Faszinierende, rasante Straßenliteratur
Top GirlsIn der Badewanne liegt ein Typ, nicht schön anzusehen. Dana hatte ihn entdeckt, als sie Bier nachladen wollte. Sie macht sich keine Sorgen. Wenn man so viele Besoffene gesehen hat und sich selbst immer ...
In der Badewanne liegt ein Typ, nicht schön anzusehen. Dana hatte ihn entdeckt, als sie Bier nachladen wollte. Sie macht sich keine Sorgen. Wenn man so viele Besoffene gesehen hat und sich selbst immer wieder unter ihnen wähnt, dann denkt man nur noch selten darüber nach. Liv hört Danas Erstaunen mit einem Ohr zu, das andere hat sie wegen ihrer Gedanken verschlossen. Sie hat Nore gesucht, obwohl sie weiß, dass er nicht mehr kommen wird. Er hat es versprochen wie so vieles, das er nicht einhält. Im Flur vermischt sich die Musik mit den Menschen zu etwas Unerträglichem. Liv hat Schlagseite und Doppelbilder. Sie weiß, dass sie morgen mit stinkendem, aufgedunsenem Körper aufwachen wird, die Zunge am Gaumen festgeklebt und dass sie wieder nichts verpasst haben wird.
Am nächsten Morgen ist Liv noch nicht ganz bei sich, als Thom ins Zimmer rauscht und auf sie einquatscht. Dana ist in der Nacht abgehauen, sie müssen sie abholen. Liv steht auf und betrachtet kurz das Chaos in ihrer WG. Auf dem Sofa, auf dem Teppich, in Nores Bett, überall liegen Leute. Der Teppichboden ist ein stinkender Floor aus Bier, Scherben, Chips, Erbrochenem und Kippen. Sie will, dass die Leute verschwinden, will alles Saugen und Schrubben. Thom drängt. Sie geht nur mit, wenn er später die Alkoholleichen rausschmeißt. „Na klar.“ Unten in der Halbgasse wabert unfreundlicher Nebel, die Top Girls haben Schichtwechsel, knallige Farben, kurze rote Röcke, hohe Overknee Stiefel. Die Freier flanieren mit Autos.
Also los, Burggasse, Theater, Museum, Burggarten, Straßenbahnhaltestelle. Raus in die urbanen Randbezirke. Liv nickt kurz ein, dann sind sie da. Betonwald, grau, unübersichtlich, Thom weiß den Weg. Fünfte Etage, eine Frau namens Sascha am Bügelbrett. Ein sehr kleines Kind in einer Wanne mit wenig Wasser vor ihr. „Hinten links letzte Tür.“ Dana liegt in einem Bett, Thom schüttelt sie, Liv will sie ohrfeigen. Dana stöhnt, sie ziehen sie unter den Axeln nach oben, wanken ins Badezimmer, Dana, wie ein nasser Putzlumpen zwischen ihnen. Kaltes Wasser in der Dusche, rein in die Klamotten, runter auf die Straße. Taxi, sagt Liv. Sie wühlen in Danas Handtasche, finden ein paar Scheine. „Wenn sie mir ins Auto kotzt …“, „,… bezahlen wir die Reinigung, wir kennen das Prozedere!“
Fazit: Ana Drezga hat ein Romandebüt hingelegt, das mich mitgerissen hat. Ihre Hauptdarstellerin lebt in eine WG in Wien. Ihr Job am Theater als Tänzerin, den sie zufällig bekommen hat, ist schlecht bezahlt und der Choreograf verlangt ihr alles ab. Mit ihrer Mitbewohnerin und besten Freundin säuft sie auf ausufernden Partys ihren Alltagsfrust weg und landet in einer Spirale aus Suff, Ausnüchterung und Tanz. Mangels Alternativen hält sie an dieser Situation fest. Die frustrierende Beziehung zu Nore, in der er mehr Distanz hält, als Nähe zuzulassen, drückt sie ebenso nieder. Die Autorin hat mich mitgenommen auf einen harten Trip durch das urbane Wien der 2020er. Die Theaterszene besteht aus schlecht bezahlten Dienstleister*innen, alle sind austauschbar und erfahren keinerlei Wertschätzung. Eine No Future Stimmung wie in der Punkszene der 80er-Jahre macht sich breit. Beziehungen bleiben unpersönlich, Intimität ist gefährlich. Die Geschichte ist rasant und temporeich, sie bedient sich einer Sprache, die mitreißt. Trotz aller Destruktion sehr unterhaltsam.