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Veröffentlicht am 02.04.2025

Traurig-schöne Coming-of-Age-Geschichte

Für Polina
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Vermutlich ist „Für Polina“ nicht perfekt. Aber: Es war das perfekte Buch für diesen Moment. Es hat mich emotional gecatcht, mich mit Hannes und den teils wunderbar skizzierten Nebenfiguren leiden lassen, ...

Vermutlich ist „Für Polina“ nicht perfekt. Aber: Es war das perfekte Buch für diesen Moment. Es hat mich emotional gecatcht, mich mit Hannes und den teils wunderbar skizzierten Nebenfiguren leiden lassen, mich rasend schnell mit ins Moor und durch Europa geschickt. Ja, vielleicht ist Takis Würger Diogenes-Debüt ein bisschen kitschig, ein bisschen konstruiert, aber hey, es ist vor allem auch eines: gute Unterhaltung für Fans von Coming-of-Age-Geschichten.

Der erste Teil des Buchs ist wunderschön. In toller Sprache nimmt Takis Würger uns mit ins Moor, irgendwo bei Hannover, auf ein altes Gut, verwaltet von Heinrich Hildebrand, ein „alter Zausel“, dessen Herz der kleine Hannes, seine Mutter Fritzi, aber auch deren Freundin Gunes samt Tochter Polina schnell zum Schmelzen bringen. Dieses Zusammenleben ist so heimelig beschrieben, dass das Wörtchen Hygge sich verneigend aus dem Wortschatz verabschieden könnte. Bis zum Ende dieses Abschnitts zumindest.

Im zweiten Teil verlässt der etwas ältere Hannes nach dem Abitur seinen Vater, schleppt Klaviere durch Hamburg statt auf ihnen zu spielen, trifft dabei auf den sonderbaren, aber herzensguten Bosch mit seiner oft zitierten Vorliebe für Olivenöl-Gerichte, auf skurrile Gestalten der musikaffinen Oberschicht und auf Leonie, seine Liebe für die nächsten Jahre. Doch kann er eine Person nicht vergessen, die er über die Jahre aus den Augen, nicht aber aus dem Herzen verloren hat: Polina. Dann beginnt er wieder Klavier zu spielen. Auf der Straße. Und geht damit viral.

Ich kann durchaus verstehen, dass „Für Polina“ auf Kritik stößt, dass Leser:innen Takis Würger vorwerfen, nichts Neues zu schreiben, zu wenig Liebe in die Hauptfiguren gesteckt zu haben, hart auf der Kitschgrenze zu wandeln. Aber Würger hat hier auch wunderbare Figuren geschaffen, die mir mehr ans Herz gewachsen sind als Hannes und Polina. Allen voran die liebenswerte, toughe Fritz, den grummelig-herzensguten Heinrich, den wortkarg-fürsorglichen Bosch. Wenn Autoren es schaffen, dass einem die Nebenfiguren ans Herz wachsen, haben sie in meinen Augen etwas Besonderes geschaffen. So gut haben es nicht alle, manche tauchen zwar wieder auf, ohne besondere Eigenschaften, aber zumindest schließt sich so mancher Kreis.

Dazu ist Würgers Roman ein Coming-of-Age-Roman, ein Genre, dass nicht immer die allzu große Tiefe benötigt, um Emotionen zu wecken. Erinnerungen an die eigene Kindheit oder Jugend oder Zeit danach, Empathie für Hannes. Dass es ein virales Video benötigt, um die Geschichte zu einem Ziel zu führen, ist halt Zeitgeist. Auch das Namedropping von Sophie Passmann und Prince Harry hätte es vermutlich nicht benötigt, werden doch vorher schon andere, viel charmantere fiktive Figuren beim Sharing von Hannes‘ Video gezeigt. Völlig verzeihbar.

Mich hat „Für Polina“ erreicht, für zwei Abende bestens unterhalten, traurig und glücklich gemacht, abwechselnd oder zugleich – das schaffen nicht viele Bücher. Daher: vollste Empfehlung, trotz Hype und Kritik an eben diesem. Am besten aber ist es, das Buch völlig neutral anzugehen und sich von Hannes‘ Melodien durch die Seiten tragen zu lassen. Und hoffentlich entzückt zu sein.

