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Veröffentlicht am 28.11.2019

Ungewöhnliche Reise durch Nürnbergs Geschichte

Dürer und die Fratze des Teufels
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"Dürer und die Fratze des Teufels" ist ein Buch mit einem ungewöhnlichen Thema: tatsächliche historische Personen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Nürnberg lebten, werden hier in 20 Kurzgeschichten ...

"Dürer und die Fratze des Teufels" ist ein Buch mit einem ungewöhnlichen Thema: tatsächliche historische Personen, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert in Nürnberg lebten, werden hier in 20 Kurzgeschichten mit - bis auf einen Fall - fiktiven Verbrechen verbunden. Da der Hauptteil der Geschichten im 15. Jahrhundert liegt, begegnen uns einige Personen mehrfach, auch Orte oder Bauwerke kommen immer wieder vor, was uns auf angenehme Weise in dieses Nürnberg eintauchen läßt. Stadt und Leute werden einem durch das Buch hindurch immer vertrauter.

Das Titelbild ist gut gelungen, es zeigt im Hintergrund die Frauenkirche am Hauptmarkt - der Hauptmarkt ist einer der Orte, die uns im Buch immer wieder begegnen. Davor dann Dürer; farbig, aber von den Farbtönen her zum Hintergrund passend, so daß es harmoniert. Kleine Zeichen wie ein Blutsfleck oder Kratzer in einer Türe zeigen das Kriminalfallmotiv gut an. Die Schrift ist ebenfalls sehr ansprechend und paßt zum Thema und der im Buch behandelten Zeit.

Jeder Geschichte ist eine Kurzbiographie der historischen Person nachgestellt, die hier der Fokus ist. Das ist eine gute Kombination, manchmal ist auch die Inspiration für die Geschichte in dieser Kurzbiographie erwähnt. Ein wenig irritiert war ich, daß die Kurzbiographie Albrecht Dürers und die Kurzbiographie Agnes' Dürers sich widersprechende Aussagen enthalten. Manche der Biographien sind arg knapp geraten, aber überwiegend sind sie informativ und reichern die Fiktion der Geschichten mit Fakten an. Ich habe hier einiges gelernt.

Die Geschichten sind von der Qualität unterschiedlich und im Gesamten war ich doch ein wenig enttäuscht, wie viele Geschichten für meinen Geschmack stilistisch und/oder inhaltlich zu wünschen übrig ließen - es waren einige dabei, die ich nur mit 2 Sternen bewertet hätte. Hier war es oft so, daß die Dialoge gestelzt und unnatürlich wirkten oder Hintergrundfakten ungeschickt eingebaut wurden. Zwei Geschichten haben für mich inhaltlich keinen Sinn ergeben und in einer - eigentlich recht guten - Geschichte ist ein dicker Logikfehler. Ein Thema wurde gleich in zwei Geschichten verwendet, die teilweise inhaltlich fast gleich sind.
Dem stehen aber auch einige ausgezeichnete Geschichten gegenüber, die sich angenehm lesen, unerwartete Wendungen bieten, historische Fakten elegant einflechten und uns Interessantes über Bauwerke oder Wahrzeichen vermitteln. Hier stachen für mich besonders "Der Nachtgiger", "Die Entführung der Reichskrone" und "Feuerzungen" heraus. Eine erfrischend originelle Idee macht "Ein feiger Anschlag" ebenfalls zu einer flotten Lesefreude. Insgesamt sind die 20 Geschichten also ein sehr durchwachsenes Vergnügen, was ich schade finde. Der Logikfehler, die widersprüchlichen Informationen und so manch gestelzter Dialog hätte vermieden werden können. Wenn ich jeder Geschichte eine Einzelsternebewertung gebe und daraus den Durchschnitt ziehe, ergeben sich 3,3 Sterne.

Da die Idee gut ist, die Gestaltung ansprechend und ich viel gelernt habe, vergebe ich 3,5 Sterne.

Veröffentlicht am 24.11.2019

Spröder Stil, nicht immer gelungene Themengewichtung

Der deutsche Adel
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Den deutschen Adel auf knapp über 120 Seiten zusammenzufassen, ist natürlich keine leichte Aufgabe, wie die Autoren es auch ganz richtig im Vorwort erwähnen. Ich habe aus der C.H. Beck Wissen-Reihe einige ...

