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Veröffentlicht am 07.09.2021

Starkes, emotional berührendes Debüt von Abi Daré mit wichtiger Botschaft

Das Mädchen mit der lauternen Stimme
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Das Mädchen mit der lauteren Stimme ist geprägt von kurzen Kapiteln, in denen Abi Daré ihre junge Protagonistin Adunni ihre Geschichte in einer ganz eigenen, ungewöhnlichen Sprache erzählen lässt. So heißt ...

Das Mädchen mit der lauteren Stimme ist geprägt von kurzen Kapiteln, in denen Abi Daré ihre junge Protagonistin Adunni ihre Geschichte in einer ganz eigenen, ungewöhnlichen Sprache erzählen lässt. So heißt der Fernseher etwa Fernseh, die Fernbedienung Fernbediener und DVD heißt Devaude.
So schildert Abi Daré etwa eindringlich, wie Adunni den alten Morufu mit dem Ziegenbockgesicht nicht heiraten will, was niemand in ihrem Dorf verstehen kann. Sogar Adunnis beste Freundin Enitan freut sich für die junge Braut, der sie bei ihrem Hochzeits Makeup helfen möchte. Nur als Leser teilt man natürlich Adunnis Sichtweise und hofft, dass sie sich ihren Traum von einer weiterführenden Schulbildung wird verwirklichen können. Denn Adunni hat von ihrer zu früh verstorbener Mutter Idowu gelernt, dass nur Schulbildung gegen die Zwänge und Unterdrückung der Mädchen und Frauen in Nigeria hilft, um insbesondere nicht in zu jungen Jahren gegen seinen Willen verheiratet zu werden.

Adunni ist ein sympathisches, aufgewecktes und wissbegieriges Mädchen, das schon als kleines Kind davon geträumt hat, später Lehrerin zu werden. Denn Adunni hat einen guten Kopf zum Lernen, wie jedem in ihrem Heimatdorf bekannt ist. Adunnis Hingabe für die Schule und ihre Liebe zu Büchern finde ich ebenso rührend wie inspirierend.
Adunnis Neugierde treibt sie dazu viele Fragen zu stellen. Auch kann Adunni ziemlich vorlaut sein und einem manchmal sogar ein wenig auf die Nerven gehen. Aber gerade diese Ecken und Kanten, die Abi Daré ihrer Protagonistin zugesteht, lassen ihre Charakterisierung glaubwürdig und authentisch werden. Und wenn Adunni einmal wieder eines ihrer selbst ausgedachten Lieder singt, dann ist sie einfach nur das Mädchen, das sie mit ihren erst vierzehn Jahren noch ist.

Besonders stark ist das Mädchen mit der lauteren Stimme meist dann, wenn Adunni einmal die engen vier Wände des Zuhauses, indem sie als Drittfrau bzw. Hausmädchen leben muss, verlassen darf. Leider gibt es viel zu wenig Kapitel wie die, in denen Adunni ihre neue Freundin und Englischlehrerin Ms Tia auf den großen Markt in Lagos begleiten darf, um für sie das Feilschen zu übernehmen, oder Adunni für einen Tag im prächtigen Geschäft von Big Madam in Lagos auszuhelfen darf, das ihr wie ein Palast vorkommt. Nigeria und insbesondere Lagos, in dem Abi Daré selbst aufgewachsen ist, so durch die staunenden Augen eines Kindes entdecken und erleben zu dürfen, hat mir ausgesprochen gut gefallen - und ist ein starker, gelungener Kontrast zu den Qualen und dem Leid, das Adunni sonst zu ertragen hat.

