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Veröffentlicht am 10.12.2020

Tiefgründiger, wundervoll warmherziger Roman

Bären füttern verboten
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INHALT
Sydney Smith ist Freerunnerin, doch an einen Ort wollen ihre Füße sie einfach nicht mehr tragen: nach St. Ives an der Küste Südenglands. Als sie an ihrem 47. Geburtstag endlich den Aufbruch dorthin ...

INHALT
Sydney Smith ist Freerunnerin, doch an einen Ort wollen ihre Füße sie einfach nicht mehr tragen: nach St. Ives an der Küste Südenglands. Als sie an ihrem 47. Geburtstag endlich den Aufbruch dorthin wagt, wird sie nicht nur mit dem schmerzhaftesten Moment aus ihrer Vergangenheit konfrontiert, sondern auch mit einer Reihe skurriler Menschen: Zahntechnikerin Maria backt Muffins mit heilenden Kräften, Buchhändler Dexter ist mit der Liebe durch und trägt manchmal gerne Kleider, und Belle wohnt mit Ende zwanzig noch immer bei ihren Eltern, trägt »Ich ♥ Otter«-T-Shirts, und führt das Hängebauchschwein der Nachbarn aus. Sie alle eint die Frage, wer eigentlich bestimmt, wann unser Leben einen Sinn hat, und ihre Schicksale verweben sich zu einer tröstlichen Geschichte: über Hilfe, die man nur von anderen bekommt, und darüber, wie man weitermachen kann, wenn die eigene Welt sich nicht mehr dreht.

(Quelle: Mare Verlag)


MEINE MEINUNG
„Bären füttern verboten“ von der britischen Autorin und Psychotherapeutin Rachel Elliott ist ein ungewöhnlicher, aber sehr faszinierender und tiefgründiger Roman, der mich mit seiner eindringlichen Geschichte sehr bewegt und nachdenklich gestimmt hat und mich zugleich mit seinen herrlich skurrilen und humorvollen Episoden immer wieder zum Schmunzeln bringen konnte.
Sehr einfühlsam und kenntnisreich widmet sich die Autorin ernsten Themen wie dem Umgang mit Tod, Verlusten, Trauer, Schuld, Einsamkeit, häuslicher Gewalt und traumatischen Erlebnissen. Man spürt deutlich, dass Elliott ihre Berufserfahrungen in die Geschichte und ihre sehr authentisch wirkenden Charaktere hat mit einfließen lassen.
Trotz der recht melancholischen Grundstimmung hat mich diese wundervoll warmherzige Geschichte mit ihren faszinierend eigenwilligen Persönlichkeiten und dem sehr lebendigen, humorvollen und bildhaften Schreibstil schrittweise immer mehr in ihren Bann ziehen. Angesiedelt ist die Handlung in dem idyllischen, fiktiven Küstenstädtchen St. Ives in Cornwall - einem wundervollen, sehr atmosphärischen Setting für diesen Roman, das mich sehr begeistern konnte.
Großes erzählerisches Talent beweist die Autorin auch in ihrer multiperspektivischen Handlungsführung, die durch die raschen Perspektivwechsel anfangs zwar etwas gewöhnungsbedürftig ist, im weiteren Verlauf aber ihren ganz besonderen Charme entwickelt. Die Autorin erzählt ihre vielschichtige Geschichte nicht chronologisch und linear, sondern aus wechselnden Perspektiven und mit vielen Rückblicken. Doch auch ohne spezielle Kennzeichnung der unterschiedlichen Sichtweisen, fällt es nicht schwer, diese den verschiedenen Charakteren zuzuordnen. Sehr kunstvoll hat die Autorin die Schicksalswege ihrer Figuren in den einzelnen Erzählsträngen miteinander verwoben. Äußerst ungewöhnlich ist es, dass sie bisweilen auch die Sicht der Verstorbenen mit einbezieht und uns sogar an den herrlichen Kommentaren eines sehr liebenswerten, cleveren Hunds teilhaben lässt, der sich seine ganz eigenen, weisen Gedanken zu den Eigenheiten der Menschen um ihn herum macht und ihre Stimmungen erschnuppern kann. Die rasch aufeinanderfolgenden Perspektiv- und Zeitwechsel machen die Geschichte sehr lebendig und sorgen für einen subtilen Spannungsaufbau.
Gekonnt erweckt die Autorin ihre sehr unterschiedlichen und mitunter recht ungewöhnlichen Charaktere zum Leben, die sie allesamt sehr einfühlsam, lebensecht und psychologisch tiefgründig ausgearbeitet hat. So gewährt sie uns eindrückliche Einblicke in die Vergangenheit und persönlichen Hintergrundgeschichten ihrer facettenreichen Figuren und leuchtet deren Ecken und Kanten sowie inneren Abgründe aus.
Schrittweise und aus wechselnden Perspektiven enthüllt Rachel Elliott die Lebensgeschichten von höchst unglücklichen Menschen, die in ihrem Schicksal gefangen und mit ihren inneren Dämonen zu kämpfen haben. Ob nun die faszinierende Protagonistin Sydney, die ihr ungestümes Wesen als „Freerunnerin“ auslebt, nach 40 Jahren an den Ort ihres Kindheitstraumas - dem frühen tragischen Tod ihrer Mutter - zurückkehrt, um sich endlich ihrer Trauer, ihren übergroßen Schuldgefühlen und Verlustängsten zu stellen. Oder ihr Vater Howard, der nicht loslassen kann, sich nach dem Tod seiner geliebten Frau in selbstgewählter Einsamkeit eingerichtet und mit ungerechten, hasserfüllten Gefühlen zu seiner Tochter zu kämpfen hat. Oder auch die herzensgute Maria, die in einer unglücklichen, toxischen Ehe gefangen ist, unfähig einen Neubeginn zu wagen …Sie alle sind wundervolle Charaktere, die einem ans Herz wachsen und denen man von Herzen wünscht, dass sie einen Weg finden, die belastende Vergangenheit hinter sich zu lassen, Hilfe anzunehmen und das Leben selbst neu zu gestalten.
Trotz der melancholischen und oft nachdenklich stimmenden Geschichte, die um Tod, Trauer, Verlust und Schuld kreist, ist es der Autorin hervorragend gelungen, einen wundervoll einfühlsamen und sehr warmherzigen Roman zu schreiben, in dem viel Leichtigkeit, Hoffnung und Humor mitschwingt. Der sehr versöhnlich stimmende, hoffnungsvolle Ausklang rundet diese außergewöhnliche Geschichte ab.