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Veröffentlicht am 31.03.2025

Alles ist verbunden

HEN NA E - Seltsame Bilder
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Eigentlich ist der Titel ein Spoiler. Zumindest bis man in der zweiten der vier Geschichten ist, den Prolog einmal ausgeklammert. Denn die erste Geschichte aus „Hen na e – Seltsame Bilder“ wirkt fast wie ...

Eigentlich ist der Titel ein Spoiler. Zumindest bis man in der zweiten der vier Geschichten ist, den Prolog einmal ausgeklammert. Denn die erste Geschichte aus „Hen na e – Seltsame Bilder“ wirkt fast wie eine in sich geschlossene, leicht mysteriöse Kurzgeschichte, in der zwei junge Männer über einen rätselhaften Blog diskutieren und einem möglichen Mordfall auf die Schliche kommen. Doch schon die nächste Geschichte zeigt: Bestimmte Personen tauchen erneut auf – und der Täter oder die Täterin hat mehrere Opfer auf dem Gewissen.

Ich lese selten Krimis, dafür umso lieber japanische Gesellschaftsromane, aber „Hen na e“ ist eigentlich beides. Mit einem Twist, denn der Kriminalroman von Uketsu gehört zum recht neuen Genre „Sketch Mystery Roman“. So sind Bilder ein wichtiger Teil der Ermittlungen – Bilder, die von Opfern hinterlassen wurden oder die auf eine besondere Beziehung der Figuren hindeuten. Ob es sie in jeder der insgesamt vier Geschichten gebraucht hätte oder ob die Leser:innen nicht auch so den Ermittlungen hätten folgen können, sei einmal dahingestellt. Aber sie machen durchaus einen gewissen Reiz bei der Lektüre aus. Auch die plastische Wiederholung von Ermittlungsnotizen wie die Tagesabläufe des Opfers und der Verdächtigen in der dritten Geschichte sorgen für ein ganz anderes Lesegefühl.

Vor allem aber ist „Hen na e“ eine recht dramatische, tragische Geschichte, die Leser:innen in die japanische Kultur eintauchen lässt – in Ehre, in Alltag, in den Umgang miteinander. Und mitreißend ist sie, schnell geschrieben, toll übersetzt von Heike Patzschke – 272 Seiten, die sich in einem Rutsch lesen lassen und auch müssen, möchte man doch direkt alle Geheimnisse und Verbindungen erfahren.

Bloß ein Geheimnis lässt sich nicht lösen – dass des unbekannten Autors, der sich hinter einer weißen Maske versteckt, die entfernt an Michael Myers aus Halloween erinnert. Aber vielleicht kommt das ja noch mit einem der nächsten Sketch Mystery-Romane, die hoffentlich bereits in der Arbeit oder Übersetzung sind.

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Veröffentlicht am 31.03.2025

Zurück in die Vergangenheit

Nowhere Heart Land
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"My fingertips are holding onto the cracks in our foundation and I know that I should let go but I can't."

18 Jahre ist der Song von Kate Nash bereits alt, 15 Jahre in „Nowhere Heart Land“ von Emily Marie ...

"My fingertips are holding onto the cracks in our foundation and I know that I should let go but I can't."

18 Jahre ist der Song von Kate Nash bereits alt, 15 Jahre in „Nowhere Heart Land“ von Emily Marie Lara – und ähnlich wie die Figur im Song hält auch die Protagonistin im Buch an Dingen fest, die sie längst loslassen müsste. Wenn das mal so einfach wäre.

In der Gegenwart ist gerade die Queen gestorben. Rosas Kollege, dessen Arbeit sie in einer Londoner Ad-Agency mitmacht, kommentiert das mit einem abfälligen Spruch – und kassiert Rosas Faust in sein Gesicht. Verdientermaßen muss man auch als gewaltfreier Mensch zugeben. Rosa wird freigestellt. Und muss zurück nach Deutschland, denn das Altersheim ihrer dementen Oma verlangt mehr Geld, das nur durch den Verkauf ihres Hauses aufzutreiben ist. Eine Reise in die Vergangenheit beginnt – zurück zum längst abgerissenen Internat, die zerbrochene Schulfreundschaft zu Leni und die Kartons mit den Erinnerungen an ihre früh verstorbene Mutter Conny.