Das Mädchen mit der lauteren Stimme ist ein ziemlich starkes Debüt von Abi Daré, das jedoch leider auch seine Schwächen hat:
Abi Daré schildert die Ereignisse in ihrem Roman ausschließlich aus Sicht von Adunni und Adunni ist mit ihren erst vierzehn Jahren noch recht kindlich und sehr naiv. Das äußert sich nicht nur in der gewöhnungsbedürftigen Sprache, die mit Sicherheit nicht jedermanns Sache sein wird, sondern auch darin, dass Adunni viele Worte nicht kennt bzw. nicht richtig versteht.
Erst mit Adunnis fortschreitender Bildung wird dies ein klein wenig besser. Aber da das Mädchen mit der lauteren Stimme zwar den ein oder anderen kleinen Zeitsprung von wenigen Monaten enthält, wird insgesamt leider nur eine zu kurze Zeitspanne aus Adunnis Leben erzählt, als dass sich wirklich eine größere Entwicklung Adunnis beobachten ließe. Gegen Ende dieses Romans ist Adunni natürlich ein bisschen weniger naiv, stattdessen gebildeter und selbstbewusster - aber auch dann kennt Adunni viele Worte nicht bzw. versteht diese höchstens im Kontext. So hätte es mir weit besser gefallen, eine deutlichere Entwicklung Adunnis in diesem Roman verfolgen zu können, die etwa durch größere Zeitsprünge und somit die Erzählung eines längeren Abschnitts aus Adunnis Leben gegeben wäre.
Da die anderen Charaktere im Mädchen mit der lauteren Stimme ausschließlich aus Sicht von Adunni betrachtet werden, fällt deren Darstellung leider recht einseitig aus - abhängig davon, ob Adunni diese Personen mag bzw. diese freundlich zu ihr sind - wie etwa Morufus zweite Frau Khadija oder auch ihre Freundin in Lagos Ms Tia - oder eben nicht. So sind Morufu, Morufus erste Frau Labake und auch Big Daddy in Adunnis Augen einfach nur böse. Einzig der Big Madam, für die Adunni als Hausmädchen in Lagos tätig ist, wird zum Schluss dieses Romans eine gewisse Ambivalenz zugestanden, wenn Adunni erkennt, dass diese große Frau nicht einfach nur böse und gemein ist, obwohl sie nie ein nettes Wort für Adunni übrig hat und sie schlägt, sondern dass Big Madam selbst geschlagen wird und unter ihrem Mann zu leiden hat.

Von mir gibt es eine klare Empfehlung für das Mädchen mit der lauteren Stimme, da Abi Daré in ihrem beeindruckenden, berührenden Debütroman mit der authentisch geschilderten Geschichte der noch so jungen Protagonistin Adunni, die eine lautere Stimme erlangen möchte, ein eindringliches Plädoyer dafür verfasst hat, wie nur mehr Bildung Mädchen und Frauen in Nigeria in ihren schwierigen, von Unterdrückung geprägten Verhältnissen helfen und diese für sie verbessern kann. Damit ist Abi Daré ein Stück Literatur gelungen, dass sich vor allen Dingen durch seine so wichtige Botschaft auszeichnet.
Zuletzt möchte ich eine Warnung aussprechen, dass das Mädchen mit der lauteren Stimme nichts für ganz Zartbesaitete ist. Denn auch wenn dessen grausame Szenen - so wie etwa Adunnis Vergewaltigung durch Morufu - nicht sonderlich explizit geschildert werden, wirken diese Szenen viel intensiver und brutaler, da Adunni erst vierzehn Jahre alt ist, was einem als Leser aufgrund ihrer kindlichen Sprache und naiven Sichtweise stets präsent ist.

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Veröffentlicht am 15.08.2021

Spannender, atmosphärischer Auftakt einer neuen Science-Fiction Reihe von Marie Graßhoff

Der dunkle Schwarm
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Im Washington des Jahres 2100 ist die junge Atlas tagsüber als anonymer Niemand in der Masse der Programmierer für Hypermind - einen der größten Konzerne - tätig. Atlas verfügt über außergewöhnliche Fähigkeiten, ...