FAZIT
Ein tiefgründiger, warmherziger und nachdenklich stimmender Roman – der mich mit seinen eigenwilligen Charakteren und seiner skurrilen, melancholischen Geschichte sehr fasziniert hat! Sehr lesenswert für alle, die ein besonderes Lesererlebnis und eine multiperspektivische Handlungsführung mögen.

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Veröffentlicht am 28.11.2020

Frostiges Thriller-Debüt

Frostgrab
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INHALT
Die Snowboarderin Milla trifft auf einer einsamen Lodge in den französischen Alpen ihre Clique von früher wieder. An diesem Ort haben sie vor zehn Jahren gemeinsam trainiert, bis eine Tragödie alles ...

INHALT
Die Snowboarderin Milla trifft auf einer einsamen Lodge in den französischen Alpen ihre Clique von früher wieder. An diesem Ort haben sie vor zehn Jahren gemeinsam trainiert, bis eine Tragödie alles zunichtemachte. Doch was Milla als harmloses Wiedersehen ansah, entwickelt sich schnell zum gnadenlosen Psychospiel. Plötzlich sind die Handys verschwunden, und die Seilbahn steht still.
Dann ist der Erste von ihnen tot.
Die eisige Bergspitze droht zum Grab für sie alle zu werden, wenn sie nicht ihr düsterstes Geheimnis offenbaren.
Und jeder hat etwas zu verbergen. Besonders Milla.
(Quelle: Harper Collins)

