ärztin namens Sienna Brooks kann er fliehen. Sie nimmt ihn mit zu sich nach Hause um dort die Hintergründe für den Überfall zu klären und eine weitere Flucht vorzubereiten. In Szenewechseln wird der Leser gleichzeitig auf ein Boot mitgenommen, auf dem ein technisch hochgerüstetes Spezialteam für alle möglichen Kundenaufträge tätig ist. Beispielsweise haben sie daran gearbeitet, ein Jahr lang eine bekannte Forscherpersönlichkeit abzuschotten, damit diese in Ruhe an einer Erfindung arbeiten kann. Nun steht nur aus, dieser Person die letzten Wünsche zu erfüllen. Doch dann entdeckt einer der Mitarbeiter etwas Unfassbares. Natürlich sind beide Handlungsstränge miteinander verbunden und für Langdon stellt sich die Aufgabe, mit seinem Wissen eine Katastrophe zu verhindern.
Nach einem spannenden Anfang begibt sich Robert Langdon auf die inzwischen bereits gewohnte Schnitzeljagd mit vielen beinahe mystisch anmutenden Hinweisen in alten Gemälden, die diesmal in Bezug stehen zum Textteil „Inferno“ aus der bereits erwähnten „Göttlichen Komödie“ Aligieris. Staunt man zunächst noch über die gelungene Verknüpfung der Bedeutungen und Verschlingungen der Hintergründe, so lässt die Spannung schnell nach durch etliche Wiederholungen dieser Verbindungen. Des Weiteren sind die Beschreibungen der jeweiligen Settings nach meiner Meinung etwas zu detailliert und daher ermüdend ausgefallen. Ich denke, dass es nicht nur daran liegt, dass ich bereits Florenz und Venedig bereits bereist habe und daher einige Informationen für mich nicht mehr neu waren, sondern es ist zu ausschweifend und bremst den Leser beim Verfolgen der Ereignisse regelrecht aus. Obwohl Dan Brown im hinteren Drittel die Story regelrecht auf den Kopf stellt, ist von Anfang an klar, wer der Bösewicht ist und bleibt. Über den Charakter Robert Langdon erfährt man nichts Neues, ein nennenswertes Privatleben hat er zwischen den Fällen, in denen er mit seinen Kenntnissen zur Aufklärung beiträgt, anscheinend nicht. Und wieder steht ihm wie in den vorigen Bänden eine bemerkenswerte Frau zur Seite, zu der sich eine Beziehung zu entwickeln scheint. Leider konnte mich dieser Thriller nicht so begeistern wie die übrigen Bücher von Dan Browns, vielleicht lag das daran, dass die Geschichte wieder nach dem gleichen „Strickmuster“ erstellt wurde. Dennoch hat der Roman eine gute Handlungskonstruktion und beeindruckt wieder mit viel Hintergrundwissen. Den Fans von Dan Brown kann ich dieses Buch empfehlen.

Veröffentlicht am 17.08.2017

Das Leben ist kein Wunschkonzert

Rimini
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Die verschiedenen Buchteile von „Rimini“, dem Debütroman von Sonja Heiss, beziehen sich in zeitlicher Hinsicht auf Masha Armin, die eine der Protagonisten ist. Weil ihr jeweiliges Alter die Teile betitelt, ...

Die verschiedenen Buchteile von „Rimini“, dem Debütroman von Sonja Heiss, beziehen sich in zeitlicher Hinsicht auf Masha Armin, die eine der Protagonisten ist. Weil ihr jeweiliges Alter die Teile betitelt, lässt sich daran der Fortschritt der Geschichte festmachen. Der Titel des Buchs ist das Ziel der Hochzeitsreise von Mashas Eltern. Doch das ist über 40 Jahre her. Mit ihrem damaligen Aufenthalt in der italienischen Stadt verbindet Barbara, Mashas Mutter, wunderschöne Erinnerungen, die sie nicht mit ihrem Ehemann teilt und die ihr Leben lang ihr kleines Geheimnis geblieben sind.

Wie die weißen Linien auf dem grauen Hintergrund des Covers es andeuten, so ist ihr Leben wie das der weiteren Hauptfiguren nicht immer geradlinig verlaufen und auch in der Erzählung ist der Weg oft krumm. Ihre Kindheit verbindet Barbara mit starken Ängsten, von ihr wurde Gehorsam erwartet. An diese Zeit denkt sie nicht gern zurück, denn sie ist verbunden mit vielen Tränen. Die Liebe zu ihrem Mann Alexander ist erst mit der Zeit gewachsen, doch bestimmte Gemeinsamkeiten weckten in beiden den Wunsch auf ein gemeinsames Leben Seite an Seite, in guten wie in schlechten Zeiten.