Im Washington des Jahres 2100 ist die junge Atlas tagsüber als anonymer Niemand in der Masse der Programmierer für Hypermind - einen der größten Konzerne - tätig. Atlas verfügt über außergewöhnliche Fähigkeiten, die fast schon ans Hellseherische grenzen und die ihr ermöglichen Gedanken und Erinnerungen anderer zu lesen, wenn sie sich in deren Hives hackt. Und in der Nacht verdient Atlas als Oracle ihr Geld mit diesen besonderen Fähigkeiten, die sie etwa für Industriespionage einsetzt. Dabei findet sich an Atlas Seite stets als treuer Begleiter ihr Bodyguard Julien - ein Androide der Kampfklasse.
Vom ebenso jungen wie reichen Künstler Noah Levy wird Atlas mit der Aufklärung eines aus technischen Gründen quasi unmöglichen Mordes beauftragt, bei dem ein gesamter Hive ausgelöscht wurde. Dabei starben zweihundert Menschen zur gleichen Zeit und unter den Opfern war auch Noahs Schwester Sara Levy.

Marie Graßhoff erzählt ihre Geschichte im dunklen Schwarm in kurzen Kapiteln, die Überschriften wie Die Tage einer müden Seele, Die Heimat eines vergangenen Kampfes oder auch Das Muster einer zufälligen Auslöschung tragen, aus Sicht ihrer interessanten Protagonistin Atlas. Dabei ist das Rätsel um Atlas Vergangenheit und den Ursprung ihrer besonderen Fähigkeiten wohl fast noch größer als die Aufklärung der Ermordung sämtlicher Mitglieder eines Hives.

Ausgesprochen gut gefallen haben mir die atmosphärischen, teilweise düsteren, durchweg gelungenen Beschreibungen von Marie Graßhoff, die ein dystopisches Washington des Jahres 2100 vor meinem inneren Auge haben lebendig werden lassen. Dabei wird das Washington der Zukunft als Moloch von Stadt samt verdreckter Sub-Levels geschildert, das so tief in Smog getaucht ist, dass der Himmel nur alle paar Tage kurz sichtbar wird und so gut wie nie die Sonne scheint. Diese Megastadt Washington, in der oft nur die Werbetafeln und -anzeigen allgegenwärtig sind und wo die Protagonistin Atlas noch nie einen Baum gesehen hat, hat bei mir Assoziationen an Blade Runner geweckt.
Als besonders gelungen habe ich dabei etwa die Schilderung des Aufenthalts von Atlas in Johnson´s Hacker Hotel in den verdreckten Sub-Levels - und im Kontrast dazu die Beschreibung des an einen Garten erinnernden und von Bienensummen erfüllten Anwesens von Bennie Haloren, dem Gründer der Umweltschutzorganisation The Cell - empfunden.

Der dunkle Schwarm ist gut lesbar und flüssig geschrieben. Zudem erzählt Marie Graßhoff ebenso fesselnd wie spannend, woran insbesondere das oftmals recht hohe Erzähltempo sowie die gelungenen Beschreibungen von Kampf- und Actionszenen ihren Anteil haben. Gut gefallen hat mir etwa der Kampf, den sich Atlas und ihr treuer Kampfandroide Julien zu Beginn des dunklen Schwarms mit den Vasallen des Industriellen Mr. Soho auf einem Schrottplatz liefern und der sogar einen riesigen Kampfroboter mit einschließt.

Mit Atlas hat Marie Graßhoff eine interessante und komplexe Protagonistin für ihre Geschichte ersonnen, von der ich gerne noch mehr lesen möchte. Neben Atlas hat mir auch ihr Androide Julien gut gefallen, der Atlas nicht nur beschützt, sondern sich auch um sie kümmert, wenn er ihr etwa Frühstück bestehend aus Pancakes und Kaffee macht. Zwischen Atlas und Julien stimmt einfach die Chemie, obwohl Julien "nur" ein Androide ist. Im Vergleich dazu bleiben weitere Nebencharaktere des dunklen Schwarms, was leider auch den jungen Künstler Noah und die toughe Polizistin Lora Hiland betrifft, sowie Atlas Beziehung zu diesen leider ein wenig blass.
Zum Ende des dunklen Schwarms sind leider Fragen für mich offen geblieben. Insofern würde ich hoffen, dass Marie Graßhoff diese in einer bereits angekündigten Fortsetzung des dunklen Schwarms noch behandeln und klären würde. Auch würde ich gerne noch mehr über die dystopische Version der Zukunft, die Marie Graßhoff im dunklen Schwarm entworfen hat, erfahren - wie insbesondere über die Kolonien auf dem Mars, wo ausschließlich Menschen aus den Sub-Levels in Minen Terraforming und Bergbau betreiben müssen.