MEINE MEINUNG
Mit ihrem viel versprechenden Debüt „Frostgrab“ ist der Autorin Allie Reynolds ein fesselnder Psychothriller gelungen, der mit seinem frostigen Setting hervorragend in die kommende Winterzeit passt und für reichlich Nervenkitzel sorgt.
Der Thriller spielt in der faszinierenden Welt der Snowboard-Szene, in der sich die Autorin als ehemalige Top Ten Freestyle Snowboarderin bestens auskennt. Viel Insiderwissen und Sport-Fachbegriffe hat die Autorin in die Handlung einfließen lassen, so dass Fans dieses Sport sicher begeistern sein werden, während Laien sicherlich nicht viel damit anfangen können. Ich habe es beim Lesen aber nicht als störend empfunden, da ich rasch von der fesselnden Geschichte gebannt war.
Geschickt bedient die Autorin sich eines beliebten und altbewährten Thriller-Konzepts, das mit seinem Ausgangsszenario an einen Agatha Christie-Klassiker erinnert: In einem einsamen Berghotel eines Skigebiets inmitten von Eis und Schnee gelegen, treffen sich 5 Freunde einer Clique nach 10 Jahren zu einem Ehemaligentreffen wieder. Niemand von ihnen weiß genau, wer dieses Treffen arrangiert hat, doch bemerkt die Gruppe rasch, dass sie allein dort oben am Gletscher und von der Außenwelt abgeschnitten sind, und jemand mit ihnen ein perfides Psychospiel treibt. Schon bald ist klar, dass ihr Zusammentreffen und die mysteriösen Geschehnisse im Hotel im Zusammenhang mit der furchtbaren Tragödie vor 10 Jahren stehen, deren Hintergründe nun offensichtlich aufgedeckt werden sollen.
Die clever konstruierte, äußerst fesselnde Handlung ist auf zwei einander abwechselnden Handlungssträngen angelegt, die in verschiedenen Zeitebenen spielen. Zum einen erleben wir die Ereignisse im einsamen Berghotel in der Gegenwart mit und zum anderen springt die Geschichte immer wieder zu Rückblicken, die uns an den Erinnerungen der Protagonistin Milla an jenen tragischen Winter vor 10 Jahren teilhaben lassen. Aus ihrer Sicht erfahren wir neben ihren rätselhaften, unheilvollen Andeutungen immer mehr Details über die Vergangenheit - das Kennenlernen der sechs Snowboarder Milla, Saskia, Curtis, Dale, Heather und Brent in dem französischen Skigebiet, ihren Wettkampfvorbereitungen sowie der komplizierten Gruppendynamik innerhalb der Clique mit ihren Liebeleien, Freundschaften, Intrigen und Rivalitäten.
Sehr authentisch stellt die Autorin die aufkommende Beklemmung, die Ängste, Paranoia und das allmähliche Hochschaukeln von gegenseitigen Verdächtigungen, Anschuldigungen und Misstrauen innerhalb der Gruppe dar und steigert die Spannung mit den sich zuspitzenden Entwicklungen immer weiter.
Der Nervenkitzel wird zudem enorm erhöht durch die über allem liegende unheilvolle Atmosphäre und den Verdacht, dass jemand ein raffiniertes Psychospiel mit ihnen treibt. Lange Zeit bleibt ungewiss, wer hinter dem Katz- und Mausspiel auf Leben und Tod stecken könnte.
Durch die schrittweise aufgedeckten Verwicklungen ist klar, dass jeder von ihnen Geheimnisse zu verbergen hat und eine gewisse Schuld an den verhängnisvollen Geschehnissen auf sich geladen hat, die schließlich im spurlosen Verschwinden des vielversprechenden Snowboard-Stars Saskia vor 10 Jahren gipfelten. Die komplexe Geschichte gewinnt zusehends an Spannung und Dynamik, überrascht mit einigen Wendungen und sorgt immer wieder auch für den notwendigen Thrill.
Im Gegensatz zum gelungenen, clever inszenierten Setting sind die verschiedenen Charaktere zwar insgesamt interessant, aber etwas klischeehaft und nicht sehr vielschichtig ausgearbeitet. Zudem war mir keiner von ihnen sonderlich sympathisch, so dass mir ein Mitfiebern mit ihnen schwer fiel. Recht lebendig und lebensnah hat die Autorin die jugendliche Snowboarder Clique angelegt und auch ihr Handeln absolut glaubwürdig dargestellt. Als aufstrebende, sehr talentierte Shooting-Stars sind sie extrem ehrgeizig, risikofreudig und halten sich alle für unbesiegbar. Nach dem harten Training vergnügen sie sich mit Alkohol, Partys und Affairen, und so pflegen sie eher unverbindliche, oberflächliche Beziehungen stets ihr eigens Fortkommen im Blick. So wundert es auch nicht, dass auf der Piste mit harten Bandagen gekämpft wird und man sich unbeliebter Konkurrenz mit fragwürdigen Aktionen zu entledigen versucht.
Mit ihrem mitreißenden Schreibstil und geschickt gesetzten Perspektivwechseln treibt die Autorin ihren packenden Psychothriller voran und lässt ihn schließlich in einem fesselnden, hochdramatischen Showdown gipfeln. Die Auflösung und Beweggründe sind zwar nachvollziehbar und glaubwürdig dargestellt, doch wirkte die Geschichte insgesamt etwas zu konstruiert auf mich.