Der Roman spielt in der Gegenwart und nimmt nicht nur Barbara und Alexander in den Fokus. Das Ehepaar könnte seinen Rentneralltag in Frankfurt am Main genießen, doch Barbara macht die ständige Nähe von Alexander zu schaffen. Noch mehr Sorgen haben Masha und ihr älterer Bruder Hans, obwohl die beiden eigentlich immer ihrem Ziel gefolgt und ihnen schon vieles geglückt ist. Masha ist 39 Jahre alt und wohnt in Berlin. Mit der Schauspielkarriere hapert es. Immer stärker wird der Wunsch nach einem Kind, aber sie fragt sich, ob ihre langjährige Beziehung der ideale Vater ist. Hans ist ein erfolgreicher Anwalt, verheiratet und Vater zweier Kinder. Die Familie ist gutsituiert. Aber bei Hans macht sich eine gewisse Überheblichkeit im Beruf breit, die Probleme mit sich bringt.

Bereits seit seiner Kindheit äußert Hans seinen Unmut in Wutausbrüchen, die er bis heute weder vermeiden noch verbergen kann. Überspitzt zeigt die Autorin auf, welche Konsequenzen ein antisoziales Verhalten im Beruf haben kann. Doch sie schreckt nicht davor zurück, noch einen Schritt weiter zu gehen und so durfte ich miterleben, wie Hans noch eine weitere Obsession entwickelte. Schwierigkeiten im Job führen zu finanziellen Sorgen und die wieder zu Problemen in der Ehe und Unzufriedenheit bei den Kindern.

Masha befindet sich in einer Phase, in der sie auf die Entwicklung in ihrem Leben zurückblickt und unzufrieden mit dem Erreichten ist. Ein Kind würde ihrer Zukunft nochmal eine neue Richtung geben. Aber sie sieht auch die damit verbundenen Abhängigkeiten. Auch wenn es ihr nicht bewusst ist, schreckt sie dennoch vor der Verantwortung zurück und überträgt ihre Ängste darauf, den idealen Partner zu finden. Dadurch gewinnt sie Zeit für ihre Entscheidung, von der ihr aber im fortgeschrittenen Alter nicht mehr allzu bleibt.

Alexander und Barbara tragen schwer an ihrer Kindheit. In den vielen gemeinsamen Ehejahren haben sie einander so gut kennen gelernt, dass sie die Meinung des anderen zu sämtlichen Fragen des Alltags bereits wissen, ohne darüber zu reden. Gemeinsames Schweigen ist die Folge und Wiederholungen von bereits Gesagtem, wenn es denn zu einem Gespräch kommt. Für Barbara tritt ihr Dasein in eine Dauerschleife, die sie zu durchbrechen sucht. Der genügsame Alexander sucht mit seinem männlichen Beschützerinstinkt die Nähe seiner Frau, doch dadurch wird jeder Ausbruchgedanke Barbaras sofort von ihrem Mann aufgefangen und geprüft. Auflehnung von Barbara bleibt nicht aus, das habe ich als Leser durchaus erwartet, die exzentrische Umsetzung hat mich überrascht.

Sonja Heiss erzählt über eine ganz normale Familie in ihrem ganz gewöhnlichen Alltag, erschreckenderweise hat man an einigen Stellen ein Déjà-Vu. Die Autorin beschreibt alle Unzulänglichkeiten der Charaktere detailliert und ließ mich als Leser daran unbewertet teilhaben. Ihre Charaktere muss man nicht lieb gewinnen und ihre Entscheidungen nicht alle gut heißen, um sich von ihrem Schicksal berühren zu lassen. In Nahaufnahme beleuchtet sie in feinfühliger, manchmal recht freizügiger Sprache das Für und Wider von Entscheidungen. Mit Rückblicken auf Kindheit und Jugend ihrer Protagonisten versucht sie, dem Ursprung der Sorgen auf den Grund zu gehen. An Erwachsene wird der Anspruch gestellt, dass sie ihre Gefühle im Griff haben. Doch möchte man nicht eigentlich noch ein wenig Kind bleiben, wenn damit Geborgenheit und Liebe verbunden ist? Endet Kindsein durch eigenen Beschluss oder den Tod der Eltern? Die Erzählung gibt Anregung darüber nachzudenken.

„Rimini“ ist ein Roman um Liebe und der Suche nach Anerkennung, Bewunderung und Respekt. Der Ernst des Alltäglichen wird durch Ironie, Sarkasmus und überspitzte Darstellung gemildert. Das Leben ist kein Wunschkonzert, das stellt auch Sonja Heiss entsprechend dar und weist bereits im Prolog darauf hin. Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen und darum empfehle ich sie gerne uneingeschränkt weiter.