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Veröffentlicht am 05.07.2021

Interessanter, abwechslungsreicher, gut recherchierter zweiter Fall für die Ermittler Degenhardt und Liebisch

SCHULD! SEID! IHR!
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Der ehemals auf einer Bohrinsel tätige Ingenieur Martin Stelter, der bei der Explosion eines Gasgrills seine Frau verloren und selbst schwere Verbrennungen erlitten hat, ist nun obdachlos. Als treuer Begleiter ...

Der ehemals auf einer Bohrinsel tätige Ingenieur Martin Stelter, der bei der Explosion eines Gasgrills seine Frau verloren und selbst schwere Verbrennungen erlitten hat, ist nun obdachlos. Als treuer Begleiter ist ihm nur sein Hund Bosko geblieben. Auf der Waldlichtung, auf der Martin Stelter sein Lager aufgeschlagen hat, wird er vom Gehängten konfrontiert und zum Selbstmord mit Strychnin gezwungen. Am Tatort hinterlässt der Gehängte die Tarotkarte EL COLGADO. Doch was hat Martin Stelter dem Gehängten getan, was ihm genommen? Was ist neunzehn Jahre zuvor geschehen? Und welche weiteren Opfer wird es noch geben?
Hauptkommissar Rolf Degenhardt und die ehemalige Praktikantin Jana Liebisch ermitteln in ihrem zweiten Fall nach "Das stumme Kind" - nun unterstützt von Kriminalrat Dirk Kaiser, der die Leitung des Zentralen Kriminaldienstes übernommen hat, nachdem sich Oberkommissar Jens Vorberg zu Beginn von "Schuld! Seid! Ihr!" zur Operativen Fallanalyse des Landeskriminalamts in Hannover verabschiedet hat.

An "Schuld! Seid! Ihr!" hat mir gut gefallen, dass die Handlung auf zwei Zeitebenen erzählt wird, die zum einen etwa zwanzig Jahre zuvor und zum anderen im hier und jetzt spielen. Darüber hinaus haben mir die Perspektivwechsel zugesagt, die für Abwechslungsreichtum sorgen und die die Ereignisse nicht nur aus Sicht der ermittelnden Kommissare, sondern zudem aus Sicht des Täters - genannt der Gehängte - sowie seiner Opfer also u.a. von Martin Stelter schildern. Interessant fand ich dabei besonders, dass die Geschichte über weite Strecken aus Sicht des Gehängten erzählt wird und ich dabei einen tieferen Einblick in dessen Gedanken erhalten habe.
Zudem sagt mir der ebenso ungewöhnliche wie strukturierte, fast schon analytisch zu nennende Aufbau von "Schuld! Seid! Ihr!" zu, der bis zum Schluss konsequent verfolgt wird. Dieser erinnert in seiner Einteilung in sechs Akte an ein Theaterstück und orientiert sich am systematischen Racheplan des Gehängten. Die einzelnen Akte wiederum sind in Kapitel unterteilt, die aus wechselnden Perspektiven erzählt werden ("Der Gehängte" vs. "Die Anderen"). Gut gefallen haben mir dabei die detaillierten Zeit- und Ortsangaben, mit denen jedes Kapitel eines Akts überschrieben ist.