FAZIT
Ein fesselnder, raffiniert angelegter Psychothriller, der in der Snowboarder-Szene spielt - mit tollem winterlichen Setting und reichlich Nervenkitzel, aber leider etwas eindimensional wirkenden Charakteren!

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Veröffentlicht am 27.11.2020

Fesselndes Katz-und-Maus-Spiel

Baskische Tragödie
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INHALT
An den Stränden des Aquitaine werden massenhaft Pakete angespült, gefüllt mit reinstem Kokain. Ein kleines Kind probiert davon – und fällt ins Koma. Commissaire Luc Verlain ermittelt in dem Fall, ...

INHALT
An den Stränden des Aquitaine werden massenhaft Pakete angespült, gefüllt mit reinstem Kokain. Ein kleines Kind probiert davon – und fällt ins Koma. Commissaire Luc Verlain ermittelt in dem Fall, bis ihn eine geheimnisvolle Nachricht aus dem Baskenland erreicht.
Luc macht sich auf den Weg gen Süden und findet sich plötzlich auf der anderen Seite wieder. Er wird verhaftet, ausgerechnet wegen des Verdachts auf Drogenschmuggel – und wegen dringendem Mordverdacht. Wer spielt dem Commissaire böse mit? Nach seiner Flucht vor der Polizei über die spanische Grenze hat Luc keine Wahl: Er muss das Spiel eines altbekannten Psychopathen mitspielen. So beginnt in den engen Gassen San Sebastiáns und auf dem stürmischen Atlantik eine teuflische Schnitzeljagd. Um den Plan des Mannes zu durchkreuzen, der um jeden Preis Rache nehmen will, muss Luc alles auf eine Karte setzen.
(Quelle: Hoffmann & Campe Verlag )

MEINE MEINUNG
Der neue Krimi „Baskische Tragödie“ von Alexander Oetker ist bereits der 4. Band seiner beliebten, im französischen Aquitaine angesiedelten Krimireihe um den sympathischen Ermittler Luc Verlain.
Oetker ist ein sehr packender, temporeicher Krimi mit viel französischem Flair gelungen, der uns diesmal aber von der Aquitaine wegführt und uns auf eine nervenaufreibende Jagd durch Südfrankreich bis ins Baskenland mitnimmt. Die gelungene Mischung aus interessanten Einblicken in das Privatleben der lebensechten Charaktere und stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen mit historischen, kulturellen und den obligatorischen kulinarischen Ausflügen, die diesen Aquitaine-Krimis eine besondere Note, hat mich wieder gut unterhalten können, aber auch der überaus clever angelegte Kriminalfall hat mich von Beginn an fesseln können.
In seinem vierten und bisher persönlichsten Fall wird Commissaire Luc Verlain ganz unvermittelt von seiner Vergangenheit eingeholt und durch eine mysteriöse Botschaft in eine fatale Falle gelockt. Unversehens wird aus dem ermittelnden Jäger ein gnadenlos Gejagter, dem Drogenschmuggel, Entführung und Mord zur Last gelegt werden. Erst schrittweise wird klar, dass sich ein beängstigend mächtiger Drahtzieher an ihm rächen will und sich ein perfides Katz- und Mausspiel für ihn ausgedacht hat.
Oetker hat für seinen Regionalkrimi einen rasanten, wendungsreichen und recht verzwickten Plot entworfen, der sich mit seiner cleveren Schnitzeljagd hervorragend zum Mitfiebern und Miträtseln eignet. Auch wenn ich anfangs über einige Verwicklungen ungläubig den Kopf schütteln musste, so durchschaute ich langsam die Zusammenhänge, und verfolgte gebannt die Ereignisse um Luc bis zum fesselnden Finale und dramatischen Showdown. Hervorragend hat mir auch die überraschende Auflösung gefallen, die der Autor für uns bereit hält.
Mit Luc Verlain hat der Autor einen faszinierenden, tiefgründig angelegten und sympathischen Charakter geschaffen, der sehr lebensecht wirkt. Als aufrichtiger, professionell agierender Ermittler, der auch im Privatleben ein sehr umsichtiger und empathischer Mann ist, bangt man von Beginn an um sein Schicksal. Auch sein Ermittler-Team stellt eine sehr interessante Mischung aus sehr eigenwilligen, Charakteren dar, die für so manche Überraschung gut sind.
Ich bin schon sehr gespannt, in welchem fesselnden Fall Luc Verlain demnächst ermitteln wird, und freue mich schon auf eine Fortsetzung dieser sehr unterhaltsamen Krimi-Reihe!