Den deutschen Adel auf knapp über 120 Seiten zusammenzufassen, ist natürlich keine leichte Aufgabe, wie die Autoren es auch ganz richtig im Vorwort erwähnen. Ich habe aus der C.H. Beck Wissen-Reihe einige Bücher gelesen, deren Autoren stets versuchen müssen, komplexe Sachverhalte sinnvoll zu komprimieren. Manchmal gelingt das (wie im Buch zu Ostpreußens Geschichte) ganz hervorragend. Hier hat mir die Umsetzung nicht so ganz zugesagt.

Die Gewichtung der Themen war nicht immer nach meinem Geschmack. So wird recht viel Raum der Frage gewidmet, was eigentlich Adel ist, was deutschen Adel ausmacht - das hätte wesentlich knapper abgehandelt werden können. Auch dass die durchaus komplexe und teils problematische Rolle des Adels in der Weimarer Republik und des deutschen Reiches kaum mehr Raum bekam, als das Thema des Adels zur Nachkriegszeit, fand ich nicht gelungen. Hinzu kommt noch, daß das letzterwähnte Kapitel sich mehr populären Medien und allgemeinen Fragen widmet und wenig relevante Informationen bietet.

Auch innerhalb der Kapitel habe ich mich oft gewundert, welchen Raum manche Themen bekamen und wie kurz andere behandelt wurden. Manche wohl eher allgemein bekannte Dinge werden erklärt, während an anderen Stellen erhebliches - gerade historisches - Hintergrundwissen vorausgesetzt wird. Überhaupt ist der Text nicht gerade zugänglich. Er wirkt trocken, spröde, lädt nie zum Weiterlesen ein. Oft werden absätzelang Zahlen rezitiert und detailliert berichtet, wie der Prozentsatz der Adeligen in einer Institution, Industrie, etc. sich entwickelt. Das hätte eine Tabelle übersichtlich und platzsparend darstellen können. Auch sind manche Zahlen ohne Vergleichsgrößen nicht aussagekräftig. Wenn erwähnt wird, daß irgendwann im 18. Jahrhundert ein Kaufpreis von xy für etwas fällig war, dann kann man mit dieser Information zur etwas anfangen, wenn man weiß, wie zB das durchschnittliche Monatseinkommen war, was Brot im Verhältnis kostete, etc.

Positiv zu vermerken ist, daß recht viele Themen behandelt werden und man durchaus einiges erfährt. Ab und an bekommen wir konkrete Beispiele von Familien oder Personen, ein paar Abbildungen sind vorhanden und manches wird recht gut in Relation gesetzt. Die regionalen Unterschiede werden gut dargestellt. Als absolute Grundlage ist dieses Buch nutzbar, aber ein zugänglicherer Schreibstil (auch hier: siehe das C.H. Beck-Buch über Ostpreußen) und eine bessere Gewichtung der Themen hätte viel bewirkt.

Veröffentlicht am 11.11.2019

Wundervoll geschriebene und ergreifende Geschichte

Mittagsstunde
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Nachdem ich in "Altes Land" bereits den Schreibstil Dörte Hansens so bemerkenswert fand, auch wenn es für mich dann an Charakteren und Geschichte haperte, bin ich von "Mittagsstunde" restlos begeistert. ...

Nachdem ich in "Altes Land" bereits den Schreibstil Dörte Hansens so bemerkenswert fand, auch wenn es für mich dann an Charakteren und Geschichte haperte, bin ich von "Mittagsstunde" restlos begeistert.

Wieder geht es um ein norddeutsches Dorf und auch hier erzählt die Autorin auf verschiedenen Zeitebenen. Man muß in jedes Kapitel ein wenig reinlesen, bevor man weiß, in welcher Zeitebene man gerade ist. Das funktioniert aber ausgezeichnet und mir hat es Spaß gemacht, zu sehen, wo (bzw: wann) wir uns nun befinden, wer hier im Fokus stehen wird. Durch ihre klare Art zu schreiben läßt Dörte Hansen trotz vieler Charaktere und verschiedener Zeitebenen keine Verwirrung entstehen. Durch die Blicke in verschiedene Zeiten füllen sich auch nach und nach Lücken, klären sich einige Fragen, wird unser Bild im vollständiger. Leider bleibt das Schicksal einer wesentlichen Person des Buches dann völlig offen, was ich doch ein wenig störend fand, es erschien mir zu nebenbei abgehandelt.

