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Veröffentlicht am 05.07.2019

Lange Jahre im Hause Meyer

Jahre aus Seide
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"Jahre aus Seide“ spielt im deutschen Krefeld in der Zeit von 1926 bis 1938. Familie Meyer lebt in wohlverdienten guten Verhältnissen, Mutter Martha kümmert sich mit Kindermädchen und Köchin um ihre beiden ...

"Jahre aus Seide“ spielt im deutschen Krefeld in der Zeit von 1926 bis 1938. Familie Meyer lebt in wohlverdienten guten Verhältnissen, Mutter Martha kümmert sich mit Kindermädchen und Köchin um ihre beiden Töchter Ruth und Ilse, während Vater Karl als Handelsreisender erfolgreich ist.
Doch die Idylle muss nach und nach weichen, das Leben für Juden in Nazizeiten wird immer schwieriger.


Die Erzählung beruht auf einer wahren Begebenheit, Ulrike Renk hat Ruth Meyers Tagebücher aufgearbeitet und sorgfältig recherchiert. So erfährt der Leser viele Details aus dem Alltagsleben der sympathischen Familie, jüdische Gewohnheiten werden erläutert, Familienfeste zelebriert. Die Meyers sehen sich in erster Linie als Deutsche und stufen ihr Judentum eher als Tradition ein, die Familie ist gerne gesehen und auch Christen zählen zum Freundeskreis. Leider wird dieser Darstellung ausschweifend und langatmig Raum geboten, wohl um die „heile Welt“ der jüdischen Gemeinde aufzuzeigen, bevor die „Braunen“ an die Macht kommen. Dabei bleiben die Figuren trotz vielfacher Wiederholung der Alltagsszenen farblos und distanziert, alles scheint zu perfekt. Erst im letzten Drittel kommt mehr Spannung auf, Ruth wird (zu) schnell erwachsen und muss Selbständigkeit und Verantwortung ihrer Familie gegenüber unter Beweis stellen.

Neben einem recht einfachen Schreibstil mit vielen immer wiederkehrenden Sequenzen (selbst im Nachwort, das inhaltlich durchaus interessant ist) führen auch etliche Fehler zu einem stockenden Lesefluss.

Insgesamt ist die Geschichte der Familie Meyer durchaus bewegend und lesenswert, allerdings viel zu langatmig und ausschweifend geschildert. Eine deutliche Straffung könnte hier Abhilfe schaffen. Dennoch bin ich neugierig, wie es Ruth in den folgenden Jahren ergehen wird – ich kann mir trotz aller störenden Mängel vorstellen, irgendwann den zweiten Band zu lesen.

Veröffentlicht am 05.07.2019

Welschtirol zwischen den Fronten

Gefangene der Festung
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Palera, ein kleines Bergdorf in der Provinz Trient (Trentino), gehört 1907 noch zu Österreich. Die Bewohner leben ärmlich aber mehrheitlich zufrieden in ihrer abgeschiedenen Heimat – bis das Fort Martinella ...

Palera, ein kleines Bergdorf in der Provinz Trient (Trentino), gehört 1907 noch zu Österreich. Die Bewohner leben ärmlich aber mehrheitlich zufrieden in ihrer abgeschiedenen Heimat – bis das Fort Martinella an der italienischen Grenze errichtet wird.


Nun ziehen Wohlstand, aber auch Neid und Missgunst bei den Siedlern ein. Insbesondere als ein Arbeiter kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs spurlos von der Baustelle verschwindet, wird man vorsichtig mit laut ausgesprochenen Spekulationen. Fehlenden Plänen zufolge könnte er als Spion zum Feind übergelaufen sein, aber auch ein Verbrechen ist nicht auszuschließen. Aufgrund von unterschiedlichen Nationalitäten und Sprachproblemen gestaltet sich das Leben im Fort während der Kriegsjahre nicht ganz unkompliziert, dennoch scheinen die Soldaten „Glück“ zu haben – es gibt nicht allzu viele Tote zu beklagen. Und auch der nächste Krieg lässt nicht lange auf sich warten, das verlassene Fort gerät wieder in den Mittelpunkt des militärischen Interesses, Nachforschungen zu einigen früheren Ungereimtheiten werden wieder aufgenommen und in den 1960er-Jahren graben zwei Hobbyhistoriker in den verstaubten Archiven.

Rolf Hentzschels Roman spielt zur Zeit der beiden Weltkriege und später, stellt diese jedoch nicht ins Zentrum des Geschehens, sondern richtet sein Augenmerk auf die Schicksale der Menschen auf dieser entlegenen Hochebene, beschreibt eindrucksvoll ihren Alltag und ihre Routine, die plötzlich aus dem Gleichgewicht gerät. Fragen tauchen auf, ob man Österreicher oder Italiener ist, welche Sprache die „richtige“ ist - Deutsch oder Italienisch - und ob dem Kaiser oder dem Duce die Treue zu halten ist. Magere Kriegsjahre, Flucht und Sorge um das Schicksal der Männer an der Front prägen das Leben der Frauen, Kinder und Alten.

In eindrucksvoller Schreibweise bringt der Autor dem Leser das Los der Bewohner Paleras näher, bewegend und einfühlsam werden die Szenen gezeichnet ohne aber jemals gefühlsduselig oder gar kitschig zu wirken. Durch ausgezeichnete und detaillierte Recherchen fließen viele Sachinformationen in die Geschichte mit ein und so verschmelzen Realität und Dichtung fließend zu einem großen Ganzen. Spannend an diesem historischen Roman ist die Auswahl einzelner Ereignisse, die teilweise auch Monate oder gar Jahre auseinander liegen, wodurch gekonnt wesentliche Abschnitte beleuchtet werden und keine unnötigen Längen entstehen.

Als Abrundung findet der Leser Zusatzinformationen in Form von einer Landkarte, übersichtlichem Personenregister, einer Zeittafel und einer Auflistung zeitgenössischer Begriffe.

Wer gut recherchierte und realitätsnahe historische Romane liebt, die ohne groß inszenierte Liebesgeschichten auskommen, der sollte zu „Gefangene der Festung“ greifen!

Veröffentlicht am 14.06.2019

In der Liebe gefangen

Solch ein zephyrleichtes Leben
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Da mich ja Petra Huckes „Moorschwestern“ schon überaus begeistert haben, war meine Freude groß, dass es bereits wieder etwas Neues von ihr zu lesen gibt, diesmal ein Roman, der den Leser in vergangene ...

Da mich ja Petra Huckes „Moorschwestern“ schon überaus begeistert haben, war meine Freude groß, dass es bereits wieder etwas Neues von ihr zu lesen gibt, diesmal ein Roman, der den Leser in vergangene Zeiten entführt: Kopenhagen um 1816 ist der Ausgangspunkt.


Adelaide Caroline Johanne Brun, genannt Ida, ist eine junge und schöne Künstlerin, sicher fühlt sie sich singend, aber noch sicherer, wenn sie schweigt und tanzt. Namhafte Persönlichkeiten wie Goethe sind begeistert.

Allerdings schränkt Mutter Friederike Idas Freiraum stark ein und bestimmt, in welche Richtung das Fräulein Tochter sich entwickeln darf, ja sogar muss. Um aus diesem Gefangensein auszubrechen, stimmt Ida einer Hochzeit mit dem deutlich älteren Grafen von Bombelles zu, jedoch nur, um in eine andere Abhängigkeit zu schlittern. Wird sich Ida loslösen können von alten Konflikten und ohne neuerliche Enttäuschungen ins Eheleben gehen können?

Petra Hucke erschafft in diesem Roman ein ganz besonderes Bild der Ida Brun, keine langweilige Biographie von 1792 bis 1857, sondern beleuchtet ganz speziell ausgewählte Stationen aus Idas Kinder- und Jugendjahren; der Fokus liegt auf einer Künstlerseele, die authentischer und gefühlvoller nicht geschrieben sein könnte.

Gleich zu Beginn trifft der Leser auf wunderschöne Zeilen August Wilhelm Schlegels, die Ida Brun gewidmet sind.
In weiterer Folge tritt Ida selbst auf, kurz vor ihrer Hochzeit mit Bombelles im Winter des Jahres 1816. Wortgewandt und plastisch schildert sie ihre Eindrücke; der Roman ist in der Ich-Form geschrieben. Ich höre also förmlich Idas Stimme, wie sie locker und leicht dahin plaudert, die Sprachmelodie erinnert unterschwellig an frühere Jahrzehnte. Immer wieder wird das Jetzt unterbrochen für Rückblenden in die Jahre 1801 bis 1809, Ida erinnert sich an Reisen nach Rom und inspirierende Treffen mit Künstlern und Theaterdirektoren, an Rausch und Phantasie, an Hass und Liebe. Fließend gehen Gegenwart und Vergangenheit ineinander über, begegnen wir griechischen Göttinnen und anderen Sagengestalten, tauchen wir ein in Oper und Gesang und begleiten Ida in perfekte Augenblicke, die sie in ihren Attitüden sucht und findet. Ausdrucksstark und faszinierend verhilft die Autorin Ida zu einer bewegenden Erinnerung, die schließlich in einer Konfrontation mit der Mutter gipfelt.

Eine Glanzleistung, wie Petra Hucke wieder mit der Sprache spielt, gleich einem über die Tasten fliegenden Pianisten am Klavier, virtuos und voll Gefühl.

Wer gerne eintaucht in die Welt der Kunst und dabei die bezaubernde und willensstarke Ida Bombelles, geb. Brun, kennen lernen möchte, ist hier goldrichtig!
Wiederum 5* plus für ein absolut gelungenes Werk!

Veröffentlicht am 09.06.2019

Ein steiniger Weg zum Ziel

Johannisfeuer
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Ein kleines Dorf in Südfrankreich, Banyuls-sur-Mer nahe der spanischen Grenze, dämmert in der sommerlichen Hitze dahin. Das einzig spannende Ereignis ist zurzeit wohl nur das Johannisfeuer zur Sommersonnenwende ...

Ein kleines Dorf in Südfrankreich, Banyuls-sur-Mer nahe der spanischen Grenze, dämmert in der sommerlichen Hitze dahin. Das einzig spannende Ereignis ist zurzeit wohl nur das Johannisfeuer zur Sommersonnenwende am Canigou, dem heiligen Berg der Katalanen.


Da der etwas korpulente Perez seiner Stieftochter versprochen hat, mit ihr an diesem Fest teilzunehmen und den Berggipfel in knapp 3000 Metern Höhe zu erklimmen, trainiert er schon tapfer, um sich an die Höhenluft zu gewöhnen. Dabei stolpert er mitten am Weg über den reglosen Körper einer jungen Frau, die bereits seit sechs Jahren vermisst wird, und als dann noch nahe Montpellier eine Leiche gefunden wird, glaubt er nicht mehr an einen Zufall. Noch bevor er darüber nachdenken kann, steckt der unkonventionelle Hobbydetektiv mitten in den Ermittlungen.

Dieser Südfrankreich-Krimi ist in der Perspektive des außenstehenden Erzählers geschrieben und in einem so blühenden und bildhaften Stil gehalten, dass man komplett eintaucht in die Idylle des kleinen Feriendorfs. Die ausführlichen und angenehm zu lesenden Beschreibungen von Landschaft und Essen, dem Bewegungsmuffel Perez und seinem entzückenden Hund Hippy lassen zwar zuweilen den Krimi in den Hintergrund treten, dem Lesevergnügen tut dies aber keinen Abbruch.
Die Hauptfigur ist ein gelungener Mix aus liebenswertem Familienmenschen, Hobbydetektiv und Kleinganoven, witzig und unverwechselbar. Auch die anderen Personen sind sehr treffend charakterisiert, was ihnen bald Sympathie vom Leser einbringt oder auch nicht. Die Atmosphäre in allen Szenen ist gekonnt eingefangen und springt gleich über.

Dies war mein erstes Buch von Yann Sola und da Perez bereits früher ermittelt hat, bin ich nun neugierig geworden auf seine anderen Fälle.

Mein Dank gilt hier nicht nur dem deutschsprachigen Autoren – nein, „Johannisfeuer“ ist keine Übersetzung – sondern auch dem Verlag Kiepenheuer & Witsch, der dieses Buch in einer ausgezeichneten Qualität anbietet!

Veröffentlicht am 04.06.2019

Das Rheinland zwischen Franzosen und Preußen

Die Festung am Rhein
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Franziska und ihr Bruder Christian müssen beim gestrengen und egoistischen Onkel in Coblenz leben, nachdem ihr Vater in der Schlacht von Waterloo gefallen ist und die Mutter kaum noch Mittel zum nackten ...

Franziska und ihr Bruder Christian müssen beim gestrengen und egoistischen Onkel in Coblenz leben, nachdem ihr Vater in der Schlacht von Waterloo gefallen ist und die Mutter kaum noch Mittel zum nackten Überleben hat.


Im Jahre 1822, Christian ist mittlerweile Pionier in der preußischen Armee und Freiwilliger beim Bau der Feste Ehrenbreitstein, verschwinden geheime Baupläne und rasch ist der Halbfranzose als Dieb und Verräter festgesetzt - schließlich war der Vater ein Offizier Napoleons. Von Christians Unschuld überzeugt, sucht Franziska nach dem wahren Täter und ist dabei immer wieder auf die Unterstützung des gestrengen und unerbittlichen Leutnants Rudolph Harten angewiesen. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft kommen sie einander näher als gebührlich für einen Preußen und eine Halbfranzösin…

Maria W. Peter baut ihren historischen Roman strukturiert auf in fünf großen Abschnitten, von denen jeder mit einem passenden Spruch beginnt. Danach kommen jeweils ein Rückblick auf die Schlacht bei Waterloo 1815 und die fortlaufenden Kapitel mit Coblenz bzw. Cöln als Handlungsort im Jahre 1822. Ein Epilog 1823 beendet zwar die Handlung, jedoch noch lange nicht das hervorragende Buch. Nun folgen nämlich noch ein sehr ausführliches Nachwort, Glossar, handelnde und historische Personen und nach dem Dank als besondere Draufgabe „Reise- und Stöbertipps“ auf den Spuren von Franziska und Rudolph; weit mehr also als nur gute Unterhaltung! Fast hätte ich jetzt auf die beiden Landkarten am Anfang vergessen, die natürlich dem Leser die geographische Orientierung erleichtern.

In angenehm und flüssig zu lesendem Schreibstil lässt die Autorin das historische Rheinland vor den Augen des Lesers entstehen, in dem „zwei verfeindete Volksgruppen, zwei entgegengesetzte Mentalitäten aus Ost und West zwangsweise zusammengewürfelt worden waren“. Durch geschicktes Verweben der Schicksale von Franziska, Christian und Rudolph lernen wir beide Sichtweisen kennen und verstehen; jeder hat wohl auf seine Weise „recht“ und man spürt förmlich die vorherrschende Distanz und das Misstrauen untereinander. Manche Dialoge finden im Dialekt statt, wodurch das Ganze noch authentischer wirkt – z.B. beim Burschen Fritz oder beim Schotten McBaird. Auch französische Satzteile sind gekonnt in den Text eingearbeitet.

Nicht nur sind die einzelnen Personen anschaulich und bildhaft charakterisiert, die einzelnen Szenen berührend und fesselnd dargestellt, auch die geschichtlichen Hintergründe sind exzellent recherchiert und fließen unauffällig aber einprägsam in die Handlung ein. Die Anzahl der Figuren ist überschaubar und mit ca. 600 Seiten hat Peter auch eine gute Länge für den Roman gewählt, damit man möglichst viel Zeit mit Franziska und Rudolph verbringen kann. Langeweile kommt nämlich hier nicht auf, die Spannung wird vom Anfang bis zum Ende konstant gehalten.

Langer Rede kurzer Sinn: dieser historische Roman ist ein informatives Geschichtsbuch, ein spannender Krimi und nicht zuletzt eine melodische Liebeserzählung.

Ein weiteres Buch auf meiner persönlichen Hitliste 2019!