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Veröffentlicht am 20.09.2025

Ein schmales Bändchen mit literarischer Tiefe

Köln
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“Köln - Eine literarische Einladung”, herausgegeben von Alwin Müller-Jerina, versammelt 22 literarische Texte, die das Phänomen “Köln” umreißen. Die Texte des ersten Kapitels “Do sin mer dobei” nähern ...

“Köln - Eine literarische Einladung”, herausgegeben von Alwin Müller-Jerina, versammelt 22 literarische Texte, die das Phänomen “Köln” umreißen. Die Texte des ersten Kapitels “Do sin mer dobei” nähern sich literarisch der Definition des Kölschen an. So findet sich einerseits das Kölsche Grundgesetz, andererseits ein kurzer Text Jürgen Beckers, in dem die Stadt Köln mit ihren Widersprüchlichkeiten dargestellt wird. Auch Heinrich Böll gibt hier in “Was ist kölnisch?” eine anschauliche, mit Zeitgeist gewürzte Definition, in der vor allen Dingen Karneval, Dom und Klüngel eine Rolle spielen. Sehr hat mir auch Hanns-Josef Ortheils “Antrittsbesuch” gefallen: Der namenlose Ich-Erzähler, dessen Familie seit Urzeiten immer wieder Köln besucht, begibt sich mit seinen Töchtern auf deren ersten Köln-Besuch - der natürlich im Gedächtnis bleiben soll, weshalb neben dem Dom auch das Schokoladenmuseum, die Seilbahn und der Heinzelmännchenbrunnen besichtigt werden. Der folgende Text “Raqqa am Rhein” von Jabbar Abdullah nimmt eine sehr eindrückliche Perspektive ein: diejenige eines jungen Geflüchteten, für den Köln völlig neu ist. Das zweite Kapitel “Im hillije Kölle” fokussiert Texte über den Kölner Dom. Den Auftakt macht dabei Margot Scharpenbergs Gedicht “Kölner Dom”. Danach folgt Dieter Wellerhoffs “Der Dom als Vatergestalt”, in dem atmosphärisch wie persönlich die Aura des Kölner Doms betrachtet wird. In der nächsten Kurzgeschichte “Domplatte” begibt sich Liane Dirks auf den titelgebenden Bereich um den Dom, indem sie autobiografisch anmutende Episoden ihres Lebens erzählt, die sich dort zutrugen. Das zweite Kapitel schließt mit dem Gedicht “Melaten” von Sabine Schiffner. Das Kapitel “Em Veedel” setzt sich mit der besonderen Beziehung der Kölner zu ihren Stadtteilen auseinander: Hier findet sich der Liedtext von “En unserem Veedel” (Bläck Fööss) und die Kurzgeschichte “Einmal ums Karree ziehen und beten” von Armin Foxius (eine nostalgische Prozession, beginnend in St. Aposteln am Neumarkt). Das Kapitel “Drink doch ejne met” beschäftigt sich mit einem ehemaligen Lokal in Köln (Ingeborg Drews: “Giorgio Campi”), dem Karneval (Julia Trompeter: “Lotta”) sowie den CSD (Martin Wolkner: “Morgenreport”). Das folgende Kapitel “E Büttche bunt” versammelt unterschiedlichste Geschichten. In Jürgen Beckers “Taubenbrunnen” wird augenzwinkernd der Umgang der Kölner mit den Tauben thematisiert; in “Hohe Straße” von Peter Faecke hetzen wir über die titelgebende Einkaufsmeile - Konsumrausch inklusive. In dem Interview “Studentenprotest auf Kölsch” gibt Ulla Hahn interessante Einblicke in das Leben einer jungen Frau in den 1960ern. Eine Liebeserklärung an den EffZeh wiederum sind die Auszüge aus Navid Kermanis Rede zum 70. Geburtstag des 1. FC Köln. Abgerundet wird “E Büttche bunt” durch “Stock und Knopf”, eine Erzählung von Selim Özdoĝan, in der die Perspektive von Migrant*innen in Köln eingenommen wird. Das letzte Kapitel “Lans der Rhin” versammelt Geschichten, die am Rhein spielen. In der kurzen Geschichte “Anekdote zur Arbeitsmoral” von Husch Josten werden die Veränderungen des Kölner Hafens aus der Perspektive eines Hafenmeisters gespiegelt. Gunter Geltingers “Brücke für R.” ist eine melancholische Geschichte, in deren Zentrum ein tragisches Ereignis steht. Den Abschluss bildet Elke Heidenreichs “Die Südbrücke”, in der der gleichnamigen Brücke ein literarisches Denkmal gesetzt wird. Insgesamt ist “Köln - eine literarische Einladung” eine vielfältige Anthologie, die Köln aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Die Texte besitzen dabei eine schöne Komplexität und Tiefe, sodass man, auch wenn das Bändchen recht kurz ist, lange an diesem zehrt.