Der Schreibstil ist wieder ein Vergnügen, meines Erachtens noch besser als bei "Altes Land". Hier wird Sprache schnörkellos und doch ganz bildhaft, auf hohem Niveau verwandt. Hohe Sprachkunst ohne irgendetwas Prätentiöses. "Marret Feddersen schien hinter einer Wand aus Glas zu leben (...) und manchmal war das Glas auch noch beschlagen" - das ist nur einer dieser Sätze, die wundervoll und knapp so viel aussagen. Ich bin in diese Sprache eingetaucht.

Auch die Charaktere sind meisterhaft gezeichnet. Der rote Faden im Dorf Brinkebüll und im Buch ist die Familie Feddersen, von denen wir drei Generationen kennenlernen. Besonders anrührend fand ich Sönke, der auch im hohen Alter von über 90 noch seelisch von seiner jahrzehntelang zurückliegenden Zeit in russischer Gefangenschaft gekennzeichnet ist, der auch nach seiner Rückkehr in sein Heimatdorf viele Bürden tragen mußte. Er tut dies schweigsam, wie überhaupt in Brinkebüll nichts zerredet wird. Sönkes Gedanken zu Schuld und Sühne, zur Anständigkeit, sein wortknappes Sich-Annehmen des unehelichen Kindes seines offiziellen Tochter und auch die ebenfalls wortkarge Hingabe an seine Ehefrau Ella - das alles ist zutiefst berührend, manchmal herzzerbrechend traurig. Wir erleben ihn in einer Zeitebene in der Mitte seines Lebens, in einer anderen Zeitebene, die in der Gegenwart spielt, als alten Mann, der geistig rege ist, dessen Körper ihn aber zunehmend im Stich läßt. Die Szenen, in denen Sönkes Enkel Ingwer sich um Sönke und dessen Frau Ella kümmert, zeigen ganz eindringlich, wie schmerzhaft das Alter werden kann, was es an Würde, Unabhängigkeit und Freiheit nehmen kann und wie es auch auf die jüngere Generation wirkt.

Dies sind nur einige der vielen Themen, die uns in "Mittagsstunde" begegnen. Es gibt kaum dramatische, rasante Geschehnisse, das Buch ist eher eine Milieustudie eines kleinen Dorfes und sich ändernder Zeiten. Es geht vorwiegend um die kleinen Dinge, die Charakterentwicklungen, die kleinen Umwälzungen, die manchmal zu großen Umwälzungen führen. Man wird als Leser Teil dieses Brinkebüll-Mikrokosmos, in dem Dinge auf ihre eigene Art geregelt werden. Ich fand diesen Blick in eine mir fremde Welt ganz faszinierend und zudem ausgezeichnet dargestellt.

Ingwer Feddersen, Sönkes Enkel, ist ein wenig ein Bindeglied zwischen modernem Stadtleben und dem traditionellen Dorfleben. Er ist als einziger der Charaktere ein wenig farblos und die sich mit ihm beschäftigenden Passagen haben ab und an Längen, sind nicht immer so fesselnd, aber auch hier gab es viel Interessantes. Die Schilderung seines seit über 20 Jahren bestehenden WG-Lebens, in dem seine beiden Mitbewohner mit großer Krampfhaftigkeit am Unverkrampftsein festhalten und sich von ihrem großbürgerlichen Hintergrund trotz aller Versuche genauso wenig trennen können wie Ingwer von Brinkebüll, ist herrlich gelungen.

So erfreut "Mittagsstunde" mit einer sorgfältig konzipierten Geschichte, in der sich Zeitebenen, Charaktere, Themen und Lebenswelten zu einem ungemein unterhaltsamen Ganzen zusammenfinden. Das ist manchmal herrlich komisch und manchmal zu Tränen rührend. Eines der drei besten Bücher, die ich dieses Jahr lesen durfte!

