Profilbild von MarionHH

MarionHH

Lesejury Profi
offline

MarionHH ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MarionHH über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.01.2022

Gala und Salvador – eine unvergleichliche Liebe

Gala und Dalí – Die Unzertrennlichen
0

Als Gala Éluard mit ihrem Mann ins Fischerdörfchen Cadaqués nach Spanien reist, ahnt sie nicht, dass dies ihr Leben grundlegend verändern wird. Als Muse des Dichters hofft sie, dass er seine Schreibblockade ...

Als Gala Éluard mit ihrem Mann ins Fischerdörfchen Cadaqués nach Spanien reist, ahnt sie nicht, dass dies ihr Leben grundlegend verändern wird. Als Muse des Dichters hofft sie, dass er seine Schreibblockade überwindet, aber andererseits fühlt sie sich in ihrer eingefahrenen Ehe gefangen. Als sie den zehn Jahre jüngeren Maler Salvador Dalí kennenlernt, ist sie zunächst mäßig begeistert, denn er ist schüchtern, verklemmt, ein Hinterwäldler. Für Dalí hingegen ist es Liebe auf den ersten Blick und er tut alles, um ihr zu gefallen. Das Wunder geschieht: Gala verliebt sich in ihn – der Beginn einer fruchtbaren und intensiven Beziehung voller Leidenschaft und Schaffenskraft.

Großartiger, biografisch gefärbter Roman über das Kennenlernen und die intensiven zwei Anfangsjahre von Dalí und Gala Éluard und der Beginn ihrer sowohl kreativ als auch materiell sehr fruchtbaren Beziehung. Man hat das Gefühl, da haben sich zwei gefunden, die sich perfekt ergänzen, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite der aufgrund seiner Kindheit und Erziehung verklemmte und konservative Dalí, der irgendwo zwischen Pubertät und Erwachsensein stecken geblieben ist, auf der anderen die weltgewandte, sexuell befreite russischstämmige Lebedame, die das Luxusleben liebt und in der Pariser Künstlerwelt zu Hause ist. Dalí, der nur malen will und dem Geld und materieller und gesellschaftlicher Status nichts bedeuten, findet in Gala aufklärerische Geliebte, fürsorglich-mütterliche Ehefrau, inspirierende Muse und hart verhandelnde Managerin. Mit ihr und durch sie werden Dalí und seine Bilder weltberühmt.

Gala selbst kann man gar nicht genug bewundern. Auf Bildern wirkt sie gar nicht einmal wie eine Filmstarschönheit, aber sie muss immenses Charisma und eine große Sinnlichkeit besessen und auf Männer wie ein Magnet gewirkt haben. Im Buch wird sie als ein zwiespältiger und komplexer Charakter dargestellt, aufgewachsen und geprägt im zaristischen Russland, das sie weitgehend aus ihren Gedanken verbannt hat. Eine Frau, die sich voll und ganz ihren sexuellen Neigungen und dem ausschweifenden Künstlerleben hingibt und die dennoch als Muse und knallharte Geschäftsfrau alles für den kommerziellen Erfolg des Künstlers Dalí tut. Sie gibt für ihn ihr komfortables Leben an der Seite Éluards auf, weil sie spürt, dass Dalí ein von seiner Kunst Besessener ist, anders als bei ihrem Mann, für den sie nur Zeitvertreib zu sein schein – meines Erachtens ein Hauptgrund, warum es sie zu Dalí hinzieht. Dafür nimmt sie aufopferungsvoll in Kauf, von der Hand in den Mund, in einer armseligen Fischerhütte und in Paris in schäbigen Mietwohnungen zu leben, bei potenziellen Mäzenen Klinken zu putzen, ihren Schmuck zu versetzen und in der Welt der Reichen und Schönen unter Geheimhaltung ihrer eigenen prekären Lage Dalís Kunst bekannt zu machen. Mit ihrem Wesen und ihrer Lebensart steht sie außerdem in direktem Gegensatz zur strenggläubigen, konservativem und patriarchalisch dominierten Familie Dalís, vor allem zu seiner Schwester, die Dalí in – so wird angedeutet – nahe inzestuöser Liebe verbunden ist. Gala wird zur verruchten Hexe, die die Familie zerstört und den Sohn in ihrem Sumpf mit hinabzieht.