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Veröffentlicht am 17.09.2025

Eine fesselnde Tragikomödie

Becks letzter Sommer
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Inhalt: Becks Leben ist ein Fiasko. Seinen großen Traum, berühmter Musiker zu werden, musste er begraben, als die Band ihn rausschmiss. Er hat niemanden an seiner Seite, da seine Liebesbeziehungen nie ...

Inhalt: Becks Leben ist ein Fiasko. Seinen großen Traum, berühmter Musiker zu werden, musste er begraben, als die Band ihn rausschmiss. Er hat niemanden an seiner Seite, da seine Liebesbeziehungen nie länger als ein paar Monaten andauern. Und mittlerweile plagen ihn auch die Zipperlein des Älterwerdens. Zwar hat er einen sicheren Job als Lehrer, doch dieser erfüllt ihn gar nicht. Doch dann entdeckt er unvermittelt im Musikunterricht das unglaubliche Talent seines Schülers Rauli Kantas, von dem Beck überzeugt ist, er werde die Musikindustrie revolutionieren. Kurzerhand bietet Beck seinem Schüler an, ihn zu managen - auch um seine eigenen, alten Träume zu verwirklichen -, ohne zu ahnen, worauf er sich da eingelassen hat…

Persönliche Meinung: “Becks letzter Sommer” ist eine Tragikomödie von Benedict Wells. Die Handlung des Romans ist sehr abwechslungsreich: Neben Selbstfindung (bei Beck) und Coming of Age (bei Rauli) finden sich eine (nicht unkomplizierte) Liebesgeschichte sowie zum Ende hin ein (aberwitziger) Roadtrip durch Osteuropa. Dabei ist die Handlung eine Achterbahn der Gefühle: Momente voller Witz (insbesondere in Form des stark überdrehten Charlie, dem besten Freund Becks, und in den Dialogen mit Rauli, der sich konsequent weigert, grammatikalisch korrektes Deutsch zu sprechen) stehen neben tragischen Situationen (diese möchte ich hier nicht spoilern); Verlust gesellt sich zu Liebe. Sehr gefallen an der Handlung hat mir zudem, dass sie - so viel sei verraten - nicht mit einem klassischen Happy End schließt, sondern eine gewisse Offenheit besitzt, wodurch sie für mich lebensnaher wirkte. Beck, den wir bei dem Aufleben seiner Jugendträume begleiten, ist dabei weiß Gott nicht nur ein Sympathieträger: Die Beziehung zu seiner Schülerschaft ist äußerst fragwürdig; um seine Ziele zu erreichen, geht Beck z. T auch über Leichen. Und doch: Mit der Zeit wächst Beck einem ans Herz - eben weil man merkt, dass unter der ruppigen, verbitterten Schale doch ein weicher, verletzter Kern steckt. Interessant ist auch die Erzählsituation des Romans: Erzählt wird die Handlung von einem allwissenden Erzähler, der meist in die Perspektive von Beck schlüpft. Dieser allwissende Erzähler schleicht sich allerdings im Laufe der Handlung durch die Hintertür als “Ich” ein, wodurch eine spannende Erzählkonstruktion entsteht. Wer dieses “Ich” ist und wie es dazu kommt, die Handlung zu erzählen, wird nach und nach offenbart, was für zusätzliche Spannung innerhalb der Handlung sorgt. Der Schreibstil von Benedict Wells ist anschaulich und liest sich ungemein flüssig, sodass man das Buch kaum beiseite legen kann. Insgesamt ist “Becks letzter Sommer” eine fesselnde Tragikomödie mit Figuren, die Ecken und Kanten besitzen.

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Veröffentlicht am 16.09.2025

Eine schaurige Lektüre - perfekt für den Herbst

Klassiker des Schreckens
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“Klassiker des Schreckens”, erschienen im Reclam Verlag, ist eine Sammlung klassischer Schauergeschichten. In der kurzen Geschichte “Reise in die Stadt der Toten” von Frédéric Boutet begleiten wir einen ...