An "Schuld! Seid! Ihr!" hat mich angesprochen, wie gut recherchiert dieser Krimi ist. So werden die einzelnen Akte mit interessanten Informationen zu Tarotkarten eingeleitet, die etwa die Geschichte der Tarotkarten - insbesondere zu deren Wurzeln und ersten Nachweisen wie den Visconti-Spielen, die die ältesten Tarotkarten der Welt im Besitz der Familie Visconti darstellen - betreffen. Denn der Täter, der in "Schuld! Seid! Ihr!"seine Rache sucht, ist selbst nach der Tarotkarte "der Gehängte" benannt.
Aber auch die intensiven wie gut recherchierten Beschreibungen wie die der Bayreuther Festspiele und des besonderen Orchestergrabens im Bayreuther Festspielhaus aus Sicht der Bratschistin Simone Distler haben mich überzeugt. Gleichermaßen eindringlich wie gelungen finde ich die Schilderung des nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmten Jürgen Großmann - des Vorgängers von Rolf Degenhardt - und wie er aufgrund seiner Lähmung zu kämpfen hat, um an einen Nachttischschrank neben seinem Bett zu gelangen.
Gefallen hat mir auch die Brisanz und Aktualität, die "Schuld! Seid! Ihr!" dadurch gewinnt, dass der Gehängte im Rahmen seines Racheplans geschickt sein Talent als Hacker einsetzt. Und so zeigt er etwa im Hacken medizinischer Geräte, wie angreifbar wir heute in unserer technisierten Welt geworden sind und uns dessen nur allzu oft gar nicht bewusst sind.

In "Schuld! Seid! Ihr!" nimmt das Privatleben von Rolf Degenhardt relativ viel Raum ein. Geschildert werden seine privaten Problemen, die die Trennung von seiner Frau Ulrike, aber auch seine Tochter Alexandra, die im weiteren Verlauf von "Schuld! Seid! Ihr!" bei Rolf Degenhardt einzieht, betreffen. Zudem leidet er unter psychischen Problemen, die auch mit den Ereignissen eines früheren Falls, der in "Das stumme Kind" geschildert wird, zusammenhängen. In diesem Zusammenhang wird in "Schuld! Seid! Ihr!" auch auf den ersten Krimi dieser Reihe Bezug genommen. Um der Ermittlung den Gehängten betreffend in diesem zweiten Krimi folgen zu können, ist es jedoch nicht erforderlich "Das stumme Kind" gelesen zu haben, da beide Fälle voneinander unabhängig sind.
Relativ viel Raum nimmt in "Schuld! Seid! Ihr!" auch die Auseinandersetzung zwischen Rolf Degenhardt und dem unsympathischen Karrieristen Dirk Kaiser ein, der nun leider der neue Vorgesetzte von Degenhardt ist. Denn gleich bei ihrer ersten Begegnung geraten die beiden aneinander, da jeder von ihnen die Stelle von Jens Vorberg nachbesetzen will. Dieser erste Konflikt setzt sich bei einem durch Rolf Degenhardt abgebrochenen Anruf von Dirk Kaiser, aber auch in den Nachforschungen, die Dirk Kaiser zu den Ereignissen "Das stumme Kind" betreffend anstellt, fort und verstärkt sich im weiteren Verlauf von "Schuld! Seid! Ihr!" noch.

"Schuld! Seid! Ihr!" ist ein ebenso interessanter wie ungewöhnlicher, zudem gut recherchierter und komplexer Krimi, den ich sehr gerne gelesen habe. Allerdings muss ich zugeben, dass das Ende zwar konsequent ist, aber doch ein wenig abrupt gekommen ist und dabei dann doch die ein oder andere Frage für mich unbeantwortet geblieben ist.

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Veröffentlicht am 03.06.2021

Abwechslungsreicher Krimi - erzählt in diversen Perspektivwechseln und vielen kurzen, knappen Kapiteln

Dein böses Herz
2

Kriminalhauptkommissarin Sandra Rehbein, die als alleinerziehende Mutter in der Betreuung ihres kleinen Sohns Tim auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen ist, und ihr Team ermitteln in einem brutalen ...

Kriminalhauptkommissarin Sandra Rehbein, die als alleinerziehende Mutter in der Betreuung ihres kleinen Sohns Tim auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen ist, und ihr Team ermitteln in einem brutalen Mordfall. Dirk Lettorf, der Filialleiter bei der Sparkasse ist, wurde auf einem Parkplatz tief in der Nacht erstochen und die Witwe von Dirk hat eine Videoaufnahme seines Seitensprungs mit der jungen, auffällig tätowierten Prostituierten Nicki erhalten. Doch wer ist die mysteriöse Lorena, die Dirk das Herz herausgeschnitten hat und die Nicki so großzügig für ihre Dienste bezahlt, und was verbindet Dirk und weitere Männer mit ihr?