„Nowhere Heart Land“ ist ein forderndes Buch. Eine Tour de Force durch diverse Breakdowns der Protagonistin, deren toxischer Alltag durch zu viel Alkohol und nie aufgearbeitete Abschiede bestimmt wird. Leser:innen werden sich viele Frage stellen und es ist nicht zu viel gespoilert, wenn man festhält, dass eigentlich keine davon beantwortet wird. Mag sicher für einige unbefriedigend sein, mir hat’s gefallen, mit klaren Antworten können auch Enttäuschungen einhergehen – und das ist auch sicherlich nicht die Intention des Buchs.

Es ist ein Homecoming-Roman einer Person, die nach dem Ende ihrer Schulzeit nach London geflüchtet ist, mit Heimat und Freund:innen gebrochen oder letztere auch verprellt hat. Die feststellen muss, dass auch ihre Freundschaften in England nicht allzu viel wert sind. Die den Abriss ihrer Schule und damit auch ein Auslöschen an ihre Mutter, die das Internat ebenfalls besucht hat, nie überwunden hat, vor allem aber auch deren viel zu frühen Tod – und wie soll man das überhaupt schaffen?

Ich mochte in Emily Marie Laras Debüt drei Sachen besonders: die Sprache, mit der sie Rosas Geschichte erzählt. Die Gefühle, die ich nachvollziehen konnte, wenn sie durch ihre alte Heimat läuft und sie gleichzeitig vertraut und doch fremd scheint. Aber auch die vielen „Oh girl, come on!“-Momente, wenn man Rosa von etwas abhalten oder ihr gut zureden oder wenigstens in den Arm nehmen mochte. Sie ist keine sonderlich sympathische, aber eine realistische Protagonistin, voller Fehler, voller Vergangenheit, der man auch nicht immer ganz vertrauen möchte und sie sich selbst vermutlich auch nicht.

Und auch wenn das Buch keine Antworten liefert, so ist das Ende doch durchaus passend, die Szene in der Pizzabude mehr als stark und das Buch trotz kleinerer Längen sehr lesenswert – aber nicht für jede:n.

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Veröffentlicht am 31.03.2025

Charmanter Kinderreiseführer durch die Alpen

OTTO fährt los – Ein Sommer in den Bergen
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Gleich zwei Sachen vorab: Ja, es kommt Urlaubsstimmung auf im dritten Abenteuer von VW-Bus Otto. Und (leider?) ja, das Buch ist mehr Reiseführer als Geschichte – aber das ist nur in einem Punkt schade. ...

Gleich zwei Sachen vorab: Ja, es kommt Urlaubsstimmung auf im dritten Abenteuer von VW-Bus Otto. Und (leider?) ja, das Buch ist mehr Reiseführer als Geschichte – aber das ist nur in einem Punkt schade. Dazu später mehr.

Denn erst einmal Sachen packen und auf in die Berge: Otto reist mit einer Familie durch die Alpen. Bayern, Österreich, Schweiz – alles ist dabei. Schloss Neuschwanstein genauso wie der Bodensee, hochgelegene Bergseen, Hängebrücken, Gipfelessen. „Ein Sommer in den Bergen“, so der Titel dieses „Otto fährt los“-Teils, macht richtig Vorfreude auf den nächsten Urlaub oder sorgt für Flashbacks zu vergangenen Reisen.

Natürlich vor allem dank der großartigen Illustrationen von Stefanie Reich, die die Bergwelt perfekt einfängt und dabei das ein oder andere Motiv gezeichnet hat, das man von vielen, vielen Instagram Fotos kennt. Ist aber ja nicht schlimm, ist schließlich ein Kinderbuch und Kinder sind (hoffentlich) noch nicht selbst auf Insta unterwegs.