Veröffentlicht am 06.11.2019

Toll ausgedacht, für meinen Geschmack zu langatmig erzählt

Der Lehrmeister (Faustus-Serie 2)
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Als große Verehrerin Goethes und seines Fausts lese ich immer gerne andere Faustadaptionen. Da mir der Schreibstil von Oliver Pötzsch im ersten "Henkerstochter"-Band ausnehmend gut gefallen hat, war ich ...

Als große Verehrerin Goethes und seines Fausts lese ich immer gerne andere Faustadaptionen. Da mir der Schreibstil von Oliver Pötzsch im ersten "Henkerstochter"-Band ausnehmend gut gefallen hat, war ich also sehr neugierig, wie er das Thema umsetzt.

Den ersten Band dieser Faust-Dilogie habe ich nicht gelesen, was aber dem Verständnis keinerlei Abbruch tat. Wenn Informationen aus dem ersten Band relevant waren, wurden sie hinreichend (wenn auch oft wiederholend - was "damals in Nürnberg" geschah, erfahren wir um die zwanzigmal) erläutert. Die Leser der zweiten Bandes so gut in die Geschichte einzuführen gelingt nicht jedem Autor und das hat mir gefallen.

Es sind als kleine Goethe-Hommage immer wieder Zitate aus Faust I und II eingestreut, die in einem Anhang auch noch einmal aufgelistet werden. Sonst fand ich - abgesehen von gewissen Grundstrukturen - weder den Goethischen noch den historischen Faust sehr in der Geschichte wieder. Das äußere Rahmenwerk paßt, aber dem Wesen Fausts fehlte mir meistens das Faustische. Er sagt auf Seite 605: "Ich bin der alte Johann, nicht der kluge Faustus." Das ist zwar nicht ernst gemeint, aber es ist doch ein wenig der Eindruck, den ich auch immer wieder hatte. Das war aber, sobald ich mich geistig von meiner Faust-Vorstellung gelöst habe, nicht störend oder unerfreulich, denn Oliver Pötzsch präsentiert hier eine ganz ausgefeilte Geschichte, die wahre Geschichte mit bekannten und unbekannten Theorien vermischt, historische und fiktive Personen aufeinander treffen läßt und dies alles zu einem im positiven Sinne komplexen Ganzen werden läßt.

Die historische Recherche, die in dieses Buch geflossen ist, läßt sich wohl nicht ansatzweise ausmalen. Hier steckt Arbeit und Herzblut drin und das merkt man. Soweit ich das beurteilen kann, ist die Recherche ausgezeichnet, ich fand mir Bekanntes gut beschrieben und habe Neues erfahren und teilweise auch nach dem Lesen weitere Informationen dazu gesucht. Die historischen Charaktere passen sich gut in diese fiktive Geschichte ein. Überhaupt ist die Charakterentwicklung im Buch durchweg gelungen. Die Charaktere sind vielschichtig, manche führen uns erfolgreich hinters Licht, anderer bleiben zwiespältig und es gibt manche Überraschung. Sogar absolute Nebenfiguren sind sorgfältig ausgearbeitet, selbst wenn sie nur in einer Szene auftauchen.

Die Beschreibungen sind detailreich, was einerseits dazu beiträgt, daß wir viel über diverse Orte und Lebensumstände erfahren. Andererseits führt diese Detailfreude auch oft zu Zähigkeit. Die Langatmigkeit des Buches hat mir das Lesevergnügen leider ganz erheblich beeinträchtigt. Es geht noch recht flott los, dann aber fließt die Geschichte wie ein schlammiger breiter Fluß oft träge dahin. Wir erfahren Grübeleien (gerne auch mehrfach), theoretische Diskussionen, ausufernde Beschreibungen oder Dialoge, die die Handlung nicht weiterbringen. Hatte ich am Anfang noch das "Oh, noch ein Kapitel, ich muß wissen, wie es weitergeht"-Gefühl, habe ich später oft mitten im Kapitel mit dem Lesen aufgehört. Richtig gebannt war ich nur selten und während mir sonst beim Lesen die Seiten immer zu schnell dahinschwinden, dachte ich hier oft "Oh, erst auf Seite x." Der erste Showdown nach etwa 2/3 des Buches brachte endlich Tempo in die Geschichte, wird aber leider dann von einem besonders zähen letzten Drittel abgelöst, in dem ich anfing, Seiten zu überfliegen. Am Ende folgt der finale Showdown, der mir teilweise zu überzogen, aber auch zu langatmig war. Insofern muß ich zugeben, daß ich trotz ausgefeilter Geschichte und toller Charaktere froh war, das Buch zu Ende gelesen zu haben.