Formal ist das Buch in drei Teile aufgeteilt, die die Geschichte thematisch unterteilen, auch wenn sie chronologisch erzählt wird. Der erste Teil beendet die Phase des Kennenlernens mit der kurzzeitigen Trennung, Teil zwei erzählt das erneute Zueinanderfinden und der Versuch sich zu etablieren und Teil drei beschreibt den Beginn des Erfolges. Liegt in der ersten Hälfte des Buches der Fokus klar auf Gala und Dalís Liebe, so konzentriert sich das Geschehen mehr und mehr auf Dalís Kunst, bis der Leser zuletzt gar Zeuge bei der Schaffung eines von Dalís Meisterwerken wird. Auch wenn die Autoren im Nachwort zugeben, dass sie die eine oder andere Zeitangabe zugunsten der Geschichte ein wenig angepasst haben, hat man doch stark das Gefühl, wirklichen Begebenheiten beizuwohnen. Gala und Dalí, die uns abstrakt und weit weg erscheinen, werden zu realen Menschen mit Gefühlen, Zweifeln und großen (Zukunfts-)Ängsten. Die Autoren zeichnen nicht nur die Persönlichkeiten Galas und Dalís akkurat nach, sie setzen sie in den Kontext ihrer Herkunft und ihrer Zeit, die sie geprägt haben, sie zeigen auf, wie revolutionär ihre Ansichten, wie zukunftsweisend Dalís Kunst und wie wichtig Galas Rolle bei Dalís Entwicklung waren. Spritzige, aber auch tiefgründige Dialoge und ein ungeheuer eingängiger Erzählstil machen diese Geschichte zu einem ungeheuren Lesevergnügen, das nachhallt und das Lust macht, sich eingehender mit den beiden zu beschäftigen.

Fazit: Diese Geschichte hat alles, was das Herz begehrt, aber vor allem anderen ist sie die einer ganz großen Liebe. Sie ist zugleich lehrreiche Literatur und großartige Unterhaltung. Ein gewisses Interesse an Kunst und der Künstlerszene, an deren Ansichten und an historischen Hintergründen sollte vorhanden sein. Die Autoren schaffen es, uns sowohl den großen Künstler als auch die starke Frau an seiner Seite nahe zu bringen, ohne die er wohl nie geworden wäre, was er ist: einer der größten Maler unserer Zeit.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.12.2021

Packende Gesellschaftsstudie und Kriminalfall Anfang des 20. Jahrhunderts

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Freiheit der Frauen (Hafenärztin 1)
0

Hamburg, 1910: Die Ärztin Anne Fitzpatrick muss London Hals über Kopf verlassen und kehrt zurück in ihre Heimatstadt Hamburg. Dort will sie ihre Arbeit als Ärztin für bedürftige und gefallene Frauen und ...

Hamburg, 1910: Die Ärztin Anne Fitzpatrick muss London Hals über Kopf verlassen und kehrt zurück in ihre Heimatstadt Hamburg. Dort will sie ihre Arbeit als Ärztin für bedürftige und gefallene Frauen und deren Kinder sowie ihren Kampf für Frauenrechte fortsetzen. Bei der Eröffnung ihres Frauenhauses findet die Pastorentochter Helene eine Leiche im Wasser – bevor das Haus richtig öffnen kann, wird es schon wieder geschlossen. Der eigensinnige Ermittler Berthold Rheyd beginnt sich in den Fall zu verbeißen, auch wenn die Obrigkeit diesen als „Mord im Milieu“ abtun will. Als weitere tote Frauen gefunden werden, erkennt er schnell, dass mehr dahinter steckt und wittert außerdem, dass Anne etwas verbirgt. Anne indessen spürt, dass sie selbst in höchster Gefahr schwebt, denn der Mörder scheint seine Taten ganz gezielt in ihrem Umfeld zu begehen...