FAZIT
Ein spannender und rasanter Krimi mit viel französischem Flair, einem Ausflug ins faszinierende Baskenland und einem sehr persönlichen Fall für Luc Verlain!

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Veröffentlicht am 26.11.2020

Logbuch einer Tragödie

Unter uns das Meer
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INHALT
Die Havarie einer Ehe, ein Segeltörn in der Karibik. Mit großem erzählerischem Geschick entfaltet Amity Gaige ein nautisches und menschliches Drama.
Juliet arbeitet an ihrer Dissertation und lebt ...

INHALT
Die Havarie einer Ehe, ein Segeltörn in der Karibik. Mit großem erzählerischem Geschick entfaltet Amity Gaige ein nautisches und menschliches Drama.
Juliet arbeitet an ihrer Dissertation und lebt mit den beiden Kindern und ihrem Mann Michael ein Vorstadtleben. Michael gelingt es, sie für seinen großen Traum zu begeistern: ein Jahr auf hoher See auf einer Segelyacht zu verbringen. Atemlos steuern wir mit der vierköpfigen Familie in der Karibik dem dramatischen Finale entgegen.
(Quelle: Eichborn)

MEINE MEINUNG
Der Roman „Das Meer unter uns“ von der US-Amerikanischen Autorin Amity Gaige ist eine faszinierende Mischung aus mitreißendem Abenteuerroman, interessantem Reisebericht und bewegendem Familiendrama. Es ist ein fesselnder und nachdenklich stimmender Roman voller Überraschungen, dessen besonderer Reiz darin liegt, dass man lange nicht weiß, wohin sich die eindringliche Geschichte nun entwickeln wird.
Gekonnt thematisiert die Autorin neben der Suche nach Freiheit und einem selbstbestimmten Leben auch den Umgang mit Ängsten, Depressionen, sexuellem Missbrauch und traumatischen Erlebnissen. Auch erzählerisch kann dieser Roman mit seinem anspruchsvollen Schreibstil überzeugen.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Ehepaar Juliet und Michael Partlow, die sich in einer handfesten Ehekrise befinden und sich auf Michaels Initiative hin eine gemeinsame einjährige Auszeit nehmen, um – in der Hoffnung die Ehe zu retten - mit ihren beiden kleinen Kindern Sybil und George einen Segeltörn in der Karibik zu unternehmen.
Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven der beiden Ich-Erzähler - Michael und seiner Frau Juliet, die durch verschiedene Schrifttypen voneinander zu unterscheiden. Im Erzählstrang der Gegenwart erinnert sich Juliet, die sich offenbar psychisch angeschlagen in einem Schrank verkrochen hat, rückblickend an die Geschehnisse ihres Segeltrips. Michaels Part hingegen erfahren wir aus den tagebuchartigen Logbuch-Aufzeichnungen, die er während ihrer Reise an Bord der Yacht verfasst hat und eindrückliche Einblicke in seine Gedankenwelt offenbart. Zudem gibt es noch gelegentliche Einschübe mit Gesprächen, die ihre Tochter Sybil mit einer Kinderpsychologin führt. Eine unheilvolle Atmosphäre liegt von Beginn an über der Geschichte und allmählich verdichtet sich eine schreckliche Vermutung.
Geschickt hat die Autorin die schnell aufeinanderfolgenden Perspektiv- und Zeitwechsel in den Handlungsverlauf eingewoben und stellt die zwei oft so unterschiedlichen Sichten einander gegenüber. Diese besondere Erzählweise sorgt für einen subtilen Spannungsaufbau und schon bald versucht man die zwischen den Zeilen angedeuteten, unheilvollen Verwicklungen zu ergründen, unklar wohin uns diese tragische Geschichte führen wird.
Gebannt verfolgt man den Schilderungen ihres abenteuerlichen und teilweise gefahrenvollen Segeltrips, der sie in vielerlei Hinsicht herausfordert und an ihre Grenzen treibt, aber auch den dramatischen Entwicklungen in der Familiendynamik an Bord. Sehr anschaulich und glaubhaft schildert die Autorin, wie sich die charakterlich so gegensätzlichen Ehepartner nicht nur miteinander auseinandersetzen, sondern sich auch den Widrigkeiten von Technik und den unbarmherzigen Naturgewalten stellen und folgenschwere Entscheidungen treffen müssen.
Schrittweise enthüllt Amity Gaige das Logbuch einer unglücklichen Ehe. Gekonnt gewährt uns die Autorin eindrückliche Einblicke in die Hintergrundgeschichten der beiden Protagonisten und leuchtet deren so unterschiedliche Persönlichkeiten und inneren Abgründe aus. So wird immer deutlicher, dass beide ihren Problemen miteinander und ihren inneren Dämonen auch auf dem Meer nicht entfliehen können. Feinfühlig und tiefgründig hat die Autorin ihre Charaktere ausgearbeitet. Schade nur, dass ich trotz der ausgefeilten Charakterstudien mit beiden Protogonisten nicht wirklich warm geworden bin.
Mir haben die Beschreibungen der Naturschönheiten und von der einzigartigen Atmosphäre an Bord hervorragend gefallen; auch wenn ich mit Nautik und der Seemannssprache wenig anfangen kann, runden sie diese mitreißende Geschichte perfekt ab.