An diesem zweiten Thriller von Paul Bruderath haben mir sein flüssiger, gut lesbarer Schreibstil sowie die vielen wechselnden Perspektiven, aus denen "dein böses Herz" erzählt wird, zugesagt. So wird die Handlung nicht nur aus Sicht von Kommissarin Sandra Rehbein geschildert, sondern ebenfalls aus Sicht des ersten Mordopfers Dirk Lettorf, der jungen Prostituierten Nicki sowie der Täterin Lorena.
Zudem finde ich an "dein böses Herz" sehr gelungen, wie geschickt Paul Buderath sein umfangreiches Figurenarsenal einführt, das aus Kommissarin Sandra Rehbein und ihrem Team inklusive dem Gerichtsmediziner sowie ihrer Familie besteht und zudem die Mordopfer, deren Angehörige, weitere Zeugen, die junge Prostituierte Nicki sowie die Täterin Lorena umfasst. Und trotz dieser vielen verschiedenen Personen habe ich beim Lesen doch stets gut den Überblick behalten können.

An "dein böses Herz" haben mir die atmosphärischen, oft düsteren und bisweilen sogar ein wenig unheimlichen Beschreibungen gut gefallen. So finde ich etwa die Schilderung des verlassenen Parkplatzes in eisiger Nacht, der als unheimlicher Tatort des ersten Mordes an Dirk Lettorf dient, sehr gelungen. Auch denke ich, dass "dein böses Herz" aufgrund des in diesem Thriller vorherrschenden eisigen Wetters die perfekte Lektüre für lange, kalte Herbst- und Winternächte ist.
Darüber hinaus haben mich aber auch die ungewöhnlichen Beschreibungen wie die einer Messe nach traditioneller Liturgie aus Sicht der Mörderin sowie die schönen, malerischen Beschreibungen wie die des verträumten Dortmunder Stadtgartens an einem verschneiten Wintertag überzeugt. In den insgesamt 71 Kapiteln, die so sehr kurz, fast schon knapp geraten sind, bleibt in "dein böses Herz" leider nicht allzu viel Raum für solche Beschreibungen, von denen es für meinen Geschmack gerne mehr hätten sein dürfen.

Die leitende Ermittlerin - Kommissarin Sandra Rehbein - hat mir gut gefallen. Sandra ist eine ebenso fähige wie engagierte Polizistin, von der ich gerne weitere Fälle lesen würde. Zudem werden ihre Probleme als alleinerziehende Mutter des achtjährigen Tim, die zugleich Leiterin der Mordkommission ist, glaubwürdig geschildert.
Von den Nebencharakteren haben mir besonders Sandras Mitarbeiter Werner Dietkarz sowie der Rechtsmediziner Dr. Feliakis gefallen. Da ich Werner so sympathisch finde, hat mir zugesagt, wie er mit seiner gewissenhaften, kompetenten Arbeit die Ermittlungen entscheidend voranbringt, indem er neue, relevante Zeugen findet. Zudem ist Werner ein echter Fels in der Brandung - auch für Sandra und das trotz seiner eigenen, schwerwiegenden, persönlichen Probleme aufgrund der Krebserkrankung seiner Frau Friderike. Dr. Feliakis hatte leider nur wenige, kurze Auftritte in "dein böses Herz", bei denen er mich jedoch so überzeugt hat, dass ich wirklich gerne mehr von ihm gelesen hätte.
Sandras Zusammenarbeit mit Ronny Schäfer - dem stellvertretenden Leiter der Mordkommission - hingegen ist von Konflikten geprägt, da Ronny "sich zu Höherem berufen fühlt, als die zweite Geige zu spielen – noch dazu unter einer Frau". Und auch wenn Sandras und Ronnys berufliches Verhältnis im Verlauf von "dein böses Herz" ein bisschen besser wird, hat mir Ronny insgesamt doch leider weniger gut gefallen. Denn primär fällt Ronny durch seine dummen Sprüche auf und Sandra, die Ronny stets Bambi nennt, ist froh, wenn er einfach mal seine Arbeit richtig macht, ohne sich quer zu stellen.