Sehr fesselnder, gut geschriebener Roman und packender Kriminalfall. Die Autorin versteht es ausgezeichnet, ihren Figuren Persönlichkeit zu verleihen und ihr Umfeld und ihre Geschichte anschaulich und bildhaft zu beschreiben. Geschickt verwebt sie außerdem den Kriminalfall mit aktuellen Themen der Zeit wie der Kampf um Frauenrechte, soziale Abgründe, das Klassensystem der damaligen Gesellschaft, aber auch die pulsierende Metropole Hamburg und den Aufbruch in eine neue Zeit. Hier stehen junge Menschen, die für Gleichberechtigung und einen sozialeren Staat kämpfen, die vom freien Willen überzeugt sind und dass jeder eine Chance verdient hat, den „alten“, konservativen, durchweg männlichen Mächtigen gegenüber. Letztere kämpfen mit aller Macht um den Erhalt der alten Ordnung und sind der festen Überzeugung, dass ein jeder da steht, wo er von Gottes Gnaden hingehört. Verkörpert wird dies besonders durch Helene und ihre Familie, ihren gestrengen Pastorenvater und die demütig gehorchende Mutter auf der einen, die aus der Enge des Patriarchats ausbrechenden Kinder auf der anderen Seite.

Aufgebaut ist die Geschichte um die drei Hauptfiguren Anne, Helene und Burkhard, aus deren Perspektiven jeweils erzählt wird. Nach und nach verknüpfen sich deren Leben immer mehr und damit auch deren Sichtweisen. Jeder von ihnen verkörpert eine soziale Schicht, Burkhard die Arbeiterklasse, Helene das konservative Bürgertum und Anne die reiche Oberschicht, wobei sich bei diesen jungen Menschen die Grenzen bereits verwischen. Alle drei haben ihre Päckchen zu tragen und Altlasten aus der Vergangenheit. Helene und Anne brechen aus und arbeiten für und mit den untersten sozialen Schichten, Burkhard als Arbeiterkind spielt in einem elitären Fußballverein und erarbeitet sich einen Status bei der Polizei. Alle drei eint ihr starker Wille und der Wunsch nach der Wahrheit, nach Aufklärung und ihren Kampf für die Schwachen. Es sind eigenwillige Charaktere, mit denen man sofort mit lebt und über die man gerne mehr erfahren möchte, zumal das Geheimnis von Anne um die Geschehnisse in London nicht komplett gelöst werden. Vor allem Helene macht meines Erachtens eine große Entwicklung durch, sie ist auch die jüngste und steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Sie reift durch die Ereignisse und findet einen klugen Kompromiss mit ihrem Vater bezüglich ihrer Berufswahl. Außerdem reflektiert sie viel und korrigiert ihr eigenes Verhalten. Ein weiterer wichtiger Mitspieler ist der Journalist und Sozialist Lauritzen, der damit ebenfalls für eine – damals verfolgte - Minderheit steht und der durch seine Artikel großen Einfluss auf die Öffentlichkeit ausübt. Auch er trägt einiges zur Aufklärung bei.

Der Fall selbst ist durchaus spannend und die Ermittlungsarbeit interessant erzählt. Besonders das Zusammenspiel der Truppe um Kommissar Rheydt, die ebenfalls erst zusammenfinden muss, ist spannend und glaubhaft erzählt. Die Geschichte lebt aber weitaus mehr von der unterschwelligen Bedrohung für Anne und ihre persönliche Involviertheit sowie ihre Arbeit für die sogenannten gefallenen Frauen. Davon dass sie und Helene gemeinsam ermitteln, kann keine Rede sein, es ist eher Zufall, dass Helene mit ihrer ungestümen jugendlichen Neugier einige Male zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Sie hat aber ebenso wie Anne ein feines Gespür für die Menschen und ein großes Herz für die Benachteiligten. Für Berthold spricht, dass er das „Gerede“ der jungen Frau ernst nimmt, er steht für moderne und offene Ansichten in einer männlich dominierten Welt.

Fazit: Sehr gelungener Auftakt zur neuen Trilogie um die Hafenärztin Anne Fitzpatrick, Sozial- und Gesellschaftsstudie und Kriminalfall in einer geschickt verwobenen Geschichte, die sich flott herunterliest und bei der man es bedauert, dass sie schon zu Ende ist. Um so mehr freut man sich auf die weiteren Bände, die bereits nächstes Jahr erscheinen und die ein Wiedersehen mit den lieb gewonnen Figuren bescheren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.12.2021

Großartiger historischer Roman um den Bau der Karlsbrücke

Die Brücke der Ewigkeit
0

Prag, Mitte des 14. Jahrhundert: Als Kind hat Steinmetz Jan Otlin Gott geschworen, ihm eine steinerne Brücke zu bauen, die allem standhält und nie mehr einstürzt - eine Brücke für die Ewigkeit. Im Jahr ...