Veröffentlicht am 08.08.2017

Zunächst gemächlich, dann immer abwechslungsreicher und turbulent

Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow Roman
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Auf dem Cover des Jugendbuchs „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“ von Rainbow Rowell sitzt der Titelheld lässig und cool lächelnd auf einem thronartigen Sessel. Doch allzu viel hat er ...

Auf dem Cover des Jugendbuchs „Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow“ von Rainbow Rowell sitzt der Titelheld lässig und cool lächelnd auf einem thronartigen Sessel. Doch allzu viel hat er nicht zu lachen, denn ein Krieg bahnt sich an in der magischen Welt und bei Anwendung seiner Zauberkräfte ist er alles andere als entspannt.

Simon Snow ist Schüler des Internats Watford School of Magicks. Der aktuelle Leiter der Schule, kurz Magier genannt, hat ihn mit 11 Jahren im Kinderheim der gewöhnlichen Menschen besucht und ihn darüber aufgeklärt, dass er zaubern kann. Mit seiner Mitschülerin Agatha ist er seit langer Zeit liiert und mit seiner Klassenkameradin Penelope, die kurz Penny genannt wird und deren Freund in Amerika lebt, ist er sehr eng befreundet. Zu Beginn seiner Schulzeit hat er in einem Ritual seinen Zimmergefährten Baz zugeteilt bekommen. Baz ist nicht nur ein Zauberer, sondern Simon vermutet auch, dass er ein Vampir ist. Die beiden verstehen sich nicht besonders gut, doch meistens akzeptieren sie die Eigenarten des anderen. Simon und seine Freunde sind ungefähr 18 Jahre alt und kommen ins letzte Schuljahr. Ein Schatten bedroht ihr Dasein, der nach seiner Anwesenheit große Löcher auf der Erde hinterlässt. Aber Baz kehrt nach den Ferien nicht an die Schule zurück und sein Fernbleiben wirft bei Simon Fragen auf. So stellt das finale Schuljahr ihn nicht nur vor die Aufgabe, seine Zauberkraft endlich zu kanalisieren, sondern auch nach dem Verbleib von Baz zu suchen. Ein Glück für ihn, dass er Penny und Agatha an seiner Seite hat.

Das Buch beginnt mit deutlichen Ähnlichkeiten zu der Serie um Zaubererlehrling Harry Potter, daher war ich zunächst etwas enttäuscht beim Lesen, zumal sich die Geschichte auch eher langsam aufbaute. Doch dann wurde alles ganz anders und turbulent. Zwar reicht auch hier der Erzählzeitraum über ein Schuljahr, doch weil dies bisher ein Einzelband ist, wird die Vergangenheit in Rückblicken erzählt und ergänzt auf diese Weise die Ereignisse in der Gegenwart. Dadurch passiert ständig etwas Neues. Um einige Geschehnisse aus der Vergangenheit darzustellen, die die heute lebenden Charaktere wissensmäßig weiter voran bringen können, hat sich die Autorin einen interessanten Trick ausgedacht.

Die Schilderungen erfolgen immer in der Ich-Form und wechseln auf die unterschiedlichen Charaktere der erwähnten Freunde und diverse andere Randfiguren. Jede Szene wird zwar nur einmal beschrieben, jedoch konnte man auf diese Weise auch schon mal in der Erinnerung eine andere Ansicht erfahren. Die nummerierten Kapitel, die immer auf einer neuen Seite beginnen, sind mit dem Namen desjenigen betitelt, der gerade erzählt. Grundsätzlich ist das nur eine Figur. In Ausnahmen, wenn die Spannung oder die Emotionen steigen, wechselt die Perspektive nach kürzeren Abschnitten noch innerhalb des Kapitels, was mich als Leser noch intensiver in das Geschehen einbezog. Rainbow Rowell lässt mit ganz einfachen, klaren Sprüchen zaubern. Das ist so genial, dass ich entgegen der Vernunft versucht war, mein eigenes Glück damit zu probieren.

In ihrem letzten Schuljahr beginnen die Protagonisten ebenfalls, sich in Gefühlsangelegenheiten zu entwickeln. Bestehende Freundschaften werden darauf überprüft, ob man mehr als auf einer mentalen Ebene füreinander empfindet. Dabei kommt es zu einigen Überraschungen. Etwas verworren und unklar bleibt leider die Herkunft von Simon Snow.

Worüber andere Autoren eine mehrbändige Serie schreiben, dass schafft Rainbow Rowell in einem einzigen Buch. Sie beeindruckt mit Charakteren, die zwar nicht alle ganz ausformuliert sind, aber in ihrem Wesen doch ganz eigen. Sie lässt Gefühle ihrer Figuren zu, die darüber auch offen reden. Keiner ist perfekt, doch jedem wird Raum und Zeit eingeräumt, Mankos zu korrigieren, sich zu verbessern oder einfach zu akzeptieren wie man ist. Dadurch entsteht eine zwar zunächst gemächliche, doch dann immer abwechslungsreichere und unterhaltsame Geschichte mit unvorhersehbarem Ende. Mir hat das gut gefallen und daher empfehle ich den Roman gerne an Jugendliche ab 13 Jahren, aber auch an alle erwachsenen Fantasyfans weiter.