Die Kapitel, die in "dein böses Herz" aus Sicht der Täterin Lorena erzählt sind, fand ich sehr interessant, da ich beim Lesen so doch ein wenig näher dran an der sonst wohl eher verquer wirkenden Sichtweise der Mörderin gewesen bin. Dabei haben mir auch die Zeitsprünge gefallen, die zumindest in ein, zwei kurzen Kapiteln Ereignisse aus der Vergangenheit von Lorena schildern. Und da in diesem Krimi von Paul Bruderath recht früh klar ist, wer die Mörderin ist und somit das sonst in einem Krimi so übliche miträtseln und mitraten den Täter betreffend entfällt, hätte ich stattdessen gerne noch mehr zum Hintergrund von Lorena und ihrer Vergangenheit, was insbesondere ihre Zeit in einer freikirchlichen Sekte mit einschließt, erfahren.

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Veröffentlicht am 29.05.2021

Jugendbuch Thriller von Mel Wallis de Vries trotz interessanten Aufbaus und guter Ansätze mit Schwächen

Himmel oder Hölle?
2

Danielle, die unter der Scheidung ihrer Eltern leidet und von ihrem Ex-Freund - dem BWL-Studenten Stan - gestalkt wird, fährt in ihren Schulferien mit ihren Freundinnen Madelief, Loulou und Robin für einen ...

Danielle, die unter der Scheidung ihrer Eltern leidet und von ihrem Ex-Freund - dem BWL-Studenten Stan - gestalkt wird, fährt in ihren Schulferien mit ihren Freundinnen Madelief, Loulou und Robin für einen Skiurlaub nach Gerlos in Österreich. Dort lernt Danielle den attraktiven Amsterdamer Medizinstudenten Dante kennen und sie kommen sich näher. Wieder zurück aus dem Skiurlaub in Amsterdam verbringen Danielle und Dante nach einem Abendessen die Nacht zusammen, nachdem sie sich in einem Supermarkt beim Einkaufen wieder begegnet sind. Doch ist dieses Treffen im Supermarkt wirklich Zufall gewesen? Und welches Geheimnis verbirgt Dante?

An diesem Thriller des ONE-Verlags hat mir der flüssige, gut lesbare Schreibstil von Mel Wallis de Vries sehr zugesagt. Zudem hat mir gut gefallen, dass die Handlung von "Himmel oder Hölle?" in Perspektivwechseln sowie auf zwei Zeitebenen erzählt wird. So schildert das erste Kapitel an TAG 0 aus Sicht des Täters, wie er die sich in seiner Gewalt befindende Danielle mit der Kamera seines Handys aufnimmt, dabei sein Selbstbewusstsein wächst und sich Dunkelheit in ihm regt, wenn er sich vorstellt, was er der gefesselten Danielle antun wird.
Danach setzt die eigentliche Handlung 17 Tage zuvor in Gerlos in Österreich ein, wo die Amsterdamer Freundinnen Loulou, Robin, Madelief und Danielle ihre Ferien verbringen. Von da an erzählt Mel Wallis de Vries ihre Geschichte an diesen vorherigen Tagen im Wechsel mit Tag 0 und bewegt sich dabei auf diesen Tag 0 zu, um in einem Epilog, der 122 Tage später spielt, zu enden. Dieser Aufbau von "Himmel oder Hölle?" hat mir insgesamt zugesagt. Dabei haben mich besonders die düsteren Tag 0 Kapitel überzeugt, die Einblick in die Gedankenwelt des Täters bieten, da sie aus seiner Sicht geschildert sind.