Prag, Mitte des 14. Jahrhundert: Als Kind hat Steinmetz Jan Otlin Gott geschworen, ihm eine steinerne Brücke zu bauen, die allem standhält und nie mehr einstürzt - eine Brücke für die Ewigkeit. Im Jahr 1357 ist es soweit: Kaiser Karl IV. ernennt ihn zum kaiserlichen Brückenbaumeister, und Jan macht sich mit Feuereifer ans Werk. Er weiß, dass Gottes Wege unergründlich sind und viele Prüfungen vor ihm liegen werden. Aber nicht nur Unwetter, Stürme und Fluten machen ihm zu schaffen, in den eigenen Reihen lauern Neider, die sich für nichts zu schade sind, um ihn aus dem Weg zu räumen…

Ein schlichtweg großartiger historischer Roman, der das Leserherz höherschlagen und keine Wünsche offenlässt. Für mich einer der besten historischen Romane des Jahres! Von der ersten Zeile an fesselnd, mit gut durchdachtem, klug strukturiertem Aufbau, vielschichtigen Charakteren und bildhafter und authentischer Darstellung des historischen Kontextes, in den die Geschichte aufs Trefflichste eingebettet ist. Der Autor versteht es meisterhaft, die Menschen und ihre Zeit lebendig werden zu lassen und bildet die mittelalterliche Gesellschaftsstruktur wesensgetreu nach. Er gibt uns tiefe Einblicke in alle gesellschaftlichen Schichten wie Hochadel, Rittertum, Geistlichkeit, bürgerliche Handwerksleute, Marktweiber, Huren, pickt sich einzelne Vertreter heraus und spart auch nicht mit Extremen, wie den eifernden Mönch, die Sternendeuterin und die mordenden und vergewaltigenden Raubritter. Dadurch wird deutlich, dass dies eine Zeit im Umbruch und voller Gegensätze ist, einerseits das feudale Herrschaftssystem mit klar definierten Klassen und Rollen, mit großer Gottesfurcht und tiefem Aberglauben, aber auch mit wachsenden Städten und erstarkendem Bürgertum, mit hervorragenden und fortschrittlichen Meistern und Kaufleuten, die Dinge anpacken und voranbringen. Der Autor schafft es zudem, dass seine Figuren nicht nur schwarz oder weiß sind, sondern mit ihren nachvollziehbaren menschlichen Stärken und Schwächen, Zweifeln und Ängsten sind sie absolute Kinder ihrer Zeit, die er so lebendig auferstehen lässt, dass Jahrhunderte in Windeseile überbrückt werden.

Dabei erweist er sich als hervorragender Erzähler, der seine Geschichte übersichtlich strukturiert. Aufgeteilt in vier Bücher verläuft die Handlung keineswegs chronologisch. In Rückblenden erzählt Jan Otlin die Ereignisse, wobei er als allwissender Erzähler fungiert und in seinem Bericht auch aus anderen Perspektiven erzählt wird. Dadurch gewinnt der Leser natürlich viel bessere Einblicke in Tathergänge und Gedanken und Motive der Protagonisten, als wenn in der Ich-Form erzählt würde. Der Geschichte vorangestellt und als erstes Kapitel eines jeden Buches liegt immer die gegenwärtige Situation Jans und der Seinen, die dann im letzten Buch abgeschlossen wird. Die einzelnen Kapitel sind zudem mit treffenden Überschriften und Zeitangaben betitelt. Geschickt beendet er zudem fast jedes seiner Kapitel mit einem Cliffhanger, so dass man einfach weiterlesen muss. Schön und informativ sind auch Stadtplan des historischen Prag, Zeittafel, Personen- und Begriffsregister.

Nicht nur in historischer Genauigkeit und Authentizität überzeugt der Autor, auch seine Figuren sind herausragend und lassen einen jede Sekunde mit ihnen mitleben, und das nicht nur mit den mir als Leserin sympathischen, sondern auch mit den Gegenspielern. Dass über einigen historischen Ereignissen ein Schatten liegt, kam ihm dabei sehr zupass. In zunächst drei Haupthandlungssträngen werden die Erlebnisse Jans, Maria-Magdalenas und Jans Gegenspieler Rudolph erzählt und die Ereignisse aus deren Sichtweise näher umschrieben. Gut gelungen fand ich, dass man so auf unterschiedliche Weise Beschreibungen erhält, mal näher dran, mal weiter weg ist vom Geschehen, je nach dem ob sich die Akteure gerade gut kennen oder was sie miteinander zu tun hatten. Die Geschichte ist wie ein Netz aus zunächst mehreren losen Fäden, die sich nach und nach verknüpfen.