“Klassiker des Schreckens”, erschienen im Reclam Verlag, ist eine Sammlung klassischer Schauergeschichten. In der kurzen Geschichte “Reise in die Stadt der Toten” von Frédéric Boutet begleiten wir einen wissbegierigen Philosophen, der das Wesen des Todes entschlüsseln will, in das Totenreich. Die Geschichte lebt insbesondere von den plastisch dargestellten Szenen im Totenreich sowie dem fatalistischen Ende. Darauf folgt “Der Horla” von Guy de Maupassant: Eine meisterhafte Erzählung in Tagebuchform, in der mithilfe eines stakkatohaften Erzählstils nach und nach der Wahn des namenlosen Protagonisten entfaltet wird - atmosphärische Handlungsorte sowie unheimliche Figuren inklusive. In einer Anthologie mit Schauergeschichten darf natürlich auch Edgar Allan Poe nicht fehlen. Dieser ist mit “Das Fass Amontillado” vertreten, einer frühen Kriminalgeschichte, in der die Beziehung zweier Menschen eine große Rolle spielt. Bram Stoker findet sich mit “Das Haus des Richters” in “Klassiker des Schreckens”: In dieser klassischen Schauergeschichte mietet sich ein Student in ein einsames Herrenhaus ein, um seine Abschlussarbeit zu vollenden. Das Haus ist allerdings nicht so verlassen, wie es zunächst den Anschein hat. Diese Geschichte wird atmosphärisch erzählt, leidet aber etwas darunter, dass sie eine Struktur nutzt, die heutzutage eher abgegriffen wirkt. Die folgende Geschichte “Das Präparat” ist eine analytisch erzählte, moderne Horrorgeschichte, die sich um das Verschwinden eines Freundes der Protagonisten dreht. Einziger Kritikpunkt: Die Geschichte wird sehr rasch erzählt, sodass sie nicht ihr volles Potential entfalten kann. Ein Highlight der Sammlung ist wiederum H. P. Lovecrafts “Das Ding auf der Schwelle”, eine fesselnd erzählte Horrorgeschichte mit rätselhaften Elementen: Daniel Upton, der Ich-Erzähler, beginnt die Geschichte mit der Offenbarung, er habe seinen besten Freund töten müssen; inwiefern er dafür verurteilt werden solle, legt er in die Hände der Lesenden. Im Folgenden führt er den Weg aus, der zum Tod des Freundes führte - was spannend, schön konstruiert und schaurig erzählt wird. Die folgende Erzählung “Die Lotterie” (von Shirley Jackson), die von einem archaischen Ritual handelt, lebt insbesondere von der geheimnisvollen Abgründigkeit dieses Rituals. Den Abschluss bildet “Der Mann, der Dickens liebte” von Evelyn Waugh. Hier treffen wir auf Paul Henty, der nach einer gescheiterten Expedition orientierungslos im Amazonasgebiet umherirrt - bis er auf das Haus von Mr. McMasters stößt. Die Geschichte besticht insbesondere durch eine latente Bedrohlichkeit, die McMasters umgibt. Insgesamt ist “Klassiker des Schreckens” eine fesselnde und abwechslungsreiche Sammlung von schaurigen Geschichten - perfekt für den Herbst.

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Veröffentlicht am 15.09.2025

Ein bemerkenswertes Thrillerdebüt

Happy End
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Inhalt: Nur kurz hat Isa Ben, ihren wenige Monate alten Sohn, im Wohnzimmer allein gelassen, um sich im Keller um die Wäsche zu kümmern, doch als sie zurückkehrt, ist Ben verschwunden - und bleibt es nach ...

Inhalt: Nur kurz hat Isa Ben, ihren wenige Monate alten Sohn, im Wohnzimmer allein gelassen, um sich im Keller um die Wäsche zu kümmern, doch als sie zurückkehrt, ist Ben verschwunden - und bleibt es nach gründlicher Suche auch. Ein Alptraum beginnt: Permanent fragt Isa sich, wie ihr Sohn verschwinden konnte; die Schuld, die sie sich gibt, ist grenzenlos. Zudem kann keiner sich wirklich in ihre Lage versetzen - ihr Mann Mark stürzt sich in seine Arbeit als Kinderarzt -, sodass Isa mehr und mehr vereinsamt. Doch dann geschieht das Unglaubliche: Nach einem halben Jahr wird Ben wiedergefunden. Isa könnte nicht glücklicher sein - wären da nicht kleine Anzeichen, die sie zweifeln lassen, ob Ben wirklich Ben ist…