Und auch die Texte von Madlen Ottenschläger sind wieder gewohnt wohlig-lustig. Sie hat diesen ganz besonderen Stil, der hier im Haus ganz gut ankommt, egal ob bei Hannah und Benja, bei Metti Meerschwein oder nun eben Otto.

Nur einen kleinen Wermutstropfen gibt es doch: Die Familie, die mit Mietbulli Otto in den Süden fährt, bleibt leider etwas blass. Und das ist dem geschuldet, was ich anfangs geschrieben habe – dass das Buch mehr ein Reiseführer, eine Urlaubsinspiration für die Alpen ist und weniger eine Geschichte. Zwar verfolgt man, was die Zwillinge Klara und Luzie mit ihren Eltern erleben – vom Übernachten an Bergseen und Gondelfahrten hin zu Kletterabenteuern. Aber trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass es eine Aneinanderreihung von Urlaubsempfehlungen ist. Das ist, auch schon geschrieben, ein wenig schade. Aber auch Jammern auf recht hohem Niveau.

Denn alles in allem ist „Otto fährt los: Ein Sommer in den Bergen“ ein toll illustriertes, schön geschriebenes Buch, das sich tatsächlich anfühlt wie ein sonniger Wandertag irgendwo in Österreich oder Bayern mit einem großen Teller Kaiserschmarrn mit Preiselbeeren zum Abschluss. Sogar mit dem passenden Rezept am Ende des Buchs. Wer also in diesem Jahr mit dem Nachwuchs einen Urlaub im Süden plant – dieses Buch ist die (fast) perfekte Einstimmung.

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Veröffentlicht am 18.03.2025

Unaufgeregter Krimi für Kinder

Detektivagentur Christie & Agatha – Ein Beweisstück verschwindet
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Ein Sandwich ist verschwunden. Kein normales Sandwich, was für jeden hungrigen Magen schon recht dramatisch wäre. Nein, darin war ein Experiment von Mr. Fleming versteckt. Wer könnte Interesse daran haben? ...

Ein Sandwich ist verschwunden. Kein normales Sandwich, was für jeden hungrigen Magen schon recht dramatisch wäre. Nein, darin war ein Experiment von Mr. Fleming versteckt. Wer könnte Interesse daran haben? Sein Assistent Mr. Pryce? Die französischen Gastgeber? Oder etwa Sir Arthur Conan Doyle? Klare Sache – die Schwestern Agatha und Christie müssen diesen Fall aufklären.

Der erste Band der neuen Reihe „Detektivagentur Christie & Agatha“ mit dem Titel „Ein Beweisstück verschwindet“ ist ein gemütlicher, humorvoller Kinderkrimi voller Anspielungen auf Krimigeschichte und kulturellen Besonderheiten. So geraten die Gastgeber der Teeparty in Verdacht, französische Spione zu sein – dabei stammen sie aus dem benachbarten Belgien. Ein Schmunzler, der im englischen Original vermutlich ein bisschen besser zündet und mit Vorurteilen aufräumen soll.

Und natürlich ist die Geschichte ein guter Einstieg in die Krimiwelt, besonders, wenn die Eltern oder Großeltern eine Affinität für Agatha Christie, Sir Arthur Conan Doyle oder ähnliche Autor:innen haben. Es ist alles komplett unaufgeregt, die beiden Schwestern sind charmant, der Humor very british. Die Kriminalgeschichte ist ziemlich geradlinig, nur bedingt überraschend – cosy crime für Kinder eben, aber sie lebt über die Figuren, wie auch häufig in den Krimis für Erwachsene.

Vielleicht fehlt ein bisschen Würze, wenn die Kinder bereits andere Detektivgeschichten gelesen oder gehört haben. Sind sie schon an spannende Abenteuer wie bei den drei ??? Kids gewöhnt, könnten die Abenteuer von Christie und Agatha ein bisschen zu ruhig wirken. Das aber hängt vermutlich vom jeweiligen Kind ab – und wie die Reihe weitergeht. Denn schon im Sommer soll Teil 2 der Detektivagentur erscheinen. Und ich sag’s mal so: Wir sind durchaus interessiert, welcher Fall dann aufgeklärt werden muss.

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