Von allen Figuren habe ich mit Maria-Magdalena am meisten mitgelitten, vielleicht auch weil sie ein junges Mädchen ist und damit am verwundbarsten, aber mehr noch weil sie so viel Leid erfährt in ihrem jungen Leben und dabei doch stark ist, niemals aufgibt und zur Liebe fähig. Sie macht die stärkste Entwicklung in ihrem Erwachsenwerden durch, pendelt zwischen Fatalismus und „das Glück in die eigene Hand nehmen“, zwischen Glaube und Zweifel, Lebensmut und Höllenqual, begeht Sünden und soll doch büßen für etwas, das sie nicht getan hat. Lange erkennt sie in einer unbegreiflichen Naivität nicht das wahre Wesen der Sterndeuterin, die in meinen Augen die personifizierte Schlechtigkeit in diesem Roman ist, eine Scharlatanin und Schlimmeres, die mit ihrer Bösartigkeit das Schlechteste im Menschen entfacht und ihre Schwächen gnadenlos erkennt und ausnutzt. Das gelingt ihr vor allem bei Rudolph am besten, der vor allem neidisch, eitel und schwach ist und bei dem immer die anderen schuld an seinem Unglück sind. Aber zu meinem großen Vergnügen gibt es doch (göttliche?) Gerechtigkeit und in diesem Sinne auch ein wohlverdientes, höchst befriedigendes Ende.

Fazit: Ein herausragender Roman eines mehrfach preisgekrönten, vielseitigen Autors, dem hier wirklich ein echter Pageturner gelungen ist, ein Muss für alle Fans des gehobenen historischen Romans. Wer mehr von ihm lesen möchte, dem seien seine unter dem Pseudonym Ruben Laurien verfassten historischen Romane empfohlen. Er schreibt untere weiteren Namen außerdem Krimis und Fantasyromane.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.11.2021

Gesellschaftsroman und Liebesgeschichte – Entgegen aller Konventionen und Widerstände

Die Ullsteinfrauen und das Haus der Bücher
0

Berlin, 1928: Der Ullstein-Verlag in Berlin ist der größte und mächtigste Verlag in Deutschland. An der Spitze steht unangefochten Dr. Franz Ullstein, Generaldirektor, seine Brüder und einzelne Familienmitglieder ...

Berlin, 1928: Der Ullstein-Verlag in Berlin ist der größte und mächtigste Verlag in Deutschland. An der Spitze steht unangefochten Dr. Franz Ullstein, Generaldirektor, seine Brüder und einzelne Familienmitglieder bilden das Gremium. Als er die dreißig Jahre jüngere Dr. Rosalie Gräfenberg kennenlernt, ist es um ihn geschehen. Nur ein paar Wochen später macht er der erfolgreichen Journalistin einen Antrag und entgegen aller Widerstände seitens der Familie heiraten sie. Bald jedoch ziehen dunkle Gewitterwolken auf: Die Familie beschuldigt Rosalie eine Spionin zu sein und enthebt Dr. Franz seines Postens. Bald findet sich Rosalie vor Gericht wieder, die ganze Familie gegen sich….

Großartiger Gesellschaftsroman, Liebesgeschichte und Sittengemälde im Berlin der Goldenen 20er Jahre, der sehr wahrheitsgetreu die kurze Ehe von Dr. Franz Ullstein mit Dr. Rosalie Gräfenberg und den Prozess nachzeichnet. Die Autorin stützt sich, wie sie in ihrem Nachwort ausführt, neben vielen anderen Quellen, bei den Beschreibungen der Personen hauptsächlich auf den Ullsteinroman von Sten Nadolny und auf Rosalie Gräfenbergs Autobiografie, und auch wenn natürlich Dialoge erfunden und Handlungen gerafft wurden, so ist das Fundament doch historisch belegt und sehr akribisch recherchiert, und gerade das macht diesen Roman so detailgetreu, realistisch und seine Figuren so authentisch und überzeugend. Die Autorin versteht es zudem, ihren Figuren Leben einzuhauchen, sie als „echte“ Menschen darzustellen und ihre Persönlichkeit greifbar zu machen. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt, gewinnt man als Leser sowohl tiefe Einblicke in das gesellschaftliche Leben der Oberschicht, in deren Kreisen sich Rosalie und Dr. Franz bewegen, in die Ullstein-Familie und – als Gegenpart dazu – in die Arbeiterklasse. Der Roman ist eben nicht nur eine Liebesgeschichte, Themen wie die Geschlechterrollen und Klassenunterschiede, das Aufbegehren und der Kampf gegen diese werden ebenso thematisiert wie der beginnende Terror der Nationalsozialisten.