Ein weiterer Punkt, der mich richtiggehend geärgert hat, waren die zahlreichen Wiederholungen, die ich bei einem so versierten Autor und renommierten Verlag in dieser Fülle nicht erwartet hätte. Einige Beispiele:
1. Seite 186: "Die Stadt heißt Amboise." - Seite 198: "Die Stadt, in der Leonardo wohnte, hieß Amboise." - Seite 225: "...und das war Leonardo da Vinci, der in Amboise Wohnte."
2. Die Thematik der Kaiserwahl angesichts des Todes Kaiser Maximilians, die beiden Hauptkontrahenten und alles, was damit zusammenhängt, wird uns immer und immer wieder erklärt (sogar im Nachwort erfahren wir es erneut), oft fast gleichlautend.
3. Daß und wen Karl und Greta lieben, erfahren wir auch immer und immer wieder. Daß jemand, der die Charaktere zuerst enttäuscht, ihnen dann geholfen hat, wird uns auf wenigen Seiten vier oder fünfmal mitgeteilt, obwohl wir ohnehin dabei waren. Auch sonst wird uns das Geschehen oft noch einmal zusammengefaßt, manchmal sogar innerhalb von wenigen Seiten aus verschiedenen Gesichtspunkten. Das fiel mir insbesondere auf Seite 618 und 621 auf, als wir uns bekanntes Geschehen noch zweimal zusammengefaßt finden.
4. Das letzte Drittel des Buches findet zwei Jahre nach den vorherigen Geschehnissen statt. Daran erinnern uns die Charaktere dann auch unablässig. Dies sind nicht einmal alle Stellen. Seite 538: "der zwei Jahre lang gedauert hatte!", Seite 546: "Zwei Jahre lang war...", Seite 556: "In den letzten zwei Jahren...", "...das vor ungefähr zwei Jahren...", Seite 557: "Außerdem sind mittlerweile zwei Jahre vergangen.", S. 566: "In den letzten zwei Jahren war.", S. 589: "Zwei Jahre lang hatte er sie nicht gesehen", S. 621: "Über zwei Jahre war es nun her..." usw.

Ein wenig wiederholend fand ich auch die häufig mehr oder weniger unerwartet hervorbrechenden Feinde. Es gibt viele ähnliche Szenen von Kämpfen mit Banditen, Soldaten des Königs, Soldaten des Papstes, dunklen Wesen. Auch der heimtückische Überfall mit Bewußtloswürgung oder Betäubung eines oder mehrerer Protagonisten, der/die dann als Gefangene wieder zu Bewußtsein kommen, wurde mit drei-/viermal für meinen Geschmack zu oft genutzt.

Schlußfolgerungen über manche Charakterentwicklungen werden uns nicht selbst überlassen, sondern erklärt, obwohl sie aus der Handlung verständlich sind. Auch einfache Schlußfolgerungen werden uns erklärt, so zB wird an einer Stelle Lärmempfindlichkeit erwähnt, worauhin ein Protagonist auf die Idee kommt, einen Heidenlärm zu verursachen. Das ist einfach zu verstehen, liegt zeitlich auch nah beisammen, und trotzdem wird uns noch erklärt: "Der Gedanke war ihm gekommen, als die Lärmempfindlichkeit erwähnt wurde" (sinngemäß zitiert).