FAZIT
Ein spannender, bewegender und nachdenklich stimmender Roman, der uns mit auf eine ungewisse und herausfordernde Reise voller Überraschungen nimmt.

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Veröffentlicht am 18.11.2020

Mitreißender Generationenroman

Die zitternde Welt
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INHALT

Hochschwanger reist Maria 1896 nach Anatolien und überrumpelt damit den werdenden Vater. Wilhelm hat sich heimlich dorthin aufgemacht, um als Ingenieur am Bau der Bagdadbahn zu arbeiten, die Berlin ...

INHALT

Hochschwanger reist Maria 1896 nach Anatolien und überrumpelt damit den werdenden Vater. Wilhelm hat sich heimlich dorthin aufgemacht, um als Ingenieur am Bau der Bagdadbahn zu arbeiten, die Berlin mit Bagdad verbinden soll. Er, der seine Bleistifte stets streng nach deren Stärken ordnet, ist fasziniert von der eigensinnigen und unberechenbaren Frau. Fernab der trüben Enge des Dorfes, aus der Maria stammt, leben die beiden in der anatolischen Freiheit in wilder Ehe, gründen eine Familie. Von der alten Heimat bleibt bald nichts mehr als eine fahle Erinnerung - bis der Erste Weltkrieg ausbricht.
Droht der Selbstbestimmung und der frei gewählten Heimat nun ein Ende?

(Quelle: Haymon Verlag)

MEINE MEINUNG

In ihrem historischen Roman „Die zitternde Welt“ erzählt die österreichische Autorin Tanja Paar eine bewegte und ergreifende Familiengeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen. Obwohl diese fesselnde Geschichte in einem historischen Kontext eingebunden ist, behandelt sie dennoch ganz zeitlose, aktuelle Themen und spürt gekonnt dem Stellenwert von Heimat, Identität und Nationalität im Leben sowie den Auswirkungen von Flucht nach.
Der äußerst vielschichtige Generationenroman spannt einen weiten Bogen von den Jahren um die Jahrhundertwende um 1900 bis ins Jahr 1940. Die ereignisreiche Handlung führt uns ins wilde Anatolien und zu weiteren spannenden Orten im Osmanischen Reich, ins slowenische Kaarstgebiet während des Großen Kriegs, ins krisengeschüttelte Wien, nach Istanbul in Atatürks junger Türkei bis hin in den unwirtlichen Irak während des Ölbooms der 1930er Jahre.
Tanja Paar zeichnet anhand sorgsam recherchierter, historischer Fakten ein facettenreiches Panorama einer bewegten, von großen Umstürzen gezeichneten Zeit während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gekonnt entführt sie uns in die faszinierend fremde Welt des Orients und lässt uns eintauchen in das blühende, exotische Leben im Osmanischen Reich zu Zeiten des Fin de Siècle. Zugleich verwebt die Autorin ihre Geschichte geschickt mit dem Zeitgeschehen jener Epoche; lässt uns am Bau der legendären Bagdadbahn und ihren unterschiedlichen Phasen teilhaben, dem fatalen 1. Weltkrieg, dem Zerfall des Osmanischen Reichs und den anschließenden, radikalen Umwälzungen, die schließlich eine Neuordnung von Europa und dem Orient nach sich zogen.
Der sehr vielschichtig angelegte Roman wird in zwei Teilen erzählt, die sich vom Schreibstil deutlich unterscheiden. Im ersten Teil erhalten die beiden Protagonisten Maria und Wilhelm zwei gleichberechtigte Erzählstimmen, in denen wir ihre recht unterschiedlichen Persönlichkeiten und ihre Gedankenwelt allmählich besser kennenlernen. Maria, die beeindruckende weibliche Hauptfigur, ist eine willensstarke, selbstbewusste und lebenshungrige junge Frau mit sehr modernen Lebensvorstellungen, die an ihrem paradiesischen Zufluchtsort in der anatolischen Fremde ein selbst bestimmtes Leben führen möchte, in wilder Ehe lebt und sich viele Freiheiten herausnimmt. Wilhelm hingegen, Eisenbahningenieur bei der Bagdadbahn, erleben wir als einen nüchternen, pflichtbewussten Familienvater und Langweiler, der in seiner Arbeit für das zukunftsweisende Jahrhundertprojekt aufgeht.
Wie eine Zäsur empfindet man den zweiten Teil des Romans, in dem mit den beiden Söhnen die nächste Generation der Familie in den Vordergrund tritt. Verbunden ist dies mit einem Wechsel der Perspektiven und einem veränderten, oftmals fragmentarischen Erzählstil, der durch viele Auslassungen, Handlungs- und Zeitsprünge gekennzeichnet ist. Ein Umbruch in vielfältiger Weise und mit vielen Leerstellen, der die Lektüre nicht einfach macht, aber mit seiner Intensität dennoch in seinen Bann zieht.
Faszinierend und bedrückend zugleich ist es mitzuerleben, wie der plötzliche Wandel des Zeitgeschehens Marias Freiheiten, ihrer Unbeschwertheit und der euphorischen Aufbruchsstimmung ein jähes Ende bereiten und die Charaktere und ihre persönlichen Schicksale unentrinnbar in einen fatalen Strudel gezogen werden. Marias weiteres Leben wird bestimmt von äußeren Zwängen; Verluste und unabwendbare Schicksalsschläge bewirken eine dramatische Verwandlung ihrer Persönlichkeit. Schicksalhafte Wendungen fordern große Opfer, die einst glückliche Familie wird durch den 1. Weltkrieg zerrissen und ist zusehends einer Entwurzelung und Entfremdung ausgeliefert.
Abwechslungsreich und äußerst eindringlich erzählt sie eine bewegende und bedrückende Geschichte über Freiheit und Selbstbestimmung, Flucht, zerrissenen Familien, Tod, Neuanfängen, Verdrängung und Scheitern angesichts jener schwierigen Zeiten aber auch der verzweifelten Suche nach Glück oder Geborgenheit. Trotz des beklemmenden, realistischen Endes lässt die Autorin ihren Roman mit einem leicht hoffnungsvollen und versöhnlich stimmenden Epilog ausklingen. Mir werden die unvergessliche Romanheldin Maria und das bewegende Schicksal ihrer Familie, das sehr eindrücklich mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen verbunden ist, noch länger in Erinnerung bleiben.

FAZIT
Ein faszinierender historischer Generationenroman, eine ergreifende Familiengeschichte und ein facettenreiches Panorama einer bewegten, von großen Umstürzen gezeichneten Zeit - vielschichtig, bewegend und mitreißend erzählt! Lesenswert!

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