Mit Rosalie Gräfenberg hat sich die Autorin die perfekte Sympathieträgerin herausgesucht. Rosalie ist nicht nur schön, sondern auch weltgewandt, elegant, klug und gebildet, unabhängig, politisch und wirtschaftlich bewandert. Sie verkörpert alles, was man als Frau gerne sein möchte, ist dabei aber so reizend, dass man sie neidlos anerkennt und mit ihr befreundet sein will. Sie ist zudem herzlich, gefühlvoll und hilfsbereit und hat mit Vicki Baum eine eher burschikose Freundin an ihrer Seite, die unverbrüchlich zu ihr steht. Interessant ist die dritte im Bunde, Lilli Blume, das Arbeiterkind mit den großen Ambitionen, die aus dem Schattendasein heraustritt und ihren Weg geht. Die ungleichen Frauen helfen sich gegenseitig und sprengen durch ihre Taten einige gesellschaftliche Konventionen. Ich fand besonders großartig, wie die Autorin geschickt reale Ereignisse und Personen mit erfundenen verwebt, Lilli und ihre Familie, ihr Leben und Lieben sind eine ebenso wundervolle wie interessante Familie wie die Ullsteins, und man wünschte sich, mehr über sie zu erfahren. Lilli als Vicki Baums – vermeintlich unsichtbares - Tippfräulein steht stellvertretend für die Arbeiterschicht, hier gibt es dunkle Hinterhöfe, Kohlgeruch, Dialekt und keine Konzerte und Dienstmädchen. Hier gibt es aber auch unverbrüchliche Treue, eine große Würde und der Aufbruch in eine neue Zeit. Dies zeigt sich an Lillis und ihrer Schwester Gundis Ambitionen, beruflich etwas zu erreichen, und an ihrer Freundschaft mit Rosalie und Vicki Baum.

Fazit: Toller Roman, der viele Genres abdeckt und in seinem Stil und mit seinen herausragenden Figuren von der ersten Zeile an fesselt. Die Autorin bleibt bei ihren Darstellungen von Ereignissen immer nah an der Wahrheit, daher ist auch der Schluss kein reines Happy End, aber gerade dadurch nachvollziehbar und versöhnlich. Sie gibt sowohl historischen als auch fiktiven Figuren Charakter und Menschlichkeit und zusammen mit ihrem sehr eingängigen, flüssigen Schreibstil wird das Buch zu einem wahren Lesevergnügen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.09.2021

Bewegende Mutter-Tochter-Geschichte zurzeit der Französischen Revolution

Die letzte Tochter von Versailles
0

In Paris Mitte des 18. Jahrhunderts wächst die 13jährige Véronique in ärmlichen Verhältnissen auf, die vaterlose Familie kommt kaum über die Runden. Als ihre Schönheit dem Leibdiener König Ludwigs XV. ...

In Paris Mitte des 18. Jahrhunderts wächst die 13jährige Véronique in ärmlichen Verhältnissen auf, die vaterlose Familie kommt kaum über die Runden. Als ihre Schönheit dem Leibdiener König Ludwigs XV. auffällt, zögert die Mutter nicht lange und verkauft ihre Tochter als Mätresse für den König. Als Véronique schwanger wird, wird sie abgeschoben, schließlich mit einer Mitgift ausgestattet und verschachert, ihre Tochter Marie-Louise kommt zu Betreuern. Jahre später denkt Marie-Louise, inzwischen ausgebildete Hebamme und selbst mit Familie, immer noch an ihre Mutter und fragt sich, wer ihre Eltern waren. In den Wirren der französischen Revolution, in welcher auch Marie-Louises Ehemann eine tragende Rolle spielt, kommt Marie-Louise tatsächlich ihrer Mutter auf die Spur und lüftet das Geheimnis ihrer Herkunft…