Veröffentlicht am 06.08.2017

Komödie mit Ruhrpott-Kolorit und Hauptstadt-Flair

Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte
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Den Titel des Debütromans von Anna Basener „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ kann man sinnvoll entsprechend des Lebensabschnitts der Protagonistin Änne ergänzen mit „… da war sie Wirtschafterin ...

Den Titel des Debütromans von Anna Basener „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ kann man sinnvoll entsprechend des Lebensabschnitts der Protagonistin Änne ergänzen mit „… da war sie Wirtschafterin im Bordell“. Später hat sie sich dann mit einer ihrer besten Freundinnen zusammengetan und eine Frühstückspension in Essen-Rellinghausen eröffnet. Eine der Leidenschaften von Omma Änne sind Zigaretten im eleganten Langformat, daher ist das Cover ähnlich einer entsprechenden Marke gestaltet mit Blumenborte am linken Rand. Der Titel ist, wie ein Warnhinweis, im unteren Drittel zu lesen.

Fünf Söhne von drei Vätern hat Omma zur Welt gebracht und Bianca, 26 Jahre alt, ist ihre Enkelin. Zum Studium wollte sie raus aus dem familiären Umkreis im Ruhrgebiet, darum ist sie nach Berlin gezogen und hat hier eine kleine Wohnung, die sie sich mit einer anderen Studentin teilt. Doch dann stirbt Mitzi, die Vertraute und Freundin von Omma, so dass diese jetzt ganz allein in ihrer Pension in Essen ist. Kurzentschlossen nimmt sie die Einladung ihrer Enkelin nach Berlin an. Wegen eines Streits wird idealerweise das Zimmer der Mitbewohnerin frei. Darum bleibt Omma Änne bei Bianca, ihre Möbel hat sie auch im Gepäck. Mancher Freund aus Essen kommt in der Folgezeit gerne zu Besuch. Und währenddessen brennt Bianca die Frage unter den Nägeln, woran die Mitzi denn eigentlich gestorben ist. In ihr keimt der Verdacht, dass sie das nicht erfahren soll und gerade darum will sie es auf jeden Fall wissen! Die Antwort lässt nicht nur Bianca staunen.

Anna Basener erzählt in ihrem Debütroman eine überaus turbulente Handlung zwischen Essener Kohlenpott und Berliner Multikulti. Die Handlung in der Gegenwart wird aus Sicht von Bianca erzählt. Sie ist eine knallharte Beobachterin, die die Dinge gerne hinterfragt, was von ihrer Omma manchmal bedauert wird, weil sie sehr hartnäckig sein kann. Als Leser konnte ich an ihren Gedankengängen teilhaben, das brachte mir mehr Nähe zu den Situationen und den einzelnen Personen. Auch beim Denken kann Bianca sich ihrer Essener Herkunft nicht ganz entledigen. Kurze Sätze, kein Blatt vorm Mund, aber immer ehrlich, auch wenn man die Ehrlichkeit manchmal zurechtbiegen muss. Die Dialoge mit Omma Änne sind im Pütt-Platt gehalten mit ganz viel typischem Akkusativ und „watt“ und „datt“. Dadurch kam das Flair des Ruhrgebiets mit nach Berlin.

Anna Basener bedient manches Klischee. Der Roman erzählt nicht nur das Leben von Biancas Großmutter, sondern auch von ihren Freundinnen, den beiden Prostituierten Mitzi und Ulla. Die Autorin schildert die Geschichten mit einem Augenzwinkern, aber durchaus realistisch denkbar. Sie befasst sich mit der Frage, was Frauen dazu veranlasst, sich für Sex bezahlen zu lassen, verschweigt aber auch mögliche Konsequenzen nicht, vor allem die Abhängigkeit von einem Zuhälter und gewaltsame Übergriffe.

Omma Änne und Bianca sind Personen, die man lieb gewinnt und denen man gerne auch ungesetzliches Verhalten verzeihen möchte. Die Handlung bleibt in ständiger Bewegung. Die große Frage, woran Mitzi gestorben ist, bringt Spannung ins Geschehen. Daneben bahnt sich auch eine Liebesgeschichte an, natürlich eher kompliziert. Anna Basener versteht es, neben Hass, Neid, Liebe und Verachtung ihrer Charaktere mit ihrem lockeren, leichten Schriftstil Witz in den Roman zu bringen. Mir hat das sehr gut gefallen. Das Buch wird verfilmt, darauf bin ich schon sehr gespannt.