Persönliche Meinung: “Happy End” ein psychologischer Thriller von Sarah Bestgen. Die Handlung wird hauptsächlich aus der personalen Perspektive von Isa erzählt, die wirklich klasse gezeichnet wird. Ihre Sorgen als junge Mutter, ihre Liebe zu Ben, ihre Angst um Ben sowie ihre Schuldgefühle nach dem Verschwinden werden sehr tiefenscharf, anschaulich und lebendig dargestellt. Daneben finden sich noch weitere Perspektiven, wie diejenige des ermittelnden Kommissars Simmons, wodurch der Thriller weitere Facetten gewinnt. Auch die Handlung des Thrillers hat mir sehr gefallen. Merkwürdigkeiten - wie z. B. das völlig unvermittelte Auftauchen Bens, plötzlich neu in das Leben von Isa tretende Menschen sowie ein aufdringlicher Nachbar - sorgen für Spannung(en). Daneben finden sich mehreren unerwartete Wendungen sowie ein fulminantes Ende, das mehrere Überraschungen bereit hält. Ohne zu viel verraten zu wollen: Das Ende zeigt die Grautöne zwischen “Gut” und “Böse”, was nochmal die herausragende Zeichnung der Figuren unterstreicht. Der Schreibstil von Sarah Bestgen ist sehr anschaulich und flüssig zu lesen, sodass man durch die Seiten des Thrillers fliegt. Insgesamt ist “Happy End” ein spannender und fesselnder Thriller mit psychologisch tief ausgearbeiteten Figuren. Ein bemerkenswertes Debüt!

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Veröffentlicht am 10.09.2025

Für Kölner*innen und/oder Liebhaber*innen von historischen Stoffen ein Muss

Tödlicher Aschermittwoch (Gustav Zabel ermittelt 2)
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Inhalt: Köln am Aschermittwoch 1823. Nahe der Elendskirche wird die verkohlte Leiche eines Mannes entdeckt. Auch, wenn die Leiche nicht mehr identifizierbar ist, ist Kommissar Gustav Zabel sich sicher, ...

Inhalt: Köln am Aschermittwoch 1823. Nahe der Elendskirche wird die verkohlte Leiche eines Mannes entdeckt. Auch, wenn die Leiche nicht mehr identifizierbar ist, ist Kommissar Gustav Zabel sich sicher, dass es sich um einen seiner früheren Widersacher handelt, der vor zwei Jahren die Stadt verlassen hatte. Doch: Warum kehrte er zurück? Weshalb wurde er kurz nach seiner Ankunft effektvoll beseitigt? Zabels Ermittlungen führen ihn in die bürgerliche Oberschicht Kölns - und damit in die Reihen seiner eigenen Freunde…

Persönliche Meinung: “Tödlicher Aschermittwoch” ist ein historischer Kriminalroman von Lorenz Stassen. Es ist der zweite Köln-Krimi um den preußischen Kommissar Gustav Zabel. Die Handlung ist in sich abgeschlossen, sodass man den Krimi auch ohne Kenntnis des Vorgängers “Rosenmontag” lesen kann. Wichtige Handlungsmomente des ersten Bandes werden allerdings in “Tödlicher Aschermittwoch” benannt, sodass man sich bei einem nicht-chronologischen Lesen spoilert. Erzählt wird die Handlung des Krimis aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven, wobei aber die personale Perspektive von Gustav Zabel überwiegt. Zabel, den im ersten Band Identitätsprobleme plagten, hat sich nun in Köln eingelebt und scheint angekommen zu sein. Für Konflikte sorgt jetzt allerdings die Rückkehr einer Person aus der Vergangenheit, die Zabel mehr und mehr an seiner aktuellen Lebenssituation zweifeln lässt. Die Handlung selbst ist spannend: Mehrfach werden falsche Fährten gelegt, sodass die Identität der Täterfigur überraschend bleibt; auch die Motive für den Mord entfalten sich in einem schönen Tempo. Eingebettet ist die Handlung in den historischen Hintergrund der französischen Herrschaft am Rhein, während der viele Kunstgüter nach Paris geschafft wurden (die später, nach dem Fall Napoleons, im besten Fall wieder zurückkehrten). Daneben findet sich - wie bereits im ersten Band - eine schöne Portion Lokalkolorit: Erneut durchstreift man das neuzeitliche Köln, wieder lernt man die - auch eigensinnige - Kölner Oberschicht kennen. Karneval spielt im Vergleich zum ersten Band eher eine Nebenrolle, in den Fokus rückt der Kölner Klüngel, der Zabel bei der Aufklärung des Falles Kopfzerbrechen bringt. Insgesamt ist “Tödlicher Aschermittwoch” ein spannender, abwechslungsreicher Kriminalroman, der unterschiedliche Themen berührt - für Kölnerinnen und/oder Liebhaberinnen von historischen Stoffen ein Muss.

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