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer einen stringent erzählten historischen Liebes- und Abenteuerroman mit fortlaufender Handlung und einer starken Heldin als Identifikationsfigur, wie zum Beispiel bei den Hebamme- oder Wanderhure-Büchern, erwartet, wird eher enttäuscht werden. Natürlich gibt es diese Figuren, auf die sich die Handlung konzentriert, allen voran Véronique und Marie-Louise, doch diese sind immer stark eingebunden in die Geschehnisse ihrer Zeit, werden zum Spielball großer Mächte und der Umstände, und nicht immer geht alles gut aus. In meinen Augen ist der Autorin ein wirklich fulminanter, bewegender, bildhafter Historienroman gelungen, der den Wechsel Frankreichs vom Absolutismus zur Republik zum Leben erweckt, wobei sie sich einzelne Lebensumstände herauspickt und die Ereignisse an deren Beispiel erzählt. Dabei gelingt ihr eine überzeugende Darstellung des Alltags sowohl des Adels und des Königshauses als auch des einfachen Volkes und des Bürgertums. Genauso könnte es wirklich passiert sein, die Menschen und ihr Schicksal werden gerade dadurch, durch ihre Schwächen und Zweifel und durch die Tatsache, dass eben nicht alles immer glatt läuft, authentisch. Hierbei hat man als Leser das Gefühl, man nimmt lebhaft teil an deren Leben und ist selbst mittendrin in dieser Gesellschaft.

Für mich gliedert sich die Geschichte eigentlich in zwei Hauptteile (im Buch ist die Geschichte in mehrere Teile strukturiert), und zwar den ersten um Véronique und den zweiten um Marie-Louise. Der erste bricht dann relativ abrupt ab, und es bleibt lange unklar, was nun eigentlich mit Véronique geschehen ist. Als großartige Erzählerin hat die Autorin verschiedene Erzählstränge und Perspektiven verwendet, die sogar mit verschiedenen Stilen behaftet sind. Man merkt sofort (nicht nur an der Kursivschrift), dass hier Véronique erzählt, aus ihrer Erzählung spricht ihre mangelnde Bildung, ihre Unbedarftheit und Naivität, aber auch ihre Loyalität und ihre Liebe. In Rückblicken wird dann Marie-Louises Kindheit erzählt, und lange Zeit hört man von Véronique erst einmal nichts. Der rote Faden jedoch ist die Verbindung zwischen Mutter und Tochter, zunächst eine geistige, später auch eine reale - ein Faden, der nie abreißt. Beide fragen sich immer, wo die andere ist und ob es ihr gutgeht. Beiden ist gemein, dass sie keine schöne Kindheit hatten, sie werden Spielball der Mächtigen beziehungsweise der Männer, die sie lieben. Beide verkörpern jedoch auch genau ihre Zeit, Véronique die alte Epoche als Mätresse des absolutistischen Herrschers, Marie-Louise als Gattin eines Revolutionärs und Anhänger Dantons die neue, die Zeit der Aufklärung, des Umbruchs und der neuen Zeitrechnung. Marie-Louise stellt aber gleichzeitig das Bindeglied zwischen Monarchie und Republik dar. Anders als ihre Mutter hat Marie-Louise die Möglichkeit, aufgrund ihrer Hebammenausbildung einen Beruf zu ergreifen und ihr Einkommen zu sichern, sie ist also auch ohne Mann lebensfähig. Sehr bezeichnend ist außerdem, dass der Sohn Marie-Louises in eine andere, noch neuere Welt aufbricht – in das junge, gerade unabhängig gewordene Nordamerika. Er verkörpert also auch wieder eine neue Gesellschaftsordnung, ein von Mutterland losgelöster, unabhängiger Staat, in dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.

Fazit: Ein großartiger Roman, der von großen Umwälzungen erzählt, von Leben, die trotz allen Widrigkeiten und Rückschlägen gelebt werden. Ich fand die intimen Einblicke in das Leben der Mätressen und den historischen Kontext insgesamt sehr spannend und war tief gerührt von der Mutter-Tochter-Geschichte und der großen Loyalität, die diese Frauen für die, die sie lieben, empfinden. Ein sehr schöner und zu Herzen gehender Roman.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere