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Veröffentlicht am 26.06.2021

Rätselhafte alte und neue Fälle

Ein Bild der Niedertracht
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Vor der Küste Schottlands findet ein Fischer eine männliche Leiche in seinem Netz. Es stellt sich heraus, dass es sich um James Auld handelt, den Bruder des zehn Jahre zuvor verschwundenen schottischen ...

Vor der Küste Schottlands findet ein Fischer eine männliche Leiche in seinem Netz. Es stellt sich heraus, dass es sich um James Auld handelt, den Bruder des zehn Jahre zuvor verschwundenen schottischen Politikers Iain Auld. James galt damals als Hauptverdächtiger und verließ seine Heimat. Er war mehrere Jahre bei der Fremdenlegion und ließ sich danach in Paris nieder, wo er in einem Jazzquintett musizierte. DCI Karen Pirie, Spezialistin für alte ungelöste Fälle, hat in regelmäßigen Abständen die Akte wieder geöffnet, ohne zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Durch das Auffinden des toten Bruders wird der alte Fall wieder aktuell. Etwa zur gleichen Zeit entdeckt eine Frau bei der Haushaltsauflösung ihrer toten Schwester in einer Garage ein Skelett in einem Wohnmobil. Auch in diesem Fall beginnt Pirie mit den Ermittlungen. Unterstützt von ihrem Team geht sie jedem Hinweis nach. Lange kommt sie nicht voran. Dann sieht sie Verbindungen zur Kunstwelt. Aus einer staatlichen Sammlung wurden wertwolle Gemälde gestohlen und durch Fälschungen ersetzt, und bei einem Brand in einer Galerie wurden Bilder des vor Jahren angeblich verstorbenen Künstlers David Greig zerstört, die die erhaltenen noch wertvoller machten. Am Ende geht es um Kunstraub, Fälschung, Mord, Identitätstausch bzw. Identitätsdiebstahl. Karen Pirie klärt beide Fälle auf, aber bis dahin ist es ein weiter Weg, der dem Leser Durchhaltevermögen abverlangt, denn das Erzähltempo spiegelt die Akribie der Ermittlerin und sorgt für einige Längen. Der Roman ist nicht schlecht, aber nach meinem Empfinden nicht das beste Buch der schottischen Autorin.

Veröffentlicht am 13.06.2021

Hier hat fast jeder ein Geheimnis

Der Donnerstagsmordclub (Die Mordclub-Serie 1)
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In Richard Osmans Debütroman geht es um die Bewohner der Seniorenresidenz Coopers Chase auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der Grafschaft Kent. Hier genießen die finanziell gut gestellten Senioren ...

In Richard Osmans Debütroman geht es um die Bewohner der Seniorenresidenz Coopers Chase auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters in der Grafschaft Kent. Hier genießen die finanziell gut gestellten Senioren ihren Lebensabend bei zahlreichen interessanten Aktivitäten. Unter anderem treffen sich die vier Mitglieder des Donnertagsmordclubs jede Woche im Puzzlezimmer, um anhand von alten Akten ungelöste Fälle zu bearbeiten. Die Akten hatte die ehemalige Polizistin Penny Gray kopiert, die inzwischen im Wachkoma liegt. Ihren Platz nimmt die ehemalige Krankenschwester Joyce ein. Außerdem gehören Ibrahim Arif, der Psychiater, Ron Ritchie, der Gewerkschafter und Elizabeth, ehemals beim Geheimdienst, gut vernetzt mit den alten Kontakten, die ihr auch jetzt noch gern einen Gefallen tun. Dann kommen die Dinge ins Rollen, weil Investoren mit zweifelhaften Partnern die Anlage erweitern und dabei den alten Friedhof beseitigen wollen. Es gibt direkt vor der Tür den ersten Toten, dann einen weiteren. Im Wettstreit mit der Polizei - DCI Chris Hudson und PC Donna de Freitas, der Elizabeth durch ihre Verbindungen zur Teilnahme an den Ermittlungen verhilft - untersuchen die vier Senioren die Mordfälle und sind dabei öfter der Polizei einen Schritt voraus. Da ist es sehr hilfreich, dass auch die Polizisten die Vorteile einer Zusammenarbeit sehen und man Informationen miteinander teilt. Die Geschichte wird zunehmend verwickelter, weil hier fast jeder ein Geheimnis hat, sogar in der Vergangenheit Verbrechen begangen hat, und die zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Taten jetzt ans Licht kommen, jedoch in vollem Umfang nur für den Leser. Wenn der Zweck die Mittel heiligte, wenn es ein „guter“ Mord an einem Verbrecher war, bleibt die Tat ungesühnt.
Der Roman liest sich sehr gut. Das liegt an der humorvollen Darstellung und an der hervorragenden Charakterzeichnung. Mir gefällt vor allem auch, dass der Autor ohne blutrünstige Beschreibungen auskommt und die Geschichte dennoch interessant und hinreichend spannend ist. Eine klare Empfehlung dafür.

Veröffentlicht am 13.06.2021

Verhämmerung und andere Scheußlichkeiten

Letzte Ehre
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Ein siebzehnjähriges Mädchen verschwindet spurlos nach einer Party im Haus des Partners der Mutter, der zu der Zeit abwesend war. Oberkommissarin Fariza Nasri ermittelt und führt Gespräche mit Zeugen. ...

Ein siebzehnjähriges Mädchen verschwindet spurlos nach einer Party im Haus des Partners der Mutter, der zu der Zeit abwesend war. Oberkommissarin Fariza Nasri ermittelt und führt Gespräche mit Zeugen. Stephan Barig, der Freund der Mutter, beantwortet ihre Fragen scheinbar ehrlich, aber die Polizistin glaubt ihm nicht. Sie hat ein Gespür für Wahrheit und Lüge und merkt, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Dann wird eine ältere Frau namens Ines Kaltwasser vernommen, die in Stephan Barig den Sohn von Curt Barig erkennt, der ihr Leben ruiniert hat. Sie öffnet sich der für einfühlsame Vernehmungen bekannten Polizistin zum ersten Mal in ihrem Leben und enthüllt eine furchtbare Geschichte von sadistischem, überaus grausamem Missbrauch in ihrer Kindheit. Fast zeitgleich wird Catrin Hagen, die beste Freundin von Fariza und Ehefrau eines Kollegen in ihrer Wohnung überfallen und so schwer verletzt, dass sie keine Überlebenschancen hat. Weil Fariza als befangen gilt, darf sie in diesem Fall eigentlich nicht ermitteln, tut es aber dennoch, weil sie glaubt, es ihrer Freundin schuldig zu sein. Was sie bei all diesen Ermittlungen erfährt, ist so furchtbar, dass die Polizistin, die mit ihren eigenen Dämonen aus vergangenen Erlebnissen kämpft, an ihre Grenzen gerät und einem Zusammenbruch nahe ist.
Anis Buch ist ein komplexer literarischer Krimi, sprachlich so, wie man es von ihm kennt mit den für ihn typischen Dialektausdrücken, untypisch im Aufbau und vor allem in der unerwarteten Auflösung, bei der die Logik der Erzählstruktur etwas auf der Strecke bleibt. Den Leser lassen die geschilderten Gewalterfahrungen nicht unberührt. Es ist ein lesenswertes Buch, allerdings nicht durchweg spannend, dabei unendlich düster.

Veröffentlicht am 30.05.2021

Die Geschichte der Familie Rosenbaum

Viktor
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Der Roman „Viktor“ von Judith Fanto erzählt eine Familiengeschichte über sechs Generationen im steten Wechsel auf zwei Zeitebenen. Die junge Holländerin Geertje, die Ich-Erzählerin in diesem Roman, bereitet ...