All dieses "Füllmaterial" fand ich unnötig und auch störend, es trug zudem auch zur o.e. Langatmigkeit bei. So ist die Geschichte zwar definitiv sorgfältig und intelligent ausgedacht, es gibt viele überraschende Wendungen. Es ist beeindruckend, wie nach und nach die einzelnen Puzzleteile zusammenfinden, wie geschickt kleine Hinweise eingestreut wurden, wie die vielen offenen Fragen alle aufgelöst wurden. Erfreulich finde ich auch, daß den Progatonisten keine bequemen Zufälle zur Hilfe kamen. Man merkt auf jeder Seite, wie viel Hingabe in das Buch geflossen ist, wie sorgfältig hier gearbeitet und konzipiert wurde. Ich hätte dieses so intelligent konzipiert Werk auch sehr gerne genossen, nur waren mir die bereits dargelegten Störfaktoren zu zahlreich und zu erheblich und haben mir die Lesefreude zu sehr beeinträchtigt.

Veröffentlicht am 31.10.2019

Belanglos vor sich hinplätscherndes Sittengemälde

Agnes Grey
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"Agnes Grey" beruht auf eigenen Erfahrungen der Autorin Anne Bronte, die fünf Jahre als Erzieherin arbeitete. Das Buch ist, wie auch der von ihrer Schwester geschriebene berühmte Roman "Jane Eyre", in ...

"Agnes Grey" beruht auf eigenen Erfahrungen der Autorin Anne Bronte, die fünf Jahre als Erzieherin arbeitete. Das Buch ist, wie auch der von ihrer Schwester geschriebene berühmte Roman "Jane Eyre", in der Ich-Form gehalten, und auch hier geht es zu einem Großteil um eine junge Frau, die ihren Lebensunterhalt als Erzieherin verdient. Allerdings kann "Agnes Grey" mit "Jane Eyre" keinesfalls mithalten.

Die Geschichte plätschert dahin, der Schreibstil ist nicht bemerkenswert, liest sich recht einfach weg. Auch das Geschehen kommt ohne Überraschungen aus - nach etwa einem Drittel weiß man, wie es enden wird. Der Weg dahin ist für den Leser manchmal ein wenig mühselig, denn abgesehen vom bereits erwähnten Dahinplätschern mit zahlreichen sich ähnelnden Szenen gibt es immer wieder moralisierende oder theoretische Einschübe, die sich nicht interessant lesen. Agnes Grey betrachtet die Welt um sich herum ziemlich moralinsauer und während sie - zu Recht - tadelt, daß sie als Erzieherin wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt wird, blickt sie auf die wohlhabenden Menschen ebenfalls manchmal herab.

Die zwei Familien, bei denen sie arbeitet, sind ähnlich geschildert: die Kinder/Jugendlichen selbstsüchtig, unerziehbar, gedankenlos. Gerade für die kleineren Kinder der ersten Familie scheint der Ausdruck "Kackbratzen" geradezu erfunden worden zu sein. Die detailliert geschilderten geplanten und durchgeführten Tierquälereien dieser Kinder mußte ich überschlagen. In der zweiten Familie sind die jugendlichen Töchter ein klein wenig differenzierter geschildert, aber die Grundsituation in beiden Familien ähnelt sich dahingehend, daß die duldsame Agnes ungerecht behandelt wird, die Kinder/Jugendlichen machen, was sie wollen und die Mütter ihre Kinder für das strahlende Gold der Erde halten. Das brachte immerhin die interessante Erkenntnis, daß es auch schon im früheren 19. Jahrhundert die damalige Version der heutigen Latte-Macchiato-Mütter gab.

Unterhaltsam zu lesen ist die Beschreibung von Agnes' Elternhaus, der ungewöhnlichen Beziehung der Eltern, der formidablen Mutter, die mir von allen Charakteren am besten gefallen hat. Auch einige der Entwicklungen um Agnes' älteste Schülerin, die heiratet, um Titel und Anwesen zu erlangen, unterstützt von ihrer Mutter, und dann natürlich feststellt, daß Geld und Prunk nicht alles ist, bringt ein wenig Würze in die Geschichte.

Letztlich aber ist die Geschichte blaß, fesselt nicht, bleibt nicht sonderlich im Gedächtnis. Als etwas belangloses Sittengemälde Englands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts taugt es allemal.