Danielles ebenso warmherzige wie freundliche und hilfsbereite Freundin Madelief ist die einzig nette Person in Danielles Umfeld. So konfrontiert Mel Wallis de Vries schon zu Beginn von "Himmel oder Hölle?" den Leser damit, wie Danielles "Freundin" Loulou auf ihr herumhackt, weil sie ein heruntergekommenes Apartment für den Skiurlaub gebucht hat, als sie sich von geschönten Fotos der Wahrheit hat täuschen lassen. Zudem macht Loulou sich in gehässiger Weise über die noch unerfahrene Skifahrerin Danielle, die erst im letzten Jahr Skifahren gelernt hat, lustig. Danielles "Freundin" Robin ist da kaum besser.
Und Danielles Ex-Freund Stan, mit dem sie einst ihre Traurigkeit verbunden hat, weil sie unter der Scheidung ihrer Eltern gelitten hat so wie Stan unter dem Verlust seiner Mutter, die an Krebs gestorben ist, zeigt seit Danielles Trennung von ihm Stalking ähnliche Verhaltensweisen. So ruft Stan Danielle etwa täglich an, schreibt ihr ständig, beobachtet, wann sie online geht, und steht nachts vor ihrem Haus. Zudem zeigt der attraktive Medizinstudent Dante, der aus schwierigen Verhältnissen stammt, da er seit seinem neunten Lebensjahr in einer Pflegefamilie groß geworden ist, nachdem sein Vater nach dem Krebs Tod seiner Mutter verschwunden ist, ein Danielle gegenüber kontrollsüchtiges und gelinge gesagt ziemlich irritierendes Verhalten.
Für den weiteren Verlauf von "Himmel oder Hölle?" hätte ich mir gewünscht, dass Danielle mehr Selbstvertrauen und Durchsetzungsstärke entwickeln würde, dass sie weniger versuchen würde es allen Recht zu machen, sondern stattdessen lernen würde, klare Grenzen zu setzen und sich aus schwierigen Beziehungen zu lösen. Doch leider ist diese Entwicklung nicht erfolgt. Darüber hinaus spricht Mel Wallis de Vries in diesem Thriller zwar eine Vielzahl weiterer gleichermaßen schwieriger wie relevanter Themen an - wie etwa Bodyshaming, Selbstverletzung oder auch psychische Erkrankungen. Aber auch bei diesen Themen ist eine kritischere Auseinandersetzung leider nicht in "Himmel oder Hölle?" erfolgt, wie ich sie mir insbesondere bei einem Jugendbuch gewünscht hätte.

Obwohl man bedingt durch den Aufbau von "Himmel oder Hölle", da man als Leser durch die eingeschobenen Tag 0 Kapitel nach und nach weitere Informationen zum Täter erhält, die ganze Zeit miträtselt, wer Danielle da an Tag 0 in seiner Gewalt hat, errät wohl keiner die Auflösung, die Mel Wallis de Vries schließlich liefert. Dass die Enthüllung des Täters ebenso überraschend wie unerwartet kommt, hat mir einerseits gefallen. Andererseits geht diese leider ein wenig zu lasten der Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit des Täters, wie ich finde. So hätte ich mir mehr Informationen zum Hintergrund des Entführers von Danielle - wie insbesondere zu seiner wohl schwierigen Vergangenheit - gewünscht. Womöglich hätten auch ein paar weniger falsche Fährten und ein etwas kleinerer Kreis an Verdächtigen diesem Thriller von Mel Wallis de Vries gut getan. Danielle hat nun wirklich keinen Mangel an aufgrund ihres stalkenden, mobbenden oder auch kontrollsüchtigen Verhaltens schwierigen Personen in ihrem Umfeld. Denn gerade aufgrund der vielen falschen Fährten, die dann letztlich doch ins Leere laufen, und des wirklich umfangreichen Kreises an Personen, die Danielle womöglich Schaden zufügen wollen, hat "Himmel oder Hölle" bisweilen schon seine Längen und ist gerade in seiner ersten Hälfte über weite Strecken eher weniger spannend für einen Thriller, da dafür dann doch einfach zu wenig passiert.

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