Der Roman „Viktor“ von Judith Fanto erzählt eine Familiengeschichte über sechs Generationen im steten Wechsel auf zwei Zeitebenen. Die junge Holländerin Geertje, die Ich-Erzählerin in diesem Roman, bereitet sich in den 90er Jahren auf Schulabschluss und Jurastudium vor und will endlich mehr über ihre jüdische Familie wissen. Da gibt es eine Menge Geheimnisse und viele Tabuwörter wie Transport, Lager, Gas usw. Sie beginnt ihre Revolte mit einer Namensänderung und wird zu Judith. Bei ihren Nachforschungen stößt sie auf ein Archiv auf dem Dachboden der Großeltern und findet wichtige Dokumente. Die zweite Zeitebene beginnt mit dem 1. Weltkrieg und reicht bis 1939. Es ist im Wesentlichen die Generation der Großeltern Felix und Trude, ihrer Geschwister, aber es geht auch um ihre Eltern und Großeltern. Im Mittelpunkt steht die Person von Geertjes Großonkel, dem Bruder von Felix. Viktor war eine schillernde Persönlichkeit, ein Frauenheld, der häufig dubiosen Geschäften nachging und sich öfter in Schwierigkeiten brachte. Er war aber auch ein guter Mensch, der alles opferte und zumindest einige seiner Angehörigen rettete. Ihnen gelang die Flucht nach Holland. Die junge Judith wird mit der Scham und den Schuldgefühlen der Überlebenden konfrontiert, mit der Frage, wem die Schoah gehört und vor allem, wie man generell mit der jüdischen Vergangenheit umgehen kann und sollte. Judiths Großeltern sind vor der Flucht zum Katholizismus konvertiert und es steht in dieser Familie nie zur Debatte, jüdische Traditionen offen zu leben.
Ich habe diesen Roman mit großem Interesse gelesen und noch viel Neues dabei gelernt, vor allem über die Geschichte Österreichs vor dem Anschluss an das Reich und den vorher schon allgegenwärtigen Antisemitismus. Das Ende ist sehr traurig, und die von der Biografie der Autorin inspirierte Geschichte hat lange nachgewirkt. Sehr empfehlenswert.

Veröffentlicht am 30.05.2021

Perfekte Ehen gibt es nicht

Eine perfekte Ehe
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In Kimberly McCreights Roman “Eine perfekte Ehe“ hat die Anwältin Lizzie Katsakis wenige Monate zuvor ihren Job bei der Staatsanwaltschaft aufgegeben und eine besser bezahlte Stelle in einer renommierten ...

In Kimberly McCreights Roman “Eine perfekte Ehe“ hat die Anwältin Lizzie Katsakis wenige Monate zuvor ihren Job bei der Staatsanwaltschaft aufgegeben und eine besser bezahlte Stelle in einer renommierten Anwaltskanzlei angenommen, um die von ihrem Mann Sam verursachten gewaltigen Schulden zu begleichen, als sie einen Anruf von ihrem Studienkollegen Zach Grayson bekommt, den sie seit vielen Jahren nicht gesehen hat. Er sitzt unter Mordverdacht im berüchtigten New Yorker Gefängnis Rikers Island ein und bittet Lizzie, ihn zu vertreten. Widerstrebend übernimmt die Anwältin seinen Fall und ermittelt schon bald selbst, weil die Polizei Zach für den Schuldigen am Mord seiner Frau Amanda hält und keine Anstrengungen unternimmt, anderen Spuren zu folgen. Amanda starb nach einer Party mit Ehepaaren, die alle im vornehmen Viertel Park Slope in Brooklyn leben und ihre Kinder zu derselben exklusiven Schule schicken. Diese Tatsache spielt eine Rolle in einer Nebenhandlung. Der Computer der Schule wurde gehackt, und die Eltern bekommen Drohbriefe und werden erpresst.
Im Laufe ihrer Ermittlungen findet Lizzie heraus, dass hier jeder Geheimnisse hat und der äußere Schein trügt: in allen Ehen gibt es Probleme, nicht zuletzt auch bei Lizzie mit ihrem alkoholabhängigen Ehemann, den sie zeitweise verdächtigt, etwas mit Amandas Tod zu tun zu haben. Es gibt etliche falsche Fährten und immer neue Details, auch durch die eingefügten Vernehmungsprotokolle. Für den Leser ist das spannend und zugleich verwirrend, denn die Auflösung kann man nicht erraten. Gut hat mir auch der Kontrast von zwei Zeitebenen gefallen: das Auf und Ab der Ermittlungen nach dem Verbrechen und die letzten Tage in Amandas Leben vor der Party bis zu ihrem Tod in derselben Nacht.
Der Roman ist zwar nicht frei von Längen, hat mir aber insgesamt gut gefallen.