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Veröffentlicht am 28.05.2021

Provenzalische Beschaulichkeit, gepaart mit grausamen Verbrechen

Verhängnisvolles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 7)
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Der Friede in dem malerischen Ort La Lavandou an der Côte D´azur wird jäh unterbrochen, als am Strand die in Plastik verpackte Leiche eines Jungen aufgefunden wird. Der Leichnam ist in ein Mädchenkleid ...

Der Friede in dem malerischen Ort La Lavandou an der Côte D´azur wird jäh unterbrochen, als am Strand die in Plastik verpackte Leiche eines Jungen aufgefunden wird. Der Leichnam ist in ein Mädchenkleid gehüllt, das Gesicht geschminkt. Der Körper weist Spuren starker Misshandlungen auf.
Auch in diesem siebten Band der Reihe um den deutschen Gerichtsmediziner Leon Ritter schafft Autor Remy Eyssen diesen besonderen Spagat: Er vereint Schilderungen brutalster Kriminalfälle mit dem beschaulichen Zauber eines typisch provenzalischen Ortes. Mühelos bildet er das Dorfleben ab, lässt die mittlerweile altbekannten Bewohner wieder auferstehen, die allesamt ihren Rollen erneut gerecht werden. Ein spezielles Highlight für Boulebegeisterte ist natürlich der obligatorische Wettkampf, der auf dem Platz vor dem Bistro Chez Miou ausgetragen wird und einmal mehr die Atmosphäre des Ganzen unterstreicht.
Leon Ritter ist ein absolut integrer Mensch, penibel und geistreich in seiner Arbeit, mit dem Anspruch, den Toten, die er untersucht, ebenso respektvoll entgegenzutreten wie er es bei lebenden Patienten täte. Er konzentriert sich derart auf das, was sie ihm mitzuteilen haben, dass es sogar zu übernatürlichen Erscheinungen kommen kann. Er liebt Isabelle, die stellvertretende Leiterin der Ermittlungsstelle, deren siebzehnjährige Tochter Loulu für Turbulenzen neben dem Hauptschauplatz sorgt.
Der Kriminalfall ist nicht besonders ausgeklügelt konstruiert, die Lösung ist bei aufmerksamem Lesen durchaus zu erraten. Doch viel mehr Gewicht liegt auf der Entwicklung der Ermittlungen und den parallel stattfindenden Verbrechen. Während auf der einen Seite mühsam und unter großem Druck Spuren verfolgt und ausgewertet werden, arbeitet ein erfindungsreicher Täter an der Vollendung seines zerstörerischen Werks.
Das ist durchaus spannend zu lesen. Und da die Rahmenbedingungen so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich vorgestellt werden, darf der Band auch Neueinsteigern empfohlen werden. Diejenigen, die Leon Ritter bereits kennen, haben sicher ohnehin schon zugegriffen.

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Veröffentlicht am 23.05.2021

Enttäuschende Geschichte

Enriettas Vermächtnis
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Die berühmte Schriftstellerin Enrietta da Silva hat in ihrem Testament ihren Ziehsohn Emilio und eine junge Schauspielerin, die sie lange unter ihre Fittiche genommen hatte, bedacht. Nach ihrem Tod sitzen ...

Die berühmte Schriftstellerin Enrietta da Silva hat in ihrem Testament ihren Ziehsohn Emilio und eine junge Schauspielerin, die sie lange unter ihre Fittiche genommen hatte, bedacht. Nach ihrem Tod sitzen diese beiden Personen in einem Zürcher Anwaltsbüro und erfahren, dass es einen weiteren Erbberechtigten gibt, Armando, den leiblichen Sohn der Verstorbenen.
Aus dieser durchaus interessanten Ausgangskonstellation, die Fragen aufwirft und Interesse, beinahe so etwas wie Spannung, hervorruft, vermag Autorin Sylvia Madsack leider nichts zu entwickeln, was der anfänglichen Lesererwartung gerecht wird. Die angedeuteten Familiengeheimnisse bleiben schlicht und oberflächlich, anstatt dessen ergeben sich teilweise sonderbare und nicht nachvollziehbare Beziehungen und Verstrickungen. Die Geschichte verkümmert zu einer Herz-Schmerz-Verwicklung.
Insgesamt entsteht der Eindruck, das Konzept des Buches sei nicht von Beginn an klar gewesen, sondern habe sich im Lauf der Handlung mehr oder minder spontan ergeben. Es fehlen Klarheit und Struktur. Obgleich das Buch keine 300 Seiten umfasst, besteht schon recht bald ein Großteil der Dialoge aus Wiederholungen, auf die gut verzichtet hätte werden können, und die der anfänglich aufgebauten Spannung schnell den Garaus machen.
Die Personen bleiben zunächst seltsam distanziert. Ihr Handeln, allen voran das Enriettas, erscheint oft nicht nachvollziehbar, manchmal unreif, unpassend. Starke Umschwünge wirken unglaubwürdig und wenig authentisch. Dabei sind genau sie es, die anscheinend als Fazit stehen bleiben, allerdings wenig überzeugend.
Am besten gelingen vielleicht die Darstellungen der Schauplätze. Wer Zürich oder Salzburg schon besucht hat, wird hier vieles wiederfinden. Auch die Verbindung nach Argentinien wird transportiert, zum Beispiel durch eingestreute spanische Ausdrücke oder Erwähnung spezifischer Eigenschaften seiner Bewohner.
Cover und Aufmachung sind außergewöhnlich schön. Lesebändchen und großer Schrifttyp vermitteln beim Lesen ein kleines Luxusgefühl. Umso bedauerlicher, dass der Inhalt derartig enttäuscht.

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Veröffentlicht am 01.05.2021

Fesselnd, verstörend, großartig

Girl A
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Alexa Gracie ist das Mädchen, dem die Flucht gelingt: Mit fünfzehn Jahren bricht sie aus dem Elternhaus aus, in dem sie und ihre sechs Geschwister jahrelang unter abscheulichsten Bedingungen von ihren ...

Alexa Gracie ist das Mädchen, dem die Flucht gelingt: Mit fünfzehn Jahren bricht sie aus dem Elternhaus aus, in dem sie und ihre sechs Geschwister jahrelang unter abscheulichsten Bedingungen von ihren Eltern gefangen gehalten und misshandelt worden sind. Jetzt, nach beinahe zwei Jahrzehnten, kommt sie zurück nach London, weil ihre Mutter gestorben ist und sie sich um das Erbe kümmern soll.
Der Autorin schafft es, unglaublich realistisch aus der Perspektive des ehemaligen Opfers auf dieses Verbrechen zu schauen. Es geht nicht darum, zu analysieren, wie und warum sich etwas so Unbegreifliches, Entsetzliches entwickeln kann, auch wenn immer wieder scheinbare Erklärungen wie z.B. religiöser Fanatismus durchscheinen. Vielmehr liegt das Gewicht auf dem, was geschah und was es mit den Überlebenden gemacht hat.
Alexas Leben wirkt auf den ersten Blick beinahe beneidenswert. Dank ihrer Intelligenz und Zielstrebigkeit, mit Unterstützung einer engagierten Psychologin und verständnisvoller Adoptiveltern gelingen ihr ein guter Schulabschluss und das anschließende Jurastudium. Als Anwältin arbeitet sie in einer Kanzlei in New York und ist dabei recht erfolgreich.
Wie sehr sie ihr Schicksal jedoch noch immer unter der Haut trägt, wird in jedem Gedanken, in jedem Satz, in jeder Handlung deutlich.
Diesen permanenten Ausnahmezustand zu vermitteln, ist großartig gelungen. Ganz dicht sind wir an der Protagonistin, die das aktuelle Geschehen ständig mit ihren Erinnerungen verwebt. Sie hangelt sich assoziativ und sprunghaft an einem lockeren chronologischen Faden entlang. Das ist äußerst spannend zu lesen, insbesondere auch wegen des hervorragenden Schreibstils mit vielen treffenden und aussagestarken Metaphern (Andere (Fälle) sind offen wie eine Tür im Winter und er kann ihre Zugluft spüren. S. 100).
Das ganze Ausmaß der Verstörung wird erst gegen Ende fassbar und hinterlässt Emotionen wieTrauer, Wut und grenzenloses Mitleid.
Ein Buch, das an der Substanz nagt und doch gelesen gehört.

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Veröffentlicht am 14.03.2021

Eine berührende Geschichte von Liebe und Unrecht

Stay away from Gretchen
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Greta, die Mutter des bekannten Kölner Fernsehmoderators Tom Monderath kann ihre fortschreitende Demenz nicht länger verbergen. Ihr Sohn ist nun gefordert, sich zu kümmern, und gerät dabei auf eine aufwühlende ...

Greta, die Mutter des bekannten Kölner Fernsehmoderators Tom Monderath kann ihre fortschreitende Demenz nicht länger verbergen. Ihr Sohn ist nun gefordert, sich zu kümmern, und gerät dabei auf eine aufwühlende Spurensuche.
Autorin Susanne Abel verknüpft gleich eine ganze Reihe völlig unterschiedlicher Themen zu einem rasanten, fesselnden Roman. Schon der Einstieg lässt den Berufsalltag in der Medienwelt mit einem vernachlässigten Mutter-Sohn-Verhältnis und der Herausforderung durch eine Alzheimererkrankung kollidieren. Noch ist nicht zu ahnen, dass all dies eigentlich erst den Rahmen bildet für eine Geschichte, die tief berührend und erschütternd in eine völlig unerwartete Richtung abbiegt.
Dazu braucht es neben der aktuellen Zeitebene eine zweite, die in Intervallen in die Kriegs- und Nachkriegsjahre führt. Hier können wir Greta vom Kind zur jungen Frau heran wachsen sehen. Im historischen Kontext wird ihr unsägliches Leid zugefügt, das sie stellvertretend für viele Frauen durchlebt und bis ins hohe Alter mit sich herum trägt.
Der lebhafte, frische Schreibstil mit einfachen, kurzen Sätzen, trotz der Dramatik immer wieder aufblitzender Humor, Personen, die man meint anfassen zu können, außerdem der Eindruck, dass bei schwebender Leichtigkeit hinter allem äußerst gründliche Recherche steht - das sind Zutaten, die das Lesen zum Vergnügen machen.
Es ist großartig gelungen, anhand konkreter Schicksale auf eine darüber hinausweisende Problematik einzugehen. Oder derer mehrere.
Und genau hier liegt der winzige Mangel: Viel wird zwischen die Seiten gepackt. Vielleicht zu viel. Und das in mancherlei Hinsicht. Zu viel Kehrtwendung des anfangs eher unsympathischen Tom, zu viele wirklich wesentliche Themen, zu viele Emotionen und gegen Ende zuviel … Nein, das wird hier natürlich nicht verraten!
Auf jeden Fall lässt sich sagen, dass hier ein Anliegen vorgebracht wurde. Gretas Unglück ist eines, über das gerne geschwiegen wird. Umso besser, dass es hier Gehör findet.

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Veröffentlicht am 19.02.2021

Fesselnde Geschichte über vier Generationen

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Hannahs Großmutter Evelyn erhält von einer israelischen Anwaltskanzlei die Mitteilung, dass möglicherweise Kunstwerke existieren, auf die sie einen Rechtsanspruch haben könnte, und bietet an, dem nachzugehen. ...

Hannahs Großmutter Evelyn erhält von einer israelischen Anwaltskanzlei die Mitteilung, dass möglicherweise Kunstwerke existieren, auf die sie einen Rechtsanspruch haben könnte, und bietet an, dem nachzugehen. Während Evelyn davon wenig wissen will, ist Hannah fasziniert und lässt sich auf die Suche ein, die auch einiges bisher Unbekannte über ihre Familie zutage bringt.
Alena Schröder beginnt die Geschichte von vier Frauen aus vier Generationen in der Jetztzeit, wechselt dann in die 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts und stellt behutsam die Verbindung her. Wir dürfen Senta, Evelyns Mutter, in ihrer Entwicklung begleiten und ausgiebig kennen lernen, so wie später ihre Tochter, und erleben sie während der dramatischen Ereignisse in den Kriegsjahren.
Das Grauen dieser Jahre, insbesondere die Verbrechen an den Juden, bilden einen wesentlichen Hintergrund der Geschichte. Es wird weitgehend ohne Brutalität transportiert, vielmehr in kleinen, emotionalen Gesten, und immer sehr persönlich, was die Ungeheuerlichkeiten auch ohne Ausformulierungen sehr nahe bringt.
Der Schreibstil wirkt leicht, originelle Formulierungen sorgen für ein angenehmes Lesen. Ein wenig passt er sich den Zeiten an: Hannahs Gedanken drücken sich manchmal in heutiger Jugendsprache aus.
Hannah erfährt in dem Zeitraum ihrer Forschung eine Wandlung. Sie startet als an sich selbst zweifelnde Doktorandin, die sich in ihren Doktorvater verliebt und ansonsten an Kontakten spart. Die ihre Wohnung in ein aseptisches Weiß getaucht hat und darunter leidet, dass sie ihren Weg nicht erkennen kann. Doch auf der Suche nach den verschollenen Bildern findet sie nicht nur viel Wissenswertes über ihre Vorfahren, sondern ebenso über sich selbst heraus, was sie wachsen lässt und ihren Blick für die Zukunft öffnet.
Diesem Roman ist es gelungen, anhand der Provenienzforschung, über die übrigens einiges Interessante vermittelt wird, und der Menschen, die damit befasst sind, einen etwas anderen Blick in die deutsche Geschichte zu